Barcelona gegen Bayern ist der Schlager des Halbfinals und womöglich die interessanteste Paarung in diesem Kalenderjahr. Beide Mannschaften stehen für technisch versiertes Spiel, hervorragende... Taktik-Vorschau zum CL-Halbfinale (2014/15) | Barcelona gegen Bayern

_Pep Guardiola - FC Bayern MünchenBarcelona gegen Bayern ist der Schlager des Halbfinals und womöglich die interessanteste Paarung in diesem Kalenderjahr. Beide Mannschaften stehen für technisch versiertes Spiel, hervorragende Einzelkönner, betont offensives Spiel und viel Ballbesitz. Gleichzeitig beherrschen sie auch das Konterspiel auf hohem Niveau. Luis Enriques Mannschaft zeigte das schon häufig, Guardiolas Mannen praktizierten dies – auch wegen der Verletzungen – in den letzten Wochen situativ und waren keineswegs schwach dabei. Natürlich können sie nicht ganz mit den Katalanen und deren Traumsturm diesbezüglich mithalten, dafür verfügen sie über eine bessere Umsetzung grundlegender strategischer Punkte. Trotzdem sind die Bayern in dieser Partie der Underdog. Ursache sind die vielen fehlenden Spieler.

Bayerns Verletzungsprobleme zerstören das Flügelspiel

Im Herbst dieser Saison zeigten die Bayern konstant hervorragende Leistungen. Ihr ‚Expected Goals‘-Verhältnis war das höchste in allen Top-5-Ligen in den letzten fünf Jahren (soll heißen: seit Beginn der Datenerfassung). Kaum eine Mannschaft dominierte die Liga so souverän im Herbst und auch in Europa zeigten die Münchner mit einem 7:1 gegen den AS Rom (Zweiter in der Serie A!) ihr Potenzial.

Durch den Einkauf Xabi Alonsos und die Flügelstürmer Robben und Ribéry war das bayrische Spiel naturgemäß flügelorientiert. Immer wieder gab es Verlagerungen auf die zwei Außen, Dribblings durch diese und Überladungen mit ihnen, ob auf dem Flügel oder in den Halbräumen. Kaum ein Gegner fand ein Mittel dagegen und lange Zeit galten die Bayern als Topfavorit auf den CL-Titel.

Ein halbes Jahr später sehen die Dinge ganz anders aus. Bei den Münchnern soll es kriseln, interne Streitigkeiten und Verletzungsprobleme haben das Bild der Mannschaft verändert. Mit Robben, Ribéry und Alaba fehlen drei Schlüsselspieler, viele andere sind angeschlagen bzw. noch nicht ganz fit (Lewandowski, Martinez, Lahm, Schweinsteiger) oder außer Form (Alonso). Ihnen gehen die dribbelstarken und gleichzeitig torgefährlichen Flügelstürmer ab. Götze kann diese Rolle zwar ausfüllen, ist aber nicht perfekt dafür geeignet. Thomas Müller ist zwar extrem torgefährlich, aber weniger präsent und dribbelnd unterwegs als Robben/Ribéry.

Insofern wird sich Guardiola etwas Neues einfallen lassen müssen. Die Möglichkeiten dafür sind schier unendlich beim katalanischen Tüftler, doch ein paar Formationen gelten als besonders wahrscheinlich.

Fünferkette gegen den Ball, Dreierkette mit Ball und Konterfokus

Die Münchner könnten sich in diesem Spiel – wie gegen Leverkusen oder Dortmund – zurückziehen, zumindest in der Arbeit gegen den Ball. Anstatt eines 4-3-3-Angriffspressings beispielsweise könnte es also eine Art 5-3-2 geben, welches die zentralen Zonen versperren soll. Außerdem würde es erlauben, dass man sich um Messi kümmert und einen Sonderbewacher auf ihn abstellt, ohne an defensiver Kompaktheit zu verlieren.

Im 5-3-2 gäbe es eine enorm gute Breitenstaffelung, die Schnittstellen wären gering und die drei zentralen Mittelfeldspieler würden das Mittelfeld mit den tief zurückgezogenen Stürmern besetzen. Die Flügelverteidiger des 5-3-2 könnten auch höher spielen oder situativ herausrücken, zum Beispiel in Ballnähe, um 4-4-2- oder 3-5-2-Staffelungen herzustellen.

Nach Balleroberungen wäre es möglich, dass man über die Halbspieler im Mittelfeld und die Flügelverteidiger auf den Seiten schnell nach vorne stößt, während die zwei Stürmer als Anspielstationen für lange Bälle fungieren. Mit Lewandowski und Müller ist das passende Sturmduo für dieses System nach wie vor einsatzfähig, wenn auch nicht in bester Verfassung.

Auch ein offensiveres 5-2-2-1/3-4-2-1 oder ein noch defensiveres 5-4-1/3-6-1 wären theoretisch denkbar, erscheinen jedoch unwahrscheinlich. Ohnehin dürfte es eher wichtiger werden, dass die Bayern in eigenem Ballbesitz stabil sind, viel Absicherung haben und Barcelona laufen lassen. Gegen den BVB wurde dies nämlich mit dem Konterfokus und der tieferen Abwehrlinie gemischt; wenn Bayern den Ball in organisierter Stellung erhielt, ließen sie ihn gemütlich in der ersten Linie mit 5-6 Spielern laufen, um den BVB mürbe zu machen und keine Angriffe zuzulassen.

Allerdings könnte Bayern auch auf den Faktor Überraschung setzen und mit viel Mut nach dem Auswärtstor suchen.

Guardiola mit Barça-Spielweise im Camp Nou?

Zwar ist der FC Barcelona in der heimischen Liga sehr defensivstabil und gut im Pressing, dennoch haben sie gewisse Probleme in der Arbeit gegen den Ball in puncto Kompaktheit, Zonenbesetzung und Sauberkeit der gruppentaktischen Abläufe. Viele Probleme werden durch den enormen Ballbesitz, die hohe individuelle Überlegenheit, sowie eine gute Strafraumverteidigung neutralisiert. Bayern könnte aber die Katalanen, denen die Favoritenrolle förmlich zugeschoben wird, vor eine Überraschung stellen.

Mit viel Ballbesitz, starker Zirkulation und beispielsweise einem 4-3-1-2 könnte man die Problemstellen der Katalanen durchaus interessant bespielen. Die Räume hinter Messi, der die Defensivarbeit oft vermeidet, oder zwischen den Linien sind immer wieder offen und können zum Raumgewinn genutzt werden. Mit Thiago, Götze, Lahm und Schweinsteiger/Alonso könnte man sich hier durchaus stark positionieren, den Ball gut laufen lassen und dann die Stürmer – voraussichtlich Lewandowski und Müller – gut einbinden.

Verwunderlich wäre diese Spielweise trotz der Verletzten und dem Auswärtsspiel nicht. Guardiola sucht nach dem Ballbesitz, um sein Positionsspiel erfolgsstabil durchziehen zu können. Barcelona hingegen spielt unter Luis Enrique durchaus passiver und konterorientierter.

Luchos System hat sich gefunden

Noch im Herbst hagelte es Kritik an Luis Enrique. Im Januar nach der Niederlage gegen Real Sociedad unter David Moyes verkündeten manche Medien bereits voreilig die Entlassung Enriques. Doch seitdem sind die Katalanen erst ins Rollen gekommen. Besonders Neuzugang Luis Suarez fand seither in Form und komplettierte Neymar und Messi im Sturm auf allerhöchstem Niveau.

Das System hat sich etwas verändert. Falsche Neun gibt es nur noch situativ, in den meisten Spielen agiert Messi nämlich als rechter Flügelstürmer im 4-3-3. Vom Flügel aus kann er mit Ball am Fuß in die Mitte ziehen, zu seinen Solis ansetzen, Schnittstellenpässe spielen oder mit langen Diagonalbällen hinter die Abwehr hochgefährliche Chancen für Suarez, Neymar und Alba kreieren. Diese drei ziehen nämlich diagonal in die Mitte und bieten sich für Messis Pässe an, was ausgesprochen schwer zu verteidigen ist.

Um Messis sehr freie Rolle als rechter Flügelstürmer zu balancieren, weicht Rakitic immer wieder auf den rechten Flügel aus. Dann gibt Rakitic den rechten Flügelstürmer, gleichzeitig spielt Iniesta etwas zurückhaltender und unterstützt Busquets auf der Sechs.

Das ist sehr schwierig zu verteidigen und abgesehen von kleinen personellen Veränderungen wird Enrique wohl kaum etwas anpassen. Rakitic könnte für Rafinha weichen und eventuell wird Mathieu anstatt Mascherano in der Innenverteidigung spielen, ansonsten wird sich wenig tun. Guardiola ist jener, der die Lösungen finden muss – bei Barcelona ist nur die Frage, wie konterorientiert und offensiv sie agieren werden.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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