Hummels an die Leine – kommt der manndeckende Stürmer in Mode?
DeutschlandTaktik & Theorie 5.September.2012 Alexander Semeliker 0
Borussia Dortmund verbindet man in taktischer Hinsicht vor allem mit Gegenpressing. Doch auch neben dieser modernen Defensivtaktik zeigt der BVB eine große Variabilität in seinem Spiel. Neben individuellen Einzelaktionen der Offensivstars, Abkippen des Sechsers, Überladen des Zentrums und Hochziehen der Außenverteidiger setzt man vor allem auf die Passstärke von Innenverteidiger Mats Hummels. Auf letzteres antworten die Gegner der Borussia immer öfter mit einer Manndeckung.
61,5 zu 38,5 Prozent Ballbesitz, 20 zu 6 Torschüsse, 11 zu 4 Ecken. Die Statistik beim Spiel in Nürnberg sprach eindeutig für Borussia Dortmund, unterm Strich stand aber ein 1:1 – und das höchstverdient. Der 1. FC Nürnberg setzte das, was er sich vorgenommen hatte perfekt um. Die Franken standen in der Defensive extrem kompakt, ließen gegen den amtierenden Doublesieger kaum gefährliche Torchancen zu und setzten gefährliche Konter. Das Tor fiel jedoch nach einer Standardsituation, als sich Pekhart im Luftduell gegen Hummels durchsetzte und zum 1:0 einköpfte.
Subotic fühlt sich in Spieleröffnung unwohl
Eine solche Szene – Hummels im Defensivzweikampf gegen Pekhart – hatte über das gesamte Spiel gesehen Seltenheitswert. Vielmehr suchte der tschechische Stürmer im Spiel gegen den Ball den Kontakt zum Abwehrspieler. Baute der BVB von hinten heraus auf, orientierte sich Pekhart stets zu Hummels um den Passweg zu ihm zu verstellen; mit Erfolg, denn der spielstarke Innenverteidiger hatte nur 50 Ballkontakte und spielte lediglich 39, hauptsächlich horizontale Pässe. Dadurch wurde das Spiel auf seinen Nebenmann Subotic umgeleitet, der auf satte 118 Ballkontakte und 100 Pässe kam. Der Serbe spielt hinsichtlich des Spielaufbaus aber in einer anderen Liga als Hummels, wodurch die gewohnten Diagonal- und Steilpässe ausblieben. Subotics Versuche in die Tiefe zu spielen schlugen größtenteils fehl. Neben Hummels nahm Nürnberg aber auch einige andere Akteure in Manndeckung, unter anderem Torjäger Lewandowski. Mit einem ähnlichen Problem hatte der Pole bereits im Eröffnungsspiel gegen Werder Bremen Probleme. „Wir wollten die Dortmunder nerven – und wir haben sie genervt“, resümierte FCN-Coach Dieter Hecking zufrieden.
Dutt erkennt verkappten BVB-Regisseur früh
Der erste, der erkannte, dass Dortmunds Nummer 15 nach dem Abgang von Nuri Sahin im Sommer 2011 einen essentiellen Teil des Spielaufbaus übernehmen würde, war Robin Dutt. Der aktuelle DFB-Sportdirektor brauchte dafür nur drei Bundesligaspiele. Am vierten Spieltag der letzten Saison rang Bayer Leverkusen, Dutts damaliges Team, den Dortmundern ein 0:0 ab. Den Schlüssel dafür, dass sie dabei nicht in Tritt kamen, sah der 47-Jährige darin, dass seine Mannschaft den Wirkungsbereich von Hummels entscheidend einschränkte. „Wir haben es geschafft, Mats Hummels als von uns erkannten BVB-Spielmacher – wohlgemerkt nicht Innenverteidiger, sondern Spielmacher – zu isolieren“, so Dutt nach besagtem Spiel. Die Pässe des damals noch geheimen Spielmachers verteilten sich wie am vergangenen Wochenende gegen Nürnberg: hauptsächlich horizontal, kaum vertikal. Allerdings gelang es ihm immerhin die Spieler auf den Außenbahnen einzusetzen.
Mainz mit guter Strategie – auf dem Papier
Auch Mainz-Trainer Thomas Tuchel tüftelte in der Saison 2011/2012 an einem Plan Hummels aus dem Spiel zu nehmen. Im Spiel gegen den Ball formte sich das etatmäßige 4-1-4-1 durch Aufrücken der beiden Flügelspieler zu einem 4-3-3. Müller auf der rechten Seite übernahm Schmelzer, während Mittelstürmer Zidan seinen Ex-Kollegen Hummels manndeckte. Auf der linken Außenbahn pendelte Choupo-Moting zwischen Subotic und Piszczek um sie gegebenenfalls unter Druck setzen zu können. Eine Ebene dahinter formierte Tuchel mit Polanski, Caligiuri und Soto ein zweikampfstarkes Trio, das das numerische Gleichgewicht in der Mitte herstellte. In der Theorie ein ausgereifter Plan, der sich in der Praxis allerdings als lückenhaft herausstellte. Denn Dortmund hatte die perfekte Antwort darauf. Schmelzer und Piszczek positionierten sich hoch, drängten Müller und Choupo-Moting zurück, Kuba und Großkreutz banden Caliguiri und Soto. Dadurch stand Zidan gegen die vier Zentralspieler auf verlorenem Posten.
Eine Frage des Systems?
„Mats bekommt einfach viele Bälle, und er hat Raum, weil etliche Mannschaften nur mit einer Spitze auflaufen“, sagt BVB-Trainer Jürgen Klopp. Im Falle des Mainz-Beispiels trifft diese Aussage durchaus zu. Mit einem fluiden Mannschaftsgefüge könnte man diesen Nachteil allerdings umgehen. Die Tatsache, dass Zidan unterm Strich alleine gegen vier Spieler stand, ruht daher, dass niemand aus dem zentralen Mittelfeld nachrückte nachdem die Außenspieler zurück gedrängt wurden. Heckings Nürnberger, die aus einem 4-2-3-1 heraus argierten, formten hingegen ein 4-4-2. Dabei rückte Kiyotake von der Zehnerposition vor um die Passwege zuzustellen. Gleiches machte Renato Augusto aufseiten von Bayer Leverkusen. Es kommt allerdings nicht nur darauf an wie sich der Gegner der Borussia aufstellt, auch die eigene Formation spielt eine große Rolle. Das Überladen des Zentrums gegen Mainz hatte nur deswegen Erfolg, da sich auch Kagawa in diesem Bereich aufhielt. Sein Nachfolger, Marco Reus, steht meist aber etwas höher, wodurch ein Loch in der Mitte klafft. Unter Klopp hat Borussia Dortmund jedoch in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es sich auf verschiedenste Situationen einstellen und darauf reagieren kann.
Alexander Semeliker, abseits.at
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