Anekdote zum Sonntag (9) – Der Tag an dem Christian Mayrleb ein Tor schoss
BundesligaGesellschaft & Ethik 23.November.2014 Marie Samstag 2
Der Tag an dem Christian Mayrleb ein Tor schoss und durch das Fenster in den Austria-Teambus einsteigen musste, ist in die österreichische Fußballgeschichte eingegangen. Ja, es kam öfter vor – nämlich ganze 224 Mal -, dass der gebürtige Welser den Ball über eine österreichische Torlinie drückte. Der Treffer gegen Schwarz-Weiß Bregenz im August 2000 ist aber eine Anomalie in der Mayrleb’schen Tormatrix. Er führte zu einem empfindlichen Nachspiel für seinen damaligen Arbeitgeber, die Wiener Austria, und stilisierte den Oberösterreicher selbst zum „Anti-Gentleman“ der Bundesliga hoch.
Was war passiert? Schiedsrichter Drabek pfiff an einem lauen Sommerabend ein hitziges Spiel an. Schon in der zwölften Minute wurde ein Bregenzer mit Gelb-Rot vom Platz gestellt. Die Hausherren ließen sich davon jedoch nicht entmutigen und gingen kurz darauf in Führung. Das 1:0 wurde jedoch bereits eine Minute später durch Patrik Jezek per Abstauber egalisiert. Schon in der Halbzeit gelangten Drabek und seine zwei Assistenten nur durch Geleitschutz eines überdimensionalen Zeichens der Demokratiebewegung (= Schirm) in die Kabine. Nach der Pause ging es rustikal weiter. Ein Abseitstor der Vorarlberger und der Ausschluss eines Austria-Spielers waren die Vorboten der Katastrophe in Minute 60: Ein Schwarz-Weißer pfefferte den Ball hinaus, um die Behandlung eines verletzten Mitspielers sicher zu stellen. Weit in der Hälfte der „Veilchen“ wurde der Ball nun von einem FAK-Verteidiger in Richtung Bregenzer Tor geschlagen, um ihn gemäß dem „Fair-Play-Gedanken“ zurückzugeben. Stürmer Mayrleb sprintete jedoch in die Fluglaufbahn, holte sich das Spielgerät herunter, überwand Verteidiger und Tormann und schoss zur Führung ein. Dass sich der Oberösterreicher dabei in „Maradona-Manier“ die Kugel mit dem Arm mitgenommen hatte, bleibt angesichts dieses groben Fauxpas nur mehr ein Detail am Rande. Das Kraut wird dadurch auch nicht fetter. „Dieses Tor von einem Nationalspieler brauche ich nicht zu kommentieren!“, erboste sich der Stadionsprecher. Ein Pfeifkonzert füllte den Nachthimmel über dem Ländle. Austria-Trainer Hochhauser wurde postwendend von einem Spieler attackiert, die übrigen Bregenzer Kicker wandten sich an Drabek. Es kam zur Rudelbildung. Drabek bekam die Situation aber in den Griff und ließ das Spiel weiterlaufen. 4:1 siegte die Austria schlussendlich. Nach dem Not-Fair-Play-Tor wurden noch zwei Bregenzer vorzeitig duschen geschickt, einer davon, der Niederländer Erik Regtop meinte später: „Wenn ich Trainer wäre vom Gegner würd‘ ich sagen: Jungs, lasst Bregenz das 2:2 machen, weil so ein Tor, da kann man gar nicht drüber jubeln.“
Mayrleb konnte. Als er dann aber in den Mannschaftsbus einsteigen wollte, wäre dies nicht ohne das Risiko einer Bierdusche möglich gewesen. Schwarz-Weiß-Fans blockierten den Autobus der „Veilchen“ und bedachten besonders den (Anti)-Helden des Abends mit Schmachgesängen. Der umstrittene Torschütze erklomm schließlich das Fahrzeug durch das Fahrerfenster von der geschützten „Maschek“-Seite her. Andere Kollegen, wie Franz Wohlfahrt, wurden mit Blaulicht davonchauffiert.
Die sportliche Führung der Violetten, allen voran Sportdirektor Koncilia, beschwerte sich anlässlich der obligatorischen Interviews über die Undiszipliniertheiten der Bregenzer Spieler und des Publikums, während bei den Vorarlbergern naturgemäß Mayrlebs eigenwilliges Tor im Mittelpunkt stand. Der Welser selbst verweigerte die Aussage und ließ die Fußballwelt über seine Beweggründe, warum er dieses Tor erzielt hatte, im Dunkeln.
Auf der großen Fußballbühne fand er einige namhafte Nachahmer. Der aktuellste Fall: Luiz Adriano. Der heute 27-jährige Brasilianer wurde nach seinem Treffer für Schachtjor Donezk gegen FC Nordsjælland „aufgrund eines Verstoßes gegen die Verhaltensregeln“ 2012 von der FIFA bestraft. Verhaltensregeln? Tatsache ist, dass auch ungeschriebene Regeln Regeln sind. Diese Qualifikation kann auf die gleichförmige Praxis des Fair-Play-Kodex im Fußball durchaus ausgedehnt werden. Der Name ist jedoch reiner Etikettenschwindel. „Fair-Play“ sollte eigentlich eine innere Geisteshaltung sein, die einen Spieler dazu anleitet in jeder Situation – unabhängig vom Spielstand – „ehrlich“ und „anständig“ zu spielen.
Dumm gelaufen ist es für Mayrleb auf alle Fälle: Im, vom damaligen Austria-Geschäftsführers und Bundesliga-Präsidenten Frank Stronach, angestrengten Wiederholungsspiel verloren die „Veilchen“ und „MacMoarlie“ musste ab jenem Bregenzer Sommerabend darum kämpfen, seinen Ruf als schamloser „Torräuber“ loszuwerden.
Marie Samstag, abseits.at
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