Wie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive... Transfers erklärt: Deshalb wechselte Joshua Kimmich zum FC Bayern München

FC Bayern München - Logo, WappenWie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen?Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.

In dieser Ausgabe blicken wir auf den fixierten Transfer von einem der ganz großen Jungtalente Deutschlands: Der zurzeit zu Red Bull Leipzig verliehene Joshua Kimmich wechselt (für viele überraschend) vom VfB Stuttgart zum Branchenprimus FC Bayern München.

Polyvalenter Mittelfeldspieler

An sich ist der Transfer mittelfristig sehr gut gewählt von den Bayern. Auch wenn es nicht so scheinen mag, doch der vor seinem 20. Geburtstag stehende Kimmich könnte bereits jetzt eine Rolle im zentralen Mittelfeld der Münchner spielen. In der U19 spielte er meistens als tiefster und oft alleiniger Sechser, bei Red Bull Leipzig hingegen agierte er häufig als Achter. Dies geschah meist als Halbspieler in einer Raute, als Zehner lief Kimmich ebenfalls schon auf und in anderen Formationen konnte er auch auf der Position des offensiven Flügelspielers auftauchen.

Für Pep Guardiola ist ein solcher Spieler ein Geschenk. Der katalanische Startrainer ist bekannt dafür, dass er sein System durchgehend verändert und anpasst, diese Saison trieb er dies auf ungeahnte Höhen. Mit Kimmich hat der FC Bayern in der kommenden Saison einen weiteren Spieler für diese gegnerorientierten Umstellungen. Neben Flexibilität benötigt man aber noch mehr, um beim FC Bayern und Guardiola Erfolg zu haben: Kombinationsfähigkeiten, Technik und ein gutes Bewegungsspiel z.B.

Kimmich besticht auch hier.

Beweglich, intelligent, spielstark

Egal, auf welcher Position und in welcher Rolle Kimmich letztlich aufläuft, seine Schlüsselfähigkeiten sind immer die Gleichen. Kimmich ist sehr beweglich und kann sich unter Druck stark aus Zweikämpfen herauswinden. Ihn erfolgreich zu pressen ist darum überaus schwierig. Die Mischung aus taktisch intelligenten und technisch sauberen Ballannahmen im Verbund mit seiner Dynamik und Beweglichkeit bedeutet eine hohe Pressingresistenz. Dadurch kann Kimmich nicht im letzten Drittel enge Räume bespielen, sondern schon im Aufbauspiel in engen Räumen gegnerischen Druck auflösen.

Besonders effektiv ist Kimmich dann, wenn er im zentralen Mittelfeld eingebunden wird. Das Erzeugen von Überzahlen, ein sehr gutes Freilaufen und Anvisieren von offenen Räumen verbindet Kimmich mit einer starken Entscheidungsfindung. Fehlpässe gibt es selten und wenn, dann sind es sehr gute Ideen und schwierige Pässe, die ins letzte Drittel oder weit auf die Flügel gehen. Solche Ballverluste sorgen selten für gefährliche gegnerische Konter. Auch wenn er in der gegnerischen Hälfte teilweise zu vertikal werden kann, so ist er im ersten Drittel sehr sauber und erfolgsstabil.

Somit bildet Kimmich das gesamte Spektrum an benötigten Fähigkeiten im Mittelfeld ab: Raumöffnende Dribblings, Körpertäuschungen zum Entledigen von Druck, intelligentes Freilaufen, geduldige Ballzirkulation und einen Schuss Kreativität und Vertikalität. In gewisser Weise kann man ihn diesbezüglich und wegen seiner Koordination sogar mit PSG-Star Marco Verratti vergleichen, der eine ähnliche Position spielt.

Defensiv überzeugt Kimmich ebenfalls. Vereinzelt hat er ganz starke, weiträumig herausrückende Bewegungen, geht dann geschickt in Zweikämpfe oder fängt Pässe direkt ab. Überzahlsituationen klärt Kimmich durch seine Dynamik in Kleingefechten ebenfalls sauber. Kann er nicht in den Zweikampf kommen, deckt er gut gefährliche Zonen mit seinem Deckungsschatten ab, obgleich er teilweise die Erfolgsstabilität in räumlich größeren und schwierigeren Situationen vermissen lässt. Bei den Bayern sollte dies nicht zum Tragen kommen, deren Pressingsystem passt zu seiner Spielweise.

Seine Rolle beim FC Bayern: Stratege und Nadelspieler

Somit könnte Kimmich durchaus als Option im zentralen Mittelfeld dienen. Ein sofortiger Stammplatz ist zwar unwahrscheinlich, doch einen fixen Platz in der Rotation, einen Startplatz gegen bestimmte Gegner und das langsame Entwickeln in die beste Elf kann man von Beginn an erwarten. Langfristig werden durch die kommenden altersbedingten Abgänge von Xabi Alonso (33 Jahre), Schweinsteiger (30 Jahre) und Lahm (31 Jahre) gleich drei Plätze im defensiven Mittelfeld frei.

In Anbetracht dessen bauen die Bayern wohl vor. Mit Kimmich holt man einen strategisch sehr sauberen Ballverteiler, der sich gut bewegt, die Defensivaufgaben dieser Position erfüllen kann und auch unter Druck den Ball laufen lassen kann. Für Guardiolas Spielphilosophie unabdinglich.

Desweiteren kann Kimmich durch seine Flexibilität nicht nur im defensiven Mittelfeld in einem 4-1-2-3 agieren, sondern auch als einer von zwei Sechsern in einem 4-2-3-1 oder gar vor einer Dreierkette auflaufen. Seine Komplettheit – taktisch und technisch – ermöglicht sowohl eine höhere als auch eine tiefere Rolle. Um seine Fähigkeiten in engen Räumen und im Dribbling zu nutzen, kann Kimmich sogar als Zehner oder spielmachender und tief zurückfallender Flügelstürmer auflaufen.

Letzteres praktizierten die Bayern diese Saison kaum, doch in der Vorsaison spielte Thiago Alcantara eine solche Rolle als linker Flügelstürmer und dies könnte Kimmich ebenfalls. Als zentraler Zehner oder offensiver Achter zum Bespielen von engen Räumen wäre Kimmich allerdings (ebenso wie Thiago) besser eingebunden. Neben den Positionen in der Mittelfeldreihe gäbe es noch eine weitere Position für Kimmich bei den Bayern.

Seine Rolle beim FC Bayern: Ein kompletter, spielmachender Rechtsverteidiger

Die Position des Rechtsverteidigers ist bei den Bayern seit der Versetzung Lahms ins zentrale Mittelfeld die individuell womöglich am schwächsten besetzte. Obwohl Rafinha teils außerordentliche Leistungen zeigen konnte und letztens sogar Arjen Robben als rechter Flügelverteidiger im 3-4-3 und 3-5-2 auflief, gibt es auf dieser Position einen gewissen Bedarf. Höjbjerg spielte diese Position zwei- bis dreimal, ist aber im Zentrum passender aufgehoben, während Mitchell Weiser sich nicht dementsprechend entwickeln konnte, um hier eine Rolle zu spielen. Einzig Sebastian Rode (ebenfalls ein Sechser) steht somit als wirkliche Option zu Rafinha und Robben bereit.

Kimmich könnte im bayrischen System einen enorm starken Rechtsverteidiger geben. Diese Rolle hat er seit der Jugend zwar nicht mehr ausgefüllt, zuletzt spielte er diese Position konstant in der U17, trotzdem wäre er für diese Position womöglich eine herausragende Verpflichtung. Im System Guardiolas muss der Rechtsverteidiger nicht blind entlang der Auslinie marschieren, sondern hat sehr komplexe, vielfältige und spielmachende Aufgaben bis in die Spielfeldmitte. Die Außen- und Flügelverteidiger sind wichtig, um Passwege auf die Flügelstürmer zu öffnen, sie unterstützen das zentrale Mittelfeld, lösen Engen in den Halbräumen auf und gestalten aus diesen auch das Offensivspiel mit.

In diesem System könnte Kimmich seine Mischung aus starken Dribblings, sehr intelligentem Bewegungsspiel und kreativem Passspiel gewinnbringend nutzen, hätte außerdem etwas weniger Verantwortung im Spiel und könnte sich ungezwungen entwickeln. Zwar ist Kimmich bereits jetzt auf sehr hohem Niveau – geht seine Entwicklung so weiter, könnte er sich sogar in den nächsten Saisonen einen Stammplatz im Mittelfeld ergattern –, hat aber leichte Mängel im Timing seiner Dribblings, in der Erfolgsstabilität seiner Defensivbewegungen und in der Konstanz. Außerdem muss er ohnehin erst in das konzeptionelle Positionsspiel der Bayern hineinwachsen, was ihm als Außenverteidiger etwas leichter fallen könnte.

Alles in allem ist dies aber eine sehr intelligente und (langfristig) hervorragende Verpflichtung der Münchner, die eine hohe einstellige Millionensumme für einen potenziellen Weltklassespieler zahlen. Zum Abschluss noch zwei Videos, um sich selbst ein Bild von Kimmich machen zu können.

Rene Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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