Im Sommer für 3,5 Millionen Euro vom FC Kopenhagen zum VfB Stuttgart gewechselt entwickelte sich William Kvist in nur sechs Monaten zum absoluten Chef... Unauffällig, gewissenhaft, zuverlässig – William Kvist, der etwas andere Spielmacher

Im Sommer für 3,5 Millionen Euro vom FC Kopenhagen zum VfB Stuttgart gewechselt entwickelte sich William Kvist in nur sechs Monaten zum absoluten Chef der Schwaben. Dabei ist der bescheidene Däne weder besonders groß oder besonders schnell, noch ein bissiger Terrier, der den Platz umpflügt, von einem extravaganten Torabschluss ganz zu schweigen. Lest hier, wie sich der 26-Jährige trotzdem zum unverzichtbaren Baustein im Spiel seiner Mannschaft gemacht hat.

Sein ganzes Leben hat William Kvist quasi beim FC Kopenhagen gespielt. Mit sieben Jahren wechselte er zum Københavns Boldklub, dessen erste Mannschaft damals zusammen mit jener des Boldklub 1903 den FCK bildete, und spielte dort – bis er 15 Jahre alt war – auch durchaus erfolgreich Handball. Als im Sommer der VfB Stuttgart anklopfte sah sich der dänische Teamspieler bereit für den nächsten Schritt. „Es einen Kindheitstraum zu nennen, wäre übertrieben“, sagt Kvist, „aber in der Bundesliga sehe ich die richtige Herausforderung für mich.“

Produkt eines neuen Scouting-Systems

Lange hat sich der VfB mit dem Mittelfeldspieler beschäftigt und war für seine Verpflichtung auch bereit zähe Verhandlungen mit dem FC Kopenhagen einzugehen. Kvist sei „ein Produkt unseres neuen Scouting-Systems“, so Sportdirektor Fredi Bobic. Gemeinsam mit Experten reiste Trainer Bruno Labbadia nach Kopenhagen um mit dem Wunschspieler ein persönliches Gespräch zu führen. Alle möglichen Daten wurden gesammelt, Videos studiert und ein Fragenkatalog zusammengestellt. Doch als man sich Auge in Auge gegenüberstand sahen sich die VfB-Verantwortlichen selbst mit jeder Menge Fragen konfrontiert. Kvist wollte vor allem die Philosophie des Vereins kennenlernen. „Als ich mit den Stuttgartern gesprochen habe, spürte ich, dass sie den besten Plan hatten“, begründete der WM-Teilnehmer von 2010 seine Entscheidung zugunsten des fünffachen deutschen Meisters. Aber auch Labbadia war vom ersten Eindruck erfreut:„Wir wollten einen Strategen verpflichten und haben uns sehr lange mit ihm beschäftigt. Nach allem, was wir über ihn erfahren hatten und was er in den Gesprächen vermittelt hat, war klar: Er will Verantwortung übernehmen.“

„Ich bin ein sehr positiver Typ“

Denn gerade einen Spieler, der dies kommuniziert, brauchten die Roten nach einer verkorksten Saison wie einen Bissen Brot. „Im Spiel gegen Hoffenheim wollte ich Kvist zu mir rufen, aber da kam er schon auf mich zugelaufen“, ist Labbadia höchst erfreut, dass sein Stratege auch selbst die Initiative ergreift. „Als Sechser bist du der Chef auf dem Platz. Deshalb brauche ich für mein Spiel alle Infos, die ich bekommen kann“, schwört Kvist auf intensive Kommunikation – allerdings nicht nur auf dem Rasen. „Ich bin ein sehr positiver Typ, der mit jedem auf dem Platz, aber auch in der Kabine redet. Ich komme aus Dänemark, da sind wir vielleicht ein bisschen lockerer.“ In Kopenhagen arbeitete er in den letzten Jahren mit einem Mentaltrainer zusammen, mit dem er seine Ziele formulierte. Dazu zählen allerdings nicht nur sportliche, sondern auch private. So hat Kvist zum Beispiel an der Copenhagen Business School ein Wirtschaftsstudium mit dem Bachelor-Titel abgeschlossen.

Der Anti-Messi als Antreiber

Doch wie sieht nun sein Verhalten am Spielfeld aus? „Ich bin als defensiver Mittelfeldspieler, als klassischer Sechser, das Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff. Das Spiel in der Bundesliga ist sehr schnell, man muss häufig umschalten. Da braucht man auch einen Spieler, der die Übersicht behält, das Spiel beruhigt, der die Räume zumacht – und die einfachen Bälle spielt. Ich probiere, meine Zweikämpfe zu gewinnen und viel mit meinen Mitspielern zu reden. Für die große Kunst im Spiel nach vorne und die Tore sind die anderen zuständig. Ich schieße ganz selten selber ein Tor. In 181 Spielen für Kopenhagen waren es acht Stück“, beschreibt Kvist seine Rolle im Stuttgarter System. Mit Blick auf die Statistik – 87,2 Prozent angekommene Bälle, 60,6 Prozent gewonnene Zweikämpfe – lässt sich Stuttgarts Nummer vier ein sehr positives Zeugnis nach der Hinrunde ausstellen. Vor allem die hohe Zweikampfquote ist ob seiner körperlichen Voraussetzungen – 75 kg bei 184 cm – beeindruckend.

Beim FCK wurde Kvist von seinem damaligen Betreuer Stale Solbakken, der mittlerweile beim 1. FC Köln als Trainer ebenfalls in der Bundesliga aktiv ist, auf verschiedenen Postionen eingesetzt – mal als Rechtsverteidiger, mal als defensiver Mittelfeldspieler und auch als linker Außenstürmer. Dadurch entwickelte der Sohn eines Pfarrers und einer Pädagogikprofessorin ein enormes Spielverständnis. Kvist versucht sein Spiel so intelligent wie möglich anzulegen. „Ich muss vorausschauend denken und handeln. Wenn ich schneller als der Gegenspieler am Ball sein kann, vermeide ich einen Zweikampf. Wenn ich vor der Ballannahme weiß, wohin ich den Ball spielen will, brauche ich nur einen Kontakt“, sagt er und ordnet dem Erfolg der Mannschaft alles unter. „Ich will meine Teamkollegen besser machen. Ich möchte sie mit einfachen, kurzen Pässen aus dem zentralen defensiven Mittelfeld in Szene setzen. Dabei ist es wichtig, dass die Pässe die richtige Geschwindigkeit haben. Man muss das Tempo dosieren können und die Angriffe durchdacht einleiten.“

Mit Stuttgart in die Champions League

Unter den VfB-Fans wird Kvist als potentieller neuer Kapitän gehandelt. „Ich war in der vergangenen Saison der Kapitän beim FC Kopenhagen, habe also in dieser Position eine gewisse Erfahrung. Ich habe beim VfB einen Vertrag bis 2015. Vielleicht ergibt es sich ja später einmal mit der Spielführerbinde. Aber das Kapitänsamt ist bestimmt nicht mein vorrangiges Ziel“, sieht er in der Kapitänsbinde eine eher symbolische Bedeutung, hat andere Bestreben. „Ich würde gerne wieder auf höchstem Niveau antreten. Wer einmal die Hymne der Champions League gehört hat, der will das wieder so haben.“ Dass da viel Wunschdenken dabei ist, davon ist sich Kvist im Klaren, mit 22 Punkten ging der VfB auf Platz acht in die Winterpause. Dennoch sieht der Vorbildprofi, dem jegliches Stargehabe fern liegt, viel Potenzial im Kader und sagt selbstbewusst: „Mein Ziel ist es, dass sie noch zu meiner Zeit in Stuttgart in dem neuen Stadion diese Hymne abspielen.“

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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