Im zweiten Teil unserer Reihe über den Nachholbedarf im österreichischen Fußball kommen wir zur direkten Konsequenz des schwachen Umschaltspiels:  Das ebenso schwache Pressing. Das... Nachholbedarf im österreichischen Fußball (Teil 2): Pressing

Im zweiten Teil unserer Reihe über den Nachholbedarf im österreichischen Fußball kommen wir zur direkten Konsequenz des schwachen Umschaltspiels:  Das ebenso schwache Pressing. Das Pressing wurde übrigens von einem Österreicher (mit)eingeführt, nämlich dem großen Ernst Happel. Bereits Ende der 60er und Anfang der 70er ging der Trend dieser revolutionären Neuerung los und gilt heute als Standard bei großen Vereinen. In Österreich kann man davon allerdings nur wenig erkennen. Nachfolgend wird das Pressing erklärt, wieso es bei den heimischen Vereinen nicht funktioniert und warum dies für einen großen Nachteil sorgt.

Vielfach bekommt man erfolgreiche Konter und langsam aufgezogene Angriffe in den Spielen der österreichischen Bundesliga zu Gesicht. Wie können diese entstehen, wenn doch der Umschaltmoment nicht schnell und präzise genug vonstattengeht? Das Geheimnis dahinter ist die schwache Arbeit gegen den Ball in der gegnerischen Hälfte. In der österreichischen Bundesliga ist es eine Rarität, wenn der gegnerische Innenverteidiger sich unter wirklicher Bedrängnis sieht. Damit ist gemeint, dass zwar vereinzeltes Forechecking durchaus praktiziert wird – zumeist attackiert der vorderste Spieler alleine, um den Spielfluss des Gegners negativ anzukurbeln und in eine bestimmte Richtung zu lenken – , dies aber kaum von Effektivität gekrönt ist.

Ein gutes Gegenbeispiel sind die Rieder, welche mit einem relativ simplen Pressing-Konzept in den letzten Jahren verhältnismäßig große Erfolge feiern konnten. Die Oberösterreicher ließen sich weiter in die eigene Hälfte zurückfallen und formierten sich mit einem 3-3-3-1-System horizontal wie vertikal sehr kompakt aneinander. Die drei Innenverteidiger spielten zumeist auf einer Linie, wobei der zentrale Spieler jeweils die Absicherung für die beiden übernahm, wenn es Bedarf gab. Die beiden Flügelverteidiger wurden von diesen beiden Innenverteidigern abgesichert und waren in der Defensive die breitesten Spieler. Dadurch konnte man die gesamte Breite des Platzes absperren und sich mit einer Fünferkette bei gegnerischem Ballbesitz massiv formieren. Gegen ein solches System – so erkannten die meisten Trainer alsbald richtig – war ein Flügelspiel ohnehin extrem schwer durchzusetzen, weshalb man sich auf die Mitte konzentrierte. Hier fand man mit dem zentralen offensiven Mittelfeldspieler und dem Sechser dahinter eigentlich eine numerische Unterzahl vor, doch Gludowatz hatte dies bereits berechnet. Die SV Ried spielte nämlich keineswegs so breit, wie man es sich auf dem Papier hätte erwarten können. Die Mannschaft verschob kollektiv im Ballverbund dermaßen diszipliniert Richtung Ball, dass die Fünferkette lediglich eine Seite komplett verschloss und auf der ballfernen Außenbahn nur der Diagonalpass des Gegners für besondere Achtung sorgte. Die breit agierenden Flügel wurden außer Acht gelassen und die beiden Flügelstürmer der Rieder ließen sich ebenfalls etwas zurückfallen.

Sie spielten ohnehin etwas näher aneinander und dadurch waren es in den Pressingaktionen fast schon drei zentrale Spieler, die auf den Ballführenden schoben und von einem Sechser abgesichert wurden. Der Gegner hatte also kaum eine Wahl: im Zentrum waren Lochpässe aufgrund der Dreierkette der Oberösterreicher keine Option und der Sechser war in beinahe jedem Spiel ein defensiv- wie laufstarker Sechser, der unter Hilfe seiner Vordermänner einen engen Raum beackern konnte. Die Außen wurden von den Flügelverteidigern abgesichert und man tat sich mit Spielverlagerungen schwer, also wurde der Ball zumeist wieder nach hinten geschoben – die Rieder formierten sich neu und das Spiel begann von vorne – bis der Ball erobert wurde. In diesem Fall rückten die Flügelverteidiger wie auch die Flügelstürmer schnell nach vorne und der zentrale offensive Spieler verteilte die Bälle auf die Seiten. Schnelle Vorstöße über die aufgerückten gegnerischen Seiten sorgten für Gefahr und Gludovatz wählte einige Male seine Stürmer sehr passend, je nach Opposition. Zwischen einem schnellen wendigen Akteur, einem technisch gewandteren oder gar bulligeren Spieler konnte er wählen und man versuchte die gegnerische Abwehrkette den eigenen Möglichkeiten anzupassen sowie den eigenen Spielstil in Anbetracht der gegnerischen Schwächen umzustellen.

Die große Frage im österreichischen Fußball stellt sich abermals im Hinblick auf die Rieder: Eine solch effektive und durchaus taktisch kreative Variante des Pressings mit Erfolg zu praktizieren, ist durchaus ein Lob wert. Andere Underdogs, aber auch größere Mannschaften versuchen das System zu kopieren und die eine eigene und passende Version dieser Spielphilosophie an den Tag zu legen.

Symbolisch dafür steht hierbei die SV Ried. Sie dürfen sich zwar Erfinder dieser interessanten Taktik schimpfen, aber es fehlt eine Evolution und Anpassung an veränderte Begebenheiten. Man ist nun nicht mehr in nahezu jedem Spiel der Underdog, sondern hat sich einen Ruf als eine der vielen vermeintlichen Topmannschaften Österreichs erarbeitet – womit man sich sichtlich schwer tut. Wenn die Mannschaft Gludovatz‘ versucht, höher und aggressiver zu spielen, scheitert man ebenso kläglich wie es die Bullen aus Salzburg im Normalfall tun. Die Ursachen dafür sind tiefgründig und komplex. Einer der Vorwürfe an die österreichischen Fußballprofis ist, dass die Spieler zu wenig Athletik und spielerische Klasse besitzen, um in Europa individuell wie taktisch mitzuhalten. Daran mag einiges an Wahrheit verborgen sein, jedoch darf man hier zahlreiche weitere Faktoren nicht außer Acht lassen.

Ob fehlende taktische Ausbildung in der Jugend, zu wenig auf das Eintrainieren von spieltaktischen Elementen eingeschulte Trainer oder die inexistente Anpassung an die gegnerischen Eigenheiten – die Probleme sind mannigfaltig und ein komplexes System wie das Pressing benötigt hohe Disziplin in sämtlichen Bereichen, sogar abseits des Fußballplatzes. Dass das geordnete Bedrängen des Ballführenden in den letzten Jahren zum Standard in den europäischen Topligen geworden ist, zeigt nur, wie weit Österreich von der Spitze weg ist. Eine mangelnde Umsetzung vorhandener guter Ideen wäre durchaus zu entschuldigen, die aktuellen Umstände zeugen derweil von mangelnder Kompetenz in verschiedensten Bereichen. Ob darin eine Ursache für die derart niedrige Trefferquote in den letzten Partien zu finden ist? Nicht zuletzt schwören einige Trainer darauf, darunter Ralf Rangnick oder Jürgen Klopp, dass im modernen Fußball das Gros der Tore nur nach Ballgewinnen im zweiten und dritten Spielfelddrittel fallen können. Wenn man diese Aussagen betrachtet, verwundern die beängstigend wenigen Tore der letzten Runden kaum.

RM schreibt auch für spielverlagerung.de

Rene Maric

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