Sie sind eigentlich das Salz in der Suppe. Gerade in Österreich wäre Fußball ohne eine organische und breitgefächerte Fankultur undenkbar. Die sportlichen Erfolge sind... Besser als ihr Ruf? – Von Fans, Fankultur und Verständnisproblemen

HooligansSie sind eigentlich das Salz in der Suppe. Gerade in Österreich wäre Fußball ohne eine organische und breitgefächerte Fankultur undenkbar. Die sportlichen Erfolge sind nicht (mehr) das, was man als international zumindest akzeptabel ansehen könnte und das Spiel selbst ist für „Feinspitze“ oft wie eine lauwarme Dosen-Minestrone.

DEN Fußballfan schlechthin gibt es nicht, mit Vorurteilen hat er trotzdem zu kämpfen. Es gibt Typen von Anhängern wie Sand am Meer: Ultras, Kunden, Mitläufer, VIP-Gäste, Fernsehfans, Sympathisanten, Hooligans, A-B-C-Fans, etc.

Medien, Polizei und Politik typisieren aber gerne und nutzen dabei zeitweise ein vorgezeichnetes Bild: Trotz dem hohen wirtschaftlichen Faktor des modernen Fußballes scheint „der“ Fan immer noch den Anstrich eines minderwertigen Zuschauers zu haben. Es geht nicht nur den Fußballfans so, auch Demonstranten werden beispielsweise genormt und mit Befangenheiten abgeschasst. Gruppen, die keine wirkliche Lobby haben, können ja so behandelt werden.

Vielen Journalisten oder auch Politikern fehlt offensichtlich das nötige Fingerspitzengefühl, wenn sie sich mit dem Thema „Fans“ beschäftigen. Es ist auch schwer genügend Empathie zu zeigen, wenn man gewisse Leute von vorneherein als zu mindestens „minderwertig“ ablehnt. Es ist so, wie es Marie von Ebner-Eschenbach schon vor mehr als einem Jahrhundert sagte: „Ein Urteil lässt sich widerlegen, aber niemals ein Vorurteil.“  Umgekehrt haben es auch Experten nicht leicht: Sämtliche wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Fankultur werden von aktiven Anhängern als populistisch zurückgewiesen. Den Autoren wird oft fehlende Nähe zur Szene vorgeworfen. Mit diesem Problem müssen sich wohl alle Soziologen herumschlagen, schließlich sind naturwissenschaftliche Methoden auf Menschen nicht immer fehlerfrei anwendbar. Auf dem Papier sieht vieles anders aus, als wenn man live das Gefühl Fußballfan zu sein erleben darf.

Feststeht wer Fußball sagt, muss auch Fan sagen. Ohne sie geht es nicht. Die Konsumenten des Ballsportes machen diesen erst interessant, sie sind der Rezeptor jeder schönen Aktion und jedes gelungenen Torabschlusses. „Dafür spielt man ja Fußball.“, sagt Patrick Wolf (Sturm Graz), wenn er auf die Kulisse des Gerhard-Hanappi-Stadions angesprochen wird. Die Heimstätte des SK Rapid Wien ist aber nicht der einzige Ort, wo man sich in einen Gefühlsrausch aus Hoffnung, Ekstase, Wut und Angst begeben kann.

 „Kultur ist…

…wenn man einem Volk, das nackt und sorglos in der Wüste gelebt hat, Kleider anzieht und ihm dafür das Öl wegnimmt.“ (Karl Farkas)

Recht hat er, der Herr Professor. Kultur ist aber noch viel mehr: „Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials.“, sagt das Onlinelexikon Wikipedia. Die Fanszenen im Fußball haben sich aus losen Individuen, die Freude am Sport haben, herausgebildet und wurden zu einem sozialen Tragbecken mit festen Sitte- und Moralitätsregeln, die sich von Ort zu Ort unterscheiden. Fußball in Europa ist grundsätzlich eine andere Sache als Sportkonsum in den USA. Wenn man über den großen Teich setzt, wird man verstehen, dass Wettkampf dort über die Unterhaltungsmaschinerie vertrieben wird. Die Yankees gegen die Red Sox sind eine Angelegenheit der Mittelschicht bei der Zuschauerkrawalle so gut wie nie vorkommen. „Für uns ist Sport keine Religion. Wir freuen uns, wenn unsere Mannschaften gewinnen. Aber wir weinen nicht, wenn sie verlieren.“, sagt ein Fan bei eben genanntem American-Football-Duell. In Europa geht’s beim Fußball schon anders zu.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Fußball keine Sache der „kleinen Leute“. Erst mit der Verkürzung der Arbeitszeit und den sinkenden Lebenshaltungskosten konnte sich die englische „working class“ vermehrt dem Ballsport widmen. So stieg der Wettkampf immer mehr zum Massenvergnügen auf. Im restlichen Europa vermehrte sich die Beliebtheit desselben aufgrund ähnlicher Gründe.

In Deutschland kann man etwa seit der Weltmeisterschaft des Jahres 1974 von einer ersten Fankulturbildung sprechen: Einzelne Zuschauer organisierten sich zu einer autonomen Masse mit wiederkehrenden Anfeuerungsritualen und Szenewörtern. Die Gemeinschaften dehnten sich aus und regelten sich intern.

Beschleunigt wurde die Bildung einer Fankultur durch die Kommerzialisierung des Sports: Die Einführung der Ligen und des Profitums. Bald darauf entdeckte auch die (Werbe-)Wirtschaft den beliebten Sport, der aufgrund seiner Simplizität jegliche Kriterien der Massentauglichkeit erfüllte. Die Fankultur entwickelte sich und brachte immer mehr Ausgestaltungen des „Fan-Daseins“ hervor:

Die Ultra-Bewegung entwickelte sich in den 1960er-Jahren in Italien. Schon ihre „Geburt“ stand unter keinem guten Stern: Eine italienische Zeitung benutzte den Begriff „Ultra“ erstmals um Anhänger des FC Turin zu beschreiben, die einen verhassten Schiedsrichter bis zum Flughafen verfolgt hatten. „Ultra“ wurde also mit „besonders fanatisch“ oder „verrückt“ gleichgesetzt. In den 80er- und 90er-Jahren verbreitete sich die Bewegung in Europa. Mit Bengalen und handgemachten Choreografien stellten sich die Crème de la Crème der Fans in ihren jeweiligen Ligen vor und die Berichterstattung war zunächst skeptisch aber auch ehrfurchtsvoll. Heute sind viele Medien den Ultras gegenüber nicht nur misstrauisch, sondern fast schon feindselig eingestellt. Der Otto-Normalverbraucher, der mit Fußball wenig am Hut hat, denkt oft gleich an Terror und Randale, wenn es um dieses Thema geht. Verständnisprobleme lassen grüßen.

Rund 50 Ultra-Gruppierungen gibt es in Deutschland. In Österreich sind die Ultras Rapid der älteste und bekannteste Zusammenschluss solcher „Extrem-Fans“. Die Ultras sind Systeme der Leidenschaft und das Herzstück der Fankultur: Sie verfügen über eigene Internetauftritte, geben Fanzines heraus, vertreiben selbstgestaltete Fanartikel und werden hierarisch geführt, sowie autonom verwaltet.

„Euer Hobby ist unser Leben“

Nicht nur in der Kurve sind die Ultras in den meisten Stadien ein Stimmungsbarometer, meist sind sie noch vielmehr. Positives wie praktisch angewandte Basisdemokratie trotz einer hierarchischen Struktur, wo man sich die eigene Position nicht „erschwindeln“ oder „erkaufen“ kann, sondern „erarbeiten“ muss, werden von den Medien meist nicht erwähnt. Dabei gibt es wenige Sub- oder Jugendkulturen, in denen diese Praxis so konsequent durchgezogen wird: Ältestenrat, Kassenwart, Sprecher, Capo. All diese Ämter sind fester Bestandteil von Ultra-Gruppierungen.

Die Ultras sind die Meinungsmacher im Stadion: Sie plakatieren, was andere nur denken. Grundsätzlich stehen sie auch der „Verwirtschaftlichung“ des Sportes kritisch gegenüber: Ultras sind Vorkämpfer gegen Verteuerung der Tickets, unmögliche Anstoßzeiten, umstrittene Sicherheitskonzepte, sowie die Kommerzialisierung des Wettkampfs. Ihre „Vorbildfunktion“ führt manchmal zu Gutem oder zu weniger Gutem: Beispielsweise halten die Ultras Rapid ihre Hand darüber, dass die Szene auf der Westtribüne unpolitisch bleibt. In den 90er-Jahren war das nicht immer so, doch die „Koexistenz“ zwischen Rechtsextremen und den Ultras löste sich auf. Beim Stadtrivalen Austria Wien kommt es heute leider immer wieder zur Zuschaustellung neonazistischen Gedankengutes in der Kurve.

Die Vereine brauchen ihre „fanatischen Fans“: Diese finanzieren den Klub über Umwege, auch wenn in heutigen Zeiten das Budget weniger durch Ticketeinnahmen und Fanartikelumsätze gefüllt wird. Stell dir vor, es ist Fußball und keiner geht hin? Unbegreiflich.

Die Macht der „Hardcore“-Fans kann demzufolge manchmal auch weit reichen: 2011 bekam Manuel Neuer von den Bayern-Ultras der Schickeria einen Verhaltenskodex vorgelegt. Demnach durfte sich der Ex-Schalker weder dem Zaun der Südkurve nähern, noch das Wappen küssen oder mit dem Megafon Fangesänge vorgeben. Überraschenderweise akzeptierte der Torwart die Vorschriften. Selbst nach den jüngsten Erfolgen der „Roten“ bleibt das Verhältnis einiger Weniger zum Schlussmann getrübt, noch auf der Meisterfeier 2013 wurde Neuer von einigen Schickeria-Fans angepöbelt.

Gut oder böse?

Der Hütteldorfer Block West ist für Medien und Zuschauer ein zweischneidiges Phänomen: Einerseits assoziiert man mit den dortigen Rapid-Fans bedingungslose Unterstützung von Birmingham bis Tripoli und von Favoriten bis Famagusta. Eine Stimmung, die die Ohren glühen lässt und der eigenen Gänsehaut einen Stammplatz beschert. Andererseits rücken immer vermehrter Bierduschen, Spuckregen und das Werfen mit Gegenständen in den Fokus der Öffentlichkeit. Festnahmen außerhalb des Fußballplatzes stehen auch des Öfteren in Verbindung mit der Westtribüne (Westbahnhof, Saloniki, etc.). Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wenn man bedenkt, dass beim Westbahnhof-Prozess 75 Personen verurteilt wurden, die Westtribüne 2.500 Sitzplätze hat, die Ultras Rapid rund 300 Mitglieder haben, kann man wohl nicht pauschal urteilen. Krawalle werden in einigen Medien des Öfteren mit den treuesten Fans gleichgesetzt. Schade, dass eine Minderheit so rufmörderisch für einen Großteil der Fans, die einfach nur Fans sein wollen, wirkt.

Gerade die Rapid-Fans sind für ihre Selbstorganisation bekannt. Projekte von Fans für Fans machen den SCR bekannt, nicht (mehr) dessen sportliche Leistung. Engagement sieht man bei den Initiatoren des Rapideums oder des Rapid-Laufes. Primär beschäftigen sich die Fans jedoch naturgemäß mit der Zukunft ihres Vereines, so wurde die Mitgliederinitiative „Initiative Rapid 2020“ gegründet, die einen wirtschaftlichen und sportlichen Umbruch einläuten sollen. Aber auch schwächeren Mitgliedern der Gesellschaft zeigt sich die Szene zugetan: Die Ultras Rapid begründeten die Aktion „Wiener helfen Wienern“. Im Dezember 2013 wurden 25.000 € „ersammelt“ und an ein Kinderhospiz im 14. Wiener Gemeindebezirk überreicht.

Viele Anrainer und Familien mit Kindern, die die Stadien besuchen, stehen dem lautstarken Anmarsch, dem angeschlagenen Ton sowie Begleiterscheinungen wie knallenden Böllern meist –gelinde gesagt- misstrauisch gegenüber. Schwer ist und bleibt es unterschiedliche Geschmäcker unter einen Hut zu bringen. Die friedliche Koexistenz muss erreicht werden. Mehr nicht. Gut oder böse? – Das steht gar nicht zur Debatte. Es gibt eben solche und solche.

Ultraleicht – Religion zum Mitnehmen

Die Ultrabewegungen sind so unterschiedlich wie jene Vereine, für die ihre Herzen schlagen. Gemeinsam haben sie nur, dass sie organisiert sind und ihre Leidenschaft sieben Tage pro Woche auszuleben versuchen. Kennzeichen beim Spiel? Animierendes Spektakel durch Choreografien und Pyrotechnik. Manche Zusammenschlüsse grenzen sich elitär von den übrigen Fans ab, andere wollen eine Art Sammelbecken für die Anhängerschaft des eigenen Vereines sein. Supportfreudig sind sie alle. Viele opfern kostbare Zeit der Vorbereitung eines kurzen (Choreo-)Vergnügens. Bei Sturm, Schneefall oder 35 Grad im Schatten singen und hüpfen Hardcore-Fans herum, peitschen ihr Team nach vorne und erleben dabei eine Art pseudoreligiöse Verzückung. Die Unterstützung der Mannschaft bietet für viele Fans eine andächtige Alternative: Feste Riten und das Durchleben intensiver Gefühle schweißt zusammen. Wut, Trauer und Frust werden ausgelebt, indem man sich über drei Punkte freuen oder über null Punkte ärgern kann.  Gruppendynamik, die sich manchmal auch negativ auswirken kann.

Die breite und aktive Masse der Fußballfans ist jugendlich. Wie jede männlich-dominierte Jugendkultur beinhaltet auch die Fanszene die klassischen Merkmale: Rebellion, Aufbegehren und ein gewisses Gewaltpotenzial. Wobei Letzteres noch lange nicht heißt, dass es sich um die manifeste Ausübung desselben handelt. Vielmehr ist damit ein latentes Reservoir gemeint, das sich besonders in einer hierarchischen Stufenfolge und Uniformität äußert. Eine Untersuchung unter deutschen Ultras bestätigt dies: 37,6% schätzen sich als friedfertig ein, 45% bezeichnen sich als in gewissen Situationen tendenziell gewaltbereit. Als gewalttätig oder gar angriffslustig bezeichnet sich nur eine geringe Minderheit (1,8% und 5,5%).

Roland Kresa, Gründungsmitglied der Ultras Rapid, erzählt dazu im „Ballesterer“: „Meine Philosophie bei der Gründung der Ultras war, dass ich die Leute von der Straße wegbekommen will, weil es eh schon bergab gegangen ist mit den Hooligans und den Drogen.“

Bei der „tendenziellen Gewaltbereitschaft“ geht es um eine Art Verteidigungshaltung. „Wenn uns jemand angreift, würden wir die Kurve verteidigen. Das würden hier selbst die 70 Jahre alten Rentner machen.“, sagt ein Frankfurter Ultra. Damit ist die Geisteshaltung der Meisten treffend umschrieben: Man will sich nichts wegnehmen lassen und hält sicher nicht die andere Wange hin. Auch typisch für Subkulturen und nichts Außergewöhnliches.

Aua! – Gewalt ist nicht fußballspezifisch

Ich habe das Gefühl, dass ich immer, auch wenn ich mich nur im privaten Kreis zum Thema Fußballgewalt geäußert habe, verständnislosen Gesprächspartnern gegenüber saß. Insbesondere die Benutzung des Begriffes „Hooligan“ disqualifizierte mich in den Augen Einiger recht bald. Die Verwendung eines hollywoodartigen-geschnitzten Begriffes, heißt aber nicht, dass man jeden  Faustkampf als „Pfui, böse!“-Aktion von armen, asozialen Menschen, die man sowieso nicht ernstnehmen kann, verurteilt. Die Wahrheit ist, dass kritisches Denken nicht nur in solchen Momenten von entscheidender Bedeutung ist. Nicht jeder, ist ein armes Schwein, der auf Schlägereien abseits des Platzes „steht“. Nicht jeder Alkoholiker liegt als Sandler auf der Parkbank, nicht jeder Heroinsüchtige prostituiert sich. Nein, ebenso fallen die unterschiedlichsten Leute mit den unterschiedlichsten Motiven in diese Kategorien. Stereotypen sind, wie fast immer, fehl am Platz. „Hooliganismus“ mag als Begriff sperrig klingen und es erscheint für viele prinzipiell absurd über solche Phänomene methodische Feststellungen zu treffen. Fest steht, dass es den Begriff und den dazugehörenden Menschenschlag gibt.

Konkret würden sich wohl nicht viele „Erlebnisorientierte“ als „Hooligans“ bezeichnen. „Ein alberner Ausdruck“, sagt ein Protagonist. Das stimmt teilweise, denn er suggeriert, dass es sich um Menschen handelt, die nach einer „Leidenschaft“ abgekanzelt werden. Studien haben schon längst bewiesen, dass nicht alle, die unter diesen Begriff fallen, das heißt, Besucher von Fußballspielen, welche regelmäßig Zusammenstöße mit rivalisierenden Fangruppen und/oder Polizei suchen, aus kaputten Familien kommen und arbeitslos sind. Der prozentuale Anteil an Menschen mit Problemen mag tendenziell höher sein, doch sind viele für dieses Jugendphänomen empfänglich.

Die Darstellung von Gewalt in mannigfaltigen Formen beim Fußball ist in den Medien vielfach verzerrt. Rau und wild geht es in jedem Fall in der Fankultur zur Sache. Die Sprache ist vielfach gossenhaft, zotig, vulgär. Na und?! Dem einen oder anderen wird das zu viel – viel zu viel sogar. Aber eine persönliche Schamgrenze ist noch lange nicht die moralische Schranke für alle anderen. Viele kennen folgendes Szenario: Man sitzt im Stadion hinter/vor/neben jemandem, der 90 Minuten lang die eigene Mannschaft beschimpft. Vollkommen unnötig. Aber im Fußball liegt nun mal eine zerstörerische Kraft. Es geht nicht um Argumente und Ausgeglichenheit. Hier darf man – in gewissen Rahmenbedingungen – die Sau rauslassen. Alles hat seine Grenzen aber grundsätzlich muss man den Leuten fluchen und kommentiertes Mitzittern zugestehen.

Manifeste Gewalt muss rigoros verboten werden. Das heißt keine Toleranz gegenüber Schlagen, Spucken, Kratzen, Rempeln, Treten, Beißen, Werfen von Gegenständen (Bierduschen) auf Spieler, Fans, Polizei und so weiter.

Verbale Provokation ist aber wohl nicht zu verbannen. An dem Einen geht die Beleidigung der Frau Mama vorbei, der Andere sieht das nicht so. „Sohn einer Hure“-Gesänge sind für viele der Gipfel der Ausfälligkeiten, wie man hier jedoch eine Grenze ziehen will, ohne moralische Instanz, sondern dabei Fußballverein oder Gesetzgeber zu bleiben, muss erst noch definiert werden. Stellt doch der Fußballplatz, trotz seiner durchmischten Fanszene, für viele immer noch eine Art Freiraum zur Selbstverwirklichung oder auch nur zur Entspannung dar. Nicht jeder hat das Glück seinen Ausgleich im Beruf, in der Familie oder einem anderen Hobby zu finden. Manche tragen ihr „Päckchen“ schon seit ihrem Eintritt in die Welt mit sich und öffnen die Dampfluken samstag-, sonntagnachmittags.

Feindbild: Polizei

„Keine Ultra-Gruppe distanziert sich dezidiert von Gewalt“, sagt Michael Gabriel, der Koordinator aller deutschen Fanprojekte. Dafür kommt Gewalt im Stadion in Deutschland relativ selten vor. Es gibt keine 0,05 % Verletzte nach einem Spieltag in der Bundesliga.

Auch die österreichischen Stadien sind grundsätzlich sicherer als jede U-Bahnstation und jeder Park um Mitternacht. Zwar gibt es durchschnittlich deutlich mehr Anzeigen als in Deutschland, ein Gefühl der Unsicherheit besteht jedoch bei den Besuchern großteils nicht. Die vereinzelte Berichterstattung der Medien führt dazu, dass nicht-fußballbegeisterte Menschen oft immer noch eine Horde Brutalos bei sämtlichen Bewerbsspielen vermuten. Die Seltenheit der Vorkommnisse soll nicht davor täuschen, dass oft grausige Verletzungen passieren. Angriffe auf Unschuldige sind wohl das Widerlichste, das man sich in diesem Kontext vorstellen kann. Sachbeschädigung ist auch nicht zu tolerieren. Menschen, die so unschuldig zum Handkuss kommen, werden durch Statistiken nicht getröstet.

Wer nicht an Massendynamik glaubt, sollte sich die Video-Aufnahmen vom Platzsturm einiger Rapid-Fans im Mai 2011 nochmals ansehen. Sobald die „Pioniere“ am Feld waren, kochte es auf fast allen Tribünen. Auch einige violette Fans hüpften hinter den Ordnern wie Affenmännchen mit Drohgebärden. Die wahren Affen waren aber jene, die aus dem Gästesektor kommende Fackeln wieder zurück in denselben beförderten. Keine hilfreiche Aktion beim Kampf um die Legalisierung der Pyrotechnik in den Stadien. Diese Unberechenbarkeit degradiert den Fußball in der öffentlichen Diskussion immer wieder aufs Neue. Es ist wie bei einem Flugzeugabsturz: Kommt selten vor, aber wenn gibt es jedes Mal eine Katastrophe.

Politiker, die noch kein Stadion von innen sahen, melden sich alle Jahre wieder zu Wort und geben ihren Senf dazu, wenn es um die Sicherheit bei Ligaspielen geht. Die deutschen Ultras protestierten vernetzt gegen neue DFB-Leitlinien mit einem zwölfminütigen Stimmungsboykott. Das Erlebnis „Fußball“ verkam für diese Zeit zu einem simplen Spiel mit zwei Toren und zweiundzwanzig Spielern. Leidenschaftslos und langweilig.

Volksvertreter, der jeweilige nationale Fußballverband und die Polizei sind vielfach die „natürlichen“ Feinde eines Fußballfans. Polizeipräsenz und Deeskalation ist bei der großen Rivalität der Vereine heutzutage von Nöten, doch die Kommunikation stimmt nicht immer. Es fehlt oft das oben schon zitierte Fingerspitzengefühl. Der Polizist ist für viele Fans ein Angstgegner, denn er hat „immer“ Recht. Warum eigentlich? Hinter der Exekutive stehen nicht irgendwelche Roboter sondern auch „nur“ Menschen, die Fehler machen oder – und hoffentlich gibt es die nur im Promille-Bereich – Fehler machen wollen. In den 80ern erzählte ein junger Hooligan vom Berliner Fußballclub Dynamo, dass er sich demnächst beim Bundesgrenzschutz bewerben würde. Der erstaunte Reporter befragte ihn nach dem Grund dafür: „Um ein Abenteuer zu haben für das du nicht bestraft werden kannst. Dann darfst du‘s ja.“ Der deutsche Bundesgrenzschutz wird bei Demonstrationen und auch bei Fußballspielen eingesetzt, der damals 15-Jährige hätte also sein Hobby zum Beruf gemacht.

Höchstwahrscheinlich gibt es nicht viele seiner Art, es sei aber verdeutlicht, dass auch ein Polizist bei seiner Machtausübung gewollt oder ungewollt schon mal über die Stränge schlagen kann. In jüngster Zeit wurde vor allem die Handhabung der Stadionverbote kritisiert. Deren präventive Wirkung ist stark umstritten. Zur Verdeutlichung muss aber gesagt werden: Es handelt sich hier nicht um friedliche Chorknaben und wer sich daneben benimmt, muss bestraft werden. Null Toleranz.

Die Wertigkeit von veröffentlichten Statistiken gilt es ebenso kritisch zu hinterfragen. 2009 gab das Bundesministerium für Inneres bekannt, dass sich die Gewalt in Stadien verfünffacht habe. Wer innerhalb der jeweiligen Fangruppe gewalttätig sei und wie viele Verfahren wieder eingestellt wurden ist nicht öffentlich bekannt. Die damalige Bundesinnenministerin Maria Fekter reagierte auf diese Auswertung mit einer Gesetzesinitiative zum Verbot pyromanischer Gegenstände: Hilft bestimmt sehr wenn man einem Lungenkranken die Hand eingipst.

2013 befindet sich der Statistikwert bezüglich Gewalt in Fußballstadien an einem seiner niedrigsten Punkte. Bei den Länderspielen des österreichischen Nationalteams kam es seit Juli 2012 zu keiner einzigen Anzeige wegen eines Gewaltdeliktes, der Verwendung von Pyrotechnik oder eines rassistischen Zwischenfalles. Um 90% gingen die Anzeigen bei Spielen des ÖFB-Cups zurück.

„Das Hölzchen brennt gar loh und licht“ – Das Problem Pyrotechnik

Beim Thema Pyrotechnik zeigt sich deutlich die Ambivalenz innerhalb der Medien. Wieder einmal wird mehr als offensichtlich, dass Fußballfans immer noch über keine ausreichende Lobby verfügen. Beim Nachtslalom in Schladming sind Fackeln als Stimmungsmacher gern gesehen, beim Fußball verkommen sie zum Mordobjekt von haltlosen Randalierern. Schon klar, 2000°C heiße Bengalos sind im wahrsten Sinne des Wortes BRANDgefährlich. Grundsätzlich werden die Gegenstände aber von Personen gehandhabt, die sorgsam genug damit umgehen. Auch hier kontrollieren sich die Fanszenen mit Erfolg selbst und reinigen sich von Unverlässlichen.

In der Öffentlichkeit wird dem durchschnittlichen Fan der Umgang mit dem Material aber noch immer nicht zugetraut. Die Vorurteile ihm gegenüber –  nicht nur was Pyrotechnik, sondern auch was Gewaltbereitschaft und sonstiges anbelangt – scheinen konservierbar. Wenn man ähnliches über andere Gruppen sagen würde, würde man als unbelehrbarer und intolerant gelten.

Daniel Nivel wird das nicht trösten. Der französische Polizist ist, nachdem ihn deutsche Hooligans einst fast totgeschlagen und –getreten haben, heute behindert. Auch für andere Opfer der Gewalt, die physische oder psychische Schäden davontrugen oder gar nicht mehr nach Hause kamen, ist Verständnis für solche „Fans“ fehl am Platz.  Verständnis für Leute, die sich nicht an die Regeln halten, ist auch nicht wünschenswert. Pauschalverurteilungen einer ganzen Szene sollten aber (schon längst) der Vergangenheit angehören.

Die Grenzen zwischen den „Fantypen“ – wenn man dieses Unwort doch einmal gebrauchen will – sind fließend: Gerade im ehemaligen Osten Deutschlands radikalisiert sich die Szene zunehmend. Um Fußball als Wettkampf geht es in den unteren Ligen nicht. Es läuft einem schon ein Schauer über den Rücken, wenn fast der ganze Block bei Auswärtsspiel „Judenschweine!“ brüllt und ein maskierter „Fan“ später um Akzeptanz wirbt: Das sei doch alles nicht so gemeint.

Patentlösung gibt es keine und man bleibt irgendwo zwischen Nachsicht und Intoleranz hängen. Sinnlos wäre es ganze Gruppen pauschal auszuschließen, die Probleme würden sich nur verlagern. Zweckmäßig wäre noch mehr Kommunikation zwischen Fans, Vereinen und dem Gesetzgeber, damit der Fußball allen gehört.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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