Dieser Artikel kommt quasi in der Nachspielzeit. Schande über uns, dass wir nicht eher daran gedacht haben, einem der erfolgreichsten österreichischen Kicker der Neuzeit... Mei Toni – Ein verspätetes Geburtstagsporträt (1)

Toni Polster Admira Wacker MödlingDieser Artikel kommt quasi in der Nachspielzeit. Schande über uns, dass wir nicht eher daran gedacht haben, einem der erfolgreichsten österreichischen Kicker der Neuzeit eine schriftliche Huldigung zu seinem runden Ehrentag zu widmen. Aber besser spät als nie und ein Tor in „90 Minuten Plus“ ist schließlich genauso viel wert, wie ein Treffer in der regulären Spielzeit. Toni sieht das übrigens genauso: „Tore waren mir alle gleich lieb. Weil ein schönes um nichts mehr zählt als ein hineingenudeltes Tor.“ Mit Toren und Treffern kennt er sich aus. Als Stürmer dessen Arbeitsplatz der gegnerische Strafraum war, muss das wohl so sein: „Golster“, „Toni Doppelpack“, „Toni, lass es polstern“ – Sein Name wurde zum Synonym für seine Qualitäten. Mit eben diesen ebnete er dem österreichischen Nationalteam den Weg zur bislang letzten WM-Endrunde und ist außerdem der erfolgreichste Länderspieltorschütze des ÖFB. Überall wo er war, knallte es: In Favoriten, Turin, Sevilla, Köln und Co. schoss Toni nebenberuflich auch verbal ein. Die Frohnatur betätigte sich als lebender Botschafter des Wiener Schmähs und brachte deutschen Reportkollegen zum Beispiel bei, was ein „Blitzgneisser“ ist oder wie sich eine Blutgruppe auf das Gemüt auswirken kann.

„Kann er was der Bua?!“

Begonnen hat seine Geschichte am 10. März 1964 im Kaiser-Franz-Josef-Spital in – wo könnt’s anders sein – Wien-Favoriten: Anton Polster junior – sehnsüchtig erwartet von Mama, Papa und Schwester erblickt das Licht der Welt. „Der Toni“ kommt bald in den Kindergarten, da beide Eltern zum Familieneinkommen beitragen müssen: Egal, Hauptsache ein Ball als Spielzeug ist immer in der Nähe. In der elterlichen Wohnung auf Stiege 7 im Gemeindebau muss zunächst ein Flummi zum Kicken herhalten, erst danach wird mit richtigem Ball im Hof und später im „Käfig“ gespielt. Bei Regenwetter kommen auch die zentimetergroßen Spielfiguren des Tipp-Kick zum Einsatz. Im Jänner 1973 nimmt Anton Polster senior seinen Buben an der Hand und bringt diesen zum Training der Nachwuchs-Veilchen im Prater. Der Achtjährige kommt unter die Fittiche des Ex-Grün-Weißen Karl Gießer, der die damaligen B-Knaben der Wiener Austria coacht. Just im Derby gegen die Mini-Rapidler läuft Toni erstmals auf und erzielt das Tor der Violetten beim 1:1-Unentschieden. Dabei steht er bei seinem ersten Spiel laut seiner Biographie auch sage und schreibe 76 Mal im Abseits – allein in der 1. Halbzeit.

Geerbt hat Toni sein Talent von seinem Vater, der einst in den B-Mannschaften von Rapid, Admira und Linz kickte: „Gott sei Dank, ist der Bua, ein besserer Kicker als ich.“ Er fördert sein Talent, legt besonderen Wert auf Beidbeinigkeit und die harte Arbeit lohnt sich. „Ich war der Goalgetter, kein anderer. In jeder Mannschaft war das so, ich habe überall die meisten Tore geschossen von der B-Jugend bis zum Team, bei der Austria, bei Simmering, in Italien, Spanien und in Deutschland.“, erinnert sich Polster. Der natürliche Torinstinkt scheint ihm angeboren zu sein, Toni steht meist goldrichtig und ist ein echter Strafraumstürmer. Er durchläuft sämtliche Jugendmannschaften der Wiener Austria und absolviert noch eine Lehre zum Industriekaufmann, ehe er sich endgültig ganz und gar dem Fußball verschreiben kann. Der damals 17-Jährige schart in den Startlöchern und möchte endlich in die erste Mannschaft aufrücken, doch Austria-Coach Erich Hof hat etwas dagegen. Er hält nicht viel vom Lockenkopf mit der starken Torstatistik.

Umleitung über Wien XI

Da meldet sich Ernst Dokupil, damals Trainer vom 1. SC Simmering, und möchte, dass Torjäger Toni sein Team in der zweiten Division verstärkt. Das erste Spiel ist ein Auswärtsmatch in Klagenfurt: Polster und seine Zimmergenossen feiern laut und bekommen am nächsten Morgen von „Dok“ eine 500-Schilling-Geldstrafe aufgebrummt. Schlimmer ist es für Toni aber, dass er nicht wie gewohnt in der Startelf steht, sondern auf der Bank Platz nehmen muss. Auch in den nächsten Partien lässt ihn der spätere Rapid-Meistermacher nur einwechseln. Das erfolgsverwöhnte Leben des jungen Stürmers schlittert plötzlich in eine derartige Krise, sodass Polster schon vor dem ersten Match alles hinschmeißen will. Sein Ehrgeiz wird aber schließlich geweckt und er kann sich einen Stammplatz erkämpfen. Auch Dank Tonis Treffern (8 in 13 Spielen) steigt Simmering wieder in die erste Bundesliga auf: „Mein Selbstvertrauen hat in diesem Frühjahr einen ersten Gipfel bestiegen.“

Der Jungspund kehrt schließlich zu „seiner“ Austria zurück, Trainer Hof ist bereits durch Vaclav Halama ersetzt worden. Mr. Austria Joschi Walter ist ein zäher Verhandler und setzt Polster zunächst ein „Verträgchen“ mit 10.000-Schilling-Salär im Monat vor, der Stürmer unterschreibt allerdings nur unter der Bedingung, als Stammspieler einen neuen Vertrag zu bekommen. Bei seiner Rückkehr gilt Polster als „schlampiges Genie“: Torhungrig, aber ungelenk. Er will stets als Mittelstürmer auflaufen, muss aber auch auf der Seite spielen, wenn ihm Nyilasi im Zentrum vorgezogen wird. Im Juli 1982 startet das Abenteuer Austria Wien für Polster – Stammspieler ist er im September. Die Europacupspiele gegen Panathinaikos Athen verschaffen ihm den Durchbruch, Österreich hat einen neuen Wunderstürmer.

Medien und Fans wollen Toni nationale jetzt auch für Rot-Weiß-Rot stürmen sehen, doch der damalige Teamchef ist „Erzfeind“ Erich Hof. Dieser weicht schließlich dem medialen Druck und das Glück des Tüchtigen bleibt Polster hold: In der EM-Qualifikation darf er erstmals im Nationalteam spielen, weil „Fredi“ Drabits nicht rechtzeitig fit wird und Hof so auf Polster und Schachner an den Flügeln setzen muss. Schauplatz ist das Gerhard-Hanappi-Stadion, Gegner die Türkei. Am 17. November 1982 köpfelt Polster einen Ball Richtung Tor, die geplante Vorlage wird nicht verlängert und kullert über die Linie: „Erstes Länderspiel, erstes Tor, mit 4:0 hoch gewonnen, ein Traum!“, resümiert der Kicker.

Der Wehrdienst beim österreichischen Bundesheer fordert danach aber seinen Tribut und Polster verliert an Form. Er ärgert sich über die mangelnde Voraussicht der Vereinsverantwortlichen, niemand verdonnerte die eingerückten Jungkicker, unter ihnen auch Wohlfahrt, Reisinger und Ogris, zu Sonderschichten: „Wir waren zwar das Potenzial für die Zukunft, aber wichtig waren in dem Moment offenbar nur die Arrivierten.“ Das Nachwuchstalent wird zum Reservist bei den Violetten und bleibt ohne Einberufung ins Nationalteam. Polster wird medial kritisiert, besonders als die Austria gegen Cesena mit 1:5 untergeht. „Polster hat nur eine besonders Eigenschaft: Er ist groß“, vermeldet die Gazzetta dello Sport. Doch Toni reagiert, verordnet sich selber ein Laufprogramm und startet im Sommer 1983 erneut durch.

1984 wird er mit der Austria Meister, Herbert Prohaska erinnert sich an eine nicht immer friktionsfreie Zeit mit dem Jungstar: „Goschert war er schon, der Toni.“ „Schneckerl“ und andere sorgen dafür, dass der Favoritner in Favoriten nicht abhebt: „Du Toni, wenn du die Tore nicht machst, dann macht‘s halt ein anderer von uns, der Nyilasi zum Beispiel. Wir sind schließlich eine Klasse besser als die anderen Klubs.“ Prohaska beschert Polster also nicht nur jede Menge Vorlage, sondern rückt ihm auch den Kopf zurecht. Mit Erfolg. Drei Mal in Serie holt sich Polster die Torschützenkrone und heimst mit seinen Violetten ebenso oft den Meistertitel ein. 1987 ist er mit 39 Treffern bester Torschütze Europas. Klar, dass ein derartig erfolgreicher Spieler auch wieder ein Fixstarter im Nationalteam ist. 1986 verpassen Polster und Co. dem geliebten Nachbarland eine 1:3-Klatsche, Teamchef Beckenbauer bekommt einen Wutanfall. Toni und Konsorten finden‘s zum Lachen.

Angebote sind bei einem Spieler in Topform nicht rar gesät: Torino Calcio klopft als Erster an die Favoritner Tür. Flugs ist alles unter Dach und Fach, Calcio überweist 20 Millionen Schilling an die Austria und Toni tauscht den Wohnpark Alt-Erlaa gegen den italienischen Wintersportort. „Mama, wennst zurück nach Wien kommst, bin ich in Italien.“, teilt er seiner urlaubenden Mutter am Telefon mit. Die trifft freilich fast der Schlag, doch Polster will den Schritt ins Ausland unbedingt wagen.

Eine teure Telefonrechnung

15 Tausend Schilling macht Toni Polsters italienische Telefonrechnung bald monatlich aus. Anfangs versteht der Wiener nur Bahnhof und hilft sich mit Telefonaten in die Heimat über schweigsame Trainings und Pressetermine in Turin hinweg. Bald sagt er sich aber: „Toni, so geht’s net weiter, du musst Italienisch lernen.“ Ganz klassisch, nämlich in der Volkshochschule paukt Polster nun Vokabel und kann sich so endlich integrieren: „Ich habe mit den Reportern reden können. Und vor allem mit den Tifosi. Die brauchen das, gerade in Italien. Die wollen immer den Star zum Anfassen und Abtatscheln.“

Sportlich läuft es zwar nicht so gut wie noch bei der Austria, denn Turin ist eben ein anderes Kaliber: „Mit der Austria sind wir aufs Feld, um zu gewinnen. Da war marschieren angesagt, Gas geben. In Turin sind wir raus, um nicht zu verlieren.“ Toni wird nicht mehr von Prohaska und Türmer mit perfekten Vorlagen gefüttert, die Kugel wird einfach nur in seine Richtung gedroschen, womit auch ein spielstärkerer Stürmer überfordert wäre. Obwohl Polster in 27 Spielen neun Tore erzielt, überwirft er sich mit Trainer Radice und beendet sein Gastspiel am Stiefel nach nur einer Saison. Er schlägt seine Zelte in Spanien auf: FC Sevilla, CD Logroñés und Rayo Vallecano heißen seine Stationen.

In Sevilla wird Toni zum Publikumsliebling. Die Bilanz der Nr. 9, die dort die Nr. 10 trägt: 102 Spiele und 55 Tore. „Sevilla und Köln. Du kommst hin und es passt.“, antwortet Toni anlässlich seines 50er auf die Frage, wo es in seiner Karriere am Schönsten war. Der Lockenkopf liebt es Großklubs zu ärgern, auch schon bei der Austria schoss er besonders gern gegen Spitzenvereine wie Bayern München ein. In der spanischen Liga blüht er vor allem in Spielen gegen Real und Barcelona auf. Ein mögliches Engagement bei den Königlichen kommt letztendlich nicht zu Stande. „Vor allem das Lebensgefühl in Andalusien hat es mir vom ersten Moment an angetan.“ Wert legen die lebensfrohen Spanier auf essen, trinken und feiern. Geselligkeit wird großgeschrieben, so wie im Hause Polster. Alles in allem erlebt Polster eine glückliche Zeit auf der iberischen Halbinsel: Die Fans vergöttern ihn, er heiratet und sein Sohn kommt zu Welt. Eine Tochter folgt später.

Nur an die Zeit bei Rayo Vallecano denkt der Stürmer nicht gerne zurück: „Wenn ich mir ein Jahr in meiner Karriere hätte schenken können, dann mit Sicherheit dieses.“ Bis heute schuldet ihm der Verein Geld. 1993 kehrt Polster der iberischen Halbinsel den Rücken und heuert beim 1. FC Köln an. Einen Schritt, den viele nicht verstehen können: Das deutsche, schnelle Spiel liegt dem Toni doch nicht. Oder etwa doch?

Im zweiten Teil behandeln wir unter anderem seine Karriere in Köln, beim Nationalteam und die Zeit nach seiner Karriere.

Marie Samstag, www.abseits.at

Marie Samstag

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