Dorfvereine in der höchsten Spielklasse, Lizenzübertragungen und Bestechungsskandale tragen nicht unbedingt zur Attraktivitätssteigerung des Fußballs bei. Die tschechische Gambrinus Liga liegt, bei einem Schnitt... Stell dir vor es ist Fußball und keiner geht hin (1) – Bohemians Prag

Dorfvereine in der höchsten Spielklasse, Lizenzübertragungen und Bestechungsskandale tragen nicht unbedingt zur Attraktivitätssteigerung des Fußballs bei. Die tschechische Gambrinus Liga liegt, bei einem Schnitt von lediglich knapp 4.500 Zuschauern, weltweit nur auf Platz 40 der bestbesuchten Ligen, trotz einiger Traditionsmannschaften, wie Sparta und Slavia Prag, Baník Ostrau und den gutbesuchten Teams aus Brünn und Pilsen. Die zweite Liga (Druhá Liga) kommt zudem nur auf knapp 1000 Zuschauer pro Spiel. Diese Zahlen werfen die Frage auf, weshalb Tschechiens Profiligen derart an Besuchermangel leiden. Teil 1 beschäftigt sich mit den Bohemians aus Prag.

Who The F… is Střížkov?

Wir schreiben den 12. Mai 2012, 10:15 Uhr Ortszeit. Das Stadion SK Prosek im Prager Stadtteil Střížkov ist an diesem Vormittag Austragungsort der Begegnung Bohemians Prag gegen den FC Tescoma Zlín. Beide Mannschaften waren vor gar nicht allzu langer Zeit noch erstklassig, beide befinden sich im vorderen Tabellenmittelfeld drei Spieltage vor Saisonende. Man sollte meinen, es handle sich um eine attraktive Begegnung – leider Fehlanzeige. Gerade einmal 312 Zuschauer haben sich in das kleine Stadion verirrt, die meisten davon alte Männer mit Stock und Hut. Ganze drei Leute mit grün-weißen Fanutensilien brüllen von der einzigen Tribüne Bohemians. Das soll der Kultverein Bohemians Prag sein? Der, der 1983 Meister wurde? Der mit dem Känguru im Wappen, der seinen Namen und das Wappentier in den zwanziger Jahren auf einer Australien-Tour erhielt? Offiziell ja. Die Antwort auf die Frage, wo denn die Fans geblieben sind, ist ebenso einfach, wie kompliziert. Es gibt hier keine Fans.

Insolvenz 2005

Licht ins Dunkle verschafft uns hierbei ein Rückblick ins Jahr 2005. Die Hinrunde der Saison 04/05 spielten die Bohemians Prag noch in der zweiten Spielklasse. Jahrelange Misswirtschaft stürzte den Verein jedoch in den Ruin. Infolgedessen war die Vereinsführung gezwungen Insolvenz zu beantragen. Die Bohemians wurden aus der zweiten Liga ausgeschlossen, ihre Ergebnisse annulliert und dazu gezwungen eine, für tschechische Zweitligaverhältnisse, hohe Summe von drei Millionen Kronen (ca. 100.000 €), als Schadensersatz für die nichtabsolvierten Spiele in der Rückrunde, zu zahlen. Ein Fortbestehen des Traditionsvereins, mit seinen zahlreichen, berühmt-berüchtigten, politisch linksgerichteten Anhängern, die eine Fanfreundschaft zum FC St. Pauli pflegen, war zu dieser Zeit nicht gesichert. Die Vereinsführung verlieh daher Name und Wappen an den FC Střízkov, der 04/05 in der dritten tschechischen Liga spielte. Dieses Team trat, ab dem Zeitpunkt der Namensübertragung, offiziell als Bohemians Prag im Stadion des SK Prosek an.

Vereinigung der Bohemians Fans:

Der Präsident des FC Střížkov, Karel Kapr, hatte die Rechnung allerdings ohne die Bohemians-Fans gemacht. Diese stellten sich gegen die Umsiedlung ihres Vereins aus dem geliebten Dolíček nach Střížkov und gründeten die Initiative Vereinigung der Bohemians Fans. Diese sammelte, auch durch Spenden aus dem Ausland, die Summe von drei Millionen Kronen und sorgten somit für eine Spielberechtigung ihrer Mannschaft in der nächsten Drittligasaison. Durch einen ausländischen Investor konnte man zudem für eine langfristige finanzielle Stabilisierung sorgen.

Zwei Bohemians Prag? Leider nicht möglich!

Zu Beginn der Saison 05/06 gingen zwei Mannschaften mit den Namen Bohemians Prag an den Start. Zum einen die Bohemians aus dem Dolíček aus Vršovice mit ihrer organisierten Fan-Szene, zum anderen die aus Střížkov ohne Fans. Der tschechische Verband gestattete jedoch nicht die Existenz zweier Mannschaften mit dem gleichen Namen. Der Namenstreit ging bis vor das Prager Zivilgericht, an dem zugunsten des Teams aus Střížkov entschieden wurde, da dieses den Namen und das Wappen legal erworben hatte. Diese Entscheidung traf im ganzen Land auf keine Gegenliebe, was nicht unbedingt zur Sympathiesteigerung des FC Střížkov a.k.a. Bohemians Prag beitrug. Die Mannschaft aus Vršovice wurde daraufhin umbenannt in Bohemians 1905. (1905 ist das Gründungsjahr des AFK Vršovice. Den Namen Bohemians erhielt die Mannschaft erst  auf einer Australien Tournee Ende der zwanziger Jahre. Den Australiern war der Name Vršovice zu kompliziert, woraufhin sie das Team des AFK einfach nur Bohemians nannten. Die Mannschaft trat die Rückreise in die Tschechoslowakei somit mit neuem Namen und dem Känguru im Wappen an.)

Wohin geht die Reise?

Beide Teams schafften zwischenzeitlich den Aufstieg bis in die erste Liga. Aufgrund fehlender Infrastruktur durften sie zu dieser Zeit nicht in den Stadien spielen, wo sie beheimatet sind. Střížkov musste nach Strahov umziehen und die Bohemians 1905 ins Eden Stadion, die Heimat Slavias. Dieser Umstand sorgte vor allem bei den Bohemians 1905 zu einem starken Einbruch der Besucherzahlen. Momentan spielen beide Teams in der zweiten Liga. Die Bohemians 1905 befinden sich, trotz schwachen Starts, auf dem ersten Tabellenplatz und haben den Aufstieg im Visier. Střížkov befindet sich im sicheren Mittelfeld der Tabelle. Die Spiele dieser Mannschaft, egal ob zuhause oder auswärts, sind definitiv keine Zuschauermagneten und tragen nicht zur Attraktivität des tschechischen Profifußballs bei. Leider sind die Bohemians Prag in Tschechien kein Einzelfall…

Max Teubner, abseits.at

Max Teubner

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