Immer wieder wurden in Taktikforen und auch in den Analysen auf abseits.at und Spielverlagerung.de die taktischen Anpassungen von Guardiola in den Saisonspielen des FC... So passte sich die deutsche Bundesliga an Pep Guardiola an!

Pep Guardiola (FC Bayern München)Immer wieder wurden in Taktikforen und auch in den Analysen auf abseits.at und Spielverlagerung.de die taktischen Anpassungen von Guardiola in den Saisonspielen des FC Bayern in den Vordergrund gerückt. Der katalanische Startrainer gilt in puncto Gegneranpassungen sowie in-game-coaching als einer der besten seines Fachs. Im Verbund mit dem extremen Ballbesitz seiner Mannschaft, dem hohen Pressing und den individuellen Möglichkeiten des Kaders, welche auch für unterschiedlichste taktische Anwendungsmöglichkeiten sorgt, richtet sich somit automatisch in jeder Analyse der Fokus auf Guardiola.

Pep Guardiola sprach hierbei schon früh in der Saison von einem Lern- und Anpassungsprozess an die deutsche Bundesliga. Er bezeichnete die höchste Spielklasse Deutschlands als „Konterliga“, in welcher nach Ballgewinnen rasant in die Spitze umgeschaltet wird und die Mannschaften sich auch defensiv auf das Konterspiel ausrichten. Darum musste Guardiola das eigene Ballbesitzspiel und die dortigen Staffelungen anpassen. Aber nicht nur für den katalanischen Starcoach war es ein Lernprozess. Auch die Trainer in der deutschen Bundesliga mussten und konnten sich nach und nach an die Münchner anpassen.

Mit der Zeit gelang dies immer besser, was sogar in einer kleinen Krise zu Saisonende mündete. In diesem zweiteiligen Artikel soll es darum um gewisse strategische Grundideen gehen, welche in der Bundesliga gegen Guardiola genutzt wurden. Dabei wird der chronologische Ablauf als roter Faden genutzt.

Zwischen Furcht und Konterfokus zu Beginn

In den ersten Spielen Guardiolas tastete die Bundesliga ihn noch vorsichtig ab. Vorab: Kleine taktische Anpassungen gab es zuhauf, doch das dominierende Element waren – auch wegen den vielen Veränderungen Guardiolas im Spielermaterial, Rollenverteilung und der Bewegung – eher strategische Anpassungen in der Defensivarbeit.

Gladbach, Frankfurt und Nürnberg hatten zum Beispiel ähnliche Grundzüge, verteidigten im 4-4-1-1 (Frankfurt), 4-4-2 (Gladbach) oder 4-4-2-0 (Nürnberg) und konnten durch ihre tiefe und passive Ausrichtung kaum dagegenhalten. Sie sicherten zwar teilweise ihren eigenen Strafraum sehr gut ab, doch überließen Bayern zu viel Ballbesitz, eine zu einfache Ballzirkulation und letztlich verhinderten sie auch die Effektivität der eigenen Konter wegen der weiten Distanz zum Münchner Tor. Nürnberg spielte hierbei am tiefsten und auch am ungefährlichsten; sie blieben im Gegensatz zu Gladbach nahezu ohne Torchance und hatten nur 19% Ballbesitz.

In dieser Phase begann Guardiola auch mit der Einführung eines noch intensiveren Gegenpressings, einer stabileren Ballzirkulation (u.a. durch die ersten Einsätze Thiagos) sowie den „falschen“ Außenverteidigern. Nach den erfolgreichen ersten drei Partien gab es allerdings Probleme. Der SC Freiburg unter Christian Streich zeigte mit konsequenten Mannorientierungen und einem hohen Pressing die Effektivität einer solchen Spielweise und schaffte ein 1:1. Dabei nutzten sie diese Manndeckungen nicht um Aggressivität und lange Bälle zu kreieren, sondern um das Aufbauspiel der Bayern in deren Hälfte zu leiten und dann situativ intensiv zu werden. Insbesondere durch intelligente Mechanismen gegen Schweinsteigers Abkippen zwischen die Innenverteidiger konnte man Überzahl in der restlichen Formation erzeugen.

Dies war ein erster Ausblick auf künftige Probleme der Bayern, welcher aber lange Zeit nicht mehr zu sehen sein sollte. Guardiola stellte in den nächsten Wochen um: Lahm rückte auf die Sechserposition, Rafinha und Alaba spielten auf den defensiven Außen und mit Schweinsteiger auf der Acht statt einem der eigentlichen Angreifer Shaqiri oder Müller wurden sie in Ballbesitz deutlich stabiler. Viele Teams hatten sich auf das Leiten und Isolieren auf den Flügeln (besonders auf rechts) konzentriert – auch in der kommenden Phase mit Lahm tat dies z.B. Wolfsburg unter Dieter Hecking überaus erfolgreich.

Vielfach wurden die Gegner aber wieder tiefer und passiver. Mit Schalke (0:4) und Leverkusen (extrem glückliches Unentschieden) wurden gleich zwei Topmannschaften der Liga nach Strich und Faden dominiert. Auch Manchester City in der Champions League blieb ohne Chance.

In derselben Phase zeigten aber auch einige Mannschaften aus dem unteren Teil der Gehaltstabelle, wie es funktionieren könnte. Hertha unter Jos Luhukay z.B. agierte mit einem sehr aggressiven und intensiven Mittelfeldpressing mit zahlreichen Mannorientierungen sowie tiefen Stürmern. Es sollte aber ein anderer Trainer sein, der in der Hin- und in der Rückrunde taktisch das Scheinwerferlicht stehlen konnte.

Thomas Tuchel als (fast) ebenbürtiger Gegner

Nicht eine Torchance hatten die Bayern in 45 Minuten gegen den FSV Mainz 05, obwohl sie sich zu jener Zeit individuell gesehen in sehr guter Form befanden. Das 5-2-3/3-4-3 der Mainzer sorgte für enorme Kompaktheit in der Mitte, die Möglichkeit zu einem hohen und mit vielen Spielern genutztem Pressing in der gegnerischen Hälfte sowie einem flügelleitenden Element. Diese Eigenschaften sorgten für die großen Probleme der Bayern in der ersten Spielhälfte, welche Guardiola nur mit einer brillanten gruppentaktischen Anpassung nach der Halbzeit und hoher Effizienz seiner Spieler klären konnte. Doch diese Blaupause sorgte – im Verbund mit der 0:3-Niederlage gegen Red Bull Salzburg in der Vorbereitung – für ein gewisses Umdenken in der Liga.

Auch im Rückspiel waren die Mainzer mit einem wechselnden Pressing (beinahe) erfolgreich und eine jener wenigen Mannschaften, welche Bayern wirklich großes Kopfzerbrechen bereiten konnten. Zu Spielbeginn nutzten sie ein hoch pressendes 4-2-3-1, danach spielten sie dasselbe System tiefer bis zur Halbzeit, nach welcher sie in einem Mittelfeldpressing im 4-1-4-1 agierten. Die Schlussphase wollten sie dann wieder in einem tiefen 5-2-2-1 überdauern, was nur knapp scheiterte. Diese Idee des rhythmischen Pressings erinnerte allerdings an das Scheitern einiger hochpressender Systeme und sollte letztlich die Basis für die großen Niederlagen Guardiolas stellen.

Höheres und rhythmisches Pressing sorgt für Probleme; bis heute

Der VfL Wolfsburg war es, welcher eine fast schon paradoxe Leitung gegen Bayern zeigte. Sie hatten zwar keine größeren formativen und systemischen Veränderungen, aber konnten in der ersten Halbzeit mit einem extremen Laufaufwand und enorm hohem Pressing Bayern beinahe an den Rand einer Niederlage bringen. Dieses hohe Pressing wurde aber nicht belohnt, sondern bestraft: Als Wolfsburg die Kraft ausging, wurden sie abgeschossen. Ein 1:6 war sogar noch schlimmer als die Niederlagen der passiven und tiefen Mannschaften – 0:4 verlor Hannover, Schalke 1:5 und Leverkusen mit etwas Glück nur 1:2. Auch die Hertha wurde mit einer dreifachen falschen Neun und extremer Bewegung gegen ihre Manndeckungen mit 1:3 geschlagen. Die hochpressenden Nürnberger unter Verbeek konnten in ihrem 4-3-3 ebenfalls keinen Punkt holen und verloren 0:3, da auch ihnen die Luft und Stabilität ausging.

Mainz aber bot jene Spielidee, welche Bayern letztlich in die (von den Medien herbeigedichtete) Minikrise führen sollte. Das asymmetrische 4-4-2/4-3-3 des BVB mit dem stark leitenden Element und einem hohen Mittelfeldpressing brachte die perfekte Balance aus Intensität und praktischer Umsetzbarkeit. Ähnliches war bei den starken Augsburgern der Fall, welche mit Daniel Baier auch eine Waffe im Defensiv- und Umschaltspiel im zentralen Mittelfeld besitzen.

Real ging dann noch einen Schritt weiter; sie konterten extrem schnell, verschenkten ungünstige Konteraktionen bewusst und konzentrierten sich in der Arbeit gegen den Ball auf eine variable Pressinghöhe. Nicht von ungefähr waren sie dann am schwächsten, wenn sie tief standen (erste Viertelstunde im Bernabeu), und am gefährlichsten, wenn sie hoher pressten oder gerade aus einer tieferen Ausrichtung ihre Pressinglinie nach vorne schoben.

Die Ursache für die Anfälligkeit der Bayern auf diese Aspekte hat zwei Faktoren. Die eine ist die kollektive Qualität im Drehen von Sichtfeldern, im dynamischen Bewegungs- und Kombinationsspiel in der Mitte und dem damit einhergehenden Angriffsvortrag. Hier mangelt es den Bayern noch an den Automatismen und eventuell auch an den passenden Spielercharakteren; bei Guardiolas Barcelona war es dank Iniesta, Xavi und One-Touch-König Sergio Busquets einfacher möglich sich aus dem gegnerischen Pressing und den eng gemachten Räumen zu befreien. Der zweite Faktor ist die Abhängigkeit von Guardiolas Brillanz in schnellen und effektiven Anpassungen von gruppentaktischen Abläufen. Gegen viele Bundesligamannschaften zerstörte das deren defensive Spielidee und brachte Bayern den Sieg. Gegen ein rhythmisches und variierendes Pressing sind diese Anpassungen aber nicht mehr so langlebig und können damit ansatzweise neutralisiert werden.

Darum könnte dieser Aspekt in der nächsten Saison noch konstanter genutzt werden. Der bereits erwähnte Thomas Tuchel sprach davon, dass man den Bayern nicht „eine Frage“, sondern mehrere stellen müsste; rhythmische Veränderungen der Pressinghöhen sowie der flexible Wechsel zwischen zwei oder sogar drei bis vier Formationen wären eine erste Möglichkeit. Im Verbund mit einem leitenden Element und der Kontrolle der strategisch wichtigen Zentrums- und Halbraumzonen könnten Guardiolas Bayern in der nächsten Saison womöglich etwas später die Meisterschaft klar machen. Es wäre eine wünschenswerte Entwicklung – nicht nur für die nach Spannung schreienden Medien, sondern auch die deutsche Trainerlandschaft. Taktisch ist sie hervorragend, wenn auch noch die Innovation als Eigenschaft hinzukommt, stehen Guardiola, aber auch allen neutralen Zuschauern und Fußballliebhabern, noch einige heiße Spiele bevor.

Dieser Beitrag wurde übrigens auch auf Spanisch übersetzt und erscheint im „Perarnau Magazin“ von Guardiola-Insider Marti Perarnau und seinem Autorenteam.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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