Grün-weiße Automatismen: Das sind die Unzulänglichkeiten im aktuellen Konzept Peter Schöttels!
Taktik & Theorie 21.März.2013 Daniel Mandl 19
Unsere zweiteilige Artikelserie „Männer ohne Gesicht“ wirbelte viel Staub auf und seitdem änderte sich beim SK Rapid Wien zumindest auf personeller Ebene (neue Spieler, neue Funktionäre) so manches. Mit einem weiteren kritischen Artikel möchten wir auf ein weiteres essentielles Problem des SK Rapid hinweisen. Und auch in diesem Fall kommen die Ansätze zur Verbesserung zur Situation gleich mit.
Rapid-Trainer Peter Schöttel muss sich nach über 1 ½ Jahren in Amt und Würden aktuell immer wieder die Kritik gefallen lassen, dass die Spielweise des SK Rapid Wien zu leicht durchschaubar ist und die mannschafts- und gruppentaktischen Automatismen nicht greifen. Aus diesem Grund werfen wir heute einen detaillierten Blick auf die Spielphilosophie Rapids, die Probleme, die Schöttels Konzepte mit sich bringen, wie man diese Probleme lösen kann und welchen Einfluss auf die aktuellen sportlichen Probleme des SK Rapid die Kaderplanung hat.
Worauf kommt’s bei Kaderplanung an?
Die meisten großen Vereine legen bei ihrer Kaderplanung großen Wert auf die Doppelbesetzung aller Positionen bzw. speziell der Schlüsselrollen. Flexible Spieler sind heutzutage gefragter, um innerhalb eines Systems besser rochieren zu können. Zudem gilt, dass Trainer für gewöhnlich ein Hauptsystem definieren, das speziell für Auswärtsspiele etwas angeglichen wird. „Angeglichen“ heißt in diesem Sinn, dass zwar das – zum Beispiel – 4-2-3-1 ein solches bleibt, die Grundausrichtung der einzelnen Spieler jedoch etwas verändert wird. So zum Beispiel in den Abständen der Mannschaftsteile oder in der Höhe oder Tiefe der spielaufbauenden Akteure.
Spieler müssen ins Konzept passen – das Konzept ist die Spielidee des Trainers
Bevor ein Trainer seinen Kader plant, muss er wissen in welche Richtung sich seine Spielphilosophie entwickeln muss. Es ist nicht immer zwingend notwendig einen Star zu holen, zumal die Mannschaft immer größer ist als das Individuum. Wenn ein Spieler im Stande ist, die ihm zugeteilten Aufgaben in der Mannschaftstaktik und die durchaus einfachen Prinzipien der Gruppentaktik (Automatismen) zu erfüllen, spielt es nicht zwingend eine Rolle, wie hoch seine individuelle Qualität ist. Der norwegische Trainer Trond Sollied prägte den passenden Spruch: „Besser ein schwächerer Spieler der sich taktisch richtig verhält, als ein starker Spieler der sich taktisch falsch verhält, denn dann spielt man zu zehnt.“
Was ist eine Spielphilosophie?
Viele Beobachter können sich unter dem Begriff „Spielphilosophie“ nichts vorstellen. Schlagworte wie „offensiv“, „defensiv“ oder „Konterspiel“ sind hierbei nicht zentral. Bei einer Spielphilosophie geht es primär darum, wie genau man einen dieser Begriffe praktiziert. Bekanntestes Beispiel ist der kurzpass- und ballbesitzlastige Offensivfußball des FC Barcelona. Aber auch die SV Ried unter Paul Gludovatz oder die Wiener Austria unter Peter Stöger zeig(t)en in ihrer Spielanlage Laufwege, gruppentaktische Automatismen und Besonderheiten im Umschaltspiel, die das Wort Philosophie verdienen. Beim Aufbau einer Spielphilosophie ist es die oberste Maxime eine mannschaftsumfassende Spielweise zu erschaffen, die in ihrer Anwendung ein Unikum darstellt. Man wäre dumm, wenn man hierfür nicht fremde, bereits funktionierende Ideen zu kopieren versucht, aber dennoch muss eine Spielidee an die Möglichkeiten einer Mannschaft angepasst werden. Oder andersrum: Ein Trainer, der lange genug Zeit hat, muss seine Mannschaft nach seiner taktischen, konzeptionellen Idee anpassen und entsprechende Spieler verpflichten (lassen).
Es geht nicht immer ums Spielsystem
Wichtiger Zusatz: Eine funktionierende Spielphilosophie ist systemunabhängig, weil es in der Praxis mehr um die Formierung von einzelnen Spielergruppen während des Spiels geht und nicht darum, auf welcher nominellen Position die zehn Feldspieler im Allgemeinen spielen. Funktionieren gruppentaktische Automatismen, muten sie wie eine Choreografie an. Im Volksmund redet man dann von „blindem Verständnis“. Ist dieses gegeben, ist das Kollektiv um Welten flexibler, als es einzelne Fußballer jemals sein könnten. Es geht nicht darum, in welchem System ein Trainer sein Team aufs Feld schickt, sondern darum, wie gut die Spieler die gruppentaktischen Konzepte des Trainers umsetzen. Laienbeispiel: Man kann auch in einem 4-3-2-1-System offensiv spielen. Wie genau Gruppentaktik am konkreten Beispiel des SK Rapid funktionieren sollte, erklären wir in weiterer Folge im Detail.
Am Anfang steht das Konzept – der Rest ist Vermittlung durch den Trainer
Nun ist es an der Zeit erstmals konkret zu werden: Bereits vor der Saison 2011/12 war Peter Schöttel in die Kaderplanung des SK Rapid Wien involviert. Somit ist der aktuelle Rapid-Trainer bereits seit zwei Jahren für das Aussehen des Rapid-Kaders, natürlich im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, verantwortlich. Am Anfang sollte ein Konzept stehen, denn dieses ist die Basis dafür, welche Spieler man verpflichten möchte. Wie das aktuelle Beispiel Austria Wien zeigt, müssen es nicht immer große Namen sein, solange sie sich im gruppentaktischen Kontext richtig verhalten. Ein noch markanteres Beispiel ist hierbei einmal mehr die SV Ried unter Paul Gludovatz, der das berühmte 3-3-3-1-System prägte. Schöttel präsentierte sich jedoch zu Beginn seiner Rapid-Zeit zu sprunghaft, experimentierte zu viel und verlor damit ein halbes Jahr an konkreter Planungszeit.
Zuerst war das 4-4-2 – dann die totale Veränderung
Zu Beginn der Saison 2011/12 bot Schöttel ein 4-4-2-System auf, das Rapid auch aus Pacult-Zeiten durchaus bekannt war. Allerdings gab es bereits nach wenigen Wochen Personalrochaden im Mittelfeld (Beispiel: Hofmann wechselte von der zentralen 8er-Position wieder auf rechts) und von Beginn an gab es Probleme mit der Antizipation der Angreifer. Bis Anfang November wurde das 4-4-2-System regelmäßig praktiziert, danach stellte Schöttel dauerhaft auf ein 4-2-3-1-System um, in dem plötzlich nicht mehr Alar, Nuhiu oder Salihi stürmten, sondern der extrem vertikal, also in die Breite agierende Burgstaller. Systemänderung gut und schön – jedoch wurde hier mitten in der Saison eine grundlegende Spielanlage verändert, was mitten im Matchbetrieb völlig andere Automatismen im Umschalt- und Konterspiel bzw. auch im Aufbauspiel in einer höheren Zone bedeutete.
Saison 2012/13 begann taktisch vielversprechend
Schöttel zog das System, phasenweise mit leichten Adaptierungen, über die gesamte Saison durch. Die Ergebnisse gaben ihm im Großen und Ganzen Recht, die Leistungen und vor allem die spielerischen und taktischen Details im Spiel Rapids jedoch nicht. Dieser Eindruck drehte sich schließlich am 21.Juli 2012 um 180 Grad. Im ersten Saisonspiel 2012/13 fegte Rapid den FC Wacker Innsbruck mit 4:0 vom Platz und präsentierte sich fluid wie noch nie. Die Außenverteidiger wurden zu hoch agierenden Flügelspielern, die etatmäßigen Flügelspieler schoben gut auf die Halbpositionen, das Mittelfeld stand gut gestaffelt, Solospitze Boyd antizipierte konsequent. Auch gewisse Automatismen waren zu beobachten, einzig an der Präzision haperte es noch. Jedoch schien Schöttel über den Sommer seine Spielphilosophie gefunden zu haben. Doch schon nach wenigen Partien war der Zauber der Spielidee, die sich nur als Feldversuch herausstellte dahin und ab diesem Zeitpunkt entwickelte sich Rapid taktisch nur noch zurück.
Spielweise beruhte in weiterer Folge nicht auf Kollektivismus
Eine Spielweise, wie sie Rapid in den ersten Spielen der laufenden Saison praktizierte, wäre in perfektionierter Form absolut systemunabhängig. Da die offensichtlich vorhandene Idee aber nie weiterentwickelt und gefestigt wurde, steht Rapid nun als Mannschaft da, die verhältnismäßig „leicht zu spielen“ ist. Bis auf sehr wenige Ausnahmen agiert Rapid seit über einem Jahr in einem 4-2-3-1-System, das speziell offensiv und im Umschaltspiel nicht auf Kollektivismus beruht, sondern auf zu unstrukturiertem Zusammenspiel, gepaart mit der Hoffnung, dass Einzelaktionen – speziell der Flügelspieler – zum Erfolg führen könnten. Ging ein Team gegen Rapid in Führung biss man sich aufgrund der dadurch defensiveren Spielweise des Gegners die Zähne aus und hatte aufgrund der fehlenden Automatismen und der schieren Hoffnung auf das Durchsetzungsvermögen der individuellen Spielerqualität keinen Plan B.
Markante Fehler in der Kaderplanung
Nun kommen auch noch einfachste Verfehlungen in der Kaderplanung ins Spiel. Rapid verfügt aktuell über 18 Feldspieler, die tatsächlich nah an der ersten Mannschaft sind. Schaub und Wydra, sowie der mittlerweile wieder kurzzeitig zu den Amateuren versetzte Grozurek sind hierbei (bereits in diese 18 mit eingerechnete) Perspektivspieler, die bei weitem nicht als „fertig“ zu betrachten sind. Auch wenn Schöttel aus gutem Grund, schon alleine aufgrund der angenehmeren Situation im Tagesgeschäft Training, einen kleinen Kader bevorzugt, fehlen zahlreiche Mosaiksteine:
- Das markanteste, sofort sichtbare Problem: Rapid verfügt mit Terrence Boyd nur über einen einzigen „echten“ Stürmer. Alar wird eher als Freigeist in der zweiten Reihe forciert, weil er stark in der Tiefe mitarbeitet, Burgstaller als letzte Stürmeroption arbeitet an vorderster Front zu vertikal und macht aus dem System eine Art 4-6-0, das enorm gut funktionierende Drähte zwischen den offensiven Mannschaftsteilen erfordert.
- Der Grund dafür: Nachdem in der Vorsaison Salihi abgegeben wurde, weil er aufgrund seines schwachen Antizipationsspiels nicht in ein modernes Ein-Stürmer-System passte, wurde zu Beginn der Saison auch noch Nuhiu in die Türkei verliehen. Dadurch beraubte man sich selbst einer Facette, die auch heute noch wichtig wäre, wenn man die Brechstange auspacken muss. Neuer Stürmer kam danach keiner mehr.
- Der Jugendwahn wurde in den letzten Jahren zu sehr ausgereizt. Nach Hofmanns Auswechslung im Spiel gegen die Admira war der 26-jährige Mario Sonnleitner der älteste Rapid-Spieler auf dem Platz. Mit dem Boskovic-Transfer traute man sich langer Zeit wieder über die Verpflichtung eines Routiniers. Die Verpflichtung großer Talente (in Schöttels Amtszeit zum Beispiel Burgstaller, Alar, Sabitzer) zu forcieren, ist sicher eine gute Sache. Allerdings sind dies für gewöhnlich nicht die Spieler, die für einen angeschlagenen Klub die Kohlen aus dem Feuer holen.
- Rapid verfügt aktuell nur über vier Spieler, die älter als 29 Jahre sind und entsprechende Erfahrung mitbringen. Auch Red Bull Salzburg hat derzeit ein ähnliches Problem. Vor der Boskovic-Verpflichtung war Hofmann der einzige echte Eckpfeiler, an dem sich junge Spieler orientieren konnten. Er war auch der Einzige, der in kniffligen Situationen mit taktischer Eigeninitiative punktete. Nun sind beide Routiniers, die als Stammspieler zu bezeichnen sind (Heikkinen und Katzer sind meist nur noch Ersatz und längst keine tragenden Säulen mehr), verletzt und Rapid hat für den Rest der Saison ein „Chefproblem“.
- Passende Beispiele aus den letzten Meistersaisonen: 2004/05 wurde das Team rund um die routinierten Akteure Valachovic, Hiden, Kincl und mit Abstrichen Hlinka geformt. Rund um sie spielten hoffnungsvolle „Junge“, zu denen damals auch der 24-jährige Steffen Hofmann zählte. 2007/08 übernahmen diesen Part der bombensichere Patocka, Heikkinen, Boskovic, Hofmann und mit Abstrichen Tokic. Diese Spieler waren Architekten, die das Fundament auf unterschiedlichen Feldpositionen zusammenhielten und vielen Arbeitern und Technikern rundherum ein gutes Leben auf dem Platz ermöglichten. Heute findet man derartige Chefs nur im zentralen Mittelfeld.
- Mit Pichler, Boskovic, Wydra, Heikkinen und Kulovits kämpfen gleich fünf Spieler um zwei Positionen im defensiven Mittelfeld, was bei 18 Kaderspielern zu viel ist. Bis vor wenigen Wochen war Boskovic noch keine Option, was sich auch im Aufbauspiel niederschlug. Die damalige Option Prager floppte auf der ganzen Linie und wurde dennoch im Sommer für ein weiteres Jahr verpflichtet.
- Mit Schimpelsberger verfügt Rapid nur über einen einzigen Rechtsverteidiger. Spielt er nicht, muss Trimmel aus seinem natürlichen Naturell am offensiven, rechten Flügel in die Viererabwehrkette gezogen werden. Dies ist insofern ein Problem, dass Trimmel auf seiner etatmäßigen Position im rechten Mittelfeld als einer der effizientesten Einfädler des Kaders gilt. Auch wenn Trimmel die Anlagen für einen modernen Außenverteidiger mitbringt, wäre es zielführender gerade in Phasen, in denen alles gut läuft, die vorhandenen Stärken derartiger Spieler weiter zu forcieren, anstatt ihr Habitat zu verändern, um sie kurzfristig flexibler zu machen.
Rapid sieht immer gleich aus
Dies führt uns zu einem weiteren allgemeinen Kritikpunkt: Obwohl Spieler wie Trimmel, Burgstaller, Alar oder auch Pichler von Schöttel flexibel eingesetzt werden, praktiziert Rapid im Grunde immer dasselbe System – mit exakt derselben Spielweise, die sich offensichtlich nicht dauerhaft bewährt. Dies gilt für Heim- und Auswärtsspiele und auch für unterschiedliche Matchsituationen. Rapid „sieht immer gleich aus“ und wird maximal situativ etwas anders eingestellt. Mal soll’s mehr über den Flügel gehen, mal mehr mit weiten Bällen im Aufbauspiel – aber trotz zwei Jahren Zeit vollbrachte es Schöttel bisher nicht, das grundsätzliche Spielsystem facettenreicher zu gestalten. Die einzige Ausnahme bildete in der laufenden Saison der 4:3-Heimsieg über die SV Ried, bei dem Rapid in einem 4-1-4-1-System auflief, das in Vorwärtsbewegung eher wie ein 4-1-3-1-1 wirkte und mit dem das Team sich acht klare Torchancen herausspielen konnte – ein überdurchschnittlicher Wert für den SK Rapid.
Es geht nicht um Systeme, sondern um Automatismen
Verschiedene Systeme „spielbar“ zu machen, ist nicht die große Hexerei. Die meisten Spieler kennen unterschiedliche Systeme und ihre Besonderheiten von klein auf. Die wahre Kunst ist die Schaffung einer klaren Spielphilosophie, die es ermöglicht, situativ auf ein anderes System umzustellen, ohne die trainierten Automatismen über den Haufen zu werfen. Die Choreografie auf dem Platz bleibt gleich – die Protagonisten haben nur neue Feldpositionen und schlüpfen maximal in die Rolle eines anderen. Nun stürzen wir uns auf den taktiktheoretischen Teil und analysieren, was bei Rapid im Bezug auf Gruppentaktik und Automatismen besser gemacht werden kann. Zu beachten ist hier, dass es kein Patentrezept für eine Spielphilosophie gibt und viele Wege zum Ziel führen können. Wir erarbeiten eine mögliche Spielidee für den SK Rapid Wien und legen dabei unser Hauptaugenmerk auf die Einfachheit der Änderungen.
Man muss das Rad nicht neu erfinden, um eine erfolgreiche Spielphilosophie zu schaffen
Bevor ein spielerisches und taktisches Konzept erarbeitet wird, muss man zuerst wissen, wie das Spiel einer Mannschaft genau aussehen soll. Wir kreieren diese Spielidee nun anhand der Möglichkeiten der einzelnen Spieler und versuchen in allen beleuchteten taktischen Facetten nur Kleinigkeiten zu adaptieren, sodass die Spieler auf dem Platz das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern schon mit wenigen Schritten das Offensiv-, Defensiv-, Umschalt- und Konterspiel, sowie viele andere Spielsituationen konsequenter abwickeln können. Schon Ernst Happel sagte: „Man muss immer das tun, was man beherrscht, denn das ist das Einfachste. Wenn man’s nicht beherrscht wird’s kompliziert.“
Probleme im Aufbauspiel
In diesem Beispiel sehen wir eine typische Situation, in der Rapid aus der Innenverteidigung heraus das Spiel aufbaut. Zu beachten ist hier vorerst einzig und allein die Defensive: Die beiden Innenverteidiger möchten nun das Spiel aufbauen und werden speziell von einem Sechser unterstützt, der sich zwischen die beiden Abwehrspieler fallen lässt. Die Außenverteidiger orientieren sich richtig, die anderen Offensivspieler zu weit nach vorne – dazu kommen wir später. Nicht selten war in dieser Aufbauaufstellung zu beobachten, dass Gerson oder Sonnleitner lange Pässe schlugen, weil unmittelbare Anspielstationen Mangelware sind. Sich vom eigenen Strafraum durch das Mittelfeld zu kombinieren, ist in einer solchen Grundordnung kaum möglich.
Lösungen für die Probleme im Aufbauspiel
Die Lösung für dieses Problem liegt in der Breite des Platzes. In diesem Bild sehen wir nun einige kleine Änderungen, die jedoch für ein geordnetes Aufbauspiel Gold wert sind:
1.) Die Innenverteidiger platzieren sich weiter außen, verlassen also quasi ihren gegenseitigen Interaktionsbereich. Der Vorteil: Dem Gegner fällt es bei einer breiteren Grundordnung im Aufbauspiel wesentlich schwerer ein zielgerichtetes Pressing aufzuziehen.
2.) Der berühmte – und unbeliebte – Querpass zwischen Innenverteidigern fällt praktisch weg. Der Weg des Balles von einem Innenverteidiger zum anderen sollte in Bedrängnis aufgrund des geringeren Gefahrenpotentials über den zentral-defensiven Mittelfeldspieler oder über den Torhüter führen, der gerne außer Acht gelassen wird.
3.) Der defensive Mittelfeldspieler rückt nun auf eine Linie mit den Innenverteidigern oder spielt nur sehr leicht, also 2 – 4 Meter auf der Längsachse versetzt. Dabei orientiert sich der Mittelfeldspieler immer zum ballführenden Innenverteidiger – der andere Innenverteidiger ist vorerst passiv. In einer tatsächlichen Kette von drei spielaufbauenden Spielern auf einer Linie ist es leichter nach vorne zu schieben, als wenn der defensive Mittelfeldspieler stark versetzt zu den Innenverteidigern steht.
4.) Die Außenverteidiger orientieren sich grundsätzlich etwas defensiver. Es hat keine negative Auswirkung auf ansehnliches oder kreatives Spiel, wenn die Außenverteidiger ihre Modernität nicht immer sofort durch Platzierung auf Höhe der Mittellinie zeigen müssen. Der Beginn des Spielaufbaus ist sicherer, wenn die Außenverteidiger etwas tiefer stehen.
5.) Damit allerdings einhergehend: Die Flügelspieler und auch der „Achter“ müssen ebenfalls weiter nach hinten rücken, anstatt auf einer Höhe mit der Solospitze und dem sich ebenfalls oft dort hin orientierenden Steffen Hofmann zu agieren. Um eine schwer zu verteidigende vertikale Staffellung zu gewährleisten müssen die Flügelspieler außerdem 5 – 10 Meter nach innen rücken.
6.) Das Resultat dessen: Der Spielaufbau findet anfänglich tiefer statt, lässt sich aber aufgrund zahlreicher in unmittelbarer Nähe befindlicher Anspielstationen im Kollektiv schneller und sicherer nach vorne tragen. Der angenehme Nebeneffekt besteht darin, dass der Gegner aufgrund des Antizipationsspiels beinahe aller Rapid-Akteure mit diesen Spielern mitschieben wird und sich somit ein wenig aus der Defensive locken lässt.
7.) Sobald der Spielaufbau erfolgreich war und sich eine Angriffssituation entwickelte, schiebt der defensive Mittelfeldspieler wieder aus seiner Position zwischen den Innenverteidigern heraus und die Innenverteidiger rücken zusammen, um die Zentralachse wieder abzusichern.
Abschließende Bemerkung zu dieser ersten taktischen Facette: Dies wurde zu Saisonbeginn bereits praktiziert und funktionierte! Später verfiel Rapid jedoch nach und nach in alte Muster, wie man sie aus der Saison 2011/12 kannte.
Nun rückt auch noch Hofmann entgegen
Wir lassen unser Beispielteam jetzt nach den ersten überwundenen Metern des Aufbauspiels als Block etwas höher stehen. Dass sich das Team als Block bewegt ist hier essentiell! Nun kommt auch Steffen Hofmann, im vorherigen Beispiel noch beinahe auf einer Linie mit Boyd, stärker entgegen und füllt das zentral-offensive Loch im Mittelfeld aus. Durch die eingerückten Flügel ist die Spielerdichte auf der Zentralachse nun sehr hoch und Anspielstationen sind breit gesät. Die Außenverteidiger orientieren sich nun etwas offensiver und stellen für die zentralen Mittelfeldspieler und die Flügel eine willkommene Anspielstation in der Spielfeldbreite dar. Die Solospitze bewegt sich vorerst noch neutral – nicht zu weit nach vorne, um die Abstände nicht zu groß werden zu lassen, aber dennoch nicht zu defensiv, falls man schnell einen „Target Man“ braucht. Hintergedanke: Platziert sich die Solospitze nicht zu offensiv, kann die Viererabwehrkette des Gegners leichter herausgelockt werden.
Plötzlich stehen alle in Interaktion zueinander!
In unserem Beispielbild im vorherigen Absatz finden wir nun eine Situation vor, in der nicht nur zahlreiche Anspielstationen vorhanden sind, um das Spiel sauber und mit einfachen Pässen nach vorne zu tragen; es ergeben sich außerdem zahlreiche in direkter Interaktion stehende Dreiecke, die nahezu allesamt versetzt stehen. Der Grund warum die Spieler in diesen Dreiecken versetzt stehen sollten: Egal ob ein diagonaler Kurzpass nach vorne oder ein diagonaler Kurzpass nach hinten: Beides ist weniger riskant als ein Pass, der direkt mit der Breite des Spielfelds verläuft, weil man bei einem Fehlpass und einem damit verbundenen Gegenkonter des Gegners gleich zwei Spieler „verliert“, die nicht hinter dem Ball wären. Mit einem missglückten Diagonalpass verliert man nur einen.
Loch im zentral-offensiven Mittelfeld vs. Richtige Antizipation aller Mannschaftsteile
Tatsächlich orientieren sich Flügel und zentral-offensive Mittelfeldspieler Rapids im Aufbauspiel stark nach vorne – jedoch sollten sie genau das Gegenteil machen, sodass die Wege, die der Ball von der ersten spielaufbauenden Station bis zur letzten zurücklegen muss, möglichst kurz sind. Jeder weite Ball – auch wenn es sich dabei um einen flachen 20-Meter-Pass handelt – ist in einem geordneten Spielaufbau, in dem man sich als Block nach vorne bewegt, eine Lotterie. Antizipieren jedoch sämtliche Mittelfeldspieler, der Angreifer und auch die Gegner bindenden Außenverteidiger richtig, erreicht man gegen die meisten Gegner ein Übergewicht im Mittelfeld. Rapid lässt aktuell (bzw. schon lange!) jedoch eher ein Loch im zentral-offensiven Mittelfeld entstehen, anstatt dem mit cleverem Antizipationsspiel aller offensiven Mannschaftsteile entgegenzuwirken.
…und auch das Gegenpressing ist erfolgsversprechender
Anmerkung: Aufgrund der hohen Spielerdichte in einem relativ kleinen Abschnitt des Spielfelds, ist das Gegenpressing bei Ballverlusten mannschaftlich geschlossen wesentlich weiter zu bewerkstelligen, als wenn sich die Mannschaftsteile immer weiter voneinander entfernen. Die Gefahr ausgekontert zu werden ist wesentlich geringer und das Umschaltspiel von Offensive auf Defensive geht schneller vonstatten, weil sich alle Spieler ein bisschen bewegen müssen – und nicht die Hälfte der Mannschaft sehr weit.
Wie verlagere ich das Spiel NICHT?
Wir bleiben taktisch beim Mittelfeld, spulen unser fiktives Fußballspiel nun aber vor. Wir finden uns hier in einer Situation wieder, in der Rapid den Gegner in der eigenen Hälfte einschnürt. Der Ball befindet sich am linken Flügel: Flügelspieler und Außenverteidiger sehen sich einer fiktiven gegnerischen Überzahl gegenüber. Um das Spiel dorthin zu verlagern, wo mehr Platz ist, muss ein Wechselpass auf die rechte Seite her. Bei Rapid passiert dies aktuell entweder zu direkt (50-Meter-Pass, der in vielen Fällen zu unpräzise gespielt wird) oder zu kompliziert (Rückpass zu einem Innenverteidiger, Neuaufbau des Spiels, Möglichkeiten für den Gegner sich neu zu formieren.
Das (aufeinander abgestimmt) bewegliche Dreieck im zentralen Mittelfeld
Hier kommen die drei zentralen Mittelfeldspieler ins Spiel. Diese müssen sich erneut versetzt, nicht auf einer Linie, bewegen und im Idealfall synchron verschieben. Eine Spielverlagerung auf die andere Spielfeldseite erfolgt im Idealfall über diese Spieler. Da sie sich – zentraler Teil unserer „offensiven Choreografie“ – im Dreieck aufeinander abgestimmt bewegen, ist immer einer von ihnen anspielbar und die drei können untereinander mit einfachsten Pässen für die notwendige Spielverlagerung sorgen. Einmalberühren ist das Zauberwort und ein solches zentrales Mittelfelddreieck an einen solchen Automatismus zu gewöhnen ist keine große Kunst. Man trifft hier zumeist auf drei Spieler, deren Grundanlagen zumindest nicht komplett verschieden sind und von denen sich der ballführende Akteur nur für eine von zwei Anspielstationen entscheiden und in etwa gleichem Abstand verschieben/staffeln muss. Die Eckpunkte dieses Dreiecks können zwar leicht voneinander wegdriften, aber sie bleiben stets versetzt und einer für den anderen anspielbereit.
Plan B: Anderen Flügel „passiv machen“ und neue Dreiecke bilden
Die zweite Möglichkeit besteht nun darin, dass sich sowohl die zentralen Mittelfeldspieler, als auch die beiden Spieler am passiven Flügel, auf den Ballführenden am linken Flügel zubewegen. Die Idee bleibt dieselbe: Das Spiel soll verlagert werden – aber es muss ja nicht genau der andere Flügel sein. Lässt man den anderen Flügel nämlich außer Acht – man lässt ihn quasi „passiv“ – lassen sich nicht nur neue Dreiecke zwischen den Mittelfeldspielern und den beiden Akteuren am rechten Flügel bilden – man bringt die beiden Spieler am rechten Flügel auch näher an die Gefahrenzone und ermöglicht Diagonalläufe und Flankenbälle zu einem Abnehmer, mit dem der Gegner zuvor noch nicht rechnete.
Stürmer und Außenverteidiger liefern weitere Facetten
In all diese Überlegungen fließt jedoch noch nicht ein, dass auch der Stürmer eine antizipative Rolle einnehmen kann oder der Außenverteidiger durch geschicktes Hinterlaufen zu einer Anspielstation für einen der zentralen Mittelfeldspieler werden kann (so in dieser Frühjahrssaison erst ein einziges Mal gesehen: Branko Boskovic im Derby). Der passive Flügel kann in derartigen Fällen ruhig vernachlässigt werden – wichtiger ist es, dass sich erneut möglichst viele Spieler zueinander orientieren und Dreiecke bilden, die miteinander in direkter Interaktion stehen, also: Einfache Pässe und Kontrolle müssen ermöglicht werden, bevor es dann ans Eingemachte geht und eine konkrete Torchance her soll!
Wie trainiert man eigentlich Automatismen?
Dies waren nun viele Informationen über Automatismen auf einmal – nun ist es Zeit kurz durchzuschnaufen. Viele werden sich fragen, wie man Automatismen in derartigen Dreiecken überhaupt trainiert. Eine Variante Offensivspielern derartige Automatismen näherzubringen ist ein Spiel auf engem Raum (zum Beispiel 35 x 35 Meter), bei dem sich zwei Fünferteams gegenüberstehen. Die Teams spielen aber nicht etwa auf ein Tor, sondern – wie in unserem Beispiel ersichtlich – auf sechs kleine Tore (drei auf jeder Seite) oder etwa auf vier Handballtore (zwei auf jeder Seite). Die Regeln: Zwei Ballkontakte Maximum, der Ball muss ins Tor kombiniert werden. Zu Beginn derartiger Automatisierungsübungen lässt man die Offensivformation nur gegen drei defensive Spieler antreten, um die Fehlerquote gering und das Tempo vorerst niedrig zu halten. Passen die Laufwege der einzelnen Akteure im engen Raum mit der Zeit besser, kann man der 5er-Mannschaft etwas mehr Gegenspieler entgegensetzen. Egal, wie sich die fünf ballführenden Spieler bewegen: Sie müssen immer zumindest zwei Dreiecke bilden können – klarerweise muss ja früher oder später einer der Spieler ausreißen und den Abschluss suchen. Eben so, wie es im Punktespiel auch ist.
Eine einfache Grundübung – zig Möglichkeiten, wie man sie praktizieren kann
Diese Trainingsform ist nur ein Beispiel von vielen, lässt sich aber schon in dieser Variante in unzählbare Formen umgestalten: Mal hat man hier ein Tor weniger, mal ist das Feld größer, mal kleiner, mal darf man den Ball dreimal berühren, oder auch nur einmal. So sorgt man dafür, dass ein Spieler die Bewegungsabläufe seiner Mitspieler im Schlaf kennt. Übrigens: Unter Peter Pacult spielte Rapid im allgemeinen Sinn von 2007 bis 2009 mit ähnlichen Automatismen – doch auch diese waren, obwohl sie weitestgehend gut funktionierten, noch nicht perfektioniert. Nochmal übrigens: In Barcelonas Jugendakademie La Masia wird diese Art des Trainings bereits den Kleinsten zugemutet. Allerdings auf einem Platz aus roter Erde – und interessanterweise sogar eher in Unter- als in Überzahl!
Kontrolle im Mittelfeld! Aber wie knackt man destruktiv verteidigende Abwehrreihen?
Nun nehmen wir an, dass die Automatismen im Mittelfeld sehr gut funktionieren und die Passsicherheit und Ballkontrolle auch in der Zone unmittelbar vor dem gegnerischen Strafraum sehr hoch sind, aber der Gegner weiterhin sehr tief steht. Dies ist bekanntlich ein Problem, an dem Rapid stets zu nagen hat. An destruktiv verteidigenden Mannschaften biss man sich nicht nur unter Peter Schöttel oft die Zähne aus. Um dieses Problem zu lösen, tritt nun die Solospitze auf den Plan. Zumeist ist dies mit Terrence Boyd ein Spieler, der schwere Fehler in der Ballbehauptung- und weiterverarbeitung begeht. Dies hat jedoch einen guten Grund.
Die richtige Gruppentaktik kann Boyds Schwächen kaschieren!
Wenn Terrence Boyd Bälle behaupten muss, sind dies zumeist komplizierte. Entweder es kommt ein weiter Ball aus der Innenverteidigung oder ein scharfer, flacher Pass, der ebenfalls einen weiten Weg zurücklegt. Hat Boyd den Ball angenommen, steht er vor dem Problem, dass er aufgrund der aktuell tatsächlich schlechten Staffellung des Mittelfelds die nächste Anspielstation zumeist in der Breite suchen muss. Das impliziert wiederum eine Drehung, einen Zweikampf – alles Dinge, die nicht zwingend notwendig sind. Genauso wie einst bei Stefan Maierhofer muss auch Boyd Anspielstationen finden, die a) nicht weit von ihm selbst entfernt sind und b) mit nur einer Ballberührung anspielbar sind. In unserem bereits beschriebenen, versetzt gestaffeltem Mittelfeld ist dies möglich. Die Ausnützung der Zick-Zack-Formation (ja, auch heute noch kann man von Herbert Chapman lernen), die wir durch diese Staffellung geschaffen haben, kann einzelnen Spielern – wie etwa dem technisch maximal durchschnittlichen Boyd – zahlreiche Matchsituationen erleichtern. Dabei geht es schon um solche Kleinigkeiten, dass etwa ein gerader 5-Meter-Pass nach hinten einfacher ist, als ein schwieriger 7-Meter-Pass auf den Flügel, dem eben noch Drehung und Zweikampf vorangehen.
Boyd muss nicht den richtigen Fleck im 16er suchen – sondern antizipieren!
Wenn Boyd sich nun in einer Offensivaktion nicht zwingend so bewegt wie ein klassischer Mittelstürmer, sondern seinen Aktionsradius so wählt, dass er sich zwar sehr offensiv platziert, dann aber wieder antizipiert, sprich dem Ballführenden entgegenkommt, sorgt er für Probleme im Stellungsspiel der gegnerischen Viererkette. Boyd wäre so womöglich nicht der Stürmer, der zu den meisten Torchancen bzw. Toren kommen würde, eröffnet aber den durchaus torgefährlichen Flügelspielern oder auch den zentralen Mittelfeldspielern Chancen, sich in die Lücken der gegnerischen Abwehr zu bewegen. Wenn Boyd sein Habitat gegen einen destruktiv verteidigenden Gegner verlässt, wird er von einem Verteidiger verfolgt werden, weil in der unmittelbaren Gefahrenzone Raumdeckung nichts mehr bringt.
Zwei Schritte zurück sind drei Schritte nach vorne!
Dadurch eröffnen sich Räume in den Schnittstellen der gegnerischen Viererkette, die etwa die Flügelspieler mit Läufen in die offenen Räume ausnützen können. Stellt man situitiv auf ein 2-Stürmer-System um oder nutzt gar noch stärker einrückende Flügelspieler zur Formierung eines 4-3-3, lässt sich dieses Prinzip noch fluider und erfolgsversprechender umsetzen, weil gleich mehrere Spieler an vorderster Front antizipieren. In unsere Grafik haben wir nur einige Rapid-Spieler eingefügt, aber vergessen wir nicht unser weiterhin beständiges, versetzt gestaffeltes Mittelfeld. Auch auf engem Raum und bei vielen Gegenspielern lassen sich Dreiecke bilden. Ein erfolgreicher tödlicher Pass erfordert gegen tief spielende Gegner jedoch stärkere Antizipation des Angreifers oder allgemein der Spieler, die sich in Vorwärtsbewegung in die unmittelbare Gefahrenzone bewegen. Hier gilt: Zwei Schritte entgegenzukommen ist meistens besser, als wie ein Verrückter nach einem gutem Fleck im Fünfmeterraum zu suchen und dann auch noch auf eine präzise Flanke zu hoffen.
Stärken forcieren, statt Schwächen auszumerzen
Angenehmer Nebeneffekt der nun beschriebenen Möglichkeit Löcher in massive Abwehrketten zu reißen: Jeder Flügelspieler, den Rapid besitzt, ist außerordentlich schnell. Die Schnelligkeit auf den ersten Metern ist allgemein am ehesten das, was Trimmel, Sabitzer, Alar und mit Abstrichen Burgstaller ausmacht. Mit dieser Spielanlage und der konsequenten Antizipation des Mittelstürmers, forciert man die größte Stärke aller aktuellen Kaderspieler, die am Flügel spielen können.
Die Position Burgstallers
Wir reden hier im Allgemeinen von punktuellen Diagonalläufen. Wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt seine Position zu verlassen, dann soll man dies auch tun. Wahllos auf seine Position zu pfeifen ist jedoch gefährlich – das beste Beispiel hierfür ist Guido Burgstaller. Der 23-jährige Kärntner rochiert zwar geplanterweise immer wieder mit seinem Gegenüber am anderen Flügel, allerdings zieht es ihn da wie dort immer wieder zu stark in die Mitte. Burgstaller ist gelernter Stürmer und ist es aus 2-Stürmer-Systemen gewöhnt vertikal zu arbeiten. Einen großen Aktionsradius zu haben ist zweifelsohne gut – aber nicht unbedingt für einen Flügelspieler und vor allem nicht in die Breite.
Die Probleme:
1.) Die Automatismen auf seiner Seite werden über den Haufen geworfen, weil er als Anspielstation fehlt.
2.) Thomas Schrammel verteidigt bei Gegenkontern nicht selten gegen zwei Gegner, weil Burgstaller zu weit in die Zentrale driftete und dann in der Mitte einen Gegenspieler übernahm, der ohnehin schon einen Aufpasser aus dem zentralen Mittelfeld hätte.
3.) Ein hoher Aktionsradius ist für diejenigen Spieler ein Vorteil, die ihren Arbeitsplatz auf der Zentralachse haben. Auf Deutsch heißt das: 6er, 8er, 10er und Mittelstürmer.
4.) Ein Flügelspieler wie Burgstaller muss in engem Kontakt und in ständiger Kommunikation mit seinem Außenverteidiger stehen. Die beiden gehören zusammen, so wie auch Ribery und Alaba bei den Bayern untrennbar sind. Ausflüge quer über den Platz und die ungute Angewohnheit sich danach nicht sehr schnell wieder auf seine Grundposition zu begeben, sind für einen Flügelspieler, der in einer Spielphilosophie, in der Gruppentaktik und Automatismen das höchste Gut sind, absolut tabu.
Burgstaller und die dauerhafte Interaktion mit seinen Mitspielern
Burgstaller hat zahlreiche Vorzüge und kämpferisch ist ihm absolut nichts vorzuwerfen. Aber das Stellungs- und Laufspiel steht in keinerlei Verbindung zum Lauf- und Passspiel seiner Mitspieler. Burgstaller ist der Akteur, der am ehesten lernen muss, wie man im Block, also gemeinsam verschiebt und wie weit das Spiel in die Breite gehen darf. Dieser Spieler ist aufgrund seiner Grunddynamik eine gefährliche Waffe und hat das Zeug zu einem Top-Mann zu werden – aber taktisch hinkt er hinterher, weil er nicht im Kollektiv denkt, sondern für seine Position zu instinktiv spielt. Burgstaller ist der erste Spieler, der noch stärker in ein gruppentaktisches Korsett gepresst werden muss, um ihn noch effizienter und gefährlicher zu machen.
Dynamisches Hinterlaufen durch den Außenverteidiger
Wir bleiben noch immer bei Burgstaller, zumindest im passiven Sinn. Ein aktuelles Problem, das sicher auch mit der Angst einzelner Spieler einen Fehler zu machen erklärt werden kann, ist das unzureichende Hinterlaufen des Flügelspielers durch seinen Außenverteidiger. Was bereits gut funktioniert ist die defensive Absicherung des Zweiergespanns am Flügel, da einer der zentralen Mittelfeldspieler bei Ballbesitz am Flügel bei Ballbesitz gut nach außen rückt. Das wesentlich dynamischere Hinterlaufen des Flügelspielers durch den Außenverteidiger hat zwei Vorteile:
1.) Man kann den Außenverteidiger in vollem Lauf ins Spiel einbinden und Lochpässe in Richtung Grundlinie suchen.
2.) Wenn dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht geht, wird der Außenverteidiger dennoch von einem Gegenspieler begleitet werden und der Weg für den ballführenden Flügelspieler zur Mitte ist einfacher.
Gegenspieler binden, neue Situationen schaffen
Momentan zeigt sich bei Rapid, speziell durch Schrammel auf der linken Seite, das Problem, dass dieser eher nahe an Burgstaller mitjoggt, anstatt intensiveres Laufspiel (Hinterlaufen!) zu zeigen. Dies muss nicht unbedingt den Zweck erfüllen anspielbar zu sein, aber ähnlich wie beim vorherigen Boyd-Beispiel in der unmittelbaren Gefahrenzone, bindet er Gegenspieler und schafft Räume. Bleibt er jedoch immer wieder nahezu auf einer Höhe mit Burgstaller können die gegnerischen Defensivspieler hinter dem Ball bleiben und abwartender verteidigen, womit sie an der Outlinie praktisch immer im Vorteil sind (sofern nicht einem der beiden Flügelspieler eine gute Einzelaktion gelingt).
Die schwer zu verteidigende Rolle eines Offensivfreigeists zwischen den Linien
Eine Möglichkeit das Offensivspiel facettenreicher zu gestalten ist der Verzicht auf einen der beiden defensiven Mittelfeldspieler zugunsten eines zentral-offensiven Freigeists. Bestes Beispiel dafür war in der laufenden Saison Deni Alar, der beim 4:3 gegen Ried um Steffen Hofmann herum und doch defensiver als Boyd agierte – und prompt drei Treffer erzielte. Ein solcher Freigeist muss sich während des Spiels immer wieder in die Bereiche des aktuellen Ballführenden orientieren und stark ballbezogen (und vor allem zwischen den gegnerischen Linien!) spielen, also weniger darauf achten freie Räume in der Spitze zu finden. Der offensive Freigeist muss aufgrund dessen, dass er stets eine Anspielstation darstellen muss, in der Etappe und nicht an vorderster Front agieren. Dies ist vor allem in Heimspielen gegen technisch unterlegene Gegner ein probates Mittel und forciert aufgrund seines Spiels in die Breite auch die Spielverlagerungen an die Flügel oder an gute Positionen für Lochpässe in gegnerische Abwehrschnittstellen. Es ist zu beobachten, dass Rapid immer dann überdurchschnittlich viele Torchancen herausarbeitete, wenn ein solcher Freigeist auf dem Platz stand. So geschehen etwa nach Alars Einwechslung beim 2:2 gegen Mattersburg.
Vor- und Nachteile eines Freigeists auf Kosten eines etatmäßigen Sechsers oder Achters
Eine solche Rolle ist für den Gegner immer schwer zu verteidigen, weil sie nur im notwendigen Fall in einen Bereich vorstößt, der durch Manndeckung zu kontrollieren ist. Schöttel verzichtet jedoch nur auf einen zweiten defensiven Mittelfeldspieler und setzt auf den sich in der Breite bewegenden Freigeist, wenn es aufgrund des Spielstands nicht anders geht. Allgemeine Veränderungen, wenn der Freigeist unter Schöttel salonfähig wäre: Rapid würde sich mit 100%iger Sicherheit mehr Chancen herausarbeiten, wäre aber natürlich anfälliger auf Konter. Angesichts dessen, dass das taktische Hauptaugenmerk in der Schöttel-Ära auf der defensiven Stabilisierung und dem Umschaltspiel von Offensive auf Defensive lag, sollte ein leicht erhöhtes Konterrisiko der Möglichkeit einer wesentlich variableren Offensivreihe in der Etappe untergeordnet werden…
Mehr Variationen bei offensiven Standardsituationen
Ein weiteres Problem Rapids sind aktuell die Standardsituationen – defensiv, wie offensiv. Hier sind die Spieler in die Pflicht zu nehmen, weil offensichtlich einstudierte Züge bei offensiven Standards immer wieder aufgrund von schlechten Flanken scheitern. Allerdings könnte man sich auch Gedanken über mehrere Variationen machen. Das Muster mit dem ballverlängernden Spieler am kurzen Eck, den drei Größten, die in der Mitte einen kurzen Sprint in den Fünfmeterraum wagen und einigen weiteren Spielern, die von Strafraumeck zu Strafraumeck „abschmieren“ und auf Abpraller warten, hat sich in der Liga bereits herumgesprochen. Hier ist schlichtweg Kreativität gefragt. Hier gibt es absolut kein Patentrezept. Sehr wohl gibt es aber Steigerungspotential und gerade bei Standards ist es manchmal ein gutes Mittel, die Spieler selbst in die Entscheidungen bezüglich der gruppentaktischen Laufwege mit einzubeziehen.
Keine Entlastung bei defensiven Standards – keine Chance zu kontern
Das größere Problem sind jedoch eher die Defensivstandards, bei denen Rapid aufgrund der Grundordnung im Augenblick nur verlieren kann. Speziell bei Freistoßflanken aus dem Halbfeld macht Rapid den Fehler, dass sehr häufig kein einziger Spieler – ungeachtet des Spielstands – als Prellbock oder Entlastungsspieler auf einer offensiven Position verweilt. Selbst wenn Rapid den Ball gewinnt und die gegnerische Chance zunichte macht, hat man keine Chance schnell zu kontern, sondern muss Tempo aus dem Spiel nehmen, sodass die Offensivspieler nachrücken können. Nicht selten endet dies auch damit, dass Lukas Königshofer einen Auswurf zu dem Spieler macht, der es im Zuge des Umschaltens am weitesten nach vorne schaffte – und da zumeist schon von zwei Gegenspielern gedeckt ist. Ebenfalls ein absolutes No-Go in einer Spielphilosophie, die in solchen Lagen gepflegtes Aufbauspiel oder zielgerichtetes Konterspiel mit synchron verschiebenden Spielergruppen propagiert.
Fehler im Umschaltspiel von Offensive auf Defensive nach Standardsituationen für den Gegner
Das größte Problem im Bezug auf Standardsituationen war zuletzt das Umschaltspiel von Offensive auf Defensive nach einer erfolglosen Standardsituation für die eigene Mannschaft. Rapid wurde alleine von der Admira vergangene Woche zweimal böse durch die Mitte ausgekontert, weil einzig Harald Pichler mit dem nötigen Nachdruck und im Vollsprint auf Defensive umschaltete. Der Rest des Teams schaltete nicht schnell genug, erkannte die drohende Gefahr um Sekundenbruchteile zu spät und ermöglichte der Admira, die trotz ihrer aktuellen Probleme als gute Umschaltmannschaft gilt, ein Überzahlspiel als direkte Folge eines Eckballs für die eigene Mannschaft.
Bei Rapid gibt’s aktuell praktisch keinerlei Automatismen
Unser soeben gebrachtes letztes Beispiel ist ein Sinnbild für einen Fehler, der einer Mannschaft mit tatsächlich ausgeklügeltem Konzept nicht passieren würde. Die allgemeine Planlosigkeit, schwere Fehler im Spiel mit dem Raum und taktische Alleingänge, eben alles, was in diesem Artikel beschrieben wurde, sind niemals das Problem einer Mannschaft, die nach klaren Vorgaben spielt, die über ein wirtshausträchtiges „mehr über die Flügel“ oder „schneller nach vorne“ hinausgehen würde. Alles fängt bei einer Idee an und führt dann einzig und allein durch Automatismen und einfache, aber klare Regeln innerhalb des Kollektivs zum Erfolg. Die ausführlich beschriebenen Automatismen sehen wir bei Rapid aktuell nicht – und das ist der Grund dafür, dass das Kollektiv derzeit so hilflos ist.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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