Die österreichische Fußballnationalmannschaft ist bei der Europameisterschaft in Frankreich hinter den hohen Erwartungen geblieben. Über die Ursachen des frühzeitigen Ausscheidens und um den aktuellen... Kommentar: „Wir wussten es doch schon immer“ – über das Ausscheiden der ÖFB-Elf

Fußball in Österreich - Flagge_abseits.atDie österreichische Fußballnationalmannschaft ist bei der Europameisterschaft in Frankreich hinter den hohen Erwartungen geblieben. Über die Ursachen des frühzeitigen Ausscheidens und um den aktuellen Stand und die Zukunft des Teams wird sowohl in den Medien gerätselt, analysiert und gemutmaßt – eine Zusammenfassung.

Liest man die Meinungen, Kommentare und Analysen der acht Millionen Teamchefs – zu denen ich mich im Übrigen auch zähle – in den gängigen Zeitungen, Portalen und Foren erhält man schnell einen Einblick in die österreichische Volksseele: Wir wussten es doch schon immer – dem Team bzw. einzelnen Spielern mangelt es an Qualität, die Qualifikationsgruppengegner waren kein Maßstab, die falsche Taktik des Teamchefs in den Entscheidungsspielen uvm.

Objektiv gesehen lässt sich das vorzeitige Aus jedoch nicht so einfach auf DEN einen Grund zurückführen, sondern liegt viel mehr in dem Zusammenspiel einer Vielzahl teils kleinerer Ursachen.

Die Qualität des Teams und der Qualifikationsgruppengegner

Ja es stimmt! Zweifelsohne lassen die gezeigten Leistungen von Schweden und Russland darauf schließen, dass in der Qualifikation zur EM nicht die ganz großen Kapazunder in Topverfassung bezwungen wurden. Dennoch darf es nicht als selbstverständlich betrachtet werden, souverän den ersten Platz zu erreichen. Nicht vergessen werden darf, dass sich die Schweden im K.O.-Duell später noch gegen Dänemark durchsetzten. Im Vergleich hatte auch der spätere EM-Gegner Ungarn in einer Gruppe mit Nordirland und Rumänien alles andere als eine unlösbare Aufgabe und belegte mit bescheidenen 16 Punkten aus 10 Spielen den dritten Rang und setze sich gegen Norwegen knapp durch – ein Umstand der bei allem Respekt auch nicht für die übermächtige Qualität unseres Gruppengegners spricht.

Die Form einzelner Spieler und des Teams zum Zeitpunkt X

Die gezeigten Leistungen in den Freundschaftsspielen im Frühjahr ließen es schon erahnen: die Formkurve zeigt tendenziell nach unten. (Fast) Jede Mannschaft hat zumindest einmal im Laufe einer Saison mit Formschwächen zu kämpfen – selbst der große FC Barcelona verspielte mit drei Niederlagen in Folge und dem Aus in der Champions League innerhalb von drei Wochen fast die komplette Saison. Als Ursache dieser „Unform“ zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze: Verletzungen (Janko, Dragovic), mangelndes Selbstvertrauen durch Abstieg und/oder mangelnde Spielpraxis (Harnik, Klein, Hinteregger), und möglicherweise auch eine gewisse Überbelastung (Alaba; man vergleiche auch die bisher eher mäßigen Leistungen anderer Bayern-Akteure wie Lewandowski, Müller, Thiago Alcantara) sorgten dafür, dass Schlüsselspieler bei der Endrunde nicht ihr komplettes Potenzial abrufen konnten. Trotz gegenteiliger Beteuerungen des Betreuerstabes und der Spieler konnte dieser Abwärtstrend bei der EM selbst nicht gestoppt werden und mündete in den bekannten, teils schockierend schwachen Auftritten. Dennoch kann und sollte man dem Team nicht die grundsätzliche Qualität und den Willen absprechen.

Die Nervosität

Zahlreiche Fehlpässe und Stoppfehler, wie man sie beim ÖFB-Team lange nicht mehr gesehen hatte, prägten den glanzlosen Vorrundenauftritt. Zurückzuführen ist diese Nervosität, die erst in der zweiten Halbzeit gegen Island abgelegt werden konnte, in erster Linie auf die überzogene öffentliche und eigene Erwartungshaltung. Im Gegensatz zu den „Fußballzwergen“ Ungarn und Island wurde zumindest das Überstehen der Vorrunde von allen Beteiligten quasi vorausgesetzt. Ein Umstand der anhand der mutmaßlich höheren individuellen Klasse mit Sicherheit auch realistisch war. Dass die Spieler trotz teilweise großer internationaler Erfahrung diesem Druck nicht standhalten konnten und daher auch nicht zu „ihrem Spiel“ fanden, ist dennoch unverständlich und sollte bei einer erneuten Endrundenteilnahme nicht mehr passieren.

Das Momentum und der Spielverlauf

Ja, es ist müßig darüber zu diskutieren: Was wäre gewesen, wenn David Alaba anstatt an den Pfosten das Tor schießt, wenn Alessandro Schöpf zum 2:1 trifft, wenn sich Zlatko Junuzovic nicht in der 15. Minute verletzt, wenn Aleksandar Dragovic nicht des Platzes verwiesen wird und dafür im letzten Spiel vom Elfmeterpunkt trifft. Es lässt sich nur mutmaßen was bei einem anderen Ausgang der erwähnten Szenarien passiert wäre. Doch die überwiegend äußerst knappen Partien quer durch alle Gruppen der Vorrunde haben gezeigt, dass die Qualität aller Teilnehmer sehr hoch ist und oft nur Nuancen den Unterschied ausmachen. Zusätzlich wurden bei zahlreichen Spielen mangelnde individuelle und kollektive Klasse durch diszipliniertes Auftreten wettgemacht. Das führt auch zum nächsten Punkt.

Die Taktik

Bereits im Vorfeld war vielen klar, dass das Ersetzen gewisser Schlüsselspieler (vor allem Junuzovic, aber auch Aleksandar Dragovic) ein äußerst schwieriges Unterfangen ist. Im Hinblick auf die Aufstellung gegen Portugal, vor allem aber gegen Island überraschte Teamchef Marcel Koller die Fußballfachwelt. Allen voran sorgte das Aufgebot von David Alaba auf der Zehnerposition bzw. als „falsche Neun“ für Erstaunen. Man überlege nur unser Nachbar Deutschland käme auf die Idee beispielsweise Jonas Hector als offensiven, zentralen Mittelfeldspieler aufzubieten. Zugegeben: der Vergleich hinkt, denn David Alaba hat bereits mehrfach auf der Sechserposition bewiesen, dass er alle Qualitäten für das zentrale Mittelfeld und somit seine Wunschposition mit sich bringt, wenngleich die Zehner- mit der Sechserposition nur schwer vergleichbar ist. Marcel Koller hat seine Gründe (und die sind mit größter Wahrscheinlichkeit fundierter als die der restlichen acht Millionen Teamchefs) und entschied sich vermutlich nicht zuletzt aufgrund mangelnder Alternativen für diese Formation. Die Idee zu dieser Variante ist grundsätzlich legitim und nachvollziehbar. Im Nachhinein muss man aufgrund der gezeigten Leistung(en) und des Spielverlaufs dieses Experiment als gescheitert betrachten. Aber wer hätte dem jungen, unerfahrenen Alessandro Schöpf im Vorfeld diese Leistung auf internationalem Parkett ernsthaft zugetraut?

Das frühzeitige EM-Aus lässt einige Schlussfolgerungen zu, die eigentlich optimistisch in die Zukunft blicken lassen sollten – genauso wenig wie Österreich im Vorfeld zu den Geheimfavoriten zu zählen war, genauso wenig läuft dieses Team jetzt Gefahr auseinander zu brechen und droht in längst vergessen geglaubte Muster zu verfallen. Die im September beginnende WM-Qualifikation beinhaltet mit den EM-Teilnehmern Wales und Nordirland Mannschaften in Reichweite des ÖFB-Teams. Wenn es gelingt jene Spieler die ihre Teamkarriere beenden (werden) und einzelne Position ohne Qualitätsverlust zu ersetzen – und eine Reihe von jungen Spielern stehen bereits in den Startlöchern –  dann wird sich das ÖFB Team am Weg zur WM 2018 aufgrund der höheren individuellen Qualität durchsetzen. Denn Marcel Koller wird das richtige taktische Konzept wiederfinden. Und dann haben wir es alle doch schon immer gewusst!

Richard Pongruber, abseits.at

Richard Pongruber

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