Marcel Koller verlor sein erstes Länderspiel als Trainer der österreichischen Nationalmannschaft gegen die Ukraine mit 1:2. In diesem Artikel werfen wir einen genauen Blick... Neue Lichtblicke und alte Baustellen – eine taktische Analyse der Marcel-Koller-Premiere

Marcel Koller verlor sein erstes Länderspiel als Trainer der österreichischen Nationalmannschaft gegen die Ukraine mit 1:2. In diesem Artikel werfen wir einen genauen Blick auf die Aufstellungen und Systeme beider Mannschaften und analysieren, wo es Handlungsbedarf gibt. Neben einigen Lichtblicken gibt es wie erwartet noch die üblichen Baustellen, die möglichst schnell behoben werden müssen.

Vor zwei Tagen prophezeite abseits.at, dass die ukrainische Mannschaft gegen Österreich mit einer anderen Spielphilosophie auflaufen würde. Es erschien vernünftig gegen eine starke deutsche Nationalmannschaft, die in diesem Spiel jedoch mit einer Dreierkette in der Abwehr experimentierte, auf Konter zu setzen. Man durfte allerdings davon ausgehen, dass die Ukraine zu Hause gegen Österreich das Spiel bestimmen würde. Insofern war es eine große Überraschung, dass Oleg Blochins Mannschaft auch gegen die ÖFB-Auswahl die Partie nicht selbst in die Hand nahm, sondern wieder nur auf die eigenen Stärken im Konterspiel vertraute. Lag das daran, dass die Ukrainer mit dem insbesondere in der Anfangsphase starkem Pressing nicht zurechtkamen, oder war das Spiel der Heimmannschaft von vornherein auf diese Taktik ausgelegt? Ein Blick auf die Startaufstellung spricht für die erste Variante.

Die Aufstellungen und Systeme der beiden Mannschaften

 

 

 

 

 

 

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Gegen Deutschland ließ Blochin ein 4-1-3-2-System auflaufen und setzte auf brandgefährliche Konter über die beiden Flügelspieler Konoplianka und Yarmolenko. Das zentrale Mittelfeld wurde fast kampflos der deutschen Nationalmannschaft überlassen, die durch die Abwehr-Dreierkette einen zusätzlichen Spieler in der Zentrale aufbieten konnte. Gegen Österreich stellte Blochin sein System um, nahm einen Stürmer hinaus und verstärkte das zentrale Mittelfeld. Es sah vor Anpfiff danach aus, als ob Blochin dem österreichischen 4-2-3-1-System keine Überzahl im zentralen Mittelfeld überlassen wollte. Der ukrainische Trainer ließ Shevchenko vorerst auf der Ersatzbank und brachte statt ihm den offensiven Mittelfeldspieler Aliev. Hinter Aliev spielte Rotan, der den gegen Deutschland enttäuschenden Bezus ersetzte. Auch in der Defensive der Ukrainer gab es zwei Änderungen gegenüber dem letzten Freundschaftsspiel: Dikan spielte statt dem zuletzt schwachen Torhüter Rybka und Fedetski ersetzte Butko auf der rechten Seite der Viererkette. Mit der Herausnahme von Rybka und Bezus reagierte Blochin auf deren schwache Leistungen gegen Deutschland.

Marcel Koller nominierte eine offensiv ausgerichtete Mannschaft und setzte auf eine 4-2-3-1-Formation. Ein wenig überraschend war, dass Fortuna-Düsseldorf-Spieler Robert Almer den Vorzug gegenüber den beiden anderen Torhütern bekam. Almer hatte seit mehr als eineinhalb Monaten kein Pflichtspiel in den Beinen und kam innerhalb des letzten Jahres insgesamt nur sieben Mal in Bewerbsspielen zum Einsatz. Seine mangelnde Spielpraxis war jedoch kein Grund für die Niederlage – Almer zeigte eine gute Partie und hatte an den Gegentoren keine Schuld. Baumgartlinger und Alaba agierten vor der Viererkette, die aus Schiemer, Prödl, Pogatetz und Fuchs bestand. Harnik und Ivanschitz sollten über die Flügel Druck machen und gefährliche Situationen für die Solo-Spitze Janko erzeugen. Im zentralen, offensiven Mittelfeld sollte Arnautovic mit kreativen Ideen das Spiel der Österreicher beleben.

Alte Baustellen – warum Martin Harnik so schlecht aussah?  

Die größte Baustelle in der österreichischen Nationalmannschaft versuchte der Schweizer mit Schiemer zu beheben. Auf der rechten Seite der Viererkette bekam der Red-Bull-Salzburg-Spieler den Vorzug gegenüber Florian Klein. Koller traute es Schiemer eher zu, dass er Konoplianka, den stärksten Spieler der Ukrainer, in den Griff bekommen würde. Dafür verzichtete er auf die Offensiv-Qualitäten des Austrianers Florian Klein. Das Problem war jedoch, dass Schiemer in der Defensive heillos überfordert war und auch nach vorne im Spielaufbau nichts Konstruktives beitragen konnte. Dass Martin Harnik eine schlechte Figur machte, lag in erster Linie an Schiemers mangelhafter Unterstützung. Der VfB-Stuttgart-Legionär war auf sich alleine gestellt und kam nie in die Partie hinein. Dazu kam noch, dass Arnautovic immer wieder auf die linke Seite zog und das Zusammenspiel mit Ivanschitz suchte. Fuchs zeigte endlich auch im Nationalteam eine starke Partie, stand meistens fast auf einer Höhe mit Baumgartlinger und setzte seine Gegenspieler früh unter Druck. Nach Ballgewinnen leitete er schnell Angriffe ein, was in der 71. Minute auch zum 1:1-Ausgleichstreffer führte. Auf der rechten Seite waren solche Szenen nicht zu sehen. Auch wenn man berücksichtigt, dass Schiemer kein moderner Außenverteidiger ist, ist es enttäuschend, dass er sich nicht mehr ins Angriffsspiel einschalten konnte.

Constantini versuchte das Problem auf der rechten Abwehrseite mit Klein und Dag zu lösen. Klein zeigte bei seinen Vorstellungen im Nationalteam große Schwächen in der Defensive und machte viele Stellungsfehler, was Marcel Koller beim Studium der DVDs aufgefallen sein wird. Dag laboriert zurzeit an einer Bauchmuskelverletzung, wäre aber in Zukunft wieder eine Alternative, obwohl auch er im Nationalteam nie glänzen konnte. Ideal wäre es wohl, wenn Gyuri Garics sich nach seiner Verletzung schnell wieder einen Stammplatz bei Bologna erkämpfen kann. Nach der Entlassung von Didi Constantini steht der 27-Jährige dem Nationalteam wieder zur Verfügung, womit eine zusätzliche interessante Alternative vorhanden ist.

Spielbestimmend und dominant – aber nicht abgebrüht und clever

Oleg Blochin sprach nach dem Spiel seinen Respekt an die österreichische Mannschaft aus. Die Ukraine tat sich laut dem Trainer sehr schwer, auch weil die Kraft nach der Partie gegen Deutschland ein wenig fehlte. Österreich war über weite Strecken spielbestimmend, hatte gegen Ende der Partie 64% Ballbesitz und ließ teilweise den Ball sehr gut in den eigenen Reihen laufen. Kollers Mannschaft setzte die Ukrainer insbesondere in der ersten Halbzeit früh unter Druck und stand im Gegensatz zum Gegner sehr hoch. Während sich die Ukrainer nur selten über die Mittellinie herauslocken ließen, störten Janko und Arnautovic die gegnerischen Verteidiger schon früh beim Spielaufbau und wurden von ihren Mitspielern beim Pressing gut unterstützt. Positiv war, dass die ganze Mannschaft Pressing spielte und zusammen kompakt den Gegner unter Druck setzte. In den vergangenen Länderspielen sah das oft weit unorganisierter aus. Die Ukrainer hatten große Probleme bei der Spieleröffnung und verloren teilweise schnell den Ball, was dazu führte, dass die Ballbesitz-Statistik eine klare Sprache spricht. Gefährlich wurden sie erst, wenn der Ball auf die Flügelspieler im Mittelfeld kam, wobei Konoplianka auf der rechten Seite seinen Kollegen Yarmolenko auf links, so wie gegen Deutschland, in den Schatten stellen konnte.

Österreich kreierte zwar einige Chancen, aber es war wenig Zwingendes dabei, da die Ukraine hinten meist kompakt und tief stand und schwer auszuspielen war. Die Folge waren zahlreiche Weitschüsse, die jedoch ohne Erfolg blieben. Während die Chancenauswertung der Österreicher ausbaufähig war, zeigten die Spieler der Ukraine, dass man nicht viele Chancen benötigt, um eine Partie zu gewinnen. Beide Tore fielen auf ähnliche Weise, was natürlich besonders ärgerlich ist. Koller stellte seine Mannschaft darauf ein, dass die Ukrainer gerne die eigenen Spieler hinterlaufen – genützt hat es in diesen Situationen leider nichts.

Ein falscher Wechsel

Marcel Koller hätte unbedingt Schiemer aus der Partie nehmen müssen, nicht Harnik! Harnik zeigte eine schwache Leistung, was aber, wie oben beschrieben, daran lag, dass Schiemer ihn nicht unterstützte und er völlig isoliert war. Die Einwechslung von Kavlak änderte nichts an dieser Situation. Schiemer war in der Defensive eine Risiko und in der Offensive nicht vorhanden. Koller hätte zumindest versuchen müssen, diese Schwachstelle zu beheben. Die Einwechslung von Klein statt Schiemer wäre das Offensichtlichste gewesen, vielleicht aber nicht die beste Möglichkeit. Koller hätte Kavlak statt Schiemer bringen können und Martin Harnik als rechten Außenverteidiger gegen den schnellen Konoplianka spielen lassen können. Auf diese Weise wäre über die rechte Seite mehr nach vorne gegangen und Konoplianka hätte einen etwa gleich schnellen Gegenspieler zur Seite gestellt bekommen. Es wäre auch möglich gewesen statt Kavlak Junuzovic ins offensive Mittelfeld einzuwechseln und Harnik und Arnautovic auf die rechte Seite zu stellen, wobei der Werder-Bremen-Legionär dann mehr Defensivarbeit verrichten hätte müssen. Auch diese Variante wäre wohl interessanter gewesen, als der ursprüngliche Wechsel, mit dem sich nichts veränderte.

FAZIT

Wieder einmal geht ein Spiel verloren, in dem die österreichische Nationalmannschaft dominierte und die bessere Mannschaft war. Zumindest ein Unentschieden hätte sich der Schweizer Marcel Koller bei seinem Debüt verdient, auch wenn man ihm vorwerfen muss, dass er den inferioren Schiemer auf der rechten Seite durchspielen ließ. Die Organisation innerhalb der Mannschaft sah besser aus, als zuletzt und die individuelle Klasse der Spieler ist um ein Vielfaches höher, als noch vor einigen Jahren. Die Mannschaft bringt sich momentan mit unnötigen Stellungsfehlern selbst um den Lohn der Arbeit und man muss leider von Naivität und mangelnder Abgebrühtheit sprechen, wenn man immer wieder in der Schlussphase den Verlusttreffer hinnehmen muss – diesmal sogar mit einem Mann mehr am Platz.

Der Blick auf die Startaufstellung verspricht allerdings eine bessere Zukunft. Von den acht Legionären, die in der höchsten deutschen Spielklasse ihr Geld verdienen, standen in der letzten Runde ALLE Spieler in der Startaufstellung. Sechs von diesen acht Spielern spielen zudem bei Vereinen, die in der Tabelle auf den ersten sieben Plätzen liegen. Nur der FSV Mainz 05, der Klub von Ivanschitz und Baumgartlinger, erwischte eine schlechte Hinrunde und liegt an der 14. Tabellenposition. Baumgartlinger stellte im zentralen Mittelfeld Alaba ein wenig in den Schatten, wobei der 19-jährige Bayern-München-Spieler ebenfalls eine ordentliche Partie absolvierte. Interessant wird es sein, ob der zuletzt verletzte Scharner den starken Baumgartlinger aus der Mannschaft spielen wird, wenn er wieder fit ist.

Stefan Karger, www.abseits.at

Stefan Karger

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