Viele Fans der deutschen Nationalmannschaft forderten die unterschiedlichsten Spieler in den letzten Monaten. Einige wollten die Jungtalente Max Meyer und Timo Werner in der... Ein Mann für Jogi Löw? (2) – Shkodran Mustafis Stärken und Schwächen

DFB, Deutschland, NationalteamViele Fans der deutschen Nationalmannschaft forderten die unterschiedlichsten Spieler in den letzten Monaten. Einige wollten die Jungtalente Max Meyer und Timo Werner in der A-Mannschaft sehen, andere verlangen nach wie vor die Rückkehr Stefan Kießlings ins Sturmzentrum und so mancher fordert gar Augsburgs Mittelfeldstrategen Daniel Baier für die Position vor der Abwehr.

Beim Testspiel gegen Chile entschied sich Bundestrainer Jogi Löw jedoch für vier andere Überraschungen. Drei davon – Augsburgs Flügelstürmer André Hahn, Freiburgs Defensivallrounder Matthias Ginter und Hamburgs Stoßstürmer Pierre-Michel Lasogga – sind den meisten aus der deutschen Bundesliga ein Begriff. Doch der vierte Name sorgte für Aufsehen, weil er schlichtweg kaum einem geläufig war: Shkodran Mustafi von Sampdoria Genua. Dabei kann sich der junge Innenverteidiger berechtigte Hoffnungen auf einen WM-Platz machen.

Im zweiten Teil geht es insbesondere um seine speziellen Stärken und Schwächen sowie seinen Spielstil.

Zwischen Thiago Silva und Rio Ferdinand

Vorab: Natürlich ist Shkodran Mustafi keine Mischung aus Thiago Silva und Rio Ferdinand, die beide – zieht man Ferdinand zumindest das eine oder andere Jährchen ab – in Topform zu den besten Innenverteidigern aller Zeiten gehören. Auch wird er selbst bei größtmöglicher Nutzung seines Potenzials wohl nie auf eine Stufe mit diesen beiden Weltstars zu stellen sein. Allerdings entspricht er von seiner Spielweise her durchaus diesen beiden Spielertypen in gewissen Teilaspekten.

So agiert Mustafi oft im Stile eines Liberos, offensiv wie defensiv. In der Abwehrarbeit äußert sich dies beispielweise dadurch, dass er teilweise seinem Gegenspieler etwas Raum lässt, sich eher am Ball orientiert, aber bei Pässen auf den Gegenspieler dynamisch herausrückt und aggressiv attackiert. Teilweise muss er dank seiner Antizipation nicht den Gegenspieler stellen, sondern fängt den Pass direkt ab. Ansonsten verhindert er meistens, dass sich der Gegner dreht und versucht durch die Bedrängnis den Ball zu erobern.

Ähnlich spielt auch Thiago Silva. Mit dieser Spielweise lässt man sich oft mehr Optionen im Defensivspiel und kann auch länger mit der endgültigen Entscheidung, was genau man tut, warten. Gleichzeitig sichert man den wichtigen Raum.

In dieser Szene tut er dies zum Beispiel:

Bei dem langen Ball aus der gegnerischen Hälfte lässt er zuerst etwas Abstand auf seinen Gegenspieler und sichert gleichzeitig seinen Mitspieler sowie den offenen Raum hinter diesem ab. Als der Gegner den Kopfball gewinnt und versucht auf seinen Sturmpartner zu spielen, läuft Mustafi dann aggressiv nach vorne, erobert den Ball und klärt ihn mit einem Dribbling aus der Gefahrenzone.

Eine weitere sehr gute Szene in der Defensive, wo er wie ein Libero eine Situation antizipiert und schön klärt, kann man hier sehen:

Defensiv entspricht ihm diese Spielweise also überaus gut. Allerdings ist dieses Libero-artige im offensiven Aspekt und eigenem Aufbauspiel trotz einiger schöner Dribblings natürlich nicht so positiv ausgeprägt wie bei Thiago Silva. Der Brasilianer wechselt zum Beispiel den Rhythmus sehr gut, streut hervorragend unterschiedlichste Pässe ins Spiel und kann auch Drucksituationen ungemein erfolgreich bespielen. Mustafi hingegen ist hierbei deutlich monotoner, obwohl er in der strategischen Ballverteilung intelligent ist und über eine saubere Passtechnik mit relativ wenigen Fehlern verfügt, selbst bei langen Bällen ist er ziemlich erfolgreich.

Hier ist er somit eher ein bisschen wie der eingangs erwähnte Rio Ferdinand, der größere Drucksituationen ebenfalls meidet und Rhythmuswechsel nicht in seinem Repertoire hat, dafür aber ebenfalls über eine starke Passtechnik mit guten Kurzpässen und starken langen Bällen kommt. Dazu kommt bei Mustafi noch das häufige Aufrücken ins Mittelfeld, was sich insbesondere gegen passive Gegner mit tieferem Pressing und nur einem Stürmer zeigt.

In diesen Situationen schiebt er nach vorne, besetzt einen offensiveren Raum und wartet dann, bis sich vor ihm etwas tut.

Generell ist dieses Abwartende in seiner Spielweise ausgeprägt; hat er keine Optionen, versucht er auch keine zu erzwingen oder sich schnell des Balles zu entledigen, sondern wartet ab, verändert seine Position etwas und sucht nach einer Unterstützung seiner Mitspieler beziehungsweise der Veränderung der Staffelung.

Ergibt sich diese neue Staffelung, dann bespielt er jedoch sehr schnell – und auch bei der Suche nach dieser Veränderung wirkt er fast unruhig, verändert seine Position sehr schnell und oft, was sich insbesondere bei seinem häufigen Aufrücken zeigt.

Wie in dieser Szene schiebt er oft mit Ball am Fuß nach vorne und spielt dann innerhalb der gegnerischen Pässe scharfe, flache Kurzpässe:

Dieser Aspekt zeigte sich auch schon in der Heatmap aus dem ersten Teil sowie auch in Mustafis Interview mit WhoScored.com, wo er auch von der „mangelnden Geduld“ als seiner größten Schwäche sprach.

Dass die Ungeduld nicht zu ausgeprägt ist, zeigt auch folgende Situation:

Hier macht Mustafi alles richtig. Er hat keine Option und erkennt, dass der Gegner unangenehm und passiv steht. Er schiebt nach vorne, versucht durch seine positionelle Veränderung eine Anspielstation zu generieren und dreht strategisch intelligent ab, als sich keine ergibt.

Darum kann man ihm diesen Aspekt nicht wirklich als Schwäche auslegen; außerdem behält er auch bei Balanceverlust unter Druck und gegnerischem Pressing meistens die Ballkontrolle und kann die Situation noch sauber klären, auch bei seinem aggressiven Herausrücken in Kopfballduelle kann er selbst bei eigentlich unangenehmer Körperhaltung noch technisch hochwertige Kopfbälle spielen.

Hier lupft er zum Beispiel in einer Drucksituation einfach über den Gegner und befreit sich somit aus dem Pressing:

Fazit

Alles in allem ist Mustafi ein überaus interessanter Spieler – sowohl vom Potenzial her, als auch vom reinen Spielertyp gesehen. Defensiv spielt er vom Stellungsspiel her teilweise überaus abwartend, kann dann aber enorm aggressiv, körperbetont und dynamisch agieren. Offensiv verfügt er über ein starkes Passspiel, teilweise sehr weites und intelligentes Aufrücken, vereinzelte Dribblings und eine gute Ballverteilung aus der eigenen Abwehr heraus. Mit seinen körperlichen Fähigkeiten kann er neben der Position als Innenverteidiger auch als (eher defensivorientierter) Außenverteidiger, als Abräumer vor der Abwehr, oder sogar idealerweise als Halbverteidiger in einer Dreierkette agieren.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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