Da war es also. Das letzte Spiel im Gerhard-Hanappi-Stadion. Zumindest das letzte Spiel, in dem es um Punkte geht. Mit diesem Bewusstsein reisten die... Kommentar | Die letzten Stunden mit St.Hanappi

Block West RapidDa war es also. Das letzte Spiel im Gerhard-Hanappi-Stadion. Zumindest das letzte Spiel, in dem es um Punkte geht. Mit diesem Bewusstsein reisten die Fans des Rekordmeisters am Sonntagnachmittag zum Heimspiel Rapids gegen Wacker Innsbruck. Noch ist nichts in trockenen Tüchern, aber die Atmosphäre, die der Verein rund um den immer wahrscheinlicher werdenden Stadionneubau aufbaute, legte nahe, dass mit dem Abpfiff des Spiels der 35.Runde eine Ära beendet wurde. Anfang Juli kommt mit Celtic Glasgow zwar noch ein „Abschiedsgegner“, aber für die meisten Fans hat dieses Spiel kaum Wertigkeit, ist eher als Event zu sehen.

Es war ein seltsames Gefühl, das sich am frühen Nachmittag des 4.Mai 2014 in Wien-Hütteldorf breit machte. Viele Fans waren ungewöhnlich früh in den 14.Bezirk angereist. Noch immer herrschte ein wenig Ungläubigkeit darüber, dass dies nun die letzte Episode mit jener bauträchtigen, aber doch so vertrauten Heimstätte werden würde. Im Rapid-Dorf hört man immer wieder dieselben Fragen: „Is‘ jetzt wirklich scho fix?“, „24.000 hab i g’hört“, „Weiß man scho, wie’s heißen wird?“ – die Neugier über die Zukunft des Vereins, die nun mal mit dem Bau eines modernen Stadions steht und fällt, ist spürbar.

Als man das letzte Mal in einem Punktspiel die Drehkreuze passiert, zieht eine leichte Gänsehaut auf. Das Spiel und das Ergebnis sind zweitrangig. Blamieren möchte man sich gegen den Tabellenletzten freilich nicht, aber auch wenn ein unrühmliches Spiel gegen den SV Mattersburg vor einigen Jahren als Mahnmal herhält, glaubt ohnehin niemand dran, dass in diesem prestigeträchtigen Spiel etwas schiefgehen könnte.

Der Weg vom Eingang zum Abo-Platz ist wie ein Spaziergang durch die Geschichtsbücher. Wie oft ging man diesen Weg schon? Manchmal lief man ihn sogar, weil man spät dran war. Das Tor von Nikica Jelavic gegen Aston Villa nach nur 16 Sekunden, das damals nicht jeder zahlende Zuschauer live miterlebte, ist das Paradebeispiel dafür, was im von Josef Hickersberger „umgetauften“ St.Hanappi alles möglich ist. Es ist freilich überall möglich, aber wenn kleine oder auch größere Fußballwunder im Westen Wiens passierten, assoziierte man sie stets mit der traditionellen Heimstärke Rapids, den Fans, die all dies erst möglich machen und nicht zuletzt mit dem Wohnzimmer, in dem Gäste für gewöhnlich keine Getränke angeboten bekamen und sich unwohl, fast schon klein fühlten. „Das gibt’s nur bei Rapid“ – abgedroschen und zumindest auf nationaler Ebene doch wahr.

Als man die Stufen in den zweiten Rang hinaufstieg, während die Mannschaften in den letzten Zügen ihres Aufwärmprogramms standen, erhebt sich noch einmal das lange nicht mehr prächtige Bauwerk, in dem man viele hundert Stunden verbrachte und das trotzdem immer für Überraschungen gut war. Melancholische Momente. Einige Fans bleiben am Stiegenaufgang wie angewurzelt stehen und starren noch einmal auf das Spielfeld, bevor es zum letzten Mal Action gibt. Aber sie bleiben nicht zu lang stehen. Man will sich’s selbst nicht zu schwer machen. Es mag wie ein Abschied von einer geliebten Personen oder Minuten am Sterbebett klingen – in Wahrheit ist es für viele Fans aber nur das Ende eines ereignisreichen Kapitels, dem in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein neues hinzugefügt wird. Eines, auf das man gespannt ist, dem man aber trotzdem in Ungewissheit entgegenblickt. Nur nicht zu sentimental werden, es ist ja nur ein Umzug und kein Ende.

Dem Fußballverweigerer wird es schwer fallen, sich in diese Situation hineinzuversetzen. Schließlich geht es lediglich um ein Bauwerk. Für den Fan, Anhänger, Fanatiker und auch für Spieler und Funktionäre war es aber viel mehr. Das Hanappi-Stadion ist nicht einfach nur der Ort, an dem die zentralen 90 Minuten der Fußballwoche stattfanden. Es ist der Ort, an dem gestandene Männer und kleine Kinder dieselben Emotionen durchlebten. Hier haben sie gefeiert, gejubelt, geflucht, gelitten und geweint – letzteres aufgrund zweierlei Emotionen. Hier waren sie zufrieden, auch wenn es neben vielen großen Siegen auch einige bittere Niederlagen gab. Hier waren sie zu Hause.

Eine entspannte Partie nahm ihren Lauf und man war großteils auf das Geschehen auf dem Spielfeld fokussiert. „Des Spüü haaßt nix“. Erst als die Rapid-Viertelstunde eingeklatscht wurde, realisierten die Zuseher wieder, welche Stunde geschlagen hatte. Irgendwie versuchte man die letzten Minuten noch aufzusaugen, viele Fans machten Videos vom letzten Wechselgesang im alten Zuhause. Nach Marcel Sabitzers 2:0 war es nicht mehr wichtig, wie hoch Rapid gewinnen, sondern wer das letzte Tor in St.Hanappi erzielen würde. Es blieb bei Rapids hoffnungsvollem Youngster.

Abpfiff. Das Ende eines Spiels und einer Ära, die die Kindheit, Jugend oder auch die späteren Tage so vieler Menschen Wochenende für Wochenende prägte. Ein letztes Mal verließen die Zuschauer den Ort, an dem sie über Jahrzehnte sie selbst sein und Dampf ablassen durften. Den Ort, der den Alltag und die Probleme, die er mit sich bringt, vergessen machte. Ein letztes Bild am Stiegenaufgang, ein Smartphone-Foto von der eigenen Aboplatz-Plakette, ein Selfie mit dem inoffiziell heilig gesprochenen Rasen im Hintergrund und ein letzter wehmütiger Blick zurück auf die Wohnfestung, in der man so viel erlebte und durchmachte. Ein obligatorischer Besuch beim legendären Klomann hinter der Westtribüne und beim Durchschreiten der Tore in Richtung Keisslergasse die Durchhaltefloskel: „Schön war’s, Burschen. Aber seid’s net traurig, das ist erst der Anfang!

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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