Detaillierte Analyse von Pep Guardiolas Trainingseinheit (1) – Der Übungsaufbau
Taktik & Theorie 21.Januar.2014 Rene Maric 0
„Das passiert jede fucking Spiel!“. Mit diesen Worten leitet Pep Guardiola die zurzeit wohl populärste Trainingsübung der Fußballwelt ein. Innerhalb von nur wenigen Tagen erreichte dieses Video aus dem Trainingslager der Bayern in Doha plötzlich Kultstatus. Seit Veröffentlichung durch die TZ wurde es fast 600‘000mal geklickt und Fußballfans aus aller Welt gaben ihre Kommentare dazu ab, die äußerst gemischt waren.
Manche sprachen davon, dass Guardiola durch Leidenschaft besticht, die Übung als solche aber unverständlich erscheint. Auch die Spieler, so heißt es, wirken eher verwirrt. Im Forum von Transfermarkt.de wurde beispielsweise eine kleine Parodie mit Paint kreiert. Andere wiederum sehen hier kein großes Problem, sondern eher an der Umsetzung Guardiolas. Er spricht fünf Minuten lang, lässt die Übung kurz und relativ abgehackt ein paar Mal durchmachen, bevor er sich nach gut acht Minuten schon der nächsten Übung zuwendet.
Und für so manchen ist Guardiola einfach genial, weil er die Kür jedes Trainers beherrscht, nämlich Spielformen in Trainingsübungen zu überführen.
Um diesen Missverständnissen vorzubeugen – oder zumindest einen anderen Einblick zu gewähren – befasst sich dieser Artikel mit diesen Kritikpunkten und mit der Analyse des Trainings selbst. In der dreiteiligen Serie befassen wir uns zuerst mit dem Aufbau der Übung selbst, mit den Zielen der Übung und im letzten Teil explizit mit Guardiolas Art im Bezug aufs Coaching.
Der Übungsaufbau
Grundsätzlich gibt es bei dieser Spielform zwei Mannschaften. Dabei wird der Ballbesitz nicht gewechselt, es ist immer die Mannschaft ohne Überziehleibchen (Mannschaft „rot“) in Ballbesitz. Die angreifende Mannschaft soll dabei versuchen den Ball um die gegnerische Mannschaft herum zirkulieren zu lassen und daraufhin überfallartig in die Spitze zu kommen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist taktischer Natur: Es geht darum die gegnerischen Pressingbewegungen zu leiten, zu zerspielen und dann die Seite mit konstruktiven Pässen zu wechseln, um in offeneren Räumen effektiver angreifen zu können.
Die rote Mannschaft formiert sich dabei in einem 2-4-2. Die verteidigende Mannschaft in Gelb steht in einer 4-1-Formation da. Ribéry und Götze spielen als Stürmer beziehungsweise als zwei „Zehner“ vor dem Mittelfeld, wo Kroos und Lahm als „Sechser“ agieren. Dahinter spielen mit Schöpf und Schweinsteiger zwei Innenverteidiger, welche in dieser Übung nur wenige Aufgaben haben. Auf den Flügeln spielen mit Alaba und Rafinha die zwei nominellen Stammaußenverteidiger der Hinrunde.
Diese Spielweise ähnelt in gewisser Weise der Staffelung der Münchner im Übergang ins zweite Drittel in dieser Saison. Auch hier spielt oft Kroos auf ähnlicher oder gleicher Höhe wie Philipp Lahm, beide stehen in der gleichen horizontalen Linie wie Alaba und Rafinha. Davor gibt es zwar meistens nur einen offensiven Spieler (den offensiven Achter im 4-1-4-1 oder den Zehner im 4-2-3-1), aber sehr oft lässt sich einer der drei offensivsten Spieler (Robben oder Ribéry von der Außenbahn, selten Götze als Mittelstürmer) in diesen Raum fallen und unterstützt Thiago.
Wichtig ist die Berücksichtigung der Ambivalenz der Rollen Götzes und Ribérys in dieser Übung. Sie haben nicht nur Aufgaben wie Zehner, sondern auch wie Nadelspieler (Ballbehauptung in engen Räumen), wie Flügelstürmer (Ausweichen auf Außen zur Unterstützung der Außenverteidiger) und wie verkappte Mittelstürmer (viele diagonale Sprints vom ballfernen Spieler nach Seitenverlagerungen in die Tiefe hinter die Abwehr).
Vermutlich soll damit nicht nur die Ballzirkulation bei gegnerischem Pressing trainiert werden, sondern auch die Durchschlagskraft im Spiel nach vorne. Insbesondere die oft gesehenen Schnittstellenpässe und flachen Halbfeldflanken hinter die Abwehr werden von Guardiola im Übungsverlauf auch angesprochen.
Die verteidigende Mannschaft hingegen spielt mit Contento und Höjbjerg auf den Flügeln, Martinez und Thiago im Zentrum und Shaqiri davor. Bei ihnen wurde nur lose auf ihre nominellen Positionen geachtet; Höjbjerg ist zum Beispiel ein Sechser/Achter, während Martinez und Thiago sich eher wie Innenverteidiger als wie Sechser bewegen müssen. Alles in allem entspricht die Übung aber einer schönen Abbildung gewisser Situationen des Spielgeschehens in verkleinerter Form.
Bei der verteidigenden Mannschaft wird zum Beispiel deutlich, dass Shaqiri versucht durch bogenartige Läufe auf den Flügel hin Kompaktheit herzustellen. Auch ein sehr aggressives Einrücken des ballfernen Flügelspielers im Sinne des ballorientierten Verschiebens und der horizontalen Kompaktheit ist zu beobachten.
Diese 4-1-Formation soll die Viererkette des Gegners und das leitende Pressing eines einzelnen Stürmers simulieren, um möglichst großen Druck zu erzeugen. Gleichzeitig besitzen die Bayern wie im echten Spiel zwei Ausweichoptionen nach hinten (die Innenverteidiger und zwei Akteure, welche sich von ihren Gegenspielern im Spiel lösen und für Überzahl sorgen (Götze und Ribéry). Vermutlich dürfte das Lösen vom Gegenspieler und das Unterstützen von Götze und Ribéry bereits gut genug sein, weswegen auf ein spezifisches Training dieses Aspekts verzichtet wurde.
Nun sind die grundlegenden Sachen geklärt. Guardiola lässt ein 2-4-2 gegen ein 4-1 spielen, die Mannschaft im 2-4-2 hat den Ball und wird gepresst. Es gibt zwei Linien, die durch flache Hütchen abgesteckt sind, sie zeigen wohl den Mittelfeldraum und die Pressingzone der verteidigenden Mannschaft.
Guardiola konzentriert sich im Laufe der Übung auch immer wieder auf das explizite Erklären der Übung. Meistens bestehen die Trainings des Katalanen aus einer Mischung aus Gruppentaktikübungen wie Rondos (in Österreich auch als „Hösche“ bekannt), welche mit unterschiedlichen Regelungen und Staffelungen praktiziert werden. Dazu kommen einzelne Konditionsparcours und eben Abbildungen von Spielsituationen, welche umgelernt werden müssen.
Diese Trainingsübung fällt unter die letzte Kategorie. Ursache für diese Übung dürfte sein, dass sich die Bayern vereinzelt zu sehr auf den Flügeln festspielen.
Vermutlich hat Guardiola in der Ballzirkulation Probleme erkannt, wenn der Ball von der Mitte auf die Außenseite und danach wieder zurückkommt. Mit intelligenten Pässen soll die Seite möglichst schnell verlagert und das gegnerische diagonale Pressing durchbrochen werden. Ebenso dürfte es möglich sein, dass ihm die Positionierungen der Sechser nicht gefallen. Diesen Aspekt kritisiert er ein paar Mal in der Videosequenz.
Nun bleibt aber die Frage, was genau seine Spieler dann aber tun müssen und wieso? Der Beantwortung dieser Frage widmen wir uns im nächsten Teil.
René Maric, www.abseits.at
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