Ein ganz Großer hat (vorerst) genug: Pep Guardiola verlässt den FC Barcelona!
Spanien 29.April.2012 Rene Maric 0
Für viele war es überraschend, dass Pep Guardiola seinen Abschied vom FC Barcelona verkündete. Wie die Faust aufs Auge passte er zu diesem Verein, wohl sogar mehr als es seine berühmten Vorgänger je taten. Ob Rinus Michels, der Erfinder des totaalvoetbal und ehemaliger Trainer Barcelonas, oder Johan Cruijff, der mit dem Dreamteam in den frühen 90ern große Erfolge feierte. Letzterer war sogar der Trainer Guardiolas, der später auch unter Louis Van Gaal trainierte.
Diese drei niederländischen Trainer galten als Fundament des Systems FC Barcelona – Rinus Michels brachte die grundlegende Idee nach Katalonien, Johan Cruijff sollte sie perfektionieren und galt bereits in seiner Spieler-Zeit als federführend bei einer stärkeren Einbeziehung der Jugend. Dieser Fokus auf die Jugendarbeit erreichte unter Johan Cruijff seine Spitze, wurde unter Louis Van Gaal wieder neu fokussiert und gemeinsam mit der Trainingsarbeit modernisiert.
Doch so viel diese drei großen Niederländer den Verein prägten und obgleich Frank Rijkaard später große Erfolge mit dieser Basis feiern sollte: An Pep Guardiola kommt vermutlich keiner ran. Seine Erfolge sind in Titeln nicht mehr zu wiederholen, allerdings ist sein Einfluss viel tiefer.
Der Weg zum Trainer
Bereits als Spieler zeichnete sich Guardiola durch ein hervorragendes taktisches Verständnis und Führungsqualitäten aus. Seine Trainer bezeichneten ihn als künftigen Trainer, er soll insbesondere von Johan Cruijff stark beeinflusst worden sein. Ein weiterer Mentor war Juanma Lillo, welcher der jüngste Trainer in der Geschichte der Primera Division war. Mitte der Neunziger entwickelte sich nach einem Spiel gegeneinander, Lillo als Trainer, Guardiola als Spieler der gegnerischen Mannschaft, eine Freundschaft. Sie tauschten sich aus, trafen einander und hatten das gleiche Ideal vom Fußball. Ein sehr romantisches und auf Schönheit ausgerichtetes.
Beide wollten einmal eine Topmannschaft trainieren, welche für diese Prinzipien mit messbaren Erfolgen einstehen sollte. Vielen Teams wie bspw. den Brasilianern 1982 oder gar den Franzosen der gleichen Jahre sollte das Image nachhaften, in Schönheit zu sterben. Sogar die Brasilianer drangen in den Neunzigern dazu durch, dass sie das kampf- und taktikgeprägte Spiel der Europäer zu kopieren begannen. Dies sorgte für eine verstärkte Athletik im Fußball und einen erhöhten Fokus auf die physischen Aspekte. Einer der Leidensträger war Pep Guardiola selbst. Zu langsam, nicht zweikampfstark genug und ohne ausreichende Kondition begann eine Weltkarriere sich zu früh dem Ende zuzuneigen. Mit nur dreißig Jahren verließ er den FC Barcelona nach Italien zu Brescia und der Roma, 2003 (also im Alter von 32 Jahren) ging er für zwei Saisonen nach Katar. Im Anschluss spielte er noch kurz in Mexiko unter seinem Freund und Mentor Juanma Lillo.
Kurz darauf folgte seine Rückkehr zur zweiten Mannschaft des FC Barcelona. Mit seinen 36 Jahren hätte er wohl sogar als Führungsspieler mitkicken können, landete dennoch auf der Trainerbank – und es passte. Umgehend sicherte er mit seinen Jungstars den Aufstieg in die zweite Liga und etablierte Spieler wie Pedro oder Busquets. Im folgenden Jahr wurde er Trainer der ersten Mannschaft, wo er auf Anhieb Rekorde um Rekorde brach. Einige seiner Spieler aus der zweiten Mannschaft wurden hochgezogen, viele andere verkauft. Neben dem vermeintlichen Supertalent Giovani dos Santos mussten auch Stars wie Deco, Ronaldinho und Eto’o gehen – für letzteren fand sich allerdings kein Abnehmer. Glücklicherweise möchte man sagen, denn gemeinsam mit Thierry Henry und Lionel Messi bildete er einen herausragenden Angriff.
Seine Erfolge
Im ersten Jahr wurde Guardiola als jüngster Trainer aller Zeiten Champions-League-Sieger und der erste Trainer, der in allen sechs Wettbewerben, wo seine Mannschaft antrat, gewinnen konnte. Was sie auszeichnete, war der Ballbesitz und der „Futebol Arte“, das schöne Spiel. Mühelos kontrollierten sie den Gegner, ließen den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren und demontierten im CL-Finale sogar Manchester United problemlos. Sie unterschied insbesondere eines von den bisherigen Barcelona-Starensembles: unaufhörliches Pressing, herausragende taktische Disziplin und Geduld im Spiel mit dem Ball. Der Geist von La Masia zeigte sich auf dem Platz mit der Symbolfigur dafür auf der Trainerbank.
Doch das Ende war nicht erreicht. Jedes Jahr steigerten sie sich, von etwas über 60% schafften sie es in Guardiolas letzter Saison auf durchschnittlich über 70% Ballbesitz – und nicht einmal hatten die Katalanen weniger als der Gegner. Das einzige, was über dem Ballbesitz liegen sollte, ist die Siegquote Guardiolas. In 239 Spielen gewannen seine Mannen etwas mehr als 73%. Titel in der Champions League sollten noch einmal folgen, im Finale 2011 wurde Manchester United noch deutlicher auseinandergenommen. Diese Saison und 2010 standen nur zwei ultradefensive Mannschaften, einmal der Chelsea FC und vor zwei Jahren das Inter Mourinhos im Weg. Mit Mann und Maus verteidigten sie im Nou Camp und verwehrten weitere Finaleinzüge. In der Liga war diese Saison die erste unter der Ägide Guardiolas, wo er die Liga dem großen Rivalen aus Madrid überlassen musste. So viele Erfolge und doch kann kein einziger die wirkliche Bedeutung Guardiolas zeigen.
Der wahre Einfluss Peps
Dieser veränderte nämlich deutlich mehr, als nur die Oberfläche. Er verbesserte den Übergang vom zweiten ins erste Team, fokussierte seine Nachwuchsspieler noch stärker und erarbeitete ein neues Konzept für die gesamte Jugendförderung. Seine taktischen Maßnahmen waren ähnlich weltverändernd wie jene Arrigo Sacchis Ende der 80er. Stark asymmetrische Systeme mit Alves als Rechtsaußenverteidiger im 4-3-3 und die großteils gelungene Re-Invention der Dreierkette in dieser Saison stellen nur die auffälligsten Veränderungen dar. Die größeren Errungenschaften zeigen sich erst bei einem Blick hinter die Formationen.
Messi als zentraler Stürmer sorgte für die neue Position der falschen Neun – einem Spielertyp, der zwischen den Linien agierte, mit Geschwindigkeit in den Raum stoßen konnte, das Mittelfeld unterstützt und die gegnerischen Innenverteidiger ohne Zuteilung und Gegenspieler zurücklässt. Etwas, womit die meisten Mannschaften selbst nach drei Jahren ungemein große Probleme haben und was gegen Real in einem historischen 5:0-Sieg ausartete. Der andere Spieler, der ungemein von Peps taktischen Fähigkeiten profitierte, ist Sergio Busquets. Er verdrängte den Weltklassesechser Yaya Toure aus der Stammmannschaft und behauptet bis heute seinen Platz. Ein Sechser ohne enorme Dynamik, ohne robuste Spielweise oder hervorragende Zweikampffähigkeiten symbolisiert er das Ideal Barcelonas. Mit seiner Antizipation und Spielintelligenz eroberte er Bälle, welche er dank seiner technischen Fähigkeiten sofort sicher weiterleiten kann. Busquets ist neben den deutlich populäreren Xavi und Iniesta der Hauptgrund für Barcelonas ewige Kurzpassstafetten. Er verhindert, dass der Gegner den Ball erhält und hilft dem Aufbauspiel.
Aber Guardiolas größte Errungenschaft dürfte nicht auf dem Platz sein. Trotz seiner Erfolge und teilweise Provokationen anderer Trainer oder Mannschaften zeigte er sich immer bescheiden, ruhig und wie ein wahrer Gentleman. Im modernen Fußball stellt er einen Gegenpol zur kommerziellen Seite vieler Spieler dar und diese Wesensart wirkte sich auf den gesamten Verein aus. Ein Deal mit UNICEF sowie zahlreiche humanitäre Aktionen zeigen nur, was Guardiola vorlebt. Nicht einmal versäumte er es auch nach den wenigen Niederlagen seinem Gegner zu gratulieren. Selten ließ er die Muskeln spielen, lobte zahlreiche seiner Trainerkollegen und überließ den Großteil des verdienten Ruhmes seinen Spielern. Oftmals wird sein Wert sogar verschätzt, viele denken, dass solche Spieler von alleine Titel gewinnen könnten. Diese Leute übersehen den großen Anteil Guardiolas. Jeder Gegner wird ins kleinste Detail zerlegt und analysiert, die Mannschaft Barcelonas schneidet ihr Spiel immer minimal auf den Gegner zu – Passmuster werden verändert, die genaue Position beim Pressing variiert. Ein Grund, wieso man nie wirklich ausrechenbar wurde.
Fast schon besessen nannten ihn seine Spieler. Teilweise soll er Stunden alleine in einem verdunkelten Raum gewesen sein und sich dort mit dem Gegner beschäftigt haben. Unaufhörlich dachte er an Fußball und arbeitete für seinen Verein, mit welchem er sich identifiziert wie kein zweiter. Vielleicht wurde ihm dies zum Verhängnis. Jede Niederlage nahm er auf seine Kappe, Siege stellten ihn nur kurzzeitig zufrieden. Ein Weg ohne Ende und ohne Ziel, immer strebend nach dem Besten für seine Mannschaft. Früher galt der Posten als Barcelona-Trainer als Schleudersitz, unter Pep Guardiola nicht – liebend gerne hätte man verlängert. Der einzige, der sich wirklichen Druck auferlegte, schien der Trainer selbst zu sein. Am Ende wirkte er ausgebrannt. Wie so oft traf Guardiola die richtige Entscheidung. Er zog sich zum richtigen Zeitpunkt zurück und hinterlässt ein hervorragendes Fundament. Eines, auf welchem er in ferner Zukunft vielleicht weiterbauen wird. Diese Aufgabe hat er für die Zwischenzeit seinem Co-Trainer Tito Vilanova hinterlassen. Jemand, der die gleichen Ideale eines schönen Fußballs verkörpert und ebenso als ehemaliger Barcelona-Jugendspieler zur Symbolfigur taugt.
Rene Maric, abseits.at
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