Städte und Familien teilen sich in zwei Lager, neunzig Minuten lang geht es nicht um Sieg, Unentschieden oder Niederlage – es geht um Ruhm... Legendäre Derbys (3): Edinburghs Glaubensfrage

Fußball in SchottlandStädte und Familien teilen sich in zwei Lager, neunzig Minuten lang geht es nicht um Sieg, Unentschieden oder Niederlage – es geht um Ruhm und Ehre. Kein Sieg schmeckt süßer als jener im Derby. „Echte“ und historisch bedeutende Derbys sind hierzulande zur Rarität geworden. Doch außerhalb der Grenzen Österreichs ziehen sie die Massen ungebrochen an. Immer wieder bringen überschäumende Leidenschaft und exzessiver Fanatismus aber auch negative Aspekte mit sich, wenn es zu Krawallen und Gewalt zwischen den Fanlagern kommt. Die Hintergründe der Rivalitäten sind vielfältig und oftmals weit in der Geschichte zurückliegend verankert. abseits.at beleuchtet die bedeutendsten Derbys der Welt.

Bei den Begriffen „Derby“ und „Schottland“ denkt der gemeine Fußballfan reflexartig an „The Old Firm“, das Glasgower Stadtderby zwischen Celtic und den Rangers. Abseits des größten Klassikers im schottischen Fußball schürt ein nicht minder spannendes Duell aber ebenso große Emotionen. Wenn der Heart of Midlothian FC und der Hibernian FC im Derby von Edinburgh die Klingen kreuzen, beherrschen die Farben Weinrot und Grün das Erscheinungsbild der schottischen Hauptstadt.

Auch wenn die Fans in Edinburgh ausgesprochen stolz auf „ihr“ Derby sind und gerne die Besonderheiten hervorheben, lassen sich gewisse Parallelen mit dem Duell in Glasgow nicht von der Hand weisen. Das trifft vor allem auf die Gründungsgeschichte des Hibernian FC zu, die jener von Celtic Glasgow sehr ähnlich ist. Die „Hibs“ wurden 1875 von überwiegend katholischen Einwanderern aus Irland aus der Taufe gehoben. Der Vereinsname leitet sich von „Hibernia“, der lateinischen  Bezeichnung für Irland, ab. Wie „The Old Firm“ bekam das Edinburgh Derby alsbald eine religiöse Gewichtung. Auf der Gegenüberseite steht der Heart of Midlothian FC seit seiner Gründung im Jahr 1874 sinnbildlich für die einheimischen Protestanten. Grenzen, die im Laufe der Jahrzehnte verschwommen sind. Zufall dürfte es jedoch keiner gewesen sein, dass das allererste Derby im Jahr 1875 an Weihnachten stattfand – die Hearts besiegten die Hibs mit 1:0.

Erstes Derby im Cupfinale nach 116 Jahren

In der langen Historie des Edinburgher Derbys kam es immer wieder zu geschichtsträchtigen Ereignissen. In jüngerer Vergangenheit ist hier vor allem das letztjährige Pokalfinale hervorzuheben. Am 19. Mai 2012 demütigten die Hearts ihren Erzrivalen im ausverkauften Hampden Park von Glasgow mit 5:1. Es war das erste Edinburgh Derby im Finale des schottischen FA Cups nach 116 Jahren.

Schon am 2. Dezember der nächsten FA Cup-Saison revanchierten sich die Hibs, als sie die Hearts mit einem 1:0 aus dem Bewerb warfen und den weinroten Traum der Titelverteidigung zerstörten. Die Hibs schafften es in der Folge bis ins Finale, um dort, wie so oft, an Celtic zu scheitern. In der Vergangenheit konnten weder die Hearts noch die Hibs die Phalanx der Klubs aus Glasgow durchbrechen. Eine Tatsache, die dem Kampf um die Vorherrschaft in Edinburgh noch mehr Bedeutung einräumt. Denn sowohl die Hearts als auch die Hibs brauchen ihren Widerpart auf Augenhöhe. 1990 wollte der damalige Hearts-Präsident Wallace Mercer die beiden Edinburgher Vereine fusionieren, um der Glasgower Übermacht die Stirn bieten zu können. Sowohl die Anhänger der Hibs als auch jene der Hearts gingen auf die Straße, um gegen dieses Vorhaben zu protestieren und die liebgewonnene Rivalität nicht begraben zu müssen. Mercer sah ein, dass sein Plan nicht umsetzbar war.

Hearts vor ungewisser Zukunft

Titelgewinne waren in der bald 150-jährigen Geschichte der beiden Vereine stets rar gesät. Sowohl die Hearts als auch die Hibs überflügelten die Klubs aus Glasgow je vier Mal. Auch nach dem Lizenzentzug und dem damit verbundenen Zwangsabstieg der Rangers gibt es kein Vorbeikommen an Celtic. Heart of Midlothian sieht sich mittlerweile sogar mit einer aussichtslos anmutenden Zukunft konfrontiert: Nachdem der russisch-litauische Klubeigentümer Vladimir Romanov Konkurs angemeldet hat, schlitterten die Hearts in eine bedrohliche Finanzsituation. Der Schuldenberg von bis zu 30 Millionen Euro hatte einen Punkteabzug von 15 Zählern zum Start der neuen Saison zur Folge. Zahlreiche Spieler mussten den Verein verlassen, die Hearts liegen nach 13 Spieltagen mit -4 Punkten abgeschlagen am Tabellenende. Vor etwa einem Jahr bettelte der Verein die eigenen Fans sogar regelrecht um Mithilfe an. Die Fans kämpfen um ihren Verein, die Zukunft ist dennoch nicht gesichert. In einem Interview mit dem „ballesterer“ berichtet der ehemalige österreichische Nationalspieler Thomas Flögel, von 1997 bis 2002 bei den Hearts engagiert, von der engen Bindung der Anhänger zum Verein und den Spielern: „Immer wenn ich den Klub besuche und die Leute im Stadion wissen, dass ich da bin, gibt’s Standing Ovations und ich muss runter aufs Feld. Es gibt nichts Schöneres.“ Doch angesichts der – sportlich wie wirtschaftlich – angespannten Lage, ist es gut möglich, dass die Derbys in dieser Saison die letzten für einige Zeit sein werden.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass beide Vereine alle Ligaspiele in ihren heute noch bestehenden Heimstätten ausgetragen haben. In offiziellen Liga- und Pokalspielen trafen die Teams bis heute mehr als 300 Mal aufeinander. Rechnet man alle Begegnungen zusammen, kommt es am 1.1. 2014 sogar zum 626. Edinburgh Derby.

Statistik
Erstes Derby:                        25.12.1875    Heart of Midlothian – Hibernian FC 1:0
Torreichstes Spiel:               21.09.1935    Heart of Midlothian – Hibernian FC 8:3
Bilanz nach 303 Spielen:     135 Siege Hearts, 89 Remis, 79 Siege Hibernian

Benjamin Schacherl, www.abseits.at

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