Zwischen Genie und Wahnsinn: Henrikh Mkhitaryan, das Problemkind des BVB?
Deutschland 12.April.2014 Alexander Semeliker 0
Borussia Dortmund ist am Dienstagabend trotz eines beeindruckenden 2:0 gegen Real Madrid aus der UEFA Champions League ausgeschieden. Den Aufstieg verpasste man in erster Linie aufgrund einer schlechten Chancenauswertung und dabei geriet besonders ein Spieler heftig in die Kritik: Henrikh Mkhitaryan.
Der Armenier, für den der BVB im Sommer so viel Ablöse bezahlte wie noch nie für einen Spieler zuvor, scheiterte sowohl im Hin- als auch im Rückspiel aus aussichtsreichen Positionen. Lässt man die vielen Verletzten, die die Borussen verdauen müssen, außen vor, gilt er als Problemkind der Saison. Dabei beteuerte Jürgen Klopp zu Saisonbeginn, dass der BVB und Mkhitaryan zusammenpasse wie Arsch auf Eimer.
Genie im Pressing und Umschaltspiel
Als Mkhitaryan nach Dortmund wechselte wurde die Frage aufgeworfen, wie gut er zum Spiel des Ballspielvereins passen würde. Als Ersatz für den nach München abgewanderten Mario Götze war schnell klar, dass die neue Nummer Zehn ein anderer Spielertyp als die alte sein würde, insbesondere im Dribbling – auch wenn ein Blick auf die Statistik anderes vermuten lässt. Pro 90 Minute schaffte Götze nämlich 3,8 erfolgreiche Dribblings, während es bei Mkhitaryan nur marginal weniger sind (3,6). Der Unterschied liegt vielmehr in der Art und Weise.
Götze ist jemand, der enge Situation mit Einzelaktionen auflösen kann und so für Überraschungsmomente sorgen kann. Bei Mkhitaryan sieht man diese Elemente seltener. Im Auswärtsspiel gegen Eintracht Frankfurt gelang es ihm beispielsweise, als er sich beim 2:1-Siegtreffer mit einer Körpertäuschung gut in den freien Raum drehte. Diese Körpertäuschungen entfalten ihre Wirkung aber erst wenn das Spiel eine gewisse Dynamik aufgenommen hat. Steht der Gegner tief, ist das Tempo eher niedrig und die Dynamik entsteht erst bei Ballverlusten.
Genau bei diesen Umschaltmomenten zeigt sich die große Stärke von Mkhitaryan, der stets in Bereitschaft steht und ein elementarer Bestandteil des oft gelobten und viel zitierten Dortmunder Gegenpressings ist. So ist es keine Überraschung, dass der 25-Jährige in Spielen medial am besten wegkam, in denen es für sein Team viele Umschaltmöglichkeiten bzw. Freiräume gab – etwa beim Champions-League-Spiel gegen Napoli, beim 6:2 gegen den HSV, beim 3:1-Sieg auf Schalke oder beim 5:1 in Bremen.
Auch im herkömmlichen Pressing zeichnet sich Mkhitaryan durch äußerst intelligente Bewegungen aus. Als Beispiel dafür betrachten wir die oben zu sehende Szene aus dem Bundesliga-Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. Mkhitaryan deckt dabei das Zentrum quasi alleine ab und sorgt dafür, dass der Gegner außen herum spielen muss. Erst am Schluss öffnet er den Passweg in die Mitte; allerdings bewusst, um den Gegner dort in eine Pressingfalle zu locken. Eine ausführlichere Analyse seines Verhaltens in diesem Spiel findet man auf spielverlagerung.de.
Perfekt getimte Läufe ohne Ertrag
Problematischer ist die Beurteilung seiner Spielweise, wenn sein Team in Ballbesitz ist. Wie eingangs erwähnt ist Mkhitaryan niemand, der sich über spektakuläre Dribblings definiert. Auch sein Passspiel sorgt im Allgemeinen selten für großes Staunen. Teamintern liegt er mit einer Passquote von knapp 78% sogar nur im hinteren Mittelfeld. Auch hier liegt seine Stärke in Aktionen, die dem gemeinen Fan kaum auffallen bzw. durch andere, auffälligere Aspekte übersehen werden.
Als Beispiel wollen wir uns den Stangenschuss im letzten Heimspiel gegen Real genauer ansehen. Mit einem Steilpass von Marco Reus eingesetzt ging er am Torhüter vorbei, traf jedoch nicht ins Tor. Dass sich die Szene im Rahmen eines Umschaltmoments abspielt, muss wohl nicht extra erwähnt werden.
Mkhitaryan startet aus der Tiefe zwischen den gegnerischen Linien und hat dadurch zunächst keinen Gegenspieler. Entscheidend ist schließlich, dass er sich mitten in den Real-Block bewegt, der in der Rückwärtsbewegung naturgemäß ungeordnet ist. Dadurch zieht er einerseits die Gegenspieler von Reus weg und hat andererseits aufgrund deren Ballfokus den Vorteil besser auf den folgenden Steilpass reagieren zu können. Dass er den Ball anschließend nicht im Netz unterbringt, ist symptomatisch für seine derzeitige Situation.
Schlechte Chancenauswertung und geringes Selbstvertrauen
Zwar hat Mkhitaryan mittlerweile neun Pflichtspieltreffer für den BVB am Konto, dennoch wird ihm vor allem die schlechte Chancenauswertung als großer Kritikpunkt ausgelegt. Die Bild bezeichnete ihn jüngst sogar als „Wunder-Verballerer“. Auch die Statistik kann ihn in diesem Punkt nicht herausreißen. Für seine sechs Bundesligatore benötigte er 59 Schüsse – im Schnitt also fast zehn pro Tor. Zwar hatte auch Götze Phasen, in denen er zahlreiche gute Möglichkeiten ausließ – vor allem international – jedoch war der jetzige Bayern-Akteur merkbar effektiver (5,3 Schüsse pro Tor).
Häufig wird dabei sein Charakter als Ursache genannt. Mkhitaryan gilt als Musterprofi, spricht fünf Sprachen und bevorzugt ein familiäres Umfeld, ist demütig und selbstkritisch. Dementsprechend sucht auch Klopp oft das Gespräch mit dem Mittelfeldspieler. Mkhitaryan müsse sich, so der BVB-Coach, vom Druck, den er sich selbst auferlege, befreien. Als Grund dafür nennt der verunsicherte Armenier auch die hohe Ablösesumme, die der Verein für ihn im Sommer bezahlt hat.
Liegt es am Arsch oder am Eimer?
Dass die Chancenwertung derartig schlecht ist, liegt fraglos in erster Linie am Spieler selbst. Schwieriger ist die Suche nach der Ursache dafür, dass Mkhitaryan in Spielen gegen tiefstehende Gegner über weite Strecken keine Akzente setzen kann. Am Aufwand, den er betreibt, dürfte es jedenfalls nicht liegen, denn er zählt in der ohnehin läuferisch starken Dortmunder Mannschaft zu den auffälligsten. In Hannover absolvierte Mkhitaryan beispielsweise 101 intensive Läufe.
Vielmehr dürfte der Fehler im System liegen. Klopps legendäre Aussage, Gegenpressing sei der beste Spielmacher, ist idealistisch gesehen zwar durchaus richtig, jedoch ist die Idee des geplanten Chaos in der Realität nicht immer umsetzbar. Agiert der Gegner passiv, ist an einem geordneten Konterspiel eventuell gar nicht interessiert, sind die Räume dauerhaft zu eng und das Spiel in einer Endlosschleife voller Fehlpässe gefangen.
Dem Dortmunder Spiel fehlt es in solchen Phasen an spielerischen Impulsen aus dem Mittelfeld. Die beiden Flügelspieler sind meist ebenfalls aufs Umschaltspiel fokussierte Spielertypen und den Sechsern mangelt es an Dynamik in Ballbesitz, weshalb die Sehnsucht nach dem langzeitverletzten Ilkay Gündogan extrem groß ist. Insofern ist Klopps oben erwähnter Vergleich absolut zutreffend, jedoch wäre in der einen oder anderen Situation ein anderer Eimer wohl äußerst hilfreich.
Alexander Semeliker, abseits.at
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