Kommentar: Zwiebelsenf oder warum das Nationalteam mein Herz nicht erobert
KommentarNationalteam 31.März.2016 Marie Samstag 3
Vorgestern spielte Österreich. Und es gab Ćevapčići zum Abendessen. Das is(s)t schön und von symbolischem Charakter. Denn zwischen dem Grillteller und den Trikots mit dem Bundesadler gibt es für mich einen entscheidenden Zusammenhang: Während ich Zwiebel für den Zwiebelsenf hacke, denke ich daran, dass nichts im Leben so ausschlaggebend ist wie das persönliche Empfinden. So bilde ich mir seit Jahr und Tag ein, dass Ćevapčići für mich nur mit Zwiebelsenf, Pommes frites nur mit Ketchup und Kaffee nur mit Obers genießbar sind. Sollte eine dieser Komponente fehlen, verziehe ich das Gesicht und finde mein Essen nur mehr halb so gut. Das ist natürlich hirnverbrannter Unsinn, ein frühkindlicher Tick, der mir schwer auszutreiben ist. Da bräuchte es schon einen Bocuse-Schüler als Exorzisten. Ähnlich gestrickt ist mein Problem mit dem AUT-Nationalteam: Spielt mein Land, wünsche ich ihm selbstverständlich den Sieg, aber im Grunde genommen kratzt mich eine Niederlage nicht wirklich. Euphorie vor dem Anpfiff zum Länderkampf stellt sich bei mir schon seit dem Verlust der Milchzähne nicht mehr ein. Daran änderten auch die jüngsten Erfolge nichts. Ist es die Skepsis nach so vielen „Jetzt geht’s endlich aufwärts!“-Kampfansagen, die sich über Jahrzehnte als Placebos entpuppt haben? Nein, denn man muss kein großer Fußballwissenschaftler sein, um per Analyse von System und Wirkung zu dem Schluss zu kommen, dass das Nationalteam heute so stabil ist wie es zu meinen Lebzeiten wohl bislang noch nie der Fall gewesen ist.
Ich will nicht nestbeschmutzen oder jammern. Mein Vater pflegte zu sagen, dass man seine Neutralität nicht gerade unter Beweis stellen soll, indem man Nahestehendes extra kritisch betrachtet. Also mit zweierlei Maß misst. Mit aller Objektivität, die ich zusammenkratzen kann, horche ich in mich hinein: Jedes Quali-Spiel habe ich verfolgt, gehofft, dass Österreich das knappe Ergebnis in Russland über die Zeit bringt, beim 4:1 über Schweden schadenfroh geschmunzelt. Trotzdem blieben es Gefühle im Kopf, theoretische Konstrukte. Bauchgrummeln bei einem Freistoß? Herzklopfen beim Führungstor? Tränen nach einer Niederlage? Nada, gar nix. Nicht annähernd mit den Gefühlszuständen zu vergleichen, die ich durchmache, wenn mein Verein spielt. Schon bei der Bundeshymne fange ich regelmäßig an mir die Nägel zu lackieren.
Toll, dass die Quali endlich geglückt ist, sagt die Ratio im Kopf. Ja, schönes Wetter heute. Woran liegt das? An mir natürlich. An der Verarbeitung der Eindrücke, die noch vor Spielbeginn auf mich einprasseln und, nein, damit meine ich nicht die meist amateurhaften Vorbesprechungen und Analysen des Staatsrundfunkes. Um es an einem aktuellen Beispiel zu verdeutlichen: Die letzten beiden Heimspiele verdienten ihren Namen nicht. Wenn die albanische oder türkische Kurve in Wien den Ton angibt, zeigt es, dass es rund ums Team keine dominierende, organische Fanbasis sondern eher ein gloryhuntendes Publikum gibt. Bitte: Kommen soll wer will und es ist toll, dass es vielen Familien mit Kindern möglich ist ins Stadion zu gehen. Nur: Gerade der österreichische Fußball lebt von seiner Fanszene, die ausbleibendes Feldspektakel mit Stimmung ausgleicht. Als alte Pessimistin fürchte ich außerdem, dass bei einem schnellen Ausscheiden en France die Stimmung langsam aber stetig wieder in den Keller rasseln wird.
Ich wuchs in jenen Zeiten auf, als im ORF-Kurzsport noch durchgesagt wurde, welcher Österreicher in der deutschen Bundesliga wieder einmal durchgespielt hatte. Heute verdienen die Nationalspieler ihr Geld fast durchwegs im Ausland und sportlich gibt es keine zwei Meinungen über Alaba in München, Fuchs, Prödl, Arnautovic und Co. auf der Insel, Marc Janko in der Schweiz. Rational betrachtet, denke ich mir also wieder: Toll! Damit könnte es ja genug sein, aber mir spuckt erneut etwas zwischen die Synapsen: Ich habe hohe Ansprüche und ein Arnautovic, der jetzt vielfach Fanliebling Nr. 1 ist, läuft für mich mit einem faden Beigeschmack auf. Leiwand, wie der fast 27-Jährige jetzt in der Premier League aufgeigt. Es ist – ratet mal – toll ihm dabei zu zusehen, wie er sprintet oder ihm die Kugel am Fuß klebt. Der fade Beigeschmack: Ein ‘Nautl sollte eigentlich bei einem anderen Kaliber als den Stokies spielen, noch mehr tödliche Pässe liefern, noch öfter netzen. Das Zeug dazu hätte er ja. Er ist ein Spieler um den eine Mannschaft, aus dauerlaufenden Arbeitsbienen, wie Klein oder Baumgartlinger, die verlässlich hackeln, aber naturgemäß nicht so im Mittelpunkt stehen, gebaut werden sollte. Ich persönlich finde keine Integrationsfigur im aktuellen Team: Ja, Janko trifft am Häufigsten, ist aber – warum weiß der Himmel – kein Publikumsliebling. Christian Fuchs, der Kapitän, spielt so trocken und zuverlässig, wie ein alter Hase, sein wahrer Wert wird vom durchschnittlichen Fan nicht wahrgenommen. Zugpferd der Mannschaft ist maximal David Alaba: Das Ex-Wunderkind, das seinen vorgezeichneten Weg bis zur Stütze gegangen ist. Mir persönlich imponiert der Chef am Meisten.
Mein liebster Österreicher ist Marcel Koller
Koller ist das Gegenteil von Halligalli und zeigt, dass man auch unaufdringlich und positiv gestimmt viel erreichen kann. Selbst das anfängliche Misstrauen der rot-weiß-roten Altfußballergarde sowie fleischlich-charmante Vergleiche Paul Scharners („Koller ist weichgeklopft wie ein Wiener Schnitzel“) konnten den heute 55-Jährigen nicht aus der Ruhe bringen. Der Eidgenosse reagierte mit englischer Noblesse: Nicht einmal ignorieren. Und heute? Koller wagte und gewann, er schenkte angezählten Spielern, wie Almer und Janko, das Vertrauen, ging große Risiken ein und behielt Recht. Er war und ist eine Wohltat nach Trainern, die – so hart muss man es sagen – selbst nicht gut genug für ein Großereignis waren.
Wenn in einer Sportsendung ausführlich darüber diskutiert wird, welch großartiger Motivator der aktuelle Teamchef ist, dann sind wir in Österreich. Besonders gefällt mir an Koller, dass er es versteht sachlich Kritik zu üben und den Avancen der Klatschblätter die kalte Schulter zeigt. Probleme werden intern geklärt und nicht extern aufgeheizt. Vielleicht sollte ich meine ganze Heimatliebe auf Koller konzentrieren: Mit den Habsburgern haben schließlich schon einmal gebürtige Schweizer eine Heimat in Österreich gefunden. Na gut, über die Qualität dieser Führung lässt sich wahrlich streiten. Nicht streiten lässt sich allerdings darüber, dass Koller ein Meilenstein in der Entwicklung des Verbandes, der sich sowieso mehr an unseren westlichen Nachbarn orientieren sollte, ist. Oft gehe ich ja wirklich nicht mit Hans Krankl d’accord, als der Goleador jedoch die „persönlichen Eitelkeiten“ von ÖFB-Funktionären einst live im TV anprangerte, sprach er – nicht nur mir – aus der Seele. Mit Marcel Koller tätigte Windtner 2011 dann einen Glücksgriff.
Vorgestern trotzten die getrockneten Senfspuren auf meinem Teller bereits dem Verfall, als ich diese Zeilen schrieb. Das Freundschaftsmatch war schon vorbei und verloren. Nationalteam schauen bleibt für mich eben wie Ćevapčići ohne Zwiebelsenf zu essen: Schmeckt eigentlich eh super, das Salz in der Suppe – die persönliche Leidenschaft – fehlt mir aber. Am Dienstag störte mich das nicht, denn die Kombi aus Faschiertem, Paprika und Estragon machte mich sowieso so rundum zufrieden, dass ich alles andere vergessen habe.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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