Stark im Kopf (1) – Sind die Deutschen noch zu retten? – WM-Qualifikationsspiel Deutschland – Schweden
Taktik & Theorie 21.Oktober.2012 Christoph D. Wahlen 2
Wie kann man einen 4:0-Vorsprung verspielen? Wie kann eine Weltklassemannschaft so gedemütigt werden? Ist die DFB-Blamage noch zu toppen? Und wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen, wenn sogar die schwedische Tageszeitung Aftonbladet ätzt: „Wir brauchen kein Nationalstadion in Stockholm, wir haben schon eins in Berlin.“
Schock und Fassungslosigkeit standen Joachim Löw und der DFB-Elf ins Gesicht geschrieben. Sie hatten am Dienstag die ersten 60 Minuten des Spiels klar kontrolliert. Und waren auf einmal wehrlos. Wehrlos gegen eine spielerisch unterlegene Mannschaft.
Kritiker sind schnell dabei den Schuldigen zu finden: Den Trainer!
Nun werden hastig Vorwürfe vorgebracht: Löws Spielstil ist zu unflexibel: er beruhe nur auf Sturm, Doppelpässe und Dribblings. Schnell werden auch Analytiker laut, die meinen es gäbe keine Balance zwischen Offensive und Defensive im Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Andere werfen dem – lange unangreifbaren – Trainier eine gewisse Arroganz vor und empfehlen eine robustere, radikalere Defensive, mit der die Mannschaft sich nach Ballverlust das Spielgerät schnell wieder zurück erobert. Das alles ist richtig, doch es schießt ins Leere. Es beschreibt weder die Systematik, die zu einem solchen Ergebnis führt, noch kratzt es die gegnerischen Schüsse beim nächsten Mal in einer vergleichbaren Situation raus. Wichtig hingegen ist es, dass der Trainer weiß, an welcher Schraube er drehen muss, um wieder erfolgreich zu sein.
Hier kommen wir zum Thema Psychologie und mentaler Stabilität. Wenn selbst jemand wie der charmante 52-Jährige Badener bekennt „ich bin in einer Schockstarre“ wird klar, dass er die Mannschaft bis zum nächsten Spiel nicht nur taktisch weiterentwickeln, sondern an ihrer mentalen Stärke arbeiten muss.
Wo fangen wir an? Am besten mit der Analyse des Problems, dann mit der Ausarbeitung und anschließen mit der Durchführung von Maßnahmen: Im vorangegangenen Spiel am Freitag gegen Irland hatten Jogis-Jungs noch einen erstaunlich leicht herausgespielten 6:1-Erfolg in Dublin erzielt. Und beim direkt folgenden Spiel am Dienstag lief es die erste Halbzeit und in den 15 Minuten der zweiten Halbzeit genauso weiter. Und das gegen den starken, ebenfalls ungeschlagenen Gruppengegner Schweden. Der folgende Wandel von der Spielkontrolle zur Blamage, beruht zum einen darauf, dass die junge DFB-Elf das Spiel im Kopf abgehakt hat. Damit greift die These, dass die deutschen Spieler, ähnlich einem Kellner bei der Abrechnung,„alle Tische innerlich abkassiert hatten“. Die Aufgabe schien erledigt.
Handlung abgeschlossen, alle Tische abkassiert!
Das erste Gegentor war unproblematisch. Es gehört irgendwie dazu. Erinnern Sie sich ganz banal an Fußball-Ergebnisse – es gibt eben häufiger ein 4:1 als ein 6:0. Also kein Grund zur Unruhe. Doch der zweite Gegentreffer, bei dem Neuer so angespielt wurde, das der Ball von seinem Bein ins eigene Tor gezirkelt wurde, war eine Demütigung und lähmte die deutsche Mannschaft, die plötzlich den Schweden nichts mehr entgegenzusetzenhatte.
Ein Fußballteam, genau wie jedes andere Team (egal ob eine Firma, ein Motorsportteam, oder das Team eines Tennis- oder Golfspielers), besteht aus mehreren Individuen. Es ist ein System, das auf mehreren Ebenen zusammenarbeitet und in dem ungeschriebene und unausgesprochene Regeln gelten. Hält die Führungspersönlichkeit, nach der sich alle richten, die Aufgabe für abgehakt, bzw. fällt diese in eine Art Schockstarre, wirkt das auf die anderen Einzelspieler. Das System der Lähmung verstärkt sich im Team, genau wie es vorher „blind“ zusammengepasst hat. Eine negative Abwärtsspirale beginnt sich zu entwickeln und zu festigen. Dazu kommt, dass der Erwartungsdruck eines Nationalteams enorm ist. Es ist etwas Besonderes für das eigene Land spielen zu dürfen. Und es ist keine Randsportart, wie z.B. Quadrathlon oder Synchronspringen der Herren.
Die inneren Bilder des Versagens und der Angst
Hier geht es um Rückhalt in der Bevölkerung. Es geht auch um einen wiederentdeckten Nationalstolz. Nicht nur im heimischen Club, vor den eigenen Fans, sondern die Emotionen einer ganzen Nation – stellen Sie sich das einmal vor. Und jetzt, während die Kanzlerin und 80 Millionen Bundestrainer im Stadion und vor den Bildschirmen zuschauen, kommen auf einmal die inneren Bilder des Versagens. Was wäre wenn wir das jetzt doch noch verlieren? Die Schande wäre kaum auszudenken. Der jüngste deutsche Kader seit 1934 steht in der Öffentlichkeit seit dem enttäuschenden EM-Aus gegen Italien im Halbfinale unter großem Druck. Ob des Volkes Skepsis Löw wirklich unsicher macht und ihn zu hektischen Fehlern treibt, hängt davon ab, ob er die mentale Kehrtwende schafft. Fußball-Spieler, die an die Spitze wollen, müssen lernen sich vom Ergebnis – und damit vom Außen – unabhängig zu machen. In meiner Arbeit als Mentalcoach ist es eine meiner Aufgaben, den Menschen Tools mit an die Hand zu geben, um sich besser selber kontrollieren zu können, statt in der Masse gefangen zu sein.
Ein Format, das ich mit einer Tennis Top-10-Weltranglistenspielerin besprochen hatte war, dass sie sich vorstellen sollte, sich auf die Tribüne zu setzen wenn sie „dumm“ spielt. Sie sollte sich selber von oben zuschauen, was sie da auf dem Platz so macht. Dabei beobachtet sie sich selbst von der Tribüne aus und sieht wie sie der Gegnerin die Bälle zuspielt und welche Chancen sie vergibt. Es hilft dabei Abstand von einem „falschen“ Verhaltensmuster zu gewinnen und einen Prozess zu stoppen, der Minuten zuvor noch unvorstellbar gewesen wäre.
Es ist wie auf einer Waage
Je schwächer der eine wird, desto stärker wird der andere. Besonders wenn das Siegtor (die Siegtore) schon geschossen sind, passiert es, dass das ganze Spiel kippt.
Die Frage nach Schuld oder Verantwortung möchte ich mit einem chinesischen Sprichwort beantworten: „Man wird sehen wozu es gut ist!“ Vielleicht können Sie sich vorstellen, dass es vorteilhaft ist, dass man jetzt, wo es noch nicht darauf ankommt, mit diesem Thema konfrontiert ist. Man kann lernen es jetzt zu bearbeiten, statt wenn es zu spät ist. In Zukunft muss dieses Szenario wieder und wieder eingeübt werden und eine Routine erarbeitet werden, um sich aus einem schlechten Muster herauszulösen und mit Krisen umzugehen. Genau wie ein Pilot einer Fluggesellschaft, der von seinem TRI/TRE-Checker alle drei Monate im Flugsimulator vor alle möglichen Katastrophenszenarien gestellt wird und lernt, diese zu lösen.
In meiner Arbeit geht es immer um Lösungen. Während z.B. ein Sportpsychologe einem Golfsportler von mir einmal sagte: Es gibt 78 Möglichkeiten beim Schwung etwas falsch zu machen, gebe ich meinem Klienten die Gewissheit, dass es mindesten einen Weg gibt, den richtigen Siegschwung zu machen. Ich unterstütze Einzelpersonen und Teams dabei nicht-zielführende Muster zu unterbrechen und durch neuere bessere zu ersetzen. Erfolg entsteht durch mentale Stärke!
Christoph D. Wahlen, abseits.at
Kurzvita Christoph Wahlen
Christoph D. Wahlen ist Mentalcoach für Geschäftsleute und Spitzensportler. Nach seinem BWL-Studium mit dem Nebenfach Sozialpsychologie, arbeitete er im Marketing und Vertrieb bei verschiedenen namenhaften IT-Firmen und gründete mehrere Start-Ups. Nach der anschließenden Coaching-Ausbildung begleitet der Diplom-Kaufmann Menschen, einzeln oder in Teams, um an sich zu arbeiten und kontinuierlich und beständig besser zu werden, um weiter an die Spitze zu kommen. In seinen Workshops spezialisiert er sich auf die Themen Neuro-Ökonomie, psychologische Fallstricke, Behavioral Finance und konkrete Lösungsmöglichkeiten, des mentalen Trainings. Er hält regelmäßig Vorträge zu den Themen »Das irrationale Gehirn«, »Gehirn und Geld«, »Mentaltraining und Spitzenleistung «, »Verlustangst überwinden« und »So holen Sie das Beste aus sich heraus!«.
In der Zusammenarbeit lernen Menschen mit dem systemischen Coach und Buchautor die eigenen Psychofallen zu erkennen, mehr zu reflektieren, statt reflexartig zu handeln und sich innerlich auf Erfolg zu trimmen.
PRO Mental Coaching
Christoph Wahlen
web: http://www.pro-mental-coaching.com/sport.php
mail: [email protected]
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