Die junge Europameisterschaft 2012 sah gestern Abend ihre erste beeindruckende Leistung: Russland bezwang Tschechien mit 4:1 und überzeugte dabei vor allem spielerisch. Während Russland... Ballsicher, schnörkellos, stark im Umschaltspiel – so besiegte Russland Tschechien mit 4:1!

Die junge Europameisterschaft 2012 sah gestern Abend ihre erste beeindruckende Leistung: Russland bezwang Tschechien mit 4:1 und überzeugte dabei vor allem spielerisch. Während Russland den Ball laufen ließ und durch Ballsicherheit glänzte, setzte Tschechien, das vor allem in Form von Jiracek und Plasil aufopferungsvoll kämpfte, alles entgegen, was das Team zu bieten hatte. Doch das war erwartungsgemäß nicht viel.

Nach ausgeglichenen Anfangsminuten legte die „Sbornaja“ einen Gang zu und machte deutlich wer der Herr auf dem Platz ist. Vor allem die gute Defensivarbeit von Spielern wie Arshavin oder Dzagoev war für das erfolgreiche Spiel der Russen wichtig, denn während das exzellente Dreiermittelfeld mit Zyryanov, Denisov und Shirokov geschlossen „Box-to-Box“, also von Strafraum zu Strafraum agierte, machten die offensiveren Spieler in Rückwärtsbewegung konsequent die Mitte zu. Aus dem etatmäßigen 4-3-3 wurde in der Defensive also das erwartungsgemäße 4-3-2-1, in dem auch der glücklose Kerzhakov gut nach hinten arbeitete.

Welten im Vergleich der beiden Umschaltspiele

Der Unterschied zu Tschechien ist anhand dieser Thematik leicht erklärt: Tschechien versuchte zwar etwas für das Spiel zu tun, tat dies jedoch ziemlich konzeptlos. Tomas Rosicky präsentierte sich spielerisch schwach und nach hinten läuferisch zu inkonsequent, selbiges gilt für Jan Rezek. Vaclav Pilar versuchte zwar Akzente nach vorne zu setzen, zog dafür defensiv ebenfalls zu oft den Kürzeren – und Milan Baros war vorne abgemeldet und durch seine unmoderne Art Fußball zu spielen keine Hilfe für seine defensiveren Teamkollegen. Das Resultat: Die Russen eroberten den Ball, machten in Vorwärtsbewegung ihr 4-3-2-1-System wieder breiter, ließen den Ball teilweise perfekt zirkulieren – und Tschechien schaltete über die gesamte Partie schlecht von Offensive auf Defensive um.

Russland kreiert Räume

Dies ist ein Phänomen, das sich in vielen Spielen beobachten lässt, allerdings nicht immer so markant ins Gewicht fällt, weil man bei Großereignissen wie der Europameisterschaft davon ausgehen sollte, halbwegs ausgeglichene Kräfteverhältnisse zwischen den Teams zu haben. Russland war Tschechien jedoch in allen Belangen überlegen und verstand es vor allem durch eine hohe Passsicherheit konsequentes Konterspiel aufzuziehen. Eine der größten Stärken der Russen am gestrigen Tag war das Kreieren von Räumen. Oft reichten ein oder zwei Pässe um das Spiel in die Breite zu ziehen, die Seite zu wechseln oder durch das Spiel ohne Ball (speziell das „Binden“ von gegnerischen Defensivspielern) Schneisen zu erzeugen, durch die die Russen schließlich direkt gefährlich werden konnten.

Kerzhakov als „persönlicher Verlierer“

Auch die Kaderdichte Russlands sei lobend erwähnt: Aleksandr Kerzhakov zeigte grundsätzlich eine engagierte Leistung und beschäftigte sowohl Hubnik als auch Sivok, vergab allerdings sieben Torchancen. Dies ist ein Zustand, der für Kerzhakov nicht typisch ist, denn in der vergangenen Ligasaison erzielte der 29-Jährige 23 Tore in 32 Ligaspielen. Auch in zwei der drei letzten Länderspiele traf die Solospitze. Gegen Tschechien hatte er allerdings die Seuche am Fuß und wurde nach 74 Minuten desillusioniert ausgewechselt.

Pavlyuchenko punktet

Sein Ersatzmann Roman Pavlyuchenko erzielte einen Treffer und bereitete ein weiteres Tor von Alan Dzagoev vor. Der ehemalige Tottenham-Legionär kam dabei aber nicht etwa in eine bereits gewonnene Partie, sondern schaffte es binnen kürzester Zeit durch konträre Laufwege Verwirrung in die Hintermannschaft der Tschechen zu bringen und so eine Entscheidung herbeizuführen. Einen Spieler wie Pavlyuchenko von der Bank bringen zu können ist ein Luxus, den sich in Gruppe A sonst kein Team leisten kann. Obwohl Kerzhakov aufopferungsvoll für die Mannschaft arbeitete und durch seinen Stangenkopfball das 1:0 durch Dzagoev auflegte, könnte es nach Pavlyuchenkos Kraftanfall sein, dass das Stammleiberl für den Zenit-Stürmer auch schon wieder weg ist…

Russland lockt, Tschechien tappt in die Falle

Einer der markantesten Fehler unterlief der tschechischen Abwehr vor dem 3:1 durch Dzagoev – gleichzeitig war das Tor jedoch auch ein gutes Beispiel dafür, wie Russland dem Gegner den Wind aus den Segeln nahm. Im Zuge eines Angriffs bemerkte Russland, dass der Platz auf der rechten Seite zu eng wird und spielte den Ball wieder zurück in die Abwehr. Tschechien rückte daraufhin ein wenig heraus und verlor die Ordnung in den Abständen der einzelnen Mannschaftsteile. Als Roman Shirokov wieder an den Ball kam, liefen Pavlyuchenko und Dzagoev bereits in die freien Räume – während Shirokov gleich von vier Tschechen attackiert wurde. Einer davon, Tomas Sivok, verlor dadurch den späteren Torschützen Dzagoev aus den Augen und öffnete zugleich die Schneise, durch die Pavlyuchenko locker hindurchpassen konnte. Auch Kadlec rückte nicht nach innen, um die Zentralachse zu schließen.

Die Fehler vor dem 3:1 durch Alan Dzagoev

Die drei schweren Fehler im Überblick:

1. Shirokov ist bereits von drei Spielern umzingelt. Abgesehen davon, dass keiner der Tschechen es schafft ihn vom Ball zu trennen, rückt mit Sivok noch ein vierter Tscheche auf Shirokov. Sivok und Kadlec stehen sich auf den Füßen und fabrizieren zudem einen mannschaftstaktischen, schweren Stellungsfehler.

2. Sivok entfernt sich von Dzagoev, der somit keinen direkten Gegenspieler mehr hat.

3. Hubnik rückt in seiner Not als letzter verbliebener aktiver Verteidiger in Richtung Dzagoev, konnte jedoch nichts mehr gegen ihn ausrichten. Theo Gebre Selassie verschob zu langsam auf die linke Seite, um Pavlyuchenko am Pass zu hindern.

Russland spielte diese Szene allerdings schnell und schnörkellos zu Ende, wodurch das Verteidigen erschwert wurde. Allerdings hätte das richtige Stellungsspiel zur Folge gehabt, dass Dzagoev nicht frei zum Schuss gekommen wäre.

Hubnik vor dem 4:1 nicht mutig genug

Auch vor dem vierten Treffer stellte sich die tschechische Abwehr in Person von Roman Hubnik ungeschickt an. Er ließ sich gleich mehrmals von Pavlyuchenko düpieren und verlor bald die Kontrolle über den Zweikampf. Anstatt den russischen Wechselspieler zu verfolgen hätte Hubnik versuchen müssen, Körperkontakt zu suchen – auch wenn sich die Szene im Strafraum abspielte. Dies wäre die einzige Chance gewesen, Pavlyuchenko abzudrängen.

Chancen für Hübschman und Suchy?

Die Leistungen von Hubnik und Sivok sollten Tschechiens Coach Michal Bilek seine Besetzung in der Innenverteidigung überdenken lassen. Hübschman und Suchy können keineswegs schwächer sein, als die beiden Abwehrspieler, die gestern nicht nur in den Beinen, sondern auch im Kopf wesentlich langsamer als ihre Gegner waren. Zufrieden kann Bilek nur mit der ansatzweise guten, spielerischen Leistung von Jaroslav Plasil, sowie den kämpferischen Darbietungen von Petr Jiracek und Vaclav Pilar sein. Wie bereits gestern beschrieben ist dies nichts desto trotz eine der schwächsten tschechischen Mannschaften der letzten Jahre und auch gegen Griechenland und Polen werden die Tschechen Probleme bekommen.

Russischer Konter- und One-Touch-Fußball auch gegen Polen?

Doch wie stark ist nun eigentlich Russland? Die Sbornaja nahm die zahlreichen Geschenke der Tschechen dankbar an und ließ den Ball gut laufen, was ein allgemein gutes Zeichen ist. Auch das Umschaltspiel funktionierte gut und so sollten auch die Spiele gegen Polen und Griechenland keine große Gefahr darstellen. Aufsteigen wird diese Elf mit hoher Wahrscheinlichkeit, doch bereits im Viertelfinale darf man sich keine Leerläufe mehr leisten, wie es gestern zu Beginn der zweiten Halbzeit der Fall war. Ein erster bzw. der nächste Indikator für die tatsächliche Stärke der Russen wird wohl das Aufeinandertreffen mit Polen am 12.Juni sein, bei dem es für den Gastgeber bereits um alles geht…

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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