Erfolgreiche Formationsumstellung: So funktioniert Altachs neues System
Bundesliga 8.November.2016 Alexander Semeliker 0
Ein spektakulärer 5:1-Heimsieg gegen die Wiener Austria katapultierte den SCR Altach punktemäßig auf Augenhöhe mit Tabellenführer Sturm Graz. Während sich die Steirer nach ihrem außergewöhnlich starken Saisonstart aktuell in einer Ergebniskrise befinden, spielen die Vorarlberger nach wie vor auf konstantem Niveau. In der nächsten Runde könnten sie im direkten Aufeinandertreffen die Spitze der tipico Bundesliga erklimmen.
Die Altacher befinden sich nicht zum ersten Mal in der jüngeren Vergangenheit im Höhenflug. Schon vor zwei Jahren sorgten sie als Aufsteiger für Schlagzeilen. Nachdem dies in Österreich jedoch nichts Ungewöhnliches war, schrieb man es vor allem den schwächelnden Großklubs zu. Als sie die letzte Saison lediglich auf Platz acht abschlossen, schien sich diese Sichtweise zu bestätigen. Doch Damir Canadi beweist nun, dass er zu den aktuell besten österreichischen Trainern gehört.
Vorbei die Zeiten der Rotation
Dem 46-Jährigen wurden schon in besagter Saison 2014/2015 Rosen gestreut, weil er sein Team immer wieder sehr gut an den Gegner anpassen konnte. Nachdem es Altach – anders als den Aufsteigern davor – gelang, die Leistungsträger zu halten, waren die Erwartungen in der letzten Spielzeit natürlich hoch. Es zeigte sich allerdings, dass die zuvor gelobte taktische Flexibilität auch ihre Nachteile hatte. Altach war zwar in vielen Dingen überdurchschnittlich gut, durch die ständigen Umstellungen war es aber schwer, automatisierte Abläufe zu erstellen. Gerade in Phasen, in denen man selbst das Spiel machen musste, hatte man daher Schwierigkeiten. Heuer ist das anders.
Klare Formation mit variabler Ausrichtung
Seit dem Sommer agiert der SCR Altach stets mit einer Dreierketten-Formation. Die genaue Positionierung und taktische Ausrichtung kann dabei trotzdem variieren, wie die nachstehenden Grafiken zeigen. Zu sehen sind die Durchschnittspositionen der Spieler sowie die Anzahl an Ballaktionen, symbolisiert durch die Größe des Spielerpunkts. Je größer er ist, umso mehr Ballaktionen hatte derjenige. Per Klick lassen sich die Grafiken vergrößern.
Gegen die Austria spielte Altach zum Beispiel in einer klaren 3-5-2-Ordnung. Die Formation am 12. Spieltag gegen die Admira könnte man ebenfalls als 3-5-2 auffassen, aber auch als 3-1-4-2. Analoges gilt für die Grafik aus der Runde davor gegen Rapid bzw. Runde zehn gegen den WAC. Gerade anhand dieser Spiele erkennt man, dass die Formation alleine nur wenig über die eigentliche Spielanlage aussagt. Wie man aus den Positionmaps nämlich erkennen kann, stand man beim 1:1 in Hütteldorfer merkbar tiefer und kompakter als in den anderen beiden Partien.
Durch diese Anpassung ist es nun möglich sowohl auf die jeweilige Matchsituation zu reagieren, als auch Abläufe zu automatisieren ohne das Personal bzw. die Formation umzustellen. Beides kann nämlich durchaus kritisch sein, da ständige Änderungen die individuellen Fähigkeiten stärker in den Vordergrund stellen. Ohne Zweifel benötigt eine derartige Ausrichtung aber auch Spieler, die flexibel einsetzbar sind. Altachs Kader gab in dieser Hinsicht einiges her. Herausstechend sind aber Canadis Feinjustierungen, die dem Ganzen die nötige Erfolgsstabilität geben.
Moderne Besetzung der Dreierkette
Eine durchaus einschneidende Veränderung findet man gleich in der Abwehrreihe, wo mit Philipp Netzer ein Spieler eingesetzt wird, der an und für sich im defensiven Mittelfeld zuhause ist. Letzte Saison versuchte Canadi seinen Kapitän etwas offensiver einzusetzen, was allerdings keinen Erfolg brachte. Nun agiert der 31-Jährige als Innenverteidiger in der Dreierkette und bekleidet eine Rolle, die man vor allem im Amateurbereich immer wieder antrifft. Netzer setzt nicht auf ein zweikampfbetontes Spiel, sondern auf Übersicht und Ruhe. Nur zwei Spieler, die mehr als 20% der bisher möglichen Einsatzzeit erreichten, fangen pro 90 Minuten mehr Pässe ab.
Auch die Besetzung der Halbverteidigerpositionen ist durchaus modern, denn auch hier werden keine klassischen Innenverteidiger eingesetzt. Links gibt es mit Lucas Galvao einen Akteur, der zuvor als Außenverteidiger, in manchen Spielen sogar als Mittelfeldspieler, agiert hat. Dementsprechend bietet der Brasilianer eine weitere vertikale Komponente im Aufbauspiel an. So kommt der 25-Jährige pro 90 Minuten auf mehr erfolgreiche Dribblings als beispielsweise Thomas Murg oder Srdjan Spiridonovic.
Als rechten Halbverteidiger bietet Canadi einen balancierenden Spieler auf. Meist war es Lukas Jäger, gegen die Austria Benedikt Zech. Beide sind in der Lage, weite Wege zu gehen und gelten als robust im Zweikampf, versuchen sich aber spielerisch zurückzuhalten. Sie sind der Ausgleich zu ihren antizipativen und dynamischen Nebenleuten.
Offensive Flügelverteidiger, variables Zentrum
Die Rolle der Flügelverteidiger ist eine durchaus heikle, da nur sie die Außenbahn abdecken. Dementsprechend baut Canadi hier mit Emanuel Schreiner und Andreas Lienhart auf athletische Spieler, die Tempo in die Angriffe bringen und so Durchbrüche erzwingen können. Beide haben bereits je drei direkte Torbeteiligungen auf ihrem Konto. Auch defensiv verstecken sich die beiden nicht, formen nur dann eine Fünferkette, wenn sich Altach tief zurückzieht.
Die wirkliche Anpassung an den Gegner erfolgt im Zentrum, wo Canadi am stärksten rotiert. So bot er dort gegen die ballbesitzorientierte Austria mit Jäger einen zusätzlichen Spieler mit guten Defensivqualitäten auf. Dieser war ein elementarer Teil, denn mit ihm konnten die Pässe durchs Zentrum, und somit die violetten Aufbauversuche, effizient unterbunden werden. Mit Boris Prokopic, Patrick Salomon und Daniel Luxbacher hat Canadi daneben drei offensive und kombinative Alternativen. Sie sind diejenigen, die den Takt vorgeben können und dementsprechend jene Spieler, die am häufigsten rotiert werden. Gegen die Admira standen alle drei Akteure in der Startelf, gegen die Austria nur einer.
Die meisten Einsätze im zentralen Mittelfeld hat jemand, den man vor der Saison auf dieser Postion überhaupt nicht auf der Rechnung gehabt hat: Louis Ngwat-Mahop. Canadi funktionierte den Stürmer nämlich zu einem dynamischen Sechser um, der unter Umständen auch als vertikaler Box-to-Box-Akteur eingesetzt wurde. Neben Netzer ist der Kameruner also jener Spieler, der sich am stärksten neuorientieren musste – bisher mit Erfolg.
Stürmer arbeiten UND treffen
Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist die Tatsache, dass bei Altach noch immer jene Spieler das Gerüst bilden, die den Aufstieg schafften bzw. im darauffolgenden Transferfenster geholt wurden. Einzig im Angriff strukturierten die Verantwortlichen den Kader im letzten Sommer grob um. Drei neue Offensivspieler holte man ins Boot. Eine Änderung, die in diesem Ausmaß notwendig war und bisher höchst erfolgreich ist. Die neuen Angreifer sind nämlich prägend für die Spielstruktur.
Zwei der drei Transfers – die Ausleihen von Nikola Dovedan und Dimitri Oberlin – analysierte abseits.at bereits kurz nach deren Bekanntgabe, denn es zeichnete sich ab, dass sie aufgrund ihrer Spielweisen gut zur Philosophie von Canadi passen würden. Nicolas Ngamaleu stellte sich ebenfalls als guter Griff heraus, sodass die drei nur selten gemeinsam am Feld stehen. Das Trio steht sinnbildlich für die aktuelle Spielweise der Altacher. Im Kern sind sich die drei Akteure durchaus ähnlich, denn sie sind keine klassischen Strafraumstürmer. Sie bewegen sich viel und besetzen oft für Stürmer ungewohnte Räume. Zudem können sie allesamt gute Scorerwerte aufweisen.
Feine Unterschiede ermöglichen Anpassungen
Es gibt allerdings feine Unterschiede, die sich Canadi beim Erstellen des Matchplans zunutze machen kann. Wir sehen uns hierfür zunächst die gesammelten Heatmaps der drei genannten Stürmer an. Die nachstehenden Grafiken schlüsseln die Häufigkeit der Ballaktionen nach der jeweiligen Zone auf. Man erkennt, dass Oberlin und Ngamaleu sehr weiträumig agieren, also auch häufig auf die Seiten und nach hinten ausweichen. Während Ngamaleu besonders zwischen Mittlinie und gegnerischem Strafraum präsent und damit ein klassischer Zuarbeiter ist, agiert Oberlin zielgerichteter.
Der Schweizer bewegt sich vor dem Strafraum besonders in den Halbräumen, sucht aber auch oft den Weg in die Box bzw. unterstützt mit seiner Technik im Zehnerraum. Dovedan hingegen tritt fast ausschließlich zentral in Erscheinung. Die LASK-Leihgabe ist ein kleinräumiger und kombinativer Akteur, der sich gut vom Gegner lösen kann und ein exzellenter Umschaltspieler ist.
Dass sich die Fähigkeiten und die Einbindungen von Dovedan, Ngamaleu und Oberlin unterschiedlich niederschlagen, erkennt man auch, wenn man ihre Radargrafiken näher betrachtet. So zeigt sich etwa Dovedans phasenweises Untertauchen darin, dass er vergleichsweise wenige Pässe spielt und an wenigen Schüssen direkt beteiligt ist. Gleichzeitig kann er aber eine sehr gute Scorerausbeute vorweisen. Ngamaleu punktet bei den disziplinären Kategorien, gewinnt viele Zweikämpfe, erobert Bälle und erzwingt Durchbrüche. Oberlin ist in fast allen Kategorien sehr gut dabei.
Altach hat nun also zwar auf eine fixe Formation umgestellt, bleibt aber dennoch sehr flexibel hinsichtlich eines individuellen Matchplans. Gleichzeitig können die Vorarlberger gewisse Grundabläufe automatisieren, weil die Spieler im Kern gleich eingesetzt werden. Ihre Entwicklung und jene von Damir Canadi zeigen also, dass es nicht weitreichende formative Umstellungen als vielzitierten Plan B benötigt, sondern die Adjustierung von kleinen Stellschrauben um einiges robuster sein kann.
Alexander Semeliker, abseits.at
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