EM-Toranalyse: So konnten zwei Ungarn fünf Österreicher ausspielen
EURO 2016 15.Juni.2016 Alexander Semeliker 0
Der Auftakt zur Europameisterschaft 2016 war für das österreichische Nationalteam äußerst bitter. Nach einer druckvollen Anfangsphase verlor die Elf von Marcel Koller den Faden und verlor gegen Ungarn 0:2. Während man selbst im Ballbesitzspiel immer unstrukturierter und unsicherer wurde, steigerten sich die Magyaren in dieser Disziplin und erzielten mit einer durchaus sehenswerten Aktion das vorentscheidende Tor. Diesen und auch den zweiten Treffer nimmt abseits.at näher unter die Lupe.
Betrachtet man lediglich die letzten Momente des ersten Treffers, so kommt man in die Versuchung der österreichischen Abwehr große Vorwürfe hinsichtlich ihrer Einstellung zu machen. In der Endphase der Aktion hatte man nämlich eine klare Überzahl. Dennoch schienen die beiden Ungarn quasi ungestört kombinieren zu können. Der Grund dafür, dass die Österreicher nicht in die Zweikämpfe kamen, liegt jedoch weiter zurück.
Österreich – Ungarn 0:1, Adam Szalai (62. Minute)
Im nachstehenden Bild sieht man die Ausgangsposition des Angriffs. Österreich formiert sich wie gewohnt im 4-4-2, während die Ungarn einen langen Ball vorbereiten. Entscheidend für den weiteren Verlauf sind mehrere Punkte. Einerseits erkennt man, dass der spätere Assistgeber, Laszlo Kleinheisler (blau), ohne nominellen Gegenspieler dasteht, weil er sich zwischen den Zuordnungsbereichen der Österreicher positioniert. Namentlich handelt es sich dabei um Martin Hinteregger (orange), Christian Fuchs (rot), David Alaba (schwarz) und Julian Baumgartlinger (grün).
Warum keiner der genannten Spieler direkt auf den ungarischen Zehner geht, wird klar wenn man sich die anderen Aufgaben ansieht, die sie zu lösen haben. Alaba bewacht den ballnahen Sechser der Ungarn. Würde er ihn laufen lassen, könnte dieser den Ball kontrolliert nach vorne treiben. Baumgartlinger könnte zwar theoretisch näher am Mann stehen, würde allerdings damit den ballfernen Halbraum preisgeben – eine strategisch sehr wichtige Zone, vor allem da die Ungarn mit Adam Szalai (gelb) einen kopfballstarken Spieler vorne drinnen haben.
Das ist höchstwahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Hinteregger nicht weiter nach vorne rückt. Würde er dies machen, stünde sein Abwehrkollege in einer eins-gegen-eins-Situationen mit dem ungarischen Stürmer. Vor der schwersten Entscheidung steht Linksverteidiger Fuchs. Dieser muss nämlich nicht nur auf Kleinheisler achten, sondern hat zudem zwei weitere direkte Gegenspieler: den linken Flügelspieler und den linken Verteidiger.
Der Grund dafür ist das Verhalten von Marko Arnautovic (weiß), der den Linksverteidiger Ungarns nicht mannorientiert verfolgt, sondern versucht den Passweg zu ihm zu versperren. Somit ist der Druck auf den Ballführenden höher, da Arnautovic nämlich den zurückfallenden Sechser attackieren könnte. Um kein Risiko einzugehen, schlägt der ballführende Verteidiger daher einen langen Ball in Richtung Angriffszentrum. Hier kommt es anschließend zum Luftzweikampf zwischen Szalai und dem herausrückenden Hinteregger, infolge dessen sich die nachstehende Konstellation ergibt.
Szalai orientiert sich nach dem Kopfballduell umgehend in Richtung Strafraum. Sowohl Hinteregger als auch Baumgartlinger bewegen sich in dieselbe Richtung. Das bietet Kleinheisler kurzfristig viel Platz. Der Grund für dieses konservative und vermutlich intuitive Verhalten der beiden Österreicher könnte in der Unterzahl Fuchs‘ gegen die beiden linken ungarischen Außenspieler liegen.
Diese könnten auf der Seite nämlich problemlos durchbrechen, während Hintergger und Baumgartlinger mit dem Pass auf die Seite einfach überspielt würden. Szalai hat in der Mitte zudem gegenüber des ballfernen ÖFB-Innenverteidigers den Vorteil ballnäher zu laufen. Dementsprechend wird dem Ballführenden zunächst Platz gelassen. Dann attackieren die beiden allerdings trotzdem, womit der Angriff aus eigener Kraft nur mehr schwer aufzuhalten ist, da die Ungarn den Dynamikvorteil auf ihrer Seite haben.
In diesem Bild sieht man das verspätete Attackieren von Hinteregger und Baumgartlinger. Den Pass auf Szalai können sie dadurch aber nicht mehr verhindern. Ungarn Nummer neun kann seinen Körper zwischen Ball und Gegner bringen und daher auf Kleinheisler wieder sicher zurückspielen. Dieser hat sich währenddessen nämlich in den freien Raum bewegt, der durch Szalais Ausweichen entstand. Außerdem erkennt man, dass Fuchs hier den Fokus auf die beiden Außenbahnspieler fallen lässt und sich in die Mitte orientiert. Dies gelingt ihm jedoch nicht schnell genug, sodass er beim nachfolgenden Steilpass das Abseits aufhebt.
Österreich – Ungarn 0:2, Zoltan Stieber (87. Minute)
In der 87. Minute verpasste Zoltan Stieber dem ÖFB-Team schließlich den Todesstoß, denn er erzielte aus einem Konter heraus das 0:2. Auch dessen Entstehungsgeschichte wollen wir uns kurz widmen.
Ausgangspunkt ist ein langer Ball in Richtung Strafraumeck, wo es zu einem Kopfballduell kommt. Der österreichische Spieler verliert dieses, sodass aufgrund des hohen Risikos, das Österreich nahm, mit einem Schlag gleich sechs ÖFB-Spieler vor dem Ball sind. Die ungarischen Spieler orientieren sich ebenfalls früh nach vorne, sodass sie eine komfortable Kontersituation vorfinden und den Sack zumachen.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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