„Der König ist tot. Lang lebe der König!“ – so schlimm ist es zum Glück noch nicht: Weder Pelé (O Rei) noch sein legitimer... Die WM und ich – Viertelfinale: Brasilien – Kolumbien

Foul„Der König ist tot. Lang lebe der König!“ – so schlimm ist es zum Glück noch nicht: Weder Pelé (O Rei) noch sein legitimer Nachfolger, Neymar jr., haben das Zeitliche gesegnet. Bildlich gesehen ist die weitere WM-Endrunde für Brasiliens aktuelle Nummer 10 aber tatsächlich gestorben: Der 22-jährige erlitt gestern im Spiel gegen Kolumbien einen Wirbelbruch und fällt somit für das Halbfinale sowie ein mögliches Endspiel oder das Match um Platz 3 aus. Neymar hätte die Seleção zum Triumph im eigenen Land führen sollen, jetzt wird er das kommende Match gegen Deutschland nur vom Krankenbett aus verfolgen.

Von Maradona über (Urs) Meier bis hin zu Mehmet (Scholl) fanden sich auf der ganzen Welt Kritiker der Leistung des Schiedsrichters. Während sich der Ex-FCB-Spieler allerdings vermehrt über das Brutalo-Foul am Stürmerstar ausließ, diskutierte Maradona den „Geheimplan“ der Brasilianer: Eine Verschwörung mit der FIFA solle den Gastgeber ins Finale führen, dazugehöre es auch, dass der Referee den Samba-Kickern viel durchgehen ließe. Der argentinische Weltmeister hätte Tormann Cesar, sowie David Luiz und Hulk gerne mit Rot vom Platz gehen sehen.

Ex-Schiri Urs Meier kritisierte hingegen die hohe Hemmschwelle für gelbe Karten bei dieser WM-Endrunde. Das Turnier verkomme zu einem „Treter-Festival“, weil die Schiedsrichter nicht hart genug durchgreifen würden, so Meier. Tatsächlich kam es bereits zu mehreren unerfreulichen Zwischenfällen: Suarez Beißattacke, Girouds und Sakhos ungeahndete Ellbogenstöße sowie Robbens Schwalbe(n) gehören zu den unsportlichen Nebenschauplätzen in den Spielnachbesprechungen.

Aua!

Mit Neymar löste gestern ein Topstar das Ticket zum Krankenhaus ein. In einem körperlich-harten Spiel erwischte es am Ende zwar einen Brasilianer, allerdings „holzte“ vorwiegend die, eigentlich für gepflegten Fußball bekannte, Seleção „hinein“. Teamchef Scolari präsentierte sich nach den 90 Minuten zwar einsichtig, bezeichnete das Zweikampfverhalten seiner Truppe allerdings höflich als „engagierter“ als jenes der „Cafeteros“. Seit Anbeginn dieses Turniers scheinen sich die Brasilianer vorwiegend aufs Kämpfen zu fokussieren.

Es liegt in der Natur der Sache: Kleine Fußballnationen sowie spielerisch-schwächere Teams müssen die fehlende Klasse durch einen besonderen Einsatz an Härte ausgleichen. Doch gibt es einen Unterschied zwischen sportlicher Aggressivität und simpler Brutalität. Im modernen Fußball wird getrickst und gemogelt: Rücksichtslosigkeit beginnt nicht beim Ellbogencheck und hört auch nicht beim hohen Bein auf. Taktische Fouls, Schwalben, Zeitschinden, Pöbeleien, etc. sind auch Ausprägungen von Gewalt, die wenig mit Sport zu tun haben. Im Rahmen eines guten taktischen Konzeptes kann beim Fußball – so wie beim Pokern – auch mit qualitativ-schlechterem Spielermaterial ein Sieg errungen werden. Doch die Grenzen zwischen Cleverness und Unsportlichkeit verwischen zunehmend.

Schon 1974 hatte Berti Vogts Einsatz als „Kettenhund“ gewichtigen Anteil am Titelgewinn der DFB-Elf. Damals nahm der – fußballerisch-limitierte – „Terrier“ Hollands Superstar Johan Cruyff aus dem Spiel und leistet so seinen Beitrag zum knappen Finalsieg der Deutschen. Auch „Berti“ sah sich mit Kritik konfrontiert:Wenn ich so Fußball gespielt hätte wie Berti Vogts, so als reiner Wadenbeißer, dann hätte ich mit 18 Jahren meine Fußballschuhe verbrannt.“, tönte Klaus Toppmöller in Richtung desfünffachen deutschen Meisters.

Doch es gibt nicht nur Fußballbegeisterte, denen körperbetonte Spieler einfach „zu minder sind“, da sie grazile Edeltechniker bevorzugen. Problematisch ist, wenn Kickern, die eine härtere Gangart pflegen, vorgeworfen wird, sie würden hauptsächlich mit unfairen Mitteln kämpfen. Auch hierzu musste sich der Ex-Möchengladbach-Spieler anhören:Vogts ist doch nur ein Weltklasseverteidiger geworden, weil er wie ein Berserker ausgeteilt hat.“ (Friedhelm Funkel)

Wie und wo man eine Grenze ziehen will, bleibt oft Geschmacksache. Doch jedem Fan sollte klar sein, dass man mit elf Messis auch kein Spiel gewinnt. Es gibt nun mal unterschiedliche Positionen mit unterschiedlichem Handlungsbedarf.

Modern Times

FIFA-Blatter und UEFA-Platini haben sich nach der modernen Tortechnik und dem Freistoßspray bereits den nächsten Coup überlegt: Die Trainer sollen in naher Zukunft in der Halbzeitpause zwei Einspruchsmöglichkeiten wahrnehmen könne. Nur Szenen, bei denen das Spiel unterbrochen wurde, sind diskussionsfähig und können per Videobeweis analysiert werden.

Solche „Veto-Rechte“ stehen stets im Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Spielfluss. Die „einfachere“ Variante könnte eine häufig tagende Ethikkommission für strittige Fälle darstellen. Wenn „Beißer“ Suarez für vier Monate gesperrt wird, warum kann man ein derartiges Urteil als Präzedenzfall nicht auch auf andere Grobheiten umlegen? Beispielsweise könnte man bei dieser Endrunde so auch Olivier Giroud ins Gebet nehmen: Zweimal fuhr der Franzose seinen „coude“ aus, zumindestens der Check im Achtelfinale roch nach Absicht.

Auch Ex-Profi Mark van Bommel, der eine Vorliebe für das Kneifen der gegnerischen Kronjuwelen hatte, wurde mehrfach vor Kontrollausschüsse zitiert. Richtig-schmerzhafte Pausen setzte es für den Verteidiger aber nicht: Ein (wiederholter) Biss – 4-Monate-Sperre, ein (wiederholter) Hodengrapscher – 3-Spiele-Sperre. Solche Extremfälle aller Richtungen könnten in einer Post-Match-Instanz „abgearbeitet“ werden: Wiederholte Schwalben, häufige taktische Fouls oder (eindeutig erkennbare) verbale Insultation sind nicht tolerierbar.

Zwar werden schon jetzt in den meisten Ligen grobe Unsportlichkeiten immer wieder untersucht und bestraft, die Häufigkeit solcher Erkenntnisse müsse sich aber verdoppeln, um den Fußball sauberer zu machen. Kicker, die immer wieder gesperrt werden, werden es sich letztendlich überlegen, ob sie ihre Spielweise nicht doch ändern. Außerdem verhindern Zwangspausen, die nach dem Match ausgesprochen werden, ein „Verpfeifen“ des Spieles durch den „schwarzen“ Mann.

Doch das ist alles Zukunftsmusik. Für das laufende WM-Turnier kann nur gesagt werden, dass man die Gangart viel früher reglementieren hätte müssen. Ein Eingreifen der Schiedsrichter ist längst überfällig. Im Notfall gilt aber auch hier: Besser spät als nie.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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