Der Weltmeister kommt über ein 0:0 gegen die östlichen Nachbarn nicht hinaus. Zwar hatte man vor allem die erste Halbzeit gut kontrolliert, so suchte... Analyse: Darum kam Deutschland gegen Polen über ein 0:0 nicht hinaus

Der Weltmeister kommt über ein 0:0 gegen die östlichen Nachbarn nicht hinaus. Zwar hatte man vor allem die erste Halbzeit gut kontrolliert, so suchte man im zweiten Durchgang zu verzweifelt den direkten Weg zum polnischen Tor und hätte sich fast ein Gegentor eingefangen.

Prinzipielle Ausrichtungen

Die Deutschen begannen erneut im 4-2-3-1. Die einzige Änderung betraf die Innenverteidigung, wo Hummels statt Mustafi begann. Im Pressing konzentrierte man sich auf ein 4-4-2-Mittelfeldpressing. Die beiden Stürmer stellten in den wenigen Aufbausituationen Polens die Sechser geschickt zu, sodass man den östlichen Nachbarn relativ einfach auf den Flügel lenken und dort immer wieder Ballgewinne erzielen konnte.

Screenshot (320)Das deutsche 4-4-2 Pressing

Kroos als tieferer Sechser kurbelte den Spielaufbau an, indem er immer wieder diagonal hinter Hector abkippte. Letztgenannter tauschte mit Draxler flexibel die Position, sodass der Kölner Linksverteidiger durchaus öfters im Halbraum zu sehen war.

Wichtig für das deutsche Ballbesitzspiel war die Hereinnahme von Hummels, so bildete man eines der spielstärksten Innenverteidiger-Duos der Welt. Beide sollten immer wieder, wenn Kroos abgedeckt wurde, mit Vertikalpässen das Pressing der Polen ausspielen. Dies wurde vor allem Boateng immer wieder von Khedira ermöglicht, der versuchte seinen Manndecker aktiv aus dem Passweg zu ziehen um Boateng die wertvollen Zentimeter Platz zu geben.

Screenshot (323)Bei Polens höherem Pressing (das nur selten vorkam) halfen die Mannorientierungen beim Zugriff

Die Polen agierten im Pressing ebenfalls im 4-4-2, taten dies jedoch tiefer als die Deutschen und auch mit vereinzelten Mannorientierungen. Diese waren jedoch nicht immer sauber eingebunden (was prinzipiell sehr schwierig ist), weshalb man bereits früh Kompaktheitsprobleme zeigte und die passstarken Aufbauspieler der Deutschen immer wieder Lücken fanden, um den Ball in den Zwischenlinienraum zu befördern. Hatte man jedoch die Chance die Deutschen hinten rein zu drängen, dann tat man dies mit hoher Intensität, wobei die Mannorientierungen in diesem Aspekt durchaus hilfreich waren.

Im Ballbesitz forcierte man das schnelle Umschalten über die Flügel. Was anderes war auch kaum möglich, da die Doppelspitze des deutschen Pressings kaum Verbindungen in die Mitte zu Krychowiak und Maczynski zuließen. Jedoch war man bei den Kontern meist zu individuell ausgerichtet, dies lag jedoch auch an der fehlenden Unterstützung. Meist rückten nur ein, zwei Spieler im Angriff nach, um eine ausreichende Restverteidigung zu haben. Deswegen konnte das deutsche Gegenpressing den Großteil der polnischen Angriffe im Keim ersticken.

Mechanisch-deutsche Spielkontrolle

Screenshot (324)Gutes Pressing der Deutschen: Götze läuft im Bogen an und verhindert eine Verlagerung, Özil deckt den Passweg zum Sechser ab und fängt den versuchten Vertikalpass von Glik ab.

Wie erwartet dominierten die Deutschen das Spiel von Beginn an. Die mannorientierte Spielweise verursachte teils sehr chaotische Verteidigungsstrukturen, die die organisierten Deutschen einfach auszunutzen wussten. Boateng und Hummels konnten in den ersten paar Minuten die Zuschauer gleich mit Schnittstellenpässen begeistern, Toni Kroos lieferte ebenfalls schon früh eine ansprechende Leistung. Durch die passenden Strukturen im Ballbesitz hatten die Deutschen stets guten Zugriff im Gegenpressing. Man wusste den Ballführenden genau richtig anzulaufen, während die übrigen Passoptionen situativ mann- oft meist jedoch passwegorientiert abgedeckt wurden. Dies erhöhte die Hektik der Polen im Ballbesitz, die ja sowieso schon so schnell und direkt wie möglich nach vorne kommen wollten.

Wenn es durch die polnische Mitte kein Durchkommen gab, was eher selten der Fall war, dann wurden vor allem die breit stehenden Müller und Höwedes forciert. Der Schalker rückte immer weit auf und zog meist einen Gegner mit, was für Müller Platz im Halbraum schaffte. Zudem arbeiteten die Deutschen immer wieder mit hohen diagonalen Verlagerungen auf beide Flügel. Die Polen mussten weite, intensive Wege gehen, da die Schwarz-Weißen sie immer wieder mit kleinräumigen Kombinationen oder Vertikalpässen lockten. Gerade den Zwischenlinienraum bekamen die Polen nicht unter Kontrolle. Wurde ein Ball dort hinein gespielt pressten meist mehrere Spieler auf den Passempfänger. Dieser, oft Özil oder Götze, ließ dann mit dem ersten Kontakt oft auf die Außen prallen, wo nun viel Platz war. So ließ man den Gegner einen unheimlichen Aufwand betreiben, ohne selbst groß ins Schwitzen kommen zu müssen.

Polen in Ansätzen gefährlich

Nichtsdestotrotz gab es immer wieder Lichtblicke für die Polen: Diese kamen vor allem über rechts, wo man immer wieder mit Lewandowski diese Seite überlud und von dort versuchte mit Hereingaben für Gefahr zu sorgen. Problematisch wird es aber, wenn der beste Stürmer selbst die Hereingaben spielt. So war Milik in einigen Situationen alleine (obwohl auch  Maczynski und Grosicki ein, zwei Mal den Strafraum besetzten). Jedoch war man hierbei immer nur in Ansätzen gefährlich, die deutsche Hintermannschaft hatte diese Situationen stets unter Kontrolle. Das polnische Angriffsspiel präsentierte sich stark auf Individualität fokussiert, man fand kein Mittel gegen das deutsche Pressing und suchte primär das Heil im hohen Ball auf Lewandowski. Nach Ballgewinn gab es meistens auch nur Dribblings, dies lag aber auch an unvorteilhaften Staffelungen bereits in der Defensive, sodass man nach einem erkämpften Ball kaum Anspielstationen hatte.

Deutschland hatte in Minute 37 die beste Chance, als Müller nach langer Ballstafette und Ablage von Götze aus 16 Metern die Stange traf. Auffällig bei diesem Angriff und gleichzeitig deskriptiv für das Offensivspiel der Bundesadler: Man hatte während dieser Passfolge drei Möglichkeiten zum Durchbruch auf den Flügeln und hätte den Weg zur Grundlinie mit anschließender Hereingabe suchen können. Jedoch zog man immer wieder in die Mitte, um eine geeignete Abschlussposition zu finden, was ja schlussendlich auch gelang. Hereingaben suchte man nur aus dynamischen Situationen, wo die Polen in der Rückwärtsbewegung den Strafraum verteidigen mussten. In statischen, handballartigen Angriffssituationen ließ man den Ball lieber zirkulieren. Jedoch hätte man in einigen wenigen Situationen etwas tororientierter und direkter agieren können.

Gegen Ende der ersten Halbzeit suchten Götze und Müller verstärkt den Weg hinter die polnische Abwehr, diese konnte jedoch aufgrund der tiefen Position den einen Pass von Kroos, der den Rücken der in rot gekleideten Viererkette suchte, ohne große Schwierigkeiten verteidigen.

Intensivere Polen, Löw passt sukzessive an

Gleich nach Wiederanpfiff der kurze Schock: Milik verpasste mit einem Flugkopfball in der ersten Minute der zweiten Halbzeit nur knapp das Tor. Ziel schien nun die Räume hinter den deutschen Außenverteidigern sehr schnell und direkt zu bespielen, um von dort in Flankensituationen zu kommen.

Die Deutschen hatten im Gegenzug jedoch auch eine sehr gute Chance, als man wegen Mannorientierungen zu passiv gegen den aufrückenden Kroos agierte, ebenso löste sich Götze klug aus seiner Deckung und öffnete gleichzeitig einen Passweg. Die ehemaligen Bayern-Kollegen spielten so eine gute Chance heraus und deckten einmal mehr die polnischen Schwächen, auf die den vielen Mannorientierungen zugrunde liegen. Löw hatte in der Pause eine Anpassung vergenommen. Götze spielte nun am rechten Flügel und Müller besetzte mit Özil das Sturmzentrum, wenngleich man situativ auch alle drei in der Mitte vorfinden konnte.

Screenshot (327)Nach einer Ablage nach hinten dreht sich Götze um seinen Gegner herum, der ihn nicht mehr verfolgen kann. Innenverteidiger Pazdan muss ihn übernehmen, kann jedoch nicht schnell genug reagieren. Kroos steckt den Ball weltmeisterhaft in den Strafraum durch.

Die grundsätzliche Herangehensweise im Angriffsspiel der Polen hatte sich nicht verändert, jedoch agierte man in der Offensive jetzt deutlich intensiver und temporeicher, vor allem erhöhte sich auch die Anzahl der beim Konter unterstützenden Spieler. Dies öffnete jedoch auch Räume für die Deutschen, sodass die ersten 20 Minuten der zweiten Halbzeit sehr hektisch waren. Dies sollte Löw eigentlich missfallen, jedoch schien er die Dynamik die sich nun ergab zu akzeptieren. Denn der deutsche Bundestrainer ließ Schürrle aufwärmen, der nicht unbedingt der ideale Spieler für ein Erhöhen der Spielkontrolle ist und sein Spiel mehr über temporeiche Aktionen definiert. Noch bevor dieser ins Spiel kam hatte sich das Spiel wieder etwas beruhigt und die Deutschen hatten den Ball wieder besser unter Kontrolle. Schlussendlich kam Schürrle dann in der 65.Minute für Götze. Der Wolfsburger situierte sich nun auf der linken Seite, Draxler ging auf rechts.

Deutscher Flügelfokus hilft nur bedingt

Man agierte nun in einem deutlicheren 4-4-1-1, auch in der Offensive. Dies bedeutete einen verstärkten Fokus auf den Flügel und Hereingaben, jedoch auch schwächere Verbindungen in die Mitte. Schürrle hatte in seinen ersten fünf Einsatzminuten bereits dreimal geflankt, diese hatten jedoch bis auf einen Schuss von Özil nichts eingebracht. Der ehemalige Chelsea-Legionär zeigte sich jedoch sehr aktiv und zielstrebig, suchte den direkten Weg nach vorne und agierte deutlich weniger horizontal als zuvor noch Draxler. Dieser ging dann ebenfalls vom Platz, für ihn kam Gomez. Der allzu oft geforderte „Plan B“ sollte nun seine Chance bekommen. Özil ließ sich nun auch öfter tiefer fallen, um bessere Verbindungen zu seinen Aufbauspielern herzustellen, was den grundsätzlichen formativen Nachteil des 4-4-2 für ein auf Ballbesitz angelegtes Spiel etwas besänftigte.

Durch die direktere Spielweise kamen die Deutschen gegen die mutiger und konsequenter verteidigenden Polen nicht um Ballverluste herum. Dies resultierte in zwei, drei Situationen wo die östlichen Nachbarn schnell auf Angriff umschalteten und auf die deutsche Abwehr zudribbeln konnten. Diese Situationen brachten aufgrund der zu flachen Staffelungen in der vordersten Linie jedoch nichts ein außer geblockte Distanzschüsse.

Screenshot (331)Armer Boateng: Keine vertikalen Anspielstation für ihn

Der eingewechselte Gomez wurde jedoch kaum gefunden, ebenso ließ nun die Zahl der Flanken nach. Der Flügelfokus spielte den auf den Seiten manndeckend agierenden Polen eigentlich sogar in die Karten, die situativ sogar eine Sechserkette bildeten, weil die deutschen Flügelspieler so weit verfolgt wurden. So waren natürlich die vorhersehbaren Flanken deutlich schwieriger zu schlagen.

Die Deutschen hatten jetzt auch deutlich weniger vertikale Anspielstationen, was das Spiel berechenbarer machte. Man könnte natürlich argumentieren, dass man bei einem Flügelfokus die Spieler vor allem am Flügel und im Strafraum als Abnehmer braucht. Gibt es jedoch keine Besetzung des Zentrums und der Halbräume, kann sich der Gegner ganz einfach auf die Flügel- und Strafraumverteidigung konzentrieren. Vor allem ersteres gehört eher zum einfacheren, da der Ballführende nie so viele Optionen wie im Halbraum hat. Also braucht es zumindest „Dummies“, die den Gegner in Bewegung bringt und stets vor Fragen stellt.

Bei einigen Situationen gab es auch bisweilen noch gute Verbindungen im deutschen Positionsspiel, jedoch agierte Müller nun zurückhaltender und Gomez ist zwar ein guter Wandspieler, mehr jedoch in diesem Aspekt des Spiels nicht. Auch in der Nachspielzeit konnten die Schwarz-Rot-Goldenen kein Tor erzielen, sodass es beim 0:0 blieb.

Fazit

Im ersten Durchgang war der Weltmeister unglaublich dominant im Ballbesitz, jedoch nur in wenigen Situationen gefährlich, was aber nur bedingt ein Problem war. Man konnte sich eine qualitativ sehr hochwertige Chance herausspielen (Stangenschuss Müller) und insgesamt sieben Schüsse im ersten Durchgang. Die Polen drehten in Halbzeit zwei auf, waren mutiger und intensiver in Defensive und Offensive, unsere Nachbarn hatten in den ersten Minuten sogar Glück, dass Milik und Lewandowski ihre Riesenchancen nicht nutzten. Die Deutschen ließen sich von ihrer Strategie abbringen und Löw passte auf Flankenfokus an, der jedoch nichts Zählbares einbrachte. Zwar wirkten die Deutschen nun gefährlicher, aber in Realität brachte man weiterhin nur zwei Schüsse aufs Tor der Polen, trotz direkter und „tororientierterer“ Ausrichtung. Löw analysierte nach dem Spiel richtig, dass zwar das Flügelspiel forciert werden musste, man dies jedoch mehr mit flachen Bällen und Doppelpässen (um Mannorientierungen auszunutzen) hätte verwenden müssen.

David Goigitzer, abseits.at

David Goigitzer

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