Der Chelsea FC ist der Sieger der UEFA Europa League 2012/2013. Die Londoner setzten sich im Finale in der Amsterdam ArenA gegen Benfica in... Individualismus besiegt Kollektiv – Chelsea gewinnt Europa League in letzter Minute

Chelsea FCDer Chelsea FC ist der Sieger der UEFA Europa League 2012/2013. Die Londoner setzten sich im Finale in der Amsterdam ArenA gegen Benfica in letzter Minute mit 2:1 durch. Branislav Ivanovic sorgte mit einem Kopfball in der Nachspielzeit für den Siegtreffer. Davor glich Oscar Cardozo die Führung der Blues, erzielt von Fernando Torres, per Handelfmeter aus. Für die Portugiesen besonders bitter, da sie erst am vergangenen Wochenende die heimische Meisterschaft verspielten – ebenfalls in der Nachspielzeit, ebenfalls 1:2.

Benfica war in Amsterdam von Beginn weg die dominierende Mannschaft, wanderte in der Ballbesitzstatistik zeitweise an der 70%-Grenze und erspielte sich einige gute Chancen. Allerdings fehlte ihnen die letzte Konsequenz. Nach einer schwachen ersten Hälfte fing sich Chelsea nach dem Seitenwechsel und triumphierte schließlich dank zweier individueller Aktionen.

Benfica ausgeglichen und fluid

Benfica startete in der gewohnten Grundordnung, allerdings musste Trainer Jorge Jesus auf einen wichtigen Spieler verzichten. Rechtsverteidiger Maxi Pereira fehlte aufgrund einer Sperre und wurde von Andre Almeida ersetzt. Der Uruguayer hat aufgrund seiner offensive Ausrichtung starken Einfluss auf das Spiel seiner Mannschaft, so lief beispielsweise im Halbfinal-Rückspiel gegen Fenerbahce das Spiel zu 47% über die rechte Seite. Sein Vertreter hielt sich dagegen vergleichsweise zurück, was sich dahingehend äußerste, dass sich das Angriffsspiel gleichmäßig verteilte. Für die Breite im Spiel sorgten in erster Linie die beiden wendigen Flügelspieler Nicolas Gaitan und Eduardo Salvio.

Die beiden kamen zusammen auf 18 Hereingaben, gaben aber trotzdem nach Stürmer Oscar Cardozo teamintern die meisten Schüsse ab. Besonders interessant war die Besetzung des Dreiermittelfelds, in dem man keinen klassischen Zerstörer ausmachen konnte – obwohl das Team generell offensiv besetzt war. Mit Lima und Ola John hatte man zudem noch zwei hochkarätige Wechselspieler auf der Bank, was aufgrund der intensiven Spielweise auch notwendig war. Die Portugiesen liefen nämlich knapp dreieinhalb Kilometer mehr als ihr Gegner.

Chelsea ohne Terry und Hazard

Auch Chelsea-Coach Rafael Benitez musste personelle Ausfälle verkraften, denn Kapitän John Terry und Offensivspieler Eden Hazard fielen verletzungsbedingt aus. Die Formation oder Ausrichtung änderte sich aber nicht. Anstelle des Belgiers agierte Ramires am Flügel des 4-2-3-1, die Innenverteidigung bildeten Ivanovic und Gary Cahill. Im Gegensatz zu Benfica konnte man bei den Engländern aber schon ein Vorzugsseite ausmachen, denn ganze 46% der Angriffe liefen über die rechte Seite, wo Cesar Azpilicueta merklich offensiver agierte als Ashley Cole links. Der Spanier war gemeinsam mit Vordermann Ramires auch der auffälligste Flankengeber – neben dem überragenden Juan Mata, der alleine elf Hereingaben verbuchte und zu beiden Toren die Vorarbeit leistete.

Matic als Antreiber

Schon vor dem Duell konnte man die Zone um den spanischen Welt- und Europameister als entscheidend ausmachen, zumal sich seine Kreise dort mit jenen von Nemanja Matic kreuzten. Der Serbe besetzt nominell die Sechserposition, ist aber wie oben erwähnt keinesfalls ein klassischer Abräumer. Dass es ihm an Zweikampfhärte nicht fehlt, zeigt die Tatsache, dass keiner seiner Teamkollegen öfter foulte, dennoch zeichnet ihm im Defensivspiel insbesondere seine vorausschauende Spielweise aus.

Benfica spielte – vor allem in der ersten Halbzeit – geschlossen sehr hoch, was eine hohe Anforderung an den Sechser bedeutet. Matic retournierte die geklärten Bälle von Chelsea sehr schnell und leitete so unter anderem in der Anfangsphase auch eine gute Möglichkeit ein. Spielte Benfica von hinten heraus, war er die erste Anspielstation. Er dirigierte seine Nebenmänner, verteilte dann die Bälle oder stieß selbst mit nach vorne. So überspielte er auch so viele Gegenspieler wie kein anderer auf dem Platz.

Überladene Halbräume

Doch nicht nur Matic sorgte für Impulse aus dem Mittelfeld heraus. Enzo Perez und Rodrigo mögen zwar nicht die edelsten Techniker sein, mit ihrer Laufstärke passen sie aber perfekt ins Anforderungsprofil für die Halbpositionen. Von dort pendelten sie oft nach vorne, entweder um zwischen die Linien zu kommen oder die Halbräume zu überladen. Frank Lampard und David Luiz agierten mannorientiert, was die Benfica-Kicker nutzen um sie zu blockieren oder aus ihren Positionen zu ziehen. Besonders Luiz fand man deshalb öfter an der Seitenlinie.

Die offenen Räume bespielten dann die Flügelspieler, weshalb die Formation der Portugiesen über weite Strecken eine 4-3-2-1-Gestalt annahm. Chelsea versuchte diesen Mechanismus dadurch zu blockieren, indem die Flügelstürmer tiefer und enger agierten. Allerdings gingen Ramires und Oscar die Wege nicht immer konsequent zurück, andererseits kamen so die Außenverteidiger frei. Dass fast alle gefährlichen Situationen über die Seite eingeleitet wurden, unterstreicht Benficas Strategie, über die Halbräume auf die Außen zu kommen.

Chelsea ideenlos im Aufbau und schwach im Pressing

Und was machte Chelsea so? Im Spielaufbau agierten die Blues äußerst ideenlos – wie man unter anderem der nebenstehenden Grafik entnehmen kann. Da Benfica in der Mitte gut stand und etwaige Konter schnell retournierte, suchten die Engländer in erster Linie ihre Flügelspieler mit langen Bällen. Ein weiterer Grund dafür war das Verhalten der eigenen Zentrumsspieler. Mata stand oftmals zu hoch, versank deshalb im kompakten Benfica-Zentrum, Luiz ist alles andere als ein Regista, ein tiefliegender Spielmacher, und Ivanovic hatte eine 30%-Fehlpassquote – für einen Innenverteidiger sehr viel. So hing viel an Lampard, der in der ersten Halbzeit zwar eine nahezu perfekte Passquote aufweisen konnte, allerdings kaum zwingende bzw. öffnende Pässe spielte.

Chelseas Pressing wirkte – wie bei vielen englischen Teams – nicht ausgereift. In der Anfangsphase übten sie oft mit zwei, drei Spielern Druck auf den Ball aus, vergaßen aber – ähnlich wie Wiener Neustadt gegen Salzburg – auf die Rückendeckung, weswegen sich Benfica leicht befreien konnte. Später vermittelten die Offensivspieler dann überhaupt den Eindruck, als wollten sie den Gegner im Aufbauspiel nicht bedrängen.

Besserung in Hälfte zwei und der Faktor „Individualismus“

Auch dieser fehlende Druck war ein Grund dafür, dass sich das gegnerische Mittelfeldtrio entfalten konnte. Nach der Pause agierte Chelsea dann aber geschlossener, stellte vor allem Matic zu und versuchte den Ball kontrolliert zu spielen, anstatt lange nach vorne zu schlagen. Dadurch hielt man die Portugiesen aus den Halbräumen raus und wurde auch selbst gefährlich. Allerdings entstanden die zweifellos guten und unter Umständen sogar klareren Torchancen keinen komplexen Spielzügen, sondern waren ein weiteres Beispiel dafür, dass der englische Spitzenfußball stark an die individuellen Fähigkeiten von Einzelspielern gekoppelt ist.

Dem 1:0 gingen ein gedankenschneller Abwurf von Keeper Petr Cech sowie drei ungestüme Zweikämpfe von Benfica-Kickern voraus. Die beiden Weitschüsse von Lampard bedürfen ebenso weniger Argumente wie der Siegtreffer, der nach einem Eckball fiel. Der einzige taktische Aspekt dabei war, dass die Raumdeckung Benficas ausgehebelt wurde. Wobei hier vielmehr der Eindruck nahe liegt, dass die Londoner instinktiv vorgingen und sie die Positionen der Gegenspieler wohl kaum wahrgenommen haben. Dieser Unterschied in der individuellen Klasse war aber letztlich der ausschlaggebende Faktor. Während Benfica seine Möglichkeiten ungenützt ließ, war Chelsea äußerst effektiv. Und so können sich die Blues zehn Tage lang sowohl Europa-League- als auch Champions-League-Sieger nennen.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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