In dieser Rubrik nehmen wir regelmäßig interessante Spielzüge unter die Lupe und wollen diese im Detail analysieren. Dabei wollen wir uns nicht ausschließlich auf... Spielzug der Woche: Das Aufbauspiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona

Spanien FlaggeIn dieser Rubrik nehmen wir regelmäßig interessante Spielzüge unter die Lupe und wollen diese im Detail analysieren. Dabei wollen wir uns nicht ausschließlich auf Tore und Offensivaktionen beschränken, sondern auch gelungenen Defensivaktionen die gebührende Aufmerksamkeit schenken. In diesem Artikel sehen wir uns das Aufbauspiel von Rayo Vallecano gegen den FC Barcelona an.

Der Name Rayo Vallecano mag zunächst wenig Glanz und Begeisterung versprühen. Das Team aus dem Madrider Stadtviertel Vallecas ist aktuell nur Tabellenvorletzter und ruft aufgrund dessen, dass dem Klub im Sommer aufgrund finanzieller Verfehlungen die Zulassung zu europäischen Wettbewerben verweigert wurde, eher negative Gefühle hervor. Tatsächlich ist die Truppe von Paco Jemez aber ein taktisch außerordentlich interessantes Team, dem es im vergangenen September als erste Mannschaft seit Mai 2008 gelang, in einem Spiel mehr Ballbesitz als der FC Barcelona zu haben.

Der Spielzug im Überblick

Auch am vergangenen Wochenende zeigte das kleine Rayo, dass es keinen Respekt vor großen Namen hat und trug in der elften Minute einen extrem mutigen und erfolgreichen Angriff, ausgehend vom eigenen Strafraum, vor. Das ist unser Spielzug der Woche, den wir uns wie gewohnt zunächst überblicksmäßig ansehen wollen.

Man erkennt, dass Barca ein enorm hohes Pressing ansetzte. Abgesehen davon, dass sie dieses im Allgemeinen ohnehin außerordentlich gut aufziehen, sei noch explizit erwähnt, dass das Spiel im Camp Nou standfand – also vor rund 90.000 Barca-Fans – und sich das Spiel in der Anfangsphase befindet, die Beine noch relativ fit sind. Die Ausgangssituation für Rayo deshalb in einem Wort zusammengefasst: sauschwer. Wie sich Rayo trotz dieses Drucks lösen konnte, wollen wir nun im Detail analysieren.

1.) Sichern des Ballbesitz‘ und erneutes Aufbauen

Den Grundstein für diesen Spielzug legt Rayo bereits beim Versuch im Spielaufbau zuvor. Viele Mannschaften neigen dazu, unter dem großen Druck, den Barca ausübt einzubrechen und sie bringen im besten Fall einen langen Pass an. Nicht so Rayo, das der Aufgabe mutig gegenübersteht und den Ballbesitz sichert und noch einmal hinten herum spielt. Im nachstehenden Bild bekommt ein Gefühl dafür, wie gut Barca presst.

Man sieht hier, dass es die Gäste geschafft haben auf ihrer linken Seite ein Viereck um einen attackierenden Katalanen aufzuspannen. Dennoch haben sie keine Chance diesen scheinbar großen Vorteil auszuspielen. Alle Anspielstationen sind für den ballführenden Spieler zugestellt. Es folgt noch ein Pass auf die Seite, wo der Spieler jedoch umgehend attackiert wird und nach hinten zum Torhüter spielt. So weit, so normal. Der große Unterschied zu vielen anderen Teams, folgt im nächsten Schritt.

In dieser Situation sieht man oft einen langen Ball, Rayos Spieler orientieren sich aber umgehend nach hinten und nehmen erneut ihre Aufbauformation ein. Diese unterscheidet sich von den mittlerweile üblichen und zeigt die selbstbewusste Spielweise.

2.) Fünfer- statt Dreierkette im Spielaufbau

Es ist mittlerweile zum Standard geworden, dass der Spielaufbau in der tiefsten Linie von drei Spielern getragen wird. Diese fächern breit auf um den Gegner auseinanderzuziehen und so Freiheiten zu bekommen. Wird der Druck größer, schieben die beiden äußeren Spieler einfach noch weiter auseinander. Wie man dagegen vorgeht hat beispielsweise der FC Augsburg gegen Borussia Dortmund gezeigt. Besonders problematisch wird es, wenn die individuellen Qualitäten des eigenen Teams beschränkt sind. Rayo wählt daher einen anderen Weg.

Ziel ist es – wie bei anderen Teams auch -, die Räume neben dem Sechszehner zu bespielen. Allerdings fächern hier die beiden Innenverteidiger nicht so breit auf, dass sie diese Räume besetzen, sondern es lassen sich zusätzlich auch die Außenverteidiger fallen. Sie schieben also nicht nach vorne um den Gegner zurückzudrängen, sondern bleiben tief und entgehen somit ihren direkten Gegenspielern. Man erkennt diese Aufteilung im nachstehenden Bild sehr gut.

Barca hat vollen Zugriff auf der Zentralachse und würde den Gegner dort wohl auffressen. Rayo entzieht sich diesem Druck indem man einen zusätzlichen Spieler nach hinten zieht. Doch auch diese Strategie hat Nachteile. So ist der angespielte Akteur sowohl durch die Seiten- als auch die Torlinie eingeschränkt, dadurch einfacher zu pressen ist. Bei einem Ballverlust, wäre die Wahrscheinlichkeit einer guten Torchance für den Gegner sehr groß.

Deshalb ist man bestrebt, schnell aus dieser Zone wieder herauszukommen, was Rayo in dieser Szene gut gelingt. Der Innenverteidiger geht schon während das Zuspiel unterwegs ist nach außen in den freien Raum, dahinter wird nachgeschoben, um ausreichend viele Anspielstationen zu haben. Den Effekt dieser Bewegungen erkennt man im nächsten Schritt.

3.) „Hösche“: Rayo dreht den Spieß um

Ein besonderes Merkmal des FC Barcelona und wichtiger Baustein dafür, dass die Ballzirkulation stets aufrechterhalten wird, ist die permanente Dreiecksbildung. Der Gegenspieler müsste zwei Passwege zustellen, was nicht möglich ist. Noch effektiver wäre es wenn es sich nicht um ein Drei- sondern Vier oder Fünfeck handeln würde. Auch das sieht man in vereinzelten Fällen und erinnert ans berühmte „Hösche“, das meist beim Warmmachen vor Trainingseinheiten gemacht wird. In Spanien nennt man es „El Rondo“ und wird, wie man im nachstehenden Bild erkennt, nicht nur von Barca beherrscht.

Durch intelligente Freilaufbewegungen Rayo hat es geschafft eine fünf-zu-drei-Überzahl herzustellen und die Gegenspieler in die Mitte zu bringen. Dennoch scheint die Situation für Barca nicht ausweglos zu sein. Durch präzise Nutzung des Deckungsschattens haben sie immer noch die Möglichkeit den Ballführenden unter Druck zu setzen. Genau das machen sie auch, was Rayo aber gekonnt beantwortet.

4.) Bespielen des Raumes hinter Busquets

Das nachstehende Bild zeigt die Situation nur zwei Sekunden später. Vom „Hösche“ ist nichts mehr übriggeblieben und Barca scheint wieder Zugriff zu bekommen. Der linke Mittelfeldspieler steht im Deckungsschatten des rechten Barca-Flügelspielers, ist daher nicht anspielbar. Im Zentrum ist von den ursprünglichen Spielern ebenfalls keiner mehr anspielbar. Zusätzlich dazu, dass die beiden Akteure im Deckungsschatten ihrer Gegenspielern stehen, würde ein Herausgehen aus diesem dazu führen, dass sie anderwärtig Druck spüren würden.

Ein Schlüsselspieler ist hier wieder einmal Sergio Busquets (gelb). Die große Stärke des Spaniers ist es, sich so zu positionieren, dass dem Gegenspieler nahezu alle Optionen genommen werden und er damit die Richtung des Spiels leiten kann. Bewegt sich beispielsweise der Spieler zu seiner Linken aus dem Deckungsschatten, würde er diesen umgehend attackieren. Ein Pass durch die Mitte muss präzise gespielt werden, sonst würde er ihn abfangen.

Genau das schafft Rayo aber in dieser Szene und trifft damit Barcas wunden Punkt. Busquets muss als alleiniger Sechser enorm viel Platz abdecken, wodurch sich zwangsläufig irgendwo Räume in seinem Rücken auftun. Es ist dann die Aufgabe seiner Mitspieler diese zu schließen, was nicht immer gelingt. Hier lässt sich ein Offensivspieler von Rayo fallen und hat kurzfristig Platz, weil sein Gegenspieler falsch antizipiert.

5.) Sprunghaftes Anziehen des Tempos

Dieses Bespielen des Raumes hinter Busquets sah man unter anderem vor kurzem auch von Valencia. Die Folge dessen war, dass das Tempo des Spiels in die Höhe schnellte. Auch hier ist das der Fall. Die wichtigsten Momente, in denen Barca den Angriff verzögern oder stoppen hätte können, werden im Folgenden ausgeführt.

Rayo hat sich hier zwar zwei Passdreiecke aufgebaut, dennoch scheint es so, als hätte Barca durch konsequenteres Pressing entscheidend eingreifen können. Insbesondere Andres Iniesta wirkt anteilslos. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber die Zwiespältigkeit dieser Situation für ihn. Würde er weiter zur Seite schieben, wäre die Zentralachse entblößt. Über die eingezeichneten Pässe könnte Rayo diese bespielen.

Kurze Zeit später kommt es zu dieser Szene. Die drei höchsten Spieler von Rayo versuchen naturgemäß die Abwehr des Gegners auseinanderzuziehen und nach hinten zu drängen. Gerard Pique hat hier keinen direkten Gegenspieler und dreht sich richtigerweise zum Ball. Will er den Angriff stoppen muss er erahnen, wie sich der ballführende Spieler verhalten wird. Wieder kommt Busquets eine wichtige Rolle zu. Er sorgt nämlich dafür, dass der Ballführende nicht nach innen ziehen kann. Demnach ist die wahrscheinlichste Aktion ein Pass, den Pique auch antizipiert, jedoch nicht abfangen, sondern lediglich leicht abfälschen kann.

6.) Potenzielle Gefahr durch Überzahl am Strafraum

Barca ist nun hinten „offen“. In der Mitte hat Rayo eine zwei-zu-eins-Überzahl und würden bei einer erfolgreichen Flanke wohl eine große Torchance vorfinden.

Carles Puyol gelingt es jedoch mit einem perfekt getimten Tackling die versuchte Hereingabe zur Ecke abzulenken.

Fazit

So toll diese mutige Spielweise von Rayo Vallecano – nur fünf Teams innerhalb der europäischen Top5-Ligen haben mehr Ballbesitz – anmuten möchte, die Madrilenen sind nicht umsonst Vorletzter. Sie nehmen extrem großes Risiko, was aufgrund der überschaubaren individuellen Qualität des Kaders, oft ins Auge geht. Dieses Spiel wurde beispielsweise mit 0:6 verloren. Dass man ligaweit die meisten Gegentore bekommen hat, ist keine große Überraschung. Andererseits sah man bei diesem Spielzug einmal mehr die verwundbare Stelle von Barca und einen möglichen Ansatz gegen hoch pressende Teams, für dessen Umsetzung man genügend Selbstvertrauen braucht.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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