„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Klingt christlich, ist es auch. Jesus Christus sagt dies zu seinen Jüngern kurz nachdem... „Der Weg, die Wahrheit und das Leben“– Das Outing des Thomas Hitzlsperger

Fußballer, allgemein, Jubel„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Klingt christlich, ist es auch. Jesus Christus sagt dies zu seinen Jüngern kurz nachdem er seinen bevorstehenden Tod angekündigt hat. „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“, hat ihn davor der Apostel Thomas gefragt. Jener ungläubige Thomas, der später im Johannesevangelium die Auferstehung Christi bezweifeln wird und sich erst durch eine persönliche Untersuchung der Wundmale überzeugen lässt. Ob Thomas Hitzlsperger wie sein Namenspatron gezweifelt hat, als er sich zu seinem Outing entschloss, wissen wir nicht. Schlussendlich zählt nur, dass er entschieden hat den Weg der Wahrheit zu gehen. Der 31-jährige Ex-Fußballprofi hat am 8. Jänner 2014 sehr viel Mut bewiesen. Und sehr viel Entschlossenheit.

„Ein langwieriger und schwieriger Prozess“

…war für Hitzlsperger die Erkenntnis schwul zu sein. Ein noch schwieriger Verlauf ist die gesellschaftliche und politische Akzeptanz einer Form der Liebe, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Über 2000 Jahre nach Christi Geburt gibt es nun in mehreren europäischen Staaten die (teilweise immer noch nicht ganz äquivalente) „Homo-Ehe“, schwule Hauptstadtbürgermeister (Wowereit in Berlin), einen geouteten Ricky Martin (anno 2010), einen „Lesben-Film“, der die goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes gewonnen hat („Blau ist eine warme Farbe“) und leider auch die Kehrseite der Medaille. Mütterchen Russland, das Vorzeige-Demokratieland (O-Ton: Gérard Depardieu), macht einen Schritt zurück und Vladimir Putin (Laut Depardieu entweder die Reinkarnation von Papst Johannes Paul oder Francois Mitterand) unterzeichnet ein Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“.

Nun müsste man Monsieur Depardieu fragen, was genau denn schwule Publicity sei und was -in Herrgottsnamen- ein derartiges Verbot im 21. Jahrhundert mit Demokratie und Fortschritt zu tun hat. Sérieusement, Gérard, arrête de boire!

Aber wir Österreicher müssen nicht in die Ferne schweifen um seltsam Rückschrittliches zu suchen und zu finden. Auch ÖSV-Präsident Schröcksnadel gab mehr oder minder geistigen Dünnpfiff zu Protokoll: Es sei ja nur verboten für Homosexualität zu „werben“, ihm sei die „Werbung“ für Familien auch lieber. Wieder was gelernt: Neben Waschmittel, Bankkrediten und elektrotechnischem Gerät kann man also auch für eine bestimmte Form des Begehrens Reklame betreiben.

Ein Outing und die damit verbundene mediale Ausschlachtung sind für viele Menschen unverständlich. „Es ist beschämend, dass Mut dazugehört, uns mitzuteilen, was uns eigentlich nichts angeht.“, sagt die deutsche Journalistin Esther Schapira in der ARD-Tagesschau.

Die vielbeschworene Toleranz endet aber schon in Katar. Dort wird 2022 die Fußball-WM stattfinden, vielleicht mit schwulen Spielern aber mit Sicherheit mit schwulen Fans. FIFA-Präsident Joseph Blatter hat homosexuelle Anhänger schon vorsorglich gebeten „aus Respekt vor dem Gastgeberland“ auf Sex im Morgenland zu verzichten. Homosexuelle Handlungen sind dort noch immer strafbar. Nachsatz: „Ich will aber niemanden diskriminieren.“ Schon passiert. Jemandem eine Ohrfeige zu geben und sich postwendend zu entschuldigen, ändert auch nichts mehr.

2014 ist Hitzlsperger, der erste deutsche Ex-Profi, der sich outet. „Es ist auch ein guter Zeitpunkt, denn meine aktive Sportlerkarriere ist abgeschlossen und ein neuer Lebensabschnitt beginnt.“, sagt er. So gesehen stimmt das auch. Hitzlsperger möchte aber die Debatte, die im Profifußball selbst „schlicht ignoriert“ wird, nun in neue Bahnen lenken. Der nächste Schritt wäre also das Outing eines noch aktiven Spielers. „Ich hoffe, dass ich mit diesem Schritt in die Öffentlichkeit jungen Spielern und Profisportlern Mut machen kann. Profisport und Homosexualität schließen sich nicht aus, davon bin ich überzeugt.“, sagt der Ex-Profi. Lob und Anerkennung erfährt der 31-Jährige seit 8. Jänner nun von allen Seiten.

Die üblichen Verdächtigen

Thomas Hitzlsperger will keinen einzigen schwulen Fußballprofi kennengelernt haben: „In England, Deutschland oder Italien ist Homosexualität kein ernsthaftes Thema, nicht in der Kabine jedenfalls“ Man sei zusammengekommen um zu trainieren und um besser zu werden. Privat blieb Privat. Dennoch geistern immer wieder Namen durch die Öffentlichkeit, welcher Spieler gerne verkehrtherum liebe.

Vor einigen Jahren riet DFB-Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm schwulen Kickern von einem Outing ab. Er selbst sah sich in seiner Autobiografie gezwungen, ein ganzes Kapitel der Verteidigung seiner Heterosexualität zu widmen. Für Arne Friedrich erledigte dies seine „bessere Hälfte“, Friedrichs Freundin bestätigt in der „Bild“, dass ihr Lebensgefährte nicht schwul sei. Manche Profis bemühen sich also krampfhaft etwaige Beschuldigungen aus der Welt zu schaffen. Ein unmögliches Unterfangen. Lahm, verheiratet und Vater eines Kindes, werden die Spekulationen um eine mögliche Homosexualität wohl Zeit seiner Karriere verfolgen.

Hitzlsperger galt während seiner Laufbahn als Musterprofi, der das Klischee des Fußballprolls über den Haufen warf. Der gebürtige Münchner galt als souverän, wissbegierig, ausgeglichen, adaptionsfähig und fast schon als Intellektueller. „Er war der einzige Fußballer, der garantiert mehr Bücher gelesen hat als die Journalisten, die sich mit ihm unterhalten wollten.“, urteilt Die Zeit über ihn. Trotzdem ärgerte sich Thomas, wenn man ihn als „Lernprofi“ bezeichnete, „Kategoriendenken“ war ihm schon damals zuwider. Dieses Bild entsteht allerdings naturgemäß, wenn man die Gespräche in der Zeit-Kolumne „Alles außer Fußball“ mitverfolgt. Hitzlsperger bewies in diesen Interviews Feinempfinden und Weltoffenheit. Das Jüngste von sieben Kindern ist tatsächlich ein außergewöhnlicher Mann geworden.

Er wächst auf einem Bauernhof in Oberbayern auf und wagt mit nur 18 Jahren und ohne die Erlaubnis seines Jugendvereins den Sprung nach England. Besagter Jugendverein ist kein anderer als der FC Bayern und trotz Hoeneß’schem Widerstand wird Thomas‘ neues Zuhause im Jahre 2000 Birmingham: „Das hat mein Leben geprägt: neue Umgebung, neuer Verein, neue Sprache. Und ich merkte, ich hab es geschafft.“  99 Spiele macht er für Aston Villa, wird zum „Hitz – The Hammer“ und zum neuen Publikumsliebling. Danach wechselt er zu Stuttgart, wo er Entscheidendes zum Titelgewinn 2007 beiträgt. Lazio, West Ham, Wolfsburg und Everton folgen, ehe der 31-Jährige im September 2013 seine Karriere beendet. Auch für die DFB-Elf lief Hitzlsperger 52-mal auf. Alles in allem eine erfolgreiche Laufbahn.

Unmännlich oder verweichlicht wirkt der 184cm große Blondschopf wirklich nicht. Auf der Insel, wo der härteste Fußball gespielt wird, hat er sich am Wohlsten gefühlt. 2012 fragt man Thomas ob er ein Problem damit hätte, dass die „autocomplete“-Funktion von Google bei seinem Namen recht schnell „schwul“ als Nachfolgebegriff ausspuckt. „Mich juckt das nicht.“, sagt er damals. Fünf Jahre zuvor wollte er seine langjährige Freundin heiraten, das Paar trennte sich jedoch ein Monat vor der geplanten Hochzeit. „Nach der Trennung dämmert mir, ich hab‘ Gefühle für Männer. Ich möchte mit einem Mann zusammenleben.“, sagt er heute. Wir müssen es ihm glauben, denn einen Gegenbeweis können wir nicht erbringen.  Nadine Angerer, deutsche Fußballnationaltorhüterin, tut sich leichter. Sie gab an, dass das Geschlecht beim Verlieben zweitrangig sei. Gerade im Männer-Profifußball geht es aber bisweilen nur um die Unterteilung in „schwul“ und „hetero“. Es ist als würde man faule Äpfel auf der Obstplantage suchen. Geschlechterrollen wirken schon in der Kindheit und prägen so wie das Umfeld die Vorstellung von Paarbeziehung und Familie.

Direkte Nachfragen nach seiner sexuellen Orientierung hat der Mittelfeldspieler während seiner aktiven Zeit immer als Belastung empfunden, er verurteilt solche Gespräche auch. Denn für Profis geht es heute um viel. Toleranzbeschwörungen und Kampagnen zur Weltoffenheit können nicht hieb- und stichfest auf ihren Effekt geprüft werden.

Justin Fashanu war einst der erste Profi, der die Worte „I am gay!“ öffentlich aussprach. Doch für Fashanu war sein Outing keine Befreiung, sondern der Anfang vom Ende. Der Brite plauderte brühwarm in der yellow press von Liebesabenteuern mit Mitgliedern des britischen Unterhauses und wurde später von einem 17-Jährigen der Vergewaltigung bezichtigt. Daraufhin erhängte sich der Ex-Profi in seiner Garage. In einem Abschiedsbrief gab er zu freiwilligen Geschlechtsverkehr mit dem Jugendlichen gehabt zu haben, dieser wollte ihn anschließend erpressen und lancierte eine Schmutzkampagne gegen den Farbigen. „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart.“. Fashanus Selbstmord, siebeneinhalb Jahre nach dem Outing, war eine kalte Dusche für alle „warmen“ Fußballer. Und eine unfassbare menschliche Tragödie.

MitSCHULD kann man Fashanu an seinem tragischen Schicksal nicht geben, allerdings bleibt die Frage, ob er nicht doch dazu beigetragen hat. Für viel Geld hat er seine Geschichte einst an die Presse verkauft, anschließend tingelte er durch sämtliche Talkshows und streute das Gerücht auch mit konservativen Politikern das Bett geteilt zu haben. Jene Aussage musste er anschließend gerichtlich widerrufen. Auch die Presse vorverurteilte Fashanu, als er des sexuellen Missbrauches bezichtigt wurde, das Verfahren wurde allerdings wegen mangelnder Beweise eingestellt. Trotzdem haben es sich einige Kicker nach diesem Vorfall wohl überlegt ihre Situation an die Öffentlichkeit heranzutragen. Aktuell gibt es nur einen aktiven Profi, der offen schwul ist: Robbie Rogers, 26-jähriger Mittelfeldspieler bei LA Galaxy.

Homo Phobus

Hitzlsperger berichtet heute von homophoben Witzen über die er aber oft auch lachen konnte: „Beim Rassismus weiß man ganz klar gegen wen sich der Hass richtet. Im Fußball gibt es keine bekannten Homosexuellen und daher ist es schwer zu sagen, ob er (der Witz, Anm.) schwulenfeindlich ist.“

Wer im Fußball schwulenfeindlich ist, ist dagegen leicht zu identifizieren. Die ellenlange Liste reicht von Otto Meine Spieler müssen echte Kerle sein. Also können Homosexuelle bei mir nicht spielen.“ Baric über Christoph „Der Schutz der Kinder muss über jeglicher Liberalisierung (gemeint sind homosexuelle Nachwuchstrainer, Anm.) stehen.“ Daum bis hin zu Frank „Außerdem dusche ich immer mit dem Arsch zur Wand“ Rost. Viele im Fußballgeschäft schlugen über die Strenge, wenn sie auf dieses Thema angesprochen wurden und dabei ging es nicht um Schenkelklopfer am Stammtisch. Ausgerechnet eine Spielerlegende und für viele auch der beste Fußballer aller Zeiten äußerte sich zu dem „Tabuthema“ ganz freimütig. Pelé unterrichtete den brasilianischen Playboy: „Als ich 14 oder 15 war, hatte ich eine Reihe homosexueller Beziehungen. Außerdem hatte ich meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Homosexuellen.“ Die Unverblümtheit seiner Aussage deutet schon an wie egal ihm das Thema im positiven Sinn war.

Auch „Hitz“ wirkte in seinem eigenverantwortlich online gestellten Video gelassen. Er brauchte keinen „Stöckelschuh-Witz“ um das Eis zu brechen, sondern wirkte als würde er übers Angeln oder die jüngst vergangenen Weihnachtsfeiertage plaudern. Kein Räuspern, kein verlegenes Grinsen und auch kein dick aufgetragener Pathos unterstrichen die Normalität seiner Aussagen. Die Nachricht ging um die Welt und wird hoffentlich positive Folgen haben. Der Ex-Kicker Hitzlsperger hat nun nach der Beendigung seiner Laufbahn neue Gegenspieler: „Homophobe sollen wissen, sie haben jetzt einen Gegner mehr.“

Mehr Unterstützung der Obrigkeit

In Wahrheit sind aber wohl eh 99% der Fußballwelt Gegner der Homophobie. Egal, wen man fragt: Die meisten Leute sind darüber beschämt, dass ein derartiges Outing im 21.Jahrhundert eine derartige Überwindung erfordert. Diejenigen, die eher den Gregoritsch’schen Macho-Gedanken verfolgen und sich in politischen Diskussionen maßlos über die Homo-Ehe mokieren, bleiben in der fußballbezogenen Homophobie-Diskussion eher kleinlaut. „Mir durch wurscht mit dem der ins Bett geht“. Fußball ist ein sensibles Spiel, so ziemlich jeder Kicker kann über Nacht zum Helden werden und den Shitstorm anderer Fans will man sich dann doch nicht über sich hereinbrechen lassen.

Die Gründe dafür, dass sich aber gerade schwule Kicker mit ihrem Coming Out schwertun, sind mannigfaltig. Schwule Schauspieler, Sänger, Künstler,… alles kein Problem, in den meisten Sparten unseres täglichen Lebens ist Homosexualität salonfähig, wird mit ihr umgegangen, wie es sein sollte. Die Variablen im Männergeschäft Fußball sind jedoch kompliziert. Was habe ich von Mit- und Gegenspielern zu erwarten? Wie werden die Fans reagieren – die eigenen und die gegnerischen? Bekomme ich Rückendeckung vom Verein und meinen Werbepartnern oder wird meine Karriere komplizierter?

Das sind die zentralen Fragen, die sich ein aktiver Fußballer eben stellen muss, bevor er sich zu einem Schritt entschließt, den der mittlerweile Ex-Kicker Hitzlsperger bereits wagte. Um sich als Profifußballer bedenkenlos outen zu können, müssten all diese Faktoren im dauerhaft brodelnden, sozialen Schmelztiegel Fußball an einem Strang ziehen. Dass dies jemals geschehen wird, ist jedoch illusorisch, zumal die fortschreitende Kommerzialisierung die Menschlichkeit im Sport immer mehr in den Schatten rückt, wie ein umstrittener, 77-jähriger Schweizer an der Spitze des Weltfußballverbandes  in einer erschreckenden Regelmäßigkeit bestätigt. Würde es für Homosexualität Geld geben, wären in der FIFA-Straße 20 in 8044 Zürich sowieso alle schwul.

Hitzlsperger machte den Anfang. Weitere Spieler werden folgen, davon ist auszugehen. Um aber das Thema Homosexualität im Fußball endgültig zu enttabuisieren, bedarf es der stärkeren Unterstützung der Obrigkeit. Viele internationale Vereine verankerten die Ablehnung von Homophobie sogar in ihrem Leitbild, erachten ihre Schuldigkeit damit aber als getan, leben diesen Grundsatz nicht offensiv genug. Die Kicker müssen sich auch nach außen hin der Unterstützung durch ihren Arbeitgeber hundertprozentig sicher sein. Nur so kann das Spieler-Fan-Verein-Geflecht homogen genug werden, damit sich schwule Fußballer ohne Bedenken von dem inneren Kropf befreien können, der zwar eigentlich niemanden etwas angeht, aber psychisch viele von ihnen belastet.

Marie Samstag / Daniel Mandl, abseits.at

Marie Samstag

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