In dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien,... Verlorene Weltklassespieler (7) – Owen Hargreaves

England FlaggeIn dieser Serie gehen wir auf einzelne Weltklassetalente ein, die auf dem Sprung standen – und ihn nicht schafften. Zumeist waren es persönliche Tragödien, Verletzungen oder einfach die Umstände ihrer Karriere: Die Aussage „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ kann manchmal schmerzhaft wahr sein.

Wir lassen die Karrieren diverser Akteure Revue passieren, spekulieren über die mögliche Auswirkung ihres fehlenden Durchbruchs in der Geschichte des Fußballs und ein kleines „was wäre, wenn…?“ darf natürlich auch nicht fehlen. Immerhin besitzt nahezu jeder Fußballfan noch eine schöne Erinnerung an solche Spieler und jene fragende Wehmut, welche Erinnerungen man nicht verpasst hat.

In diesem Teil widmen wir uns …

Owen Hargreaves

Eigentlich könnte er noch auf höchstem Niveau spielen: Owen Hargreaves ist erst 31 Jahre alt und entspricht nach wie vor dem Ebenbild eines modernen Fußballers. Dennoch hat er zurzeit keinen Verein. Dafür ist das Misstrauen der möglichen Käufer in den Körper des ehemaligen englischen Fußballers des Jahres zu groß. Zu oft war er in den letzten Jahren verletzt, wirklich fit war er nie, obwohl er sich selbst so bezeichnet. Aktuell weigert sich Hargreaves in die Niederungen unterer Ligen zu wechseln. Noch immer sieht er seine Zukunft auf höchstem Niveau; sogar aus Österreich von Rapid Wien und Red Bull Salzburg soll es Interesse gegeben haben. Dennoch scheint eine potenziell große Karriere praktisch beendet zu sein, außerdem dürfte er ohnehin nie mehr an seine alte Klasse anknüpfen können.

Der Durchstarter

Eigentlich liest sich der Anfang seiner Karriere wie ein Märchen. Der Sohn britischer Immigranten spielte erst mit 15 Jahren in Kanada „wirklich“ Fußball; mit 13 begann er zwar bei den Calgary Foothills mit zu trainieren, sein sportlicher Fokus widmete sich aber erst mit 15 dem Fußball gänzlich zu. Ein Jahr später, im Jahre 1999, unterschrieb er prompt einen Vertrag in der Jugend des FC Bayern. Viele große Talente scheitern aber bei den Münchnern. Manche kommen später bei anderen Vereinen groß raus, wie Roque Santa Cruz in England oder mit Abstrichen Alou Diarra in Frankreich und Zvjezdan Misimovic beim VfL Wolfsburg, andere geraten vollständig in Vergessenheit. Oder kennt noch jemand Erdal Kilicaslan oder Nils-Eric Johansson?

Doch Hargreaves war wohl die beste aller Neuverpflichtungen; er kam im gleichen Jahr wie Santa Cruz, schaffte aber deutlich früher den Durchbruch. Schon in der Saison 2000/01 debütierte er in der ersten Mannschaft und spielte in der Champions League sogar im Halbfinale gegen Real Madrid für den verletzten Jens Jeremies. Auch im Finale gegen Valencia zeigte der 20-Jährige eine beachtliche Leistung und eroberte sich in den nächsten Jahren einen Stammplatz bei den Bayern.

Ein gebrandmarkter kompletter Fußballer

Die Position war ihm dabei allerdings ziemlich egal. Hargreaves konnte auf beiden Außenverteidigerpositionen auflaufen (idealerweise rechts), war ein starker Sechser und Achter oder konnte auch als defensive Variante auf der offensiven Außenbahn spielen. Er überzeugte in fast allen Aspekten: Sein Passspiel war sauber und präzise, seine Flanken und Freistöße sehr gut und defensiv war er kaum zu überwinden. Zu seiner großen Ausdauer und Schnelligkeit kam auch eine individualtaktische gute Zweikampfführung, eine hohe Spielintelligenz und Bissigkeit.

Einige Titel holte er bei den Bayern – doch auch die Verletzungsmisere begann dabei. Schon mit 22 Jahren hatte er immer wieder kleine Verletzungen, mit 25 Jahren brach er sich sogar das Bein. Für einen Spieler, der seine Zukunft wohl als Rechtsverteidiger oder als defensivstarker box-to-box-Spieler im zentralen Mittelfeld gehabt hätte, ein herber Rückschlag in der Entwicklung. Solche Spieler erreichen ihren Zenit oftmals Ende 20 oder Anfang 30; in diesem Alter befindet sich Hargreaves gerade und bestritt in den letzten drei Jahren keine fünf Partien.

Zu jener Zeit waren es aber nur einzelne Verletzungen. Bei der WM 2006 gehörte er zu den besten Akteuren Englands und wurde im gleichen Jahr zum Fußballer des Jahres gewählt; mit 29% der Stimmen vor Steven Gerrard (18%). Schon fünf Jahre zuvor hatte Hargreaves eine individuelle Ehrung erhalten, nämlich als weltweit größtes Nachwuchstalent im Jahr 2001.

England gierte also nach der Rückkehr des Hoffnungsträgers in die stärkste Liga der Welt – Sir Alex Ferguson erfüllte den Fans und der Presse diesen Wunsch.

Vom Rekordtransfer zum Sportinvaliden

25 Millionen Euro zahlte Manchester United für die Dienste von Hargreaves an den FC Bayern München. Ob die Bayern den englischen Star verkauften, weil er für sie einen geringeren Wert hatte oder weil sie die Verletzungsprobleme bereits erahnten, wurde in den letzten Jahren einige Male in englischen Foren kritisch erörtert. In seiner ersten Saison gab es darauf schon erste Hinweise: Er hatte viele kleinere Knieprobleme, konnte aber dennoch die meisten Einsätze verbuchen.

Dabei war Hargreaves ein wichtiger Baustein  in einer historischen Saison. Mit 87 Punkten und einem Torverhältnis von 80:22 sicherten sie sich die Meisterschaft vor Chelsea. Chelsea war auch in der Champions League der große Gegner. Im Finale trafen sie aufeinander und Hargreaves spielte als „defensive winger“ eine Rolle, die nach ihm Ji-Sung Park spielen sollte.

Hargreaves nahm Ashley Cole über weite Strecken aus dem Spiel und unterstützte das zentrale Mittelfeld aus Scholes und Carrick in der Defensive, welche die absichernde Plattform für den fluiden Dreiersturm aus Ronaldo, Tevez und Rooney gaben. Im Halbfinale gegen Barcelona hatte Hargreaves als Rechtsverteidiger gegen Andrés Iniesta seinen Mann gestanden und im Rückspiel gar hinter dem zockenden Ronaldo abgesichert.

Das System Manchester United in dieser Saison wurde von englischen Taktikexperten wie Jonathan Wilson und Michael Cox gemeinhin als neue Evolution gesehen, die auch als 4-6-0, 4-2-4-0 oder 4-3-3-0 bezeichnet wurde. Hargreaves hatte daran großen Anteil.

In der nächsten Saison verschlimmerten sich seine Knieprobleme, es sollte der Anfang vom Ende werden.  Im Jahr 2008 wurde er in Abstand weniger Monate 3-mal operiert, erst nach 21 Monaten gab er sein Comeback. Es dauerte zehn Minuten und wegen einer Verletzung wurde er ausgewechselt. Diese Partie war seine letzte für United, danach blieb er kurze Zeit ohne Vertrag.

In dieser Zeit sorgte er für Aufsehen, als er YouTube-Videos von sich selbst beim Trainieren postete, um seine Fitness anderen Vereinen zu beweisen. Diese Werbung brachte ihm Interesse einiger Premier-League-Teams und Manchester City verpflichtete ihn letztlich kurz vor Ablauf des Transferfensters.

Auch hier gab es kleine Proteste der United-Fans. Einerseits betraf die Kritik natürlich Hargreaves selbst, andererseits auch City, denen unterstellt wurde, sie wollten United mit solchen Transfers bloß ärgern. Ob wirklich so etwas Unseriöses dahinter steckte, darf aber bezweifelt werden. City suchte eher nach einem günstigen Ersatz für Yaya Touré, der im Winter beim Afrika-Cup war; Patrick Vieira hatte just zuvor seine Karriere bei Manchester City beendet. Vier Einsätze später wurde sein Vertrag Ende April aufgelöst; seitdem sucht Hargreaves wieder nach einem Verein.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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