Obwohl sich die Viererkette im Spitzenfußball bei fast allen Topteams – außer einzelnen Vereinen und besonders in Italien – durchgesetzt hat, so sind andere... Wieso der Libero im Amateurfußball noch genutzt wird (2)

TaktikObwohl sich die Viererkette im Spitzenfußball bei fast allen Topteams – außer einzelnen Vereinen und besonders in Italien – durchgesetzt hat, so sind andere Optionen im Breitenfußball nach wie vor vorherrschend. Dies ist zwar suboptimal, da der Libero einige gravierende Nachteile mitbringt, ist letztlich aber nur eine Konsequenz der Umstände und Begebenheiten im Amateurfußball. In dieser dreiteiligen Serie wollen wir darum die Ursachen unter die Lupe nehmen und klären, wieso viele Trainer im Amateurfußball noch immer den Libero als unabdinglich sehen – und wieso sie teilweise damit auch richtig liegen.

Im zweiten Teil konzentrieren wir uns auf die Probleme der Umsetzung einer Alternativspielweise.

Praxisprobleme: Zu wenig Trainingseinheiten für Raumdeckung, Kompaktheit und Pressing

Das grundlegende Problem liegt darin, dass die Spieler im Amateurfußball von klein auf mit Manndeckung und Liberospiel ausgebildet wurden. Ihnen sind die Mechanismen hier nicht nur vertraut, sondern sie setzen sie im Erwachsenenfußball nahezu automatisch um und richten sich danach aus. Bei vielen Mannschaften, die vom 3-5-2 mit Libero und Manndeckung auf Viererkette mit Raumdeckung umstellen, ist das größte Problem die zu häufige und falsche Mannorientierung in der Formation. Darum scheitern viele Viererketten schon in den ersten Wochen und Monaten, da zu einfach Räume freigegeben werden und es keine Absicherung dahinter gibt.

Damit diese impliziten Bewegungen geändert werden, benötigt es viele Trainingseinheiten. Die Spieler benötigen Training zum Verständnis der Bewegung in bestimmten Zonen und aus diesen Zonen heraus. Eine taktikpsychologische Veränderung beim Verfolgen von Gegenspielern ist notwendig und es muss taktisch wie spielerisch enorm viel gearbeitet werden. Viele Amateurmannschaften haben aber nur zwei Mal die Woche Training, einige kommen nur einmal und die meisten trainieren nach einem anstrengenden Tag in der Arbeit.

Außerdem müssen nicht nur die Raumdeckung und die Viererkette vermittelt werden, sondern auch Kompaktheit und Pressing. Dies erfordert nicht nur ein rein taktisches Training einzelner Bewegungen oder der Defensivspieler, sondern ein breitflächigeres Training der gesamten Mannschaft in puncto Mannschaftstaktik und Bewegungsspiel. Die Spieler müssen schnell umschalten können, das Mittelfeld schnell besetzen und insgesamt eng aneinander agieren.

Dafür haben die Spieler meistens einerseits nicht die Trainingszeit, andererseits auch nicht das Potenzial dafür. Für diese Spielweise benötigt man einigermaßen schnelle Spieler auf Schlüsselpositionen, Spielintelligenz und ein Gespür für die Bewegungen der eigenen Mannschaft und des Gegners. Diese Aspekte in ihrer Gesamtheit sind keine idealen Voraussetzungen zur Umsetzung; schon gar nicht, wenn der Trainer ebenfalls nicht dafür ausgebildet ist.

Praxisprobleme: Trainerkompetenz

Viele Viererketten scheitern nämlich auch vorrangig an Vermittlungsproblemen des Trainers. Nur wenige Trainer im Amateurfußball sind gute Analysten, welche die Probleme in den Bewegungsabläufen und Mechanismen erkennen können. Den meisten fehlt auch die schnelle Auffassungsgabe, um diese falschen Bewegungen in Spielformen und Trainingsformen sofort erkennen und korrigieren zu können. Zur Korrektur wird auch verbale Kompetenz benötigt, damit man taktische Sachverhalte für den Spieler einfach und verständlich herunterbrechen kann, ohne dabei wichtige Informationen nicht zu vermitteln.

Zusätzlich ist es wichtig, dass der Trainer entsprechende taktische Kompetenz besitzt. Persönlich spielte ich schon gegen einige Viererketten, die nicht nur Druck auf den Ballführenden und Kompaktheit vergaßen, sondern nicht einmal als wirkliche Kette noch mit guter Raumdeckung umgesetzt wurden. Den jeweiligen Trainern schien dies nicht klar zu sein, weswegen diese Mannschaften mittelfristig auch an der Viererkette zerbrachen. Mit einfachen horizontalen Bewegungen, Tiefensprints oder Raumöffnen für das Mittelfeld konnten diese Mannschaften enorm einfach geknackt werden. Schuld waren daran allerdings nicht die Spieler.

Diese Mannschaften hätten auch bei einer jahrelangen Umsetzung der Viererkette und dazugehörigem Training unter ihren aktuellen Trainingsleitern nur minimale Fortschritte gemacht, mit denen sie niemals ihr Potenzial ausgeschöpft hätten.

Praxisprobleme: Linienrichter

Neben Spielern, Trainingszeit und Trainern kann es ein weiteres Problem geben: Die Linienrichter. Agiert man ohne Libero und mit Kettenspiel, dann muss man zumeist automatisch auf Abseits spielen. In den unteren Ligen sind aber nicht nur die Linienrichter oftmals schlecht ausgebildet, sondern auch von der Heimmannschaft gestellt. Darum sind die Viererkette oder auch Varianten der Dreierketten ohne Libero kontraproduktiv. Selbst bei einer sehr guten Umsetzung kann es der Linienrichter sein, der diese Spielweise konstant zunichtemacht; und das muss nicht mal „absichtlich“ geschehen.

Allerdings muss hierbei eingeworfen werden: Wenn ich eine Viererkette sehr gut umsetze und dadurch konstant Vorteile habe, überwiegen diese nicht einzelne Fehlentscheidungen? Die Antwort auf diese Frage ist schwierig. Es hängt davon ab, wie gut die Viererkette gespielt wird und welche Linienrichter an den Seiten stehen. Normalerweise sind auf unterstem Niveau die meisten Viererketten aber relativ instabil und die Linienrichter mittelmäßig, weswegen die Antwort eher ein „Nein“ ist. Ein weiteres Problem liegt noch in der Psychologie der Spieler.

Praxisprobleme: Angst?

Es klingt zwar merkwürdig, doch einige Spieler haben Probleme mit der bloßen Vorstellung in Raumdeckung und Viererkette zu agieren. Viele erachten die Viererkette und Raumdeckung als komplex, nicht praktikabel und problematisch. Kampfbetonter und einfacher Fußball, durch den die Spieler sich definieren und den sie auch umsetzen können, ist im Amateurbereich einfach „greifbarer“.

Einige Trainer haben von Beginn an schon einen schweren Stand und werden kritisch beäugt, wenn sie nur von einer möglichen Umstellung auf eine Viererkette sprechen. Die Spieler fühlen sich unsicher, wenn sie in einer unbekannten Umgebung agieren müssen, sich dort für fehleranfälliger halten und davon ausgehen, dass sie wie üblich für Fehler kritisiert werden. Gegentore werden im Amateurfußball nämlich primär mit individuellen Fehlern in Verbindung gebracht.

Wenn eine Großchance entsteht, war es entweder der Torwart, welcher den zu einfachen Schuss nicht hielt, es war der Verteidiger, der den Zweikampf nicht gewann oder der Mittelfeldspieler, welcher den Ball in einer gefährlichen Position verlor. Bei einer Raumdeckung sind diese Zuweisungen nicht so einfach, aber sie werden trotzdem versucht. Immer wieder werden dann Spieler für taktische Probleme kritisiert, obwohl sie situativ nicht anders konnten, als den „Fehler“ zu machen.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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