Es war die Angst vor der Armut, die ihn damals antrieb. Heute ist diese Armut zu seiner Realität geworden. Im Dezember 1995 veränderte ein... Die Prä-Bosman-Zeit: Österreichs vergessene Legionäre (1)

Retro Fussball_abseits.atEs war die Angst vor der Armut, die ihn damals antrieb. Heute ist diese Armut zu seiner Realität geworden. Im Dezember 1995 veränderte ein Urteil des EuGHs die Fußballwelt: Jean-Marc Bosman wollte von seinem Arbeitgeber RFC Liège/Lüttich eigentlich nur Schadenersatz erstreiten, bewirkte aber, dass Profifußballer in der EU nach Vertragsende ablösefrei wechseln dürfen. Bosman, der heute einundzwanzig Jahre älter ist, aber wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheint, war einst ein eleganter Mittelfeldspieler. Jetzt hat er locker fünfzehn Kilo zu viel auf den Rippen.  „Er hatte ein Gespür für einen guten Pass, aber er war einfach zu nett. Er war kein richtiger Wettkämpfer.“, bringt ein Ex-Kollege das Problem wohl unbewusst auf den Punkt. Trotz fehlender Aggressivität stritt der scheue Bosman ganze fünf Jahre lang mit seinem Verein, der den Wechsel zum französischen Zweitligisten US Dunkerque wegen einer Ablöseforderung vereitelt hatte. Am 15. Dezember kamen die europäischen Richter zu dem Schluss, „dass die Regeln über den Spielertransfer und die Beschränkungen der Anzahl von Spielern aus der Gemeinschaft in den Spielen zwischen Vereinen gegen den Römischen Vertrag verstoßen.“ Jean-Marc Bosman brachte das 780.000 € Entschädigung ein, seine Karriere war trotzdem vorbei. „Das Merchandising, alles rund ums Spiel, die Dienstleistungsfreiheit der Fußballer, der Athleten überhaupt, wurde ein unglaublicher Wirtschaftsboom. Der einzige, der nicht Millionär ist, bin ich.“, seufzt der heute 52-jährige. Seine Vergangenheit bestimmt bis heute seine Gegenwart. Ende der 90er wird Bosman depressiv, beginnt zu trinken. Heute lebt er alleine in Lüttich von 572 € im Monat: Sozialhilfe, Spenden, Unterstützung seiner Familie. Bosman – der Name eines Profifußballers mit mittelmäßiger Laufbahn, bestimmt jedoch weiterhin die Gesetze des Marktes.

Doch Fußballwanderer gibt es beinahe so lange es den Fußball selbst gibt. Neben den aktuellen Stars oder altbewährten Ausnahmekicker der Generation Krankl gab es schon in den Ausklängen der Habsburger-Monarchie erste Spieler, die Österreich verließen um im Ausland ihr Glück zu suchen. Einige dieser Pioniere sind heute – trotz Ausnahmegeschick und großer Erfolge – leider vergessen. Oder kennen Sie einen der folgenden Herren?

Karl Decker – Ein glücklicher Wiener in Frankreich

Der 19. April 1953 war ein denkwürdiges Datum für den österreichischen Fußball. Als Jean-Marc Bosman noch nicht einmal ein erotischer Gedanke seiner Eltern war, beschäftigte sich die ÖFB-Generalversammlung erstmals mit der „Frage der Auslandsfreigabe“. Die Delegierten einigten sich auf die Regelung, dass Fußballer im Alter von über 30 Jahren die Freigabe zu einem Wechsel über die rot-weiß-roten Grenzen erhalten sollten. Karl Decker war das egal. Er dachte, dass der Zug für ihn bereits abgefahren sei. In seinen frühen Zwanzigern wollte ihn einst ein Pariser Klub dank dreier Tore beim 4:1-Heimsieg der Österreicher über die Grande Nation verpflichten. Doch der ÖFB machte Deckers Traum vom „Capitano an der Seine“ zunichte, indem er seine Zustimmung zum Vereinswechsel verweigerte. Bis zu seinem Tod fühlte sich der Wiener aufgrund dieses hartnäckigen Verhaltens betrogen.

In den 50ern waren Kicker made in Austria heiß begehrt. Im Jahr der Neuregelung der  Auslandswechsel standen gleich drei Österreicher in der FIFA-Weltauswahl, die sogar von einem rot-weiß-roten Trainer – nämlich Edi Frühwirth – betreut wurde: Der violette Ernst Ocwirk als Kapitän und die Rapidler Hanappi und Zeman. Karl Decker, der mittlerweile 31 Jahre alt war, spielte 1952 seine Abschiedssaison bei seinem Stammverein Vienna. Decker war eine lebende Legende der Blau-Gelben, noch heute schmückt eine Büste einen Stadionaufgang auf der Hohen Warte. Er schnürte seine ersten Schuhe beim Ottakringer SC, ehe er über andere kleine Wiener Klubs als Sechzehnjähriger nach Döbling kam. Der Offensivspieler wurde drei Mal Meister und erzielte in der NS-Zeit das Siegestor im Tschammer-Cupfinale gegen Hamburg. In über 600 Spielen machte er über 600 Tore. Seine Quote im Nationalteam ist nur wenig schlechter: 19 Treffer in 25 Spielen. Auch sein letztes Länderspiel beschloss er mit einem Tor gegen die Schweiz. Danach zog Decker nach Graz, wo er eine Saison als Spielertrainer wirkte. Er spürte die Verschleißerscheinungen und wollte sich würdevoll verabschieden, doch dann wurden zu seiner Überraschung die Karten neu gemischt: Bei der WM 1954 unterstütze er Edi Finger Sen. als Radiokommentator und wurde prompt von einem französischen Manager angesprochen: „Monsieur Decker, hätten Sie Lust in Frankreich zu spielen?“ Und ob Decker Lust hatte, ihm präsentierte sich hier die berühmte zweite Chance. „Bei Sochaux, Monbeliard“, erklärte der Manager. Das war was! Sonne, Strand, Meer, eine gemütliche Studentenstadt im Süden, ein angenehmes Leben an der Mittelmeerküste. Nach dem Training ein, zwei oder – lass es drei sein – Gläser Rosé genießen und dabei zuschauen, wie der knallrote Ball langsam hinter den Salzlagunen versinkt. Decker malte sich in hellsten Farben ein sorgenfreies Leben aus: Savoir vivre und daneben kicken quasi. Zu dumm, dass der Rechtsverbinder Montbeliard mit Montpellier verwechselte. Er sagte zu und fand sich in der Franche-Comté zwischen dem Elsass und der westlichen Schweiz wieder. Decker hatte beim Werksklub des Autoherstellers Peugeot unterschrieben und musste feststellen, dass es auch in Frankreich nicht nur malerische Fischerdörfer und eklektizistische Wohnhäuser, sondern auch schlichte Industriestädte gibt. Seiner Leistung tat dies keinen Abbruch, er spielte beim französischen Meister von 1935 und 1938 ganz ordentlich. Das (ebenfalls) blau-gelbe Trikot schien ihn an alte Zeiten zu erinnern. Zwar blieben große Erfolge aus, der Spieler selbst brachte aber mehr als solide Leistungen.

Er war nicht der einzige österreichische Fußballer, der die westeuropäische Republik beehrte: Happel spielte zwei Jahre in Paris, ein anderer Ernst, Stojaspal, war sogar bei fünf verschiedenen französischen Klubs engagiert. Ernst Melchior kickte in Rouen, Gustl Jordan bei Racing Club Paris. Der Linzer Jordan war so wie der Tormann Rudi Hiden noch vor dem Zweiten Weltkrieg in die Stadt an der Seine abgewandert. Ganze neun Österreicher sollten ab 1931 den französischen Cup gewinnen: Von Vinzenz Dittrich als Trainer von Olympique Marseille bis zu Mario Haas mit Racing Strasbourg im Jahr 2001. In seinen Memoiren führte Karl Decker die späteren Erfolge der équipe tricolore auch auf das Engagement seiner Landsmänner zurück: Die Österreicher hätten Spielwitz und Schmäh nach Frankreich gebracht und so den hiesigen Fußball bereichert. Da es die Altersregelung nicht zuließ, dass junge Spunde engagiert wurden, kamen nur gute Techniker, die auch im reiferen Alter ihre Fähigkeiten nicht eingebüßt hatten und so das Spiel kommender Generationen prägten.

Decker selbst durfte nach seinem zerschlagenen Wechsel doch noch erleben, was es heißt, wie Gott in Frankreich zu leben. Zwar steckte er seine Füße zwischen zwei Trainingseinheiten nicht in den heißen Sand des Südens, dafür verwöhnte er seinen Gaumen mit dem reichhaltigen Käsesortiment seiner Wahlheimat. Ob der zu löffelnde Mont-d’Or oder der harte Comté – Decker spülte sie alle mit ein paar Gläsern Rotwein oder Champagner hinunter. Noch glücklicher machte ihn sein Firmenwagen, ein fabrikneuer Peugeot 203, und das Angestelltengehalt von 20.000 Francs monatlich. „Für mich waren das die zwei schönsten Jahre meines Lebens, soviel Geld und dieses Leben dazu.“, resümierte er einmal. Schon als ihm 150 000 Schilling Handgeld geboten wurden, wähnte er sich im Schlaraffenland. Aufgrund seines Alters, befreite ihn der Trainer großteils von zu viel Laufarbeit und hielt ihn an, sich ökonomisch zu bewegen und mit Toren der Mannschaft zu helfen. Der Wiener fungierte als Vorbild für die garçons im Team, denen er neben seinem Torriecher auch seine fußballerischen Finessen näherbrachte. Außerhalb des Platzes war l’autrichien bei Herren und Damen gleichermaßen beliebt und scheute sich nicht dies offen zuzugeben: „Der Weiblichkeit verdanke ich meine Sprachkenntnisse.“

1956 verließ der Angreifer dann doch sein kleines Paradies und wechselte weiter in die Schweiz. Eigentlich wollte die Vienna-Legende ja ihre Karriere beenden, doch die Herren des FC Grenchen machten ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Wie schon in Graz, wurde er als Spielertrainer engagiert und konnte mit den Solothurnern tatsächlich aufsteigen. Nach vier fetten Jahren im Ausland beendete Decker schließlich seine Karriere und kehrte nach Österreich zurück. Er betreute noch sechs Jahre lang höchst erfolgreich die Nationalmannschaft. Das „zweite Wunderteam“ konnte jedoch nichts Zählbares herausholen, da der ÖFB aus finanziellen Gründen auf eine Teilnahme an der WM-Endrunde in Chile 1962 verzichten musste. Der schnöde Mammon war schuld! Karl Decker wurde 1996 mit dem silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik ausgezeichnet. Er starb rund drei Wochen nach seinem 84. Geburtstag in seiner Heimatstadt.

Sandor, der sich Alexander nannte

Dreimal wurde die Hakoah von 1924 bis 1926 österreichischer Meister, keinen unwichtigen Anteil an diesem Erfolg hatte ihr Stürmer Alexander Neufeld. Neufeld, der 1899 in Budapest zur Welt kam, entdeckte sein Fußballtalent früh bei Ferencváros. Damals hörte er noch auf den Namen Sándor Nemes. Als er als 19-jähriger erstmals nach Wien wechselte, ließ er seinen Namen postwendend eindeutschen. Dann waren die Adaptionsprobleme aber auch schon gelöst, denn fußballerisch musste sich Nemes-Neufeld keineswegs anpassen: Der elegante, technische Fußball aus Budapest wurde in Wien ebenfalls praktiziert. Der Sohn einer jüdischen Familie wurde als einer der besten Rechtsaußen seiner Zeit bekannt: Flink, durchsetzungsstark und torhungrig. Bald war er Publikumsliebling der Hakoah-Anhänger.

Es ist ein Länderspiel, dass Neufeld 1919 nach Österreich brachte. Der knapp Zwanzigjährige nutzte die Gunst der Stunde und unterschrieb beim SC Hakoah um seine Heimat verlassen zu können. Grund dafür war die chaotische Situation in Ungarn nach dem Ende der Monarchie. Obwohl der Budapester rasch zur Stammkraft wurde, wechselte er nach nur einem Jahr weiter nach Basel und anschließend nach Brünn. Neufeld war immer auf der Suche nach finanziell-lukrativen Angeboten. Als er jedoch 1921 zurück zur Hakoah kam, begann seine erfolgreichste Zeit. Der erste Höhepunkt dieser fünfjährigen Blütezeit trug sich am 3. September 1923 zu: Hakoah Wien besiegte West Ham United in London mit 5:1. Die „Daily Mail“ machte den dreifachen Torschützen Neufeld zum „Vater des Erfolges“ und ergoß sich in Begeisterung über seine spielerischen Qualitäten. Auch die kritische Wiener Presse zollte dem jüdischen Sportverein großen Respekt: „Heute aber verdient die Hakoah für ihr glänzendes Spiel, für ihren triumphalen Erfolg, der den Wiener Fußballsport mit einem einzigen Schlag in allen Herren Länder berühmt gemacht hat, vorbehaltslosen Dank und Anerkennung.“ Ab 1924 begann die Siegesserie der Krieauer: Unter kräftiger Mithilfe ihres toughen Flügelspielers holten sie drei Meistertitel in Folge. Alexander Neufeld spielte 1925 sogar zwei Mal für das österreichische Nationalteam, dem legendären Hugo Meisl konnte sogar ein Mann seiner Klasse keine Bitte abschlagen. Ein Jahr später besiegte der SC Hakoah Wien Slavia Prag zuhause und beendete so die zehn Jahre andauernde Ungeschlagenheit der Tschechen. Mit diesem Rückenwind begaben sich die Hakoahaner auf eine Amerikatournee. Im Big Apple wurde ihr letztes Gastspiel von 46. 000 Leuten verfolgt. Dieser Zuschauerrekord hielt bis in die 70er als der legendäre Pelé sein erstes Spiel für die New York Cosmos macht.

Der attraktive Fußball der Wiener begeisterte die Amis und mehrere Spieler bekamen ensuite Angebote von hiesigen Klubs. Hoffer, Drucker, Schönfeld, der spätere Welttrainer Bela Guttmann und Alexander Neufeld entschieden sich schnell dafür in Zukunft in den Vereinigten Staaten kicken zu wollen. Die Vereine erhofften sich neben punktuellen Verstärkungen auch ein Erstarken ihrer Fußballkultur durch die Europäer, die Spieler wollten dem aufkeimenden Antisemitismus in Europa entfliehen und ihr Gehalt aufbessern. Neufeld, der in Wien in einer Bank gearbeitet hatte, war von den neuen Perspektiven begeistert und unterschrieb bei den Brooklyn Wanderers. Zwar spielte er die Saison in Wien noch zu Ende, zog dann aber rasch nach New York. In zwanzig Spielen schoß er acht Tore, ehe er zu den N. Y. Hakoah All-Stars wechselte. Dazwischen gab er ein erneutes Gastspiel in Wien, wo er aber bedauerlicherweise feststellen musste, dass die Hakoah aufgrund der vielen Aderlässe kein Spitzenteam mehr war.

In den 30er-Jahren kehrte der gebürtige Budapester schließlich wieder nach Europa zurück und begann als Trainer im damaligen Jugoslawien zu arbeiten. Er coachte Beogradski SK vier Mal zum Meister, ehe er in Tel Aviv Wurzeln schlug. Die Angaben aus dieser Zeit sind widersprüchlich, sicher ist jedoch, dass Neufeld sein Vagabundenleben beibehielt. Zwar hatte er seinen neuen Lebensmittelpunkt in Israel, war jedoch sowohl in der Türkei, als auch in Kroatien als Trainer tätig. Bei Hapoel Tel Aviv ging er schließlich in Pension und kehrte lange nach dem Zweiten Weltkrieg nach Österreich zurück. Der einstige Flügelspieler führte ein zurückgezogenes Leben, kaum einer erinnerte sich an seine Erfolge. 1977 starb Alexander Neufeld. Kaum jemand erinnert sich heute an den Ausnahmekönner, das ist bedauerlich, vor allem angesichts solcher Zeitungsmeldungen, wie jener vom 13. März 1926: „Ein prachtvolles Tor schoss Neufeld vom rechten Flügel. Es war wieder einmal ein Tor, wie man sie so gern sieht, wie sie aber immer seltener geworden sind.“

Die erste Nummer Eins

Die Wanderjahre des Karl Pekarna haben sich schon früh angekündigt: Der 1881 geborene Favoritner tat seine ersten fußballerischen Schritte beim FC Sevilla. Der exotische Name täuscht allerdings, denn mit dem gleichnamigen spanischen Verein hat dieser FC nichts zu tun. Ein kleiner Wiener Klub war die erste Station von Karl und seinem Bruder Ludwig. Trotzdem sollte der Wiener Postbeamte der erste Legionär aus Österreich werden. Knapp vier Jahre lang spielte Pekarna bereits für die Vienna, da stand das zehnjährige Vereinsjubiläum der Döblinger an. Man lud mit dem Kopenhagener Boldklubben und den Glasgow Rangers die europäische Crème de la Crème zu einem Turnier auf die Hohe Warte. Die Legende erzählt heute, dass sich der Tormann der Schotten verletzte und der großzügige Gastgeber so seine eigene Nummer Eins ins Tor der Gäste stellte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der fast 23-jährige Pekarna im Spiel gegen die Rangers mit siebzig, achtzig (!) abgewehrten Bällen einen starken Eindruck machte und so die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen auf sich zog.

Bereits als knapp 19-Jähriger hatte er sich mit hervorragenden Haltekünsten das Einser-Leiberl beim ältesten Fußballverein der Alpenrepublik gesichert. Sowohl im Eins-gegen-Eins als auch bei der Flugabwehr erwies sich Pekarna als Koryphäe. Die spielstarken Schotten ließen sich nicht lumpen und machten dem kräftigen Goalie sofort ein Angebot. Der Wiener unterschrieb für ein halbes Jahr und reiste nach mehreren Monaten auf die Insel. So wurde er zum ersten österreichischen Profi, der im Ausland sein Geld verdiente. Zweieinhalb Pfund pro Woche betrug sein Salär. Das Leben in Glasgow unterschied sich jedoch spürbar von jenem in Wien: Pekarna kam im Februar auf der Insel an und musste mit Erstaunen registrieren, dass er im Training keinen Ball zu Gesicht bekam. Stattdessen absolvierte die Mannschaft in Zwiebel-Montur Sprints und Gymnastik. Abgerundet wurden diese Nachmittage mit einer Partie Golf. Nur in den Spielen bekam der Torwart einen Ball zu sehen und bewies seine Klasse. Schon bald spielte er in der Ersten des Arbeiterklubs und konnte sich behaupten. Die Briten boten ihm einen neuen Vertrag zu verbesserten Konditionen an, doch der Österreicher wollte zurück nachhause: Heimweh – so die offizielle Begründung – plagte ihn. Mit einem stolzen Sümmchen an Pfundnoten kam er in Wien an und wollte wieder zwischen den Pfosten der Vienna stehen. Zunächst musste aber der inzwischen eingeführte Amateurparagraph umschifft werden. Mit einer eigenen lex pekarna drückte der Verband beide Augen zu und Karl Pekarna machte dort weiter wo er aufgehört hatte.

Nach zwei Jahren verließ er sein Wien jedoch erneut und ging zu Wacker München. Seine berühmte Faustabwehr hatte sich bis nach Süddeutschland herumgesprochen, der erste deutsche Reichstrainer Otto Nerz hielt ihn bis zu seinem Tod für den besten Tormann der Welt. Nach drei Jahren bei Wacker ging Pekarna zu Bayern München, wo er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs blieb. In der Isar-Metropole rottete sich eine Wiener Clique zusammen: Neben Pekarna bei den Roten, kickten noch vier andere für den Lokalrivalen TSV 1860: Den Herren Hess, Schwarz, Ludwig und Heinrich werden große Verdienste zugeschrieben. Karl Pekarna, der in Deutschland offiziell natürlich als Amateurspieler Tore verhinderte, war hauptberuflich in einem großen Kaufhaus angestellt. Zurück in Wien heuerte Pekarna erneut bei seinem Stammverein an, wo man ihn herzlich willkommen hieß. Der 40-jährige hatte maßgeblichen Anteil am Meisterschaftserfolg der Vienna gegen den WAC. Danach beendete er bei Slovan, „die sich von ihm in die erste Spielklasse bringen ließen“, seine Laufbahn, und versuchte sich in den 20ern hie und da als Trainer. 1921 kam sein jüngerer Bruder tragisch ums Leben: Ludwig Pekarna, der ebenfalls Torhüter war, stieß bei einem Spiel in der Nähe von Köln mit einem Gegenspieler so zusammen, dass er sich die Wirbelsäule brach und seinen Verletzungen schließlich erlag. Der Familienvater wurde nur 24 Jahre alt. Vier Jahre später erlitt Pekarna I einen schweren Schlaganfall von dem er sich nur langsam erholte. In den 30ern schrieb er gelegentlich Kolumnen über seine Abenteuer in der Fremde, rückte aber rasch aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Die meiste Zeit verbrachte er in seiner Wohnung in der Nußwaldgasse, von deren Fenstern nun mehr ein Sportinvalide wehmütig auf den damaligen Heimplatz seiner Vienna blickte. Er geriet rasch in Vergessenheit und starb im Alter von 64 Jahren verarmt und vergessen in Wien. „Technisch waren seine Aktionen einwandfrei.“, schrieb eine Zeitung nach seinem Tod. Noch höher einzuschätzen ist allerdings Karl Pekarnas taktisches Gefühl, mithilfe dessen er sich als Mitspieler in die Mannschaft integrierte: Er war der erste moderne Torwart.

Scheiberln unter australischer Sonne

„Soccer wird eines Tages der wichtigste Sport in Australien sein.“, prophezeite Leo Baumgartner 1966. Das ist zwar noch nicht eingetroffen, doch hat die Popularität des Fußballsportes in Down Under immens zugenommen. Immerhin haben die Socceroos an den letzten drei WM-Endrunden teilgenommen und somit eine bessere Bilanz als das fußballtraditionsreiche Österreich vorzuweisen. Leopold „Leo“ Baumgartner hat seine Wurzeln nie verleugnet: Der 1932 geborene Wiener begann seine Karriere während des Weltkrieges bei einem Zweitligaverein, von dem er über den WAC, Rapid Wien und Kapfenberg zur Austria kam – ein Jugendtraum wurde wahr. Neben dem Meisterschaftstrubel waren die ausgedehnten Wintertourneen der 50er eine angenehme Nebenerscheinung für viele Spieler. Baumgartner fuhr erstmals 1954 mit den Veilchen quer durch Südamerika. Drei Jahre später fiel es dem frischgebackenen Vater schon schwerer in Schwechat ins Flugzeug zu steigen, musste er nun schon wieder Weihnachten ohne seine Familie verbringen. Er konnte damals noch nicht wissen, dass diese Reise nach Australien sein Leben völlig auf den Kopf stellen würde: Gastfreundliche Menschen, atemberaubende Strände, ein Leben im eigenen Haus im ruhigen Vorort – boten das genau Gegenteil eines Lebens im grauen Nachkriegswien. Zurück in Österreich konnte Baumgartner nicht einfach zum Alltag übergehen. Gemeinsam mit seinem Mitspieler Karl Jaros schmiedete er Auswanderungspläne. Sie nahmen Kontakt mit dem FC Prague, einem Verein in Sydney, auf und konnten sich auf einen Vertrag einigen. Der australische Fußballverband war kein FIFA-Mitglied also musste eine Genehmigung für den Wechsel nicht eingeholt werden. Auch der Austria blieben die Hände gebunden, als sich Jaros und Baumgartner mit Sack und Pack und samt Mischpoche von Genua nach Melbourne einschifften. Der Ex-Austrianer Ocwirk, der damals in Italien spielte und ungeheuer populär war, bat den Schiffskapitän der „Flaminia“ höchstpersönlich für das Wohl der beiden Kicker zu sorgen.

In Australien angekommen mussten die beiden Europäer jedoch feststellen, dass dieses Abenteuer aus sportlicher Hinsicht keine „g’mahte Wies’n“ war. Der technisch-anspruchsvolle Fußball der Austria war im Fußballentwicklungsland nicht zu praktizieren. In der tropischen Hitze ging es um körperbetontes Spiel und Kampf. Sie schafften es sich rasch anzupassen und der von tschechischen Einwanderern gegründete Verein beendete die Saison 1958 auf dem vierten Platz. Als sich Baumgartner und Jaros Erfolg am fünften Kontinent auch in Österreich herumsprach, wandten sich einige Emigrationswillige an die Exil-Wiener. Die Vereinsleitung des FC Prague zeigte sich erfreut über so viel neues Spielermaterial und ermunterte Baumgartner seine Kollegen nachzuholen: So lotste er mit Tamandl, Shagi, Ninaus und Schwarz weitere Bundesligaspieler über den Ozean. Mithilfe dieses Fußball-Know-Hows holte Prague tatsächlich ein Jahr später die Meisterschaft. Das heimatliche Kurzpassspiel setze sich nun gegen das amateurhafte Angreifen der meisten Vereine durch. Trotz des erfolgreichen Titelgewinnes wechselte der Siegestorschütze Baumgartner 1959 zu Canterbury. „Sie spielten so enthusiastisch.“, erklärte er als Pensionist seine damaligen Beweggründe. Wahrscheinlich erkannte er das Potenzial der Mannschaft, denn entgegen aller Erwartungen besiegte Canterbury ausgerechnet den FC Prague im Meisterschaftsfinale. Leo Baumgartner wurde vom australischen Verband zum „Mr. Soccer“ gewählt und krönte so sein Fußballmärchen. In diese Glückseligkeit kam ein Brief aus Wien geflattert: Die Veilchen forderten rückwirkend eine Ablösesumme für den Fußballpionier. Bis 1963 sollten sich die Verhandlungen zwischen Prague und der Austria hinziehen. 1966 beendete der Wiener seine Fußballkarriere und arbeitete später als Trainer. Wie auch als Spieler wurde er mehrfach Meister und 2001 in die Hall of Fame der Football Federation aufgenommen. Bis heute hat der Name des part-time-footballers – neben seiner Spielertätigkeit führte er die Kantine einer Jugendherberge an der South Coast – im australischen Fußball einen guten Klang. Im Herbst 2013 verstarb „the little professor of soccer“, wie er sich in seiner gleichnamigen Autobiografie nannte. „Ich hatte ein wunderschönes Leben dank des Fußballes. Ich sah die Welt, wohnte in den besten Hotels. Ich bereue nicht, dass ich nach Australien gegangen bin. Es ist ein wunderschönes Land, ich habe meine Familie hier und wir führen ein schönes Leben.“, war er sich im fortgeschrittenem Alter sicher die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Eines erinnerte aber jeden, der mit ihm sprach an Österreich: Leo Baumgartners Akzent.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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