Der erste Spieltag der UEFA Europa League brachte in Gruppe F zwei Überraschungen, denn mit Sassuolo und Rapid gewannen jene Teams, die aus den... Ausgewogen, klein, loyal: Das sind Spielweise und Kader des Athletic Club Bilbao

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Der erste Spieltag der UEFA Europa League brachte in Gruppe F zwei Überraschungen, denn mit Sassuolo und Rapid gewannen jene Teams, die aus den letzten beiden Töpfen gezogen wurden. Heute treffen die Hütteldorfer auf Athletic. Die Spanier stehen nach der 0:3-Niederlage gegen die Italiener zwar schon etwas unter Druck, gelten aber nach wie vor als größter Anwärter auf den Aufstieg.

Der Grund dafür sind Atheltics herausragenden Leistungen in der spanischen Liga, wo man nur zwei Punkte hinter Tabellenführer Real liegt. Generell gilt man in der besten Liga der Welt als unangenehmer Gegner, der selbst gegen die großen Teams immer wieder für Überraschungen gut ist. Berücksichtigt man die außergewöhnliche Klubphilosophie, dann lässt das auf eine besonders gründliche und hochklassige Arbeit schließen.

Sachliche und ausgewogene Spielweise

Ein wichtiger Anteil daran, dass die Basken ein derart hohes Standing haben, ist Ernesto Valverde zuzuschreiben. Seit drei Jahren sitzt der 52-Jährige auf dem Trainersitz – seine zweite Ära bei Athletic übrigens. Wie seine in der Twitter-Szene ebenfalls sehr angesehenen Kollegen Paco Jemez, Marcelino oder Unai Emery gehört Valverde einer sehr starken spanischen Trainer-Generation an, die sich im europäischen Mainstream jedoch noch nicht etabliert hat. Ihre Teams bestechen vor allem durch eine enorme gute gruppentaktische Spielweise.

Valverde ist neben Emery von den genannten Trainern wohl jener, dessen Philosophie wohl am ausgewogensten ist. Seine Mannschaft spielt nicht dermaßen aggressiv und risikoreich wie jene von Jemez, sie auch nicht so abwartend und so stark auf Konter ausgerichtet wie Marcelinos Villarreal in den letzten beiden Jahren. Je nach Bedarf variiert die Ausrichtung ohne zu sehr in eine Richtung zu kippen.

Die Basken können sowohl schnelle, raumöffnende Kombinationen aus dem Spielaufbau starten, als auch konservativ agieren. Zudem sind sie sehr umschaltstark – sowohl offensiv, als auch defensiv. Im Gegenpressing sind sie aggressiv – nicht so mannorientiert wie jene unter Valverdes Vorgänger Marcelo Bielsa, aber nicht so ordentlich wie Villarreal unter Marcelino. Noch beeindruckender wird das alles, wenn man sich den Kader ansieht. Wegen der Beschränkung auf baskische bzw. in dieser Provinz ausgebildete Spieler ist die personelle Decke nämlich recht dünn.

Hochtalentierter Abwehrchef

Im Tor dürfte aktuell ein Generationenwechsel stattfinden, der Stammkeeper der letzten acht Jahre und eigentliche Kapitän, der 35-jährige Gorka Iraizoz, stand nur in den ersten beiden Ligapartien zwischen den Pfosten. Die kommende Nummer eins wird wohl Kepa Arrizabalaga sein. In den letzten beiden Saisonen sammelte er Erfahrung in der zweiten Liga. Obwohl er an und für sich eine recht saubere Passtechnik hat, hält er sich im Spielaufbau zurück und steht tief. Auf der Linie ist der 21-Jährige extrem stark, kann blitzschnell reagieren und verfügt über eine außergewöhnliche und sehr koordinierte Beinarbeit.

Auch das Abwehrzentrum Bilbaos ist recht jung besetzt. Halbrechts spielt mit Yeray Alvarez ein Verteidiger, der erst im Sommer von der zweiten Mannschaft hochgezogen wurde. Der 21-Jährige ist der Ersatzmann des nominellen rechten Innenverteidigers Eneko Boveda. Dessen angestammte Position ist eigentlich rechts hinten, jedoch präferiert Valverde in der Innenverteidigung offenbar vertikale Spielertypen, denn auch Alvarez ist ein solcher.

Die heißeste Aktie im Kader ist der 22-jährige Aymeric Laporte, der hochtalentierte Abwehrchef. Er verfügt in jeder Disziplin über unglaubliche Anlagen. Körperlich ist er so gebaut, dass er mit 1,89m sowohl im Zweikampf kaum Probleme hat, aber gleichzeitig auch relativ wendig ist. Seine saubere Technik am Ball nutzt er um strukturierende Pässe im Spielaufbau zu spielen und durch Andribbeln den Gegner ins Pressing zu locken. Auch im Stellungsspiel und beim Antizipieren ist der Franzose bereits sehr reif.

Von vielen Medien wurde Laporte im Sommer bereits nach Manchester geschrieben haben, obwohl er seinen Vertrag erst im Juni verlängerte. Aufgrund der 65 Millionen hohen Ausstiegsklausel, seiner nicht zu übersehenden Fähigkeiten und Bilbaos Hartnäckigkeit bei Verkäufen, könnte er schon bald den Innenverteidiger-Transferrekord pulverisieren.

Balancierende Außenverteidiger

Die Rollen auf den Außenpositionen der Viererkette sind sehr klar verteilt. Links ist Mikel Balenziaga gesetzt. Der 28-Jährige ist ein unspektakulärer Spielertyp. Er ist zwar agil, technisch beschlagen und defensiv zuverlässig, beschränkt sich jedoch meist auf das Wesentliche. Er rückt im Aufbauspiel nicht besonders weit auf, in hohen Zonen hat er eine unterstützte Rolle inne. Dass man ihn dennoch nicht zu viel Platz geben sollte, zeigte er mit seinem Tor am letzten Spieltag.

Rechtsverteidiger Oscar de Marcos hat zwar im Wesentlichen ähnlich balancierende Aufgaben, ist im Gesamtpaket dennoch der interessantere und wohl wichtigere Spieler. Der Grund dafür ist, dass er ein sehr polyvalenter Spieler ist, der vor allem in seinen ersten Saisonen auch im zentralen Mittelfeld zum Einsatz gekommen ist. In einigen Aspekten ähnelt der 27-Jährige David Alaba, wenngleich er weniger dominant auftritt. Er rückt ab und zu in die Halbräume, kann aus der Tiefe Schnittstellenpässe spielen und schaltet sich mit langatmigen Läufen in die Offensive ein.

Klare Rollenverteilung im defensiven Mittelfeld

Auch im defensiven Mittelfeld gibt es klare Verhältnisse. Die Doppelsechs wird nämlich von Mikel San Jose und Benat Etxebarria gebildet. Letzterer übernimmt dabei die spielerischen Aufgaben und ist er Ballmagnet. Er agiert im Ballbesitzspiel sehr weiträumig, bietet sich ständig in Ballnähe an und spielt viele kurze Pässe. Außerdem tritt der 29-Jährige sehr gefährliche Standards. Auf der anderen Seite hat er körperliche Schwächen, die durch eine sehr passive Rolle in der Defensive kaschiert werden soll.

Im Spiel gegen den Ball wird nämlich San Jose zur dominanten Person im Zentrum. Versucht er im Aufbauspiel sich zurückzuhalten und lediglich offene Räume aufzufüllen, so glänzt der 27-Jährige, wenn der Gegner den Ball hat. Er rückt hierbei auch zeitweise sehr weit nach vorne, was durch Etxebarrias Zurückziehen und Absichern kompensiert. Um diese klare Aufgabentrennung erfolgsstabil umzusetzen bedarf es jedoch eine exzellente Abstimmung der beiden Sechser, womit Athletic hier wohl am anfälligsten ist.

Dieses gute Zusammenspiel und der Umstand, dass man zwei Spieler hat, die sich sehr gut ergänzen, sorgen dafür, dass mit Ander Iturraspe der taktisch wohl beste Zentrumsspieler nur auf der Bank sitzt. Der 27-Jährige stopfte das Loch, das durch den Abgang von Javi Martinez 2012 im Zentrum entstand, sehr gut. Am Ball strahlt er eine unglaubliche Ruhe aus, kann den Spielrhythmus sowohl mit als auch ohne Ball bestimmen. Auch der stets aufopferungsvoll spielende Mikel Rico, von 2013 bis 2015 Stammspieler, muss sich aktuell hinten anstellen.

Die dynamische und dribbelstarke Flügelzange

Der loyalste Spieler im Kader von Athletic ist wohl Iker Muniain, der trotz seiner 23 Jahre bereits ein Urgestein ist. Seit sechs Jahren ist er mittlerweile Stammspieler und hielt dem Klub trotz etlicher Gerüchte um einen Wechsel zu einem großen Verein die Treue. Durch den Verbleib nahm er zwar nicht die erwartete Entwicklung zum Weltklassespieler, dennoch ist aus dem einstigen Ausnahmetalent ein Spieler von gehobener internationaler Klasse geworden. Der kleine wendige, trickreiche und kombinationsstarke Flügelspieler hat allerdings vor allem ein Manko: er müsste torgefährlicher werden.

In Muniains Fußstapfen als heiß umworbener Flügelspieler ist nun Inaki Williams getreten. Der 22-jährige Spanier mit afrikanischen Wurzeln pflegt als Rechtsaußen einen tororientierten Spielstil als sein Gegenüber. Er ist ein Tempodribbler, der ständig versucht, das Tempo hochzuhalten um mit seiner Athletik und Geschwindigkeit am Gegenspieler vorbeizukommen. Dieses Stärken versucht Bilbao auch gezielt einzusetzen, denn gerade im Kombinations- und Stellungsspiel hat er Probleme.

Auch Markel Susaeta profitierte von der Klubphilosophie und gilt als sehr loyal. Auch er wurde bereits als Teenager zum Stammspieler in La Liga. Die Situation des 28-Jährigen ist jedoch kompliziert, denn er ist nicht mehr so unumstritten wie vor ein paar Jahren – eine Konsequenz von Athletics guter Arbeit. Aktuell wechselt sich der Flügelspieler mit Muniain auf der linken Seite ab und rotiert zeitweise auch rechts ins Team. Susaeta legt sein Spiel taktischer an, spielt nicht so spektakulär wie Muniain und Williams, sondern zeigt immer wieder kluge, raumöffnende Läufe.

Routiniertes Angriffszentrum

Mit nur acht Millionen Ablösesumme ist Raul Garcia der zweitteuerste Spieler, dem die Basken in ihrer Geschichte verpflichtet haben. Angesichts der aktuellen Entwicklungen am Transfermarkt eigentlich unglaublich. Der 30-Jährige kam 2015 von Atletico und agiert als Zehner bzw. hängende Spitze. Auch er ist eher jemand, der durch präzise taktische Bewegungen besticht und deshalb in seiner Karriere auf vielen verschiedenen Positionen spielte. Besonders gefährlich sind seine Läufe aus dem Rückraum in die Gefahrenzone, mit denen er sich oft einen Vorteil verschafft. Garcia ist Führungsspieler und ist oft an wichtigen Tore beteiligt.

Einen weiteren hochinteressanten Spieler findet man im Angriff: Aritz Aduriz. Auf ihn trifft wohl nicht einmal mehr der Begriff „Spätstarter“ zu. Der 35-Jährige trifft seit elf Jahren für Athletic regelmäßig, konnte aber nie eine herausragende Trefferquote aufweisen. Letzte Saison dann der internationale Durchbruch: 20 Tore in der Liga und Torschützenkönig in der Europa League sowie die Einberufung in Spaniens EM-Kader. Sein erstes Länderspiel machte der ausgefuchste Strafraumstürmer allerdings bereits 2010 – mit 29 Jahren ebenfalls relativ spät.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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