Weißt du wie es ist sich ins eigene Fleisch zu schneiden? Ich spreche nicht von dem Küchenunfall, der dich beinahe die Teilnahme am ersten... Offener Brief an Lukas Podolski

Fußball in der TürkeiWeißt du wie es ist sich ins eigene Fleisch zu schneiden? Ich spreche nicht von dem Küchenunfall, der dich beinahe die Teilnahme am ersten Training der Köln-Profis gekostet hat. Damals 2003. Sondern von einer subtileren Art der Selbstverletzung. Als du vor mehr als zehn Tagen Jan Böhmermann einen Boomerang angedichtet hast, stand die Entscheidung deiner Bundeskanzlerin den Satiriker der gerichtlichen Verfolgung preiszugeben, noch gar nicht fest. Vielleicht hast du dir ins Fäustchen gelacht, als Böhmermann, der dich seit 2006 auf dem Kieker hat, mehrere Tage lang im Kreuzfeuer der Kritik stand und deshalb endlich Morgenluft ge(t)wittert. Vielleicht bist du auch nur stolz bewiesen zu haben, dass du entgegen der doofen Vorurteile kein dummer Fußballer bist und über ein funktionierendes Langzeitgedächtnis verfügst, weil du Böhmermanns Parodien weder vergessen noch verziehen hast. Aber Lukas, lass dir sagen, das war eine ziemliche doofe Idee, finde ich.

Im März hast du dir laut Gedanken gemacht, ob dein – mittlerweile – achtjähriger Sohn angesichts der Sicherheitslage zu dir nach Istanbul ziehen sollte. Das sind gute Gedanken, Lukas, die wieder einmal zeigen, dass dein Kopf richtig funktioniert (und das dritte Bein ist, wie Christoph Daum sagen würde). Ein Staat in dem kritische Journalisten ins Gefängnis kommen, Oppositionelle eingekerkert werden und Menschenrechte nicht einmal das Blatt Papier wert sind auf dem sie geschrieben stehen, ist wirklich kein Ort für ein Kind. Doch wahrscheinlich machten dir damals eher die Terroranschläge Angst, die in deiner unmittelbaren Umgebung Tote forderten. Lass dir sagen: Das alles hängt zusammen.

Der Antidemokrat und die Fußballkanzlerin

Nicht nur im Strafraum ist das Leben schwer, Lukas, deine Bundeskanzlerin verliert immer mehr den Rückhalt der Bevölkerung. Sie muss heikle Entscheidung treffen und da sie die Türkei in der Flüchtlingsfrage braucht, ist sie vor dem Ansuchen Erdoğans eingeknickt. Der gute Recep wird das Nachgeben der Kanzlerin als glatten Sieg verbuchen und nicht als Lektion in Sachen Rechtsstaat, wie es der Spiegel gerne hätte. Nächstes Mal wird Erdoğan anstatt nach dem kleinen Finger nach der ganzen Hand grapschen. Einen Diktator kann man nicht klein halten! Vielleicht kannst du das deiner Kanzlerin ja beizeiten sagen. Falls ihr euch lange genug seht, denn für gewöhnlich liegt ja in der Kürze die Würze: „Sie hat uns viel Glück gewünscht, dann war sie auch schon wieder weg.“ Ich weiß nicht, wie du zu dieser Entscheidung stehst und es spielt auch keine Rolle. Denn vorrangig geht es nicht um die Frage ob es Satire oder Beleidigung war. Es geht vielmehr darum, dass ein Diktator, der sich selbst einen Dreck um seiner Landsleute Persönlichkeitsrechte schert, im Ausland plötzlich rabiat wird, wenn es um ihn selbst geht.

Gestoßen haben sich du und andere am Inhalt der Schmähkritik: Böhmermanns Poesie war tatsächlich voll von Zoophilie, Eau de Döner und einer besonderen Vorliebe für den Genitalbereich des Ministerpräsidenten. Viele meiner deutschen Freunde empfanden die sexualbezogenen Injurien-Anreihung als rassistische Ressentiments. Für mich rührt das eher daher, dass sie als Einwohner eines postfaschistischen Landes besonders sensibel sind, wenn es um Xenophobie, Fairness und Objektivität geht. Und sich deswegen als Weltpolizei fühlen. Der Publizist Henryk Broder – selbst Beutedeutscher mit polnischen Wurzeln – meint sogar: „Sie [Anmerkung: Die Deutschen] sind ein geduldiges, opferbereites, teilweise sogar blödes Volk, weil sie sich ausnehmen lassen.“ Man sollte sich folgende Frage stellen: Soll einem Despoten, der aktuell 1800 Leute wegen Beleidigung vors Gericht zerren lassen hat, irgendeine Hilfe zur Verfügung stehen um seine Kreuzzug auch noch außerhalb des eigenen Machtbereiches fortzusetzen? Den normalen Rechtsweg in Deutschland kann Herr Erdoğan als Privatperson gerne bestreiten. Aber auf Hilfe von der Obrigkeit zu hoffen, ist seinen Opfern gegenüber beinahe obszön.

Lukas, die heisere Mickey Maus vom Bosporus und du, ihr seid Menschen der Öffentlichkeit und müsst prinzipiell auch mehr einstecken als andere. Das sage nicht nur ich, das sagt der Europäische Gerichtshof. Natürlich bedeutet das keine Narrenfreiheit für als Satire getarnte Pöbeleien. 2006 hat dich Böhmermann verarscht, du hast dich gewehrt und so wenigstens einen Teilerfolg erzielt. Das war dein gutes Recht. Aber Herr Erdoğan ist doch ein anderes Kaliber. Ein Diktator darf nicht von den harterkämpften Persönlichkeitsrechten einer demokratischen Republik profitieren. Würde das so sein, wäre der moderne Staat immer schwächer als jede noch so kleine Mikro-Diktatur. In deinem und in meinem Heimatland kennt man diese Ausprägung vor allem im Hinblick auf unsere braune Vergangenheit: Da maulen sämtliche rotznäsige Glatzköpfe und pseudointellektuelle Führer – äh, Führungspersönlichkeiten – herum, wenn es ihnen verwehrt wird den Holocaust zu hinterfragen. Wegen Meinungsfreiheit und so. Sie selbst leben aber eine Einbahnstraße per excellence und machen keinen Hehl daraus, dass sie jegliche Meinungsvielfalt ablehnen.

Also, lieber Lukas, persönlich hast du die Gelegenheit zur Rache genutzt. Aber wem hast du – bestimmt unbeabsichtigt – Schützenhilfe geleistet? Demjenigen, der dir im Istanbuler Alltag ein mulmiges Gefühl beschert. Das war nicht klug.

Ich wünsche dir noch viele Tore für Gala und hoffe dich bei der EM in Frankreich zu sehen.

Liebe Grüße nach Istanbul, du Straßenkicker, ne!

Deine Marie

Marie Samstag

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