Kommentar | Die etwas andere Taktikanalyse über Suderantentum, die Muppetshow und Rapid-Spieler, die „ois foisch mochn“
Fankurve 1.Dezember.2013 Daniel Mandl 7
Heute geht’s wieder ins Hanappi-Stadion. Vertrautes Terrain, nachdem Rapid den FC Thun im von Fans eher ungeliebten Ernst-Happel-Stadion besiegte und sich so nach einer eher glanzlosen Partie ein „Endspiel“ in Kiev erspielte. Normalerweise bin ich es, der Rapid-Spiele im Nachhinein auf abseits.at analysiert und auf taktische Fehler und entscheidende Facetten des Spiels hinweist. Aufgrund meiner diesjährigen Happel-Stadion-Experience muss dies nach dem Spiel gegen den FC Thun etwas anders ausfallen als sonst.
Die Pressetribüne ist nicht meine Welt. Zu wenig Emotion. Im Hanappi-Stadion habe ich meinen Aboplatz, im Europacup beginnt mit dem ersten Tag des Vorverkaufs auch für mich das Rittern um die besten Plätze. Wenn Rapid spielt bin ich gerne unter Freunden, die das Spiel ebenso kritisch betrachten wie ich. Eine gute Mischung aus Konzentration und Gemütlichkeit. Das kann ich eben nur auf „meinem eigenen Platz“. Im Hanappi-Stadion kennt man sich. Die Stadionbesucher in den benachbarten Reihen gehören seit Jahren zum Stadionbesuch dazu. Mal ist der eine emotionaler, mal wieder der Motivator, der die Mannschaft antreibt. Die Emotionen der Stammgäste in Wien-Hütteldorf verteilen sich gleichmäßig auf 18 Runden, egal ob es zu Hause gegen den FC Wacker Innsbruck geht oder ein großes Wiener Derby vor der Tür steht.
Muppetshow
Im Happel-Stadion ist das etwas anders. Gemeinsam mit vier Freunden saß ich in den Spielen gegen Kiev, Genk und Thun im zweiten Rang des Sektor E. Gute Plätze, fast genau auf Höhe der Mittelauflage – perfekt um danach eine fundierte Taktikanalyse aus dem Ärmel zu schütteln. Wer aber rund um uns sitzen würde, war wie immer ein Lotteriespiel. Man sieht Gesichter, die man eben nicht aus dem Ligaalltag im Hanappi-Stadion kennt. Und da kann’s dir schon mal passieren, dass hinter dir vier Herren, schätzungsweise zwischen 50 und 70 sitzen, die dich frappant an die Muppetshow erinnern und an denen die Veränderungen der letzten 15 Jahre im Fußballsport vorbeigingen.
Sudern
Anpfiff gegen Thun – was uns erwartet wussten wir bereits. Hinter uns würde 90 Minuten gesudert werden. Das alleine ist ja kein Problem, das Stadion ist schließlich ein Ventil, wo ein bisschen verbaler Dampf abgelassen werden muss. Mühsam wird das Sudern, wenn es sich mit völliger Planlosigkeit über das Geschehen auf dem Platz paart. Die Anfangsphase war eher von Abtasten geprägt und Rapid begann seinen Spielaufbau erstens tief und zweitens nicht riskant. Uuuund los geht’s!
Vire!!!
„Spüüts vire!!!“ – ich spüre ein erstes Zucken in meiner linken Augenbraue. Ja, auch ich will, dass nach vorne gespielt wird, aber nicht um jeden Preis. „Haut’s erm vire!!!!!“ – die Zwischenrufe werden lauter. „De Verteidiger spüün an Schaaaas!!!!!!“ – und noch lauter. Was die Herren nicht überzuckerten war aber die Staffelung, die für das zwischenzeitliche Ballgeschiebe in der eigenen Abwehr verantwortlich waren.
- Abwechselnd ließen sich Boskovic oder Petsos zwischen die Innenverteidiger fallen, um im Spielaufbau zu helfen.
- Schrammels Feldposition war etwas höher als sonst, dennoch war er für die Innenverteidiger unmittelbar anspielbar.
- Terrence Boyd stand als offensivster Akteur des Teams am gegnerischen Sechzehner.
- Um ihn herum bewegten sich Hofmann und Burgstaller auf Halbpositionen. Zumeist standen die beiden aber auf einer Linie mit Boyd und kamen dem jeweiligen Ballführenden nicht entgegen.
- Links stand auch noch Sabitzer auf einer Linie mit den offensivsten Spielern.
- Und Rechts hielt auch Trimmel sich nicht gerade zurück, stand ebenfalls in der Angriffsreihe.
- Fazit: Rapid stand im Aufbau in einer Art 3-2-5. Schrammel war dabei eher eine Notanspielstelle und wenn sich Petsos oder Boskovic zurückfallen ließen um Bälle abzusammeln, war die Grundordnung eher ein 4-1-5. Die Ziffer 1 in der Mitte ist nun das Problem. Rapid hatte durch die hohe Feldposition seiner Offensivspieler keine Bindung zwischen Defensive und Offensive. Im Mittelfeld klaffte ein Loch. Sabitzer, Burgstaller, Hofmann und Trimmel hätten als Kette nach hinten verschieben müssen, um gediegenes Kurzpassspiel zu ermöglichen. Taten sie aber nicht – und so schoben sich Sonnleitner und Dibon den Ball hin und her, auf der Suche nach einer sich öffnenden Anspielstation, die sich aber selten anbot. Es waren also nicht die Verteidiger, die einen „Schas“ spielten, sondern das Antizipationsspiel vieler anderer Akteure, das Rapid in diesen Szenen bremste. Ein Fehler, der heute gegen Wacker Innsbruck abgestellt werden muss.
„Da Boyd, Jessas Marant Josef!“
Zwangsläufig spielte Rapid weite Bälle nach vorne. Der Hauptabnehmer war Terrence Boyd und schon begannen unsere Muppets im Rücken sich auf einzelne Spieler einzuschießen. „Der Boyd kaunn afoch net kicken! Der kaunn si kann Boin stoppn! Der konn kann grodn Pass spüün!!!!“ – Ja, alles einigermaßen richtig, wenn auch sehr oberflächlich analysiert. Wenn man Terrence Boyd beim Spielen zusieht, sollte man sich vorher keine Maradona-Videos auf YouTube ansehen. Aber für die feine Klinge steht der US-Boy auch nicht. Viel mehr ist Boyd ein bindender Stürmer, der durch seine körperliche Präsenz und harte Zweikampfführung Lücken reißt, Gegenspieler mitzieht und Bälle behauptet. Mit Betonung auf „behauptet“, denn in der Weiterverarbeitung begeht er zahlreiche technische Fehler.
„Den hätt i a gmocht“
Aber Boyd gewann gegen Thun 6 von 9 Luftduellen, antizipierte vor allem in der zweiten Halbzeit brav und band Thun-Verteidiger Sulmoni, wodurch Reinmann – der zur Pause ausgewechselt wurde – alle Hände voll mit Sabitzer und/oder Burgstaller zu tun hatte. Zudem stand Boyd beim verhältnismäßig einfachen 1:0 dort, wo er stehen musste. Aber: Auch dort muss man erst stehen. Hinter uns: „Is ja eh kloa, dass der nur so a Goi mochn kaunn“. Das war den Herren aber nach dem enthusiasmierenden Führungstor dann doch etwas zu negativ und es wurde ein „De Tialn gegen die Belgier hätt i owa a gmocht. Da is erm jo nur der Boin am Schädl gfoin“. Ich verstehe natürlich die Dramatisierung dieser Aussage, aber nein, meine Herren, die Türln hättet ihr nicht gemacht. Viel mehr hättet ihr 90 Minuten lang keinen einzigen Ballkontakt gehabt – außer vielleicht bei der Mittelauflage. Ich mag ja „den hätte ich auch gemacht“-Kommentare im Stadion, vor allem weil sie viele Leute wirklich ernst meinen.
„De mochn ois foisch“
Die Passgenauigkeit Rapids lag am Ende des Spiels bei 76% und damit etwas unter dem Durchschnitt der Grün-Weißen. Zur Pause war die Passquote noch etwas höher – jedenfalls aber immer über der des FC Thun. Als es Rapid aber in der ersten Halbzeit nicht gelang das 2:0 nachzulegen, vernahm ich nach etwa 35 Minuten den wunderbaren, wenn auch leisen Zwischenruf: „Barisic, hau hoid amoi an, zwa ausse!“. Nein, man wechselt nicht nach 35 Minuten zwei Spieler aus, wenn man 1:0 gegen eine Mannschaft führt, die immerhin auch Fußball spielt. Es gibt in der Europa League keine Rückwechsel wie bei den Miniknaben. Nein, man muss nicht erst dann zufrieden sein, wenn das Team die Passquote des FC Barcelona aufweist. Nein, der Petsos war nicht schlecht („da Petsos mocht jo a nur Bledsinn“), der Petsos hatte 93 Ballkontakte, spielte 71 Pässe und brachte 85% an den Mann. Nein, auch der Boskovic war nicht nutzlos („da Boskovic mocht heit wieder ois foisch“), weil er der Spieler war, der am öftesten die von der Reihe hinter mir geforderten Spielverlagerungen versuchte, eine 80%ige Passquote aufwies und vor allem das Siegtor zum 2:1 erzielte. Apropos Siegtor: „Den hätt i a gmocht!“ – NEIN, HÄTTEST DU NICHT! Du wärst beim Versuch dort hinzukommen, wo Boskovic bei Burgstallers Pass stand, an der Mittellinie mit schwersten pulmonalen Problemen liegen geblieben und hättest die nächsten zwei Wochen deine Kunstledergarnitur im Wohnzimmer nicht verlassen!!
Abschalten
Zwischen Ausgleich und Siegtor wurde es dann ganz schlimm mit unseren Muppets. Die eigenen Spieler waren plötzlich bei jeder Gelegenheit „Orschlecha“ und selbst Sekunden (!) nach dem 2:1 wurde munter weitergesudert. Ich beschloss mein Gehör weitgehend abzuschalten und meine Sinne zu fokussieren. Visuelles auf dem Platz und auch ein bisschen Konzentration auf meine Zehen, die ob der Eiseskälte wohl schon nekrotisch waren.
Auch wenn man es nie allen Recht machen kann: Bei Rapid herrscht wieder Euphorie und heute soll gegen den FC Wacker Innsbruck der nächste Dreier eingefahren werden. Im vertrauten Hanappi-Stadion, das sich Europacup-Touristen nicht antun, wenn es bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gegen den Vorletzten geht.
(Daniel Mandl)
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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