Zum ersten Mal seit sechs Jahren konnte Frankreich wieder einmal ein Spiel bei einem Endrundenturnier gewinnen. Das 2:0 gegen die Ukraine am gestrigen Freitagabend... Frankreich auf dem Weg ins Viertelfinale – trotz Schongang 2:0 gegen die Ukraine

Zum ersten Mal seit sechs Jahren konnte Frankreich wieder einmal ein Spiel bei einem Endrundenturnier gewinnen. Das 2:0 gegen die Ukraine am gestrigen Freitagabend war der erste volle Erfolg seit dem Halbfinaltriumph bei der WM 2006 gegen Portugal. Nach einem Doppelschlag durch Menez und Cabaye kurz nach der Pause lieferte die Équipe Tricolore Dienst nach Vorschrift ab und feierte gegen offensivzahme Gastgeber einen ungefährdeten Sieg.

Nach nicht einmal fünf Minuten musste Schiedsrichter Björn Kuipers diese Begegnung aufgrund schweren Gewitters unterbrechen. Die einstündige Pause will Ukraines Teamchef Oleh Blochin aber nicht als Ausrede gelten lassen. „Beide Teams hatten die gleichen Bedingungen“, sagte er. „Nach der Pause lief einfach alles schief und das erste Gegentor war die logische Folge. Nach dem zweiten Gegentor war es dann vorbei.“ Bei den Gastgebern hatte man das Gefühl sie könnten nicht mehr, Frankreich hingegen verwaltete den Vorsprung und steht vor dem Einzug ins Viertelfinale.

Ukraine unverändert

Zwar hatte Blochin angekündigt keine fixe Startelf für das Endrundenturnier eingeplant zu haben, der 2:1-Sieg gegen Schweden gab aber keinen Anlass zu Änderungen. Das 4-1-3-2-System gestaltete sich wieder flexibel und asymmetrisch. Während Rechtsverteidiger Gusev sehr offensiv spielte, agierte Selin auf der gegenüberliegenden Seite eher konservativ. Voronin spielte zurückgezogen und die beiden Flügelspieler rückten phasenweise in die Halbräume ein. An vorderster Front ruhten die ganze Nation der ganzen Nation einmal mehr auf Altstar Shevchenko.

Blanc will mehr Positionstreue

Frankreichs Coach Laurent Blanc stellte seine Mannschaft im Vergleich zum Auftaktmatch hingegen an zwei Positionen um. Zum einen rückte Clichy für Evra in die Startformation, was lediglich einem Eins-zu-Eins-Wechsel entsprach, da beide sehr ähnliche Spielertypen sind. Einschneidender war die zweite Justierung, die „le Président“ vornahm. Anstelle von Malouda kam Menez ins Team und beackerte den rechten Flügel. Dadurch spielte Nasri nun auch laut Papier im Zentrum, wohin er im ersten Gruppenspiel immer wieder abdriftete und somit die rechte Seite verwaisen ließ. Der Effekt dieser Modifikation: mehr Breite und Positionstreue bei weniger Fluidität, die den Franzosen gegen England das Genick brach.

Die Ukraine verteidigt hoch…

Anders als die Inselkicker versuchten die Gelb-Blauen das französische Team bereits früh unter Druck zu setzen. Vor der hochstehenden Viererkette kümmerte sich Tymoshchuk um Spielmacher Nasri, der sich aufgrund der Bewachung des Rekordnationalspielers viel bewegte und auch oft zurückfallen ließ um Räume zu öffnen. Diese konnten seine Kollegen in der Mittelfeldzentrale aber nicht nutzen weil sie von ihren Gegenspieler ebenfalls energisch verfolgt wurden. Cabaye, der vorrangig dafür zuständig ist, dass der Ball von der Abwehr nach vorne gelangt, wurde von Nazarenko abgeschottet und kam in der ersten Halbzeit auf lediglich 30 Ballkontakte. Diarra, der gegen England eine Schlüsselfigur war, wurde vom zurückhängenden Voronin bewacht – eines der Schlüsselduelle, wie sich später herausstellen sollte. Durch das kompakte Stehen kamen die Franzosen nicht zwischen die Linien der beiden Viererketten. Das hohe Verteidigen war aber mit einer großen Portion Risiko verbunden, da die Hintermannschaft empfindliche Geschwindigkeitsnachteile hatte. So versuchte Frankreich mit Pässen hinter die Abwehr immer wieder diesen wunden Punkt auszunutzen. Menez hielt dabei bis ins zweite Drittel die Breite um dann in der Angriffszone im Sprint in die Mitte zu ziehen.

…und kontert gefährlich

Die gefährlichen Offensivaktionen der Ukrainer lassen sich auf Kontergegenstöße reduzieren. Lange Pässe auf Shevchenko, der meist den Raum um Rami anlief, mündeten in den besten Chancen vor und nach der Halbzeitpause. Die Räume zum Kontern ergaben sich vor allem aufgrund des weiten Aufrückens der französischen Außenverteidiger. Die technisch starken Yarmolenko und Konoplyanka ließen aber oft die letzte Konsequenz vermissen, oft fehlte aber auch die Unterstützung – vor allem auf der linken Seite. Rechts hingegen entwickelte sich ein Schlüsselduell.

Gusev gegen Ribery – das Schlüsselduell

Gusev rückte meist weit mit auf, wodurch sich beim Spielaufbau eine Dreierkette aus den übriggebliebenen Abwehrspielern formte. Da der 29-Jährige von Ribery bei seinen Vorstößen kaum verfolgt wurde, hatte er enorm viel Platz. Dieser wurde aber zu wenig ausgenützt. Zwar empfing der Doppeltorschütze aus dem Österreich-Spiel auch so eine beachtliche Anzahl an Pässen entlang des rechten Flügels, dennoch hatte man das Gefühl, dass diese zusätzliche Anspielstation nicht konsequent genug gesucht wurde. Generell war diese Seite des Platzes, jene die am meisten bespielt wurde – siehe Grafik rechts. Wenig verwunderlich ist, dass das vorentscheidende 1:0 ebendiese Seite fiel. Nach einem Ballverlust fehlte der aufgerückte Gusev hinten wodurch Ribery Platz hatte um das Tor vorzubereiten.

Blochin mit Unentschieden nicht zufrieden

Neben dem Duell Gusev gegen Ribery gab es einen weiteren entscheidenden Faktor für die Spielwendung in der zweiten Hälfte. Blochin nahm in der Pause Voronin runter und ersetzte den 32-Jährigen durch Devic. Dieser arbeitete aber nicht so konsequent nach hinten wie sein Vorgänger, wodurch die Franzosen die Oberhand im Mittelfeld erlangten. Cabaye hatte in der Folge mehr Platz, bekam mehr Zugriff zum Spiel und konnte das Spiel dirigieren. Nach dem Führungstor drehte „Les Bleus“ auf, zeigte fluide Angriffskombinationen und traf durch Cabaye ein weiteres Mal. Der Newcastle-Mittelfeldspieler hatte außerdem nach dem sehenswertesten Angriff, der 20 Pässe am Stück umfasste, die Möglichkeit aufs 3:0, scheiterte aber an der Stange.

Benzema arbeitsam, unauffällig, aber effektiv

Die hohe Fluidität kam auch Solostürmer Benzema entgegen. Als lauffreudigem Wandspieler fehlten dem Real-Angreifer in der ersten Halbzeit die Anspielstationen um entsprechende Kombinationen aufziehen zu können. Nach dem Seitenwechsel boten ihm sich diese Möglichkeiten häufiger und er assistierte bei beiden Toren. Dennoch holte er im ersten Abschnitt das bestmögliche aus seinen Möglichkeiten heraus. Er ließ sich gelegentlich zwischen die Linien zurückfallen, wich auf die Seiten auf und machte mit klugen Bewegungen Platz bei Diagonalangriffen. Das heißt er zog die Innenverteidigung zum ballnahen Flügel um auf der anderen Seite Raum für den einrückenden Außenspieler zu schaffen – meist war dies Menez.

Wollte Blochin zu viel?

Nach dem 2:0 schaltete Frankreich zurück, Blanc brachte in der 68. Minute als zusätzliche Absicherung im Mittelfeld den kraftvollen M’Vila für Cabaye. Die Ukrainer konnten ihren Gegner in der Schlussphase somit überhaupt nicht mehr fordern. Dass es soweit kam lag neben dem bereits erwähnten Zweikampf auf der ukrainischen rechten Seite auch an Blochins Umstellung in der Halbzeitpause. Devic verrichtete zu wenig Arbeit nach hinten, konnte aber auch in der Vorwärtsbewegung nicht die entscheidenden Akzente setzen. Es stellt sich daher die Frage, ob Ukraines Coach nicht zu früh zu viel wollte. Der Gastgeber musste nach dem Auftaktsieg nicht unbedingt gewinnen. „Wir werden das analysieren, aber wir sind natürlich nicht glücklich. Die Fans sind nicht glücklich und ich auch nicht, aber man kann es nicht ändern“, war Blochin geknickt, gibt sich aber kämpferisch. „Wir haben immer noch ein Spiel gegen England und darauf werden wir uns nun vorbereiten.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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