Ferencvaros und der Venenscanner: Wie die ungarische Politik den Fußball missbraucht
Fußball & BusinessGesellschaft & Ethik 27.August.2014 Daniel Mandl 7
Seit dieser Saison hat der ungarische Traditionsverein Ferencváros Budapest ein neues Stadion. Diejenigen, die im Stadion für Stimmung sorgen, waren allerdings noch nicht drin. Ein schwer umstrittenes Zutritts- und Registrierungssystem lässt jeden Datenschutzexperten zurückschrecken und sorgt derzeit für einen riesigen Ultra-Protest in unserem Nachbarland. Der aber auch politischer Natur ist…
Die Groupama Arena wurde für etwa 20.000 Zuschauer gebaut und mit einem Freundschaftsspiel gegen Chelsea feierlich eröffnet – wer dieses Stadion betritt, gibt jedoch seine Privatsphäre beim Eingang ab. Als erst zweiter Verein in Europa führte Ferencváros, angeordnet durch seinen Präsidenten Gábor Kubatov, eine Besucherregistrierung mit Hilfe eines Venenscanners ein. Dabei handelt es sich um eine hochtechnisierte, biometrische Software-Hardware-Kombination, die sicherer und betrugsresistenter sein soll, als Augen- oder Fingerabdruckscans.
Der umstrittene Venenscanner
Um eine Dauerkarte bei Ferencváros zu ergattern, ist dieser Venenscan obligat. Der Fan erhält sein Jahresabo, indem er seine Daten angibt und seine Hand in den Venenscanner legt. Zutritt zum Stadion wird dem Fan durch einen neuerlichen Scan von Jahreskarte und Hand gewährt. In der Praxis sieht das Ganze so aus:
Der durchschnittlich interessierte Fan wird nun sagen: Gut so! Endlich ein sicheres Zutrittssystem, das Störenfriede aus dem Stadion fernhält und Person für Person registriert, sodass sie keinen Blödsinn machen können. Dies ist ein Blickwinkel. Ein anderer ist jedoch die extrem umstrittene Datenschutz- und Registrierungspolitik – speziell wenn man die Seilschaften hinter Ferencváros und dem ungarischen Fußball im Allgemeinen näher beleuchtet. Angesichts dessen, dass an dieser Stelle die Politik des Landes ins Spiel kommt, wird’s bedenklich.
„Fradi“-Präsident ein Orbán-Vertrauter
Ferencváros-Präsident Kubatov sitzt für die Partei Fidesz im ungarischen Parlament. Wenig verwunderlich ist er somit ein enger Vertrauter des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dieser wiederum ist komplett fußballverrückt und sorgte dafür, dass in den letzten Jahren auf absurde Art und Weise in den wenig lukrativen ungarischen Fußball investiert wurde. Das neue Stadion von Ferencaros Budapest kostete knapp 45 Millionen Euro. Aber es ist nicht das einzige Projekt dieser Art.
Ein 4000er-Stadion für Orbáns Heimatdorf
Der amtierende Meister Debrecen eröffnete im Mai dieses Jahres sein neues Stadion. Kostenpunkt: Knapp 40 Millionen Euro. Das ungarische Nationalstadion, früher Nep-Stadion, heute Puskás-Ferenc-Stadion, wird auch demnächst neugebaut, wobei sich die Kosten in ähnlichen Größenordnungen bewegen. Und apropos Puskás: Viktor Orbán ist ebenfalls Besitzer eines Fußballklubs, nämlich dem Puskás Akademia FC aus seiner Heimatstadt Felcsút. Das reiche Dörfchen in Zentralungarn hat laut Wikipedia 1.688 Einwohner – und seit neuestem ein Stadion, das 4.000 Zuschauern Platz bietet und knapp 12 Millionen Euro kostete.
Puskás, Honvéd und die Blasphemie
Das neue Stadion, sowie der Vereinsname „Puskás Akademia“ ist zudem eine Provokation gegenüber den Fans von Honvéd Budapest. Der einstige ungarische Fußballstar Ferenc Puskás verbrachte 15 Jahre seiner Karriere bei Honvéd und ist das große Aushängeschild des Klubs aus dem Budapester Stadtteil Kispest. Sein Spitzname „Pancho“, der ihm in seiner Zeit bei Real Madrid verliehen wurde, ziert nun das neue Stadion eines Dorfvereins, der mit Ferenc Puskás nichts zu tun hat. Dies wäre damit zu vergleichen, wenn sich ein neureicher Dorfverein in Österreich mit dem Namen Hans Krankls, Matthias Sindelars oder Herbert Prohaskas schmücken würde. Zu verhindern ist diese fast schon blasphemische Haltung allerdings nicht – immerhin ist der Präsident besagten Klubs der mächtigste Mann Ungarns. Wer ein Transparent zur Solidaritätsbekundung mit den Honvéd-Fans ins Stadion bringen möchte, wird gar nicht erst hineingelassen.
Seilschaften und Geschenke
Die ungarische Liga hat derzeit einen Zuschauerschnitt von knapp 3.000 Besuchern pro Spiel. Dennoch sprießen die Stadien nur so aus dem Boden. Für das Gros der Kosten kommt der ungarische Steuerzahler auf – der Rest wird durch Gefälligkeiten aus der Politik bewerkstelligt. So geschehen in Debrecen: Dort wurde Präsident Gábor Szima für seinen Investitionswillen reich belohnt und von Victor Orbán mit Casinolizenzen ausgestattet. Dass der Chef von Liga und Ligasponsor mit Sándor Csányi nicht nur ein und dieselbe Person, sondern als CEO der größten Bank nebenbei auch der reichste Mann Ungarns und ein Orbán-Freund ist, passt ins Bild. Nicht nur der Mehrheitseigentümer von Diosgyör, Tamas Leisztinger (der zuvor kaum etwas mit Fußball am Hut hatte), wurde von Csányi zu größeren Sponsorings „überredet“. Wie genau die Gegenleistungen aussehen, bleibt der Öffentlichkeit verschlossen. Die zahlreichen Investments in eine international bedeutungslose Liga, in einem Land mit großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen und sehr geringem Zuschauerschnitt, lassen jedenfalls aufhorchen…
Kubatov, der Meister der Listen
Der ungarische Fußball ist ein Spielball der Reichen, eine Kontaktknüpfmaschinerie für Mächtige, vor allem aber ein wichtiges politisches Instrument. Und so schließt sich der Kreis und wir kommen zurück zu Ferencváros-Präsident Kubatov. Der Politiker gilt in seiner Partei als Vorreiter in Bezug auf das Sammeln von sensiblen Daten aus der Bevölkerung. Je mehr man über seine Wähler und Nicht-Wähler wüsste, desto besser könne man sie aktivieren oder gar umpolen. Was in Orbáns Ungarn in vielen Bereichen des täglichen Lebens bereits üblich ist, zieht sich jetzt in die Fußballstadien – und Ferencváros ist das erste Versuchskaninchen.
Wenn Fußballfans eine Gefahr für die Politik darstellen…
Die Ultras von Ferencváros lehnen sich gegen den neuen Registrierungszwang nicht nur aus idealistischen Gründen auf, sondern auch weil ihnen das Leben nach einem „Venenscan“ von politischer Seite wohl nicht einfach gemacht werden würde. Aktive Fußballfans waren in Ungarn schon immer die Triebfeder, wenn es um Proteste gegen Regierungen ging. Diese „Tradition“ geht bis zur stalinistischen Diktatur Mátyás Rákosis zurück und war erst vor wenigen Jahren erneut zu beobachten. Vor diesen Aggressoren hat Orbán Angst – und die Vorgehensweise gegen politisch unliebsame Leute wird immer rigoroser.
…bekämpft man sie mit Schlimmerem
Orbáns Vertrauter Kubatov versucht der aktiven Fanszene von Ferencváros nun jeden Stadionbesuch (ob mit oder ohne Registrierung) so schwer wie möglich zu machen. So wurde zum Beispiel die Security-Truppe „Fradi Security“ einberufen, die die Ferencváros-Fans auf Auswärtsspiele begleitet und „für Ordnung sorgt“. In Wahrheit besteht diese Gruppe aber aus ehemaligen Häftlingen und Polizisten, mafianahen Personen und sogar Mördern. Dass diese Gruppe nicht nur für Auswärtsspiele von Ferencváros parat steht, sondern auch einschreitet, wenn Orbán „politische Probleme“ hat, zeigte ein Zwischenfall, bei dem die „Fradi Security“ eine gewaltlose Besetzungsaktion von liberalen Studenten in der Fidesz-Zentrale gewaltsam auflöste.
Große/beunruhigende Worte in sozialen Medien
Orbán will in Ungarns Stadien „Wildes“ mit „noch Wilderem“ bekämpfen und fängt über seinen Mittelsmann Kubatov beim größten Klub des Landes damit an. Dass das Ziel der aktuellen Entwicklungen nicht primär sicherheitstechnischer, sondern viel mehr politischer Natur ist, liegt auf der Hand. Und noch etwas unentspannter sollte man als zu vertrauensvoller Fan von Ferencváros sein, wenn man bemerkt, dass Mitglieder der „Fradi Security“, viele von ihnen einschlägige Kriminelle, in sozialen Netzwerken bereits von „Hausbesuchen“ sprechen.
UEFA und FIFA werden weiterhin zusehen
Die in eine Putin’sche Richtung driftende Politik von Viktor Orbán ist eine Sache und soll kein Thema für ein Fußballportal sein. Allerdings wird in Ungarn der Fußball gerade für politische Zwecke und Seilschaften der Reichen missbraucht, während das ungarische Volk viel wichtigere Probleme hätte. Die gesamte ungarische Liga ist von Politik geprägt, die Präsidenten der Klubs untereinander homogen, ob der vielen Gefälligkeiten und „Geschenke“, die ihnen geboten werden. Und auch der europäische- und der Weltverband, werden den politischen Hintergrund der jüngsten Entwicklungen wohl kaum hinterfragen. Sowohl UEFA-Präsident Michel Platini, als auch FIFA-Boss Joseph Blatter sind Du-Freunde von Viktor Orbán…
Presse: Wie in einem totalitären Regime (Zitat OSZE)
Die Fanszenen aller ungarischen Klubs ziehen an einem Strang, nicht nur weil auch Auswärtsfans in der neuen Heimstätte von Ferencváros vom umstrittenen Venenscan betroffen sind. In ganz Ungarn gibt es Proteste gegen die Vorgehensweise in Budapest, allerdings versteht nicht jeder stille Beobachter die Hintergründe. Diese werden einer breiten Öffentlichkeit auch nicht auf dem Silbertablett serviert, zumal das ungarische Parlament im Winter 2010 ein neues Mediengesetz verabschiedete, das die Pressefreiheit erheblich beschnitt. Ungarische Schriftsteller unterschrieben eine Protesterklärung in der es heißt: „Das neue ungarische Mediengesetz stellt die Zensur wieder her, missachtet das Prinzip der Gewaltenteilung, widersetzt sich mit allen Mitteln den Grundprinzipien der Demokratie und dem Geist der Freiheit.“
Heimspiel im Pub
Während in allen ungarischen Stadien – mit Ausnahme der neuen Groupama Arena – gegen den Venenscanner protestiert wird, bleiben die Ultras von Ferencváros ihrer Linie übrigens treu. Das Heimspiel gegen Nyíregyháza am vergangenen Sonntag verfolgte man im Pub.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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