Im Fußball gibt es zwei große Analysebereiche, die sich mit dem Geschehen auf dem Fußballplatz selbst beschäftigen: Die Statistik und die Taktik. Zwar hat... Taktik und Statistik (1) – Der Zusammenhang der beiden Analysebereiche

Taktik, Theorie, TaktikboardIm Fußball gibt es zwei große Analysebereiche, die sich mit dem Geschehen auf dem Fußballplatz selbst beschäftigen: Die Statistik und die Taktik. Zwar hat jeder Verein Finanzanalysten, Organisationsberater, Experten für bestimmte Bereiche und natürlich zahlreiche Mediziner, welche die Trainingssteuerung, -belastung und den Fitnesszustand der Spieler analysieren. Was aber wirklich im Spiel geschieht und die Leistung der Mannschaft direkt beschreibt, liegt in den Händen der Taktik- und Statistikanalysten. Vielfach werden diese Bereiche aber separat voneinander betrachtet, obwohl das eigentlich nicht möglich ist.

In dieser zweiteiligen Serie besprechen wir den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bereichen, wie sich beeinflussen und wie sie genutzt werden. Desweiteren wagen wir einen Ausblick auf den zukünftigen State of the Art in der Analyse des Fußballs.

Die Statistik misst, was taktisch beeinflusst ist

Egal, was von der Statistik gemessen wird; jede Zahl steht in einem ganzheitlichen und komplexen Kontext, der stark von den jeweiligen mannschaftstaktischen, gruppentaktischen und individualtaktischen Aspekten beeinflusst wird. Dies erzeugt natürlich eine Wechselwirkung mit den gegnerischen Abläufen und Entscheidungen. Grundsätzlich fluktuieren darum die Statistiken von Spiel zu Spiel enorm und die Durchschnittswerte der traditionellen und öffentlich zugänglichen statistischen Kategorien werden als Indikator für Leistungen genommen.

Doch selbst in diesen Durchschnittswerten spiegeln sich taktische Aspekte. Das eindeutigste Beispiel ist der FC Barcelona unter Josep Guardiola: Die „Total Shots Ratio“ (Verhältnis der abgegebenen Schüsse zu den zugelassenen Schüssen) war enorm hoch, doch die Chancenverwertung bei den eigenen Schüssen war konstant weit überdurchschnittlich; eigentlich nicht möglich. Das lag aber an der Grundidee des FC Barcelona, nur hochqualitative Schusssituationen zu suchen und zu verwerten. Bei den individuellen Statistiken fand sich ähnliches: Barcelonas Spieler hatten immer weniger Defensivaktionen pro Spiel, diese waren aber prozentuell erfolgreich und umgerechnet „Minute pro gegnerischem Ballbesitz“ teilweise fast absurd hoch.

Das lag an mehreren Faktoren:

  • Der hohe Ballbesitz sorgt für weniger Möglichkeiten defensiv zu agieren.
  • Der hohe Ballbesitz und Barcelonas Qualität zwingen den Gegner meist eher passiv und reaktiv zu agieren. Sie probieren in Ballbesitz schwierige Konter, die nur kurzen Ballbesitz bedeuten.
  • Das extreme durchgängige Pressing bei gegnerischem Ballbesitz erzeugte eine enorme Zahl an Defensivaktionen pro gegnerischer Minute Ballbesitz (im Verbund mit Punkt 2 natürlich).
  • Die gute Ausrichtung Guardiolas, das stark kollektiv ausgeübte Pressing und das intensive Gegenpressing sorgten für viel Unterstützung in der Defensivarbeit für alle Spieler, wodurch sich die Erfolgsquote erhöhte.
  • Punkt 4 war auch dafür verantwortlich, dass die Gegner weniger Räume, weniger Optionen und weniger Zeit hatten, was deren Erfolgsquote nochmals verringerte.
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Guardiolas Barcelona ist ein einfaches und sehr eindeutiges Beispiel. Es gibt jedoch auch komplexere Konstrukte, wo der Einfluss der Taktik weniger eindeutig ist. Dann sind die Statistiken schwieriger zu erklären, was auch ihre Interpretation negativ beeinflusst. Besonders bei der Gegnervorbereitung oder auch bei der Übernahme guter fremder Taktiken für das eigene Team ist das problematisch. Ein Taktikexperte/-analyst ist hier als Interpreter der Daten absolut nötig. Doch die Zusammenarbeit zwischen der taktischen und statistischen Abteilung in Vereinen – wie auch immer sie genau hierarchisch aufgebaut sind – muss noch weiter gehen und von einer anderen Richtung aus beginnen.

Die Taktik definiert, was gemessen werden muss

Die Verantwortlichen der taktischen Abteilung – ob Trainer oder eine eigene Entität innerhalb des Vereins – müssen letztlich auch vorgeben, welche Werte wichtig sind, nach was gesucht werden soll und wie man sich auf das nächste Spiel vorbereiten wird. Viele Topvereine gehen so vor, dass der Trainer und der Taktikscout sich mit der Videoanalyse des kommenden Gegners beschäftigen. In der Zwischenzeit werden die statistischen Daten aufbereitet.

Die Werte werden dann mit der eigenen Meinung des Trainerteams abgeglichen, die dann einzelne Statistiken in das Reich der Märchen verweisen oder als Unterstützung in der Meinungsfindung nutzen. Aus derselben Datenmenge werden dann einzelne Statistiken herausgepickt, welche für das Spiel der eigenen Mannschaft entscheidend sein könnten. Wie verteidigt der Gegner auf dem Flügel? Über welche Seite ist er gefährlicher? Welcher Spieler hat die meisten Scorerpunkte?

Das ist aber häufig ein lücken- und fehlerhafter Prozess. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt wurde, verändern sich die Statistiken in jedem Spiel laufend und fluktuieren enorm. Agierte der Gegner in der bisherigen Saison gegen keine Mannschaft mit ähnlichem System – also zum Beispiel gegen ein Team mit einer offensivorientierten Spielausrichtung im 3-4-3, Halbraumfokus, leichter Asymmetrie und falscher Neun –, dann sind die Zahlen bei der genauen Vorbereitung der eigenen Taktik ungenau. Auch Gegner, die sich extrem anpassen und zwischen unterschiedlichen Polen in der Spielphilosophie wechseln, sind hier problematisch.

Es kann dann sogar in den meisten Fällen passieren, dass die Durchschnittswerte weder dem einen noch dem anderen Extrem dieser Mannschaft entsprechen. Die Zahlen sind also kontraproduktiv. Deswegen sollten die Durchschnittswerte nicht nur aufbereitet, sondern bereits von der statistischen Abteilung analysiert werden; dieser Prozess wurde aber im Hochleistungssport schon begonnen. Immer mehr Vereine nutzen spezialisierte und gut ausgebildete Statistiker, welche die erhobenen Zahlen pro Spiel und nicht als Durchschnittswerte analysieren, diese Werte Signifikanzprüfungen unterziehen, Varianzen berechnen, Korrelationsprüfungen mit dem letztlichen Erfolg im Spiel und in der Saison unterziehen, usw. usf.

Diese reicht dennoch nicht aus. Nicht in jedem Spiel gelten die gleichen Gesetze und nicht alle Faktoren kommen in derselben Intensität zu tragen. Der Trainer und der Trainerstab inkl. der taktischen Abteilung müssen sich nach Durchsehen dieser Daten und der eigenen Analyse überlegen, welche Daten wichtig sind und wie sie noch detaillierter beschrieben werden können. Welche Probleme könnten im kommenden Spiel gegen diesen Gegner auf beiden Seiten auftauchen – und wie kann man das messen? Nach der Analyse dessen wird ein neuerlicher Auftrag an die statistische Abteilung gegeben, um dafür Zahlen zu liefern. Diese werden neu durchgeblickt und besprochen, bevor der endgültige Plan steht. Dieser Prozess und diese Zusammenarbeit liegen im Fußball noch im Argen.

Statt einer Interaktion und einem durchgehenden, sich aktualisierenden und wechselwirkenden Prozess, ist es eine Hierarchie – und egal, in welche Richtung diese geht, sie bedarf einer Veränderung. Diese Veränderung muss aber auch den Inhalt selbst betreffen, wie wir im zweiten Teil sehen werden. In diesem geht es um die Zukunft der statistischen Datenerhebung und dem Beruf des Taktikanalysten.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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