2:1 – Belgien knackt die engmaschige algerische Strafraumverteidigung
WM 2014 | Taktikanalyse 18.Juni.2014 Tobias Robl 0
Glücklich, aber am Ende verdient, gewinnt Belgien sein Auftaktspiel gegen Algerien mit 2:1. Dabei verteidigen die Nord-Afrikaner über weite Strecken stark, scheitern am Ende aber wegen zwei individuell starken Aktionen von Fellaini und Mertens.
Marc Wilmots ließ seine Mannschaft wie erwartet in einem 4-2-3-1 auflaufen, in dem Dembele und Witsel die Doppelsechs bildeten. Dazu kam auf der Zehn Nacer Chadli von Tottenham und auf den Flügeln De Bruyne, sowie Eden Hazard vom FC Chelsea. Im Sturm agierte Lukaku und die Viererkette vor Torwart Courtois bildeten Vertonghen, Kompany, Daniel van Buyten und Alderweireld.
Dahingegen agierte Algerien in einem 4-3-3 mit M’Bohli im Tor. In der Viererkette kamen dazu Faouzi Ghoulam, Rafik Halliche, Madjid Bougherra und Mehdi Mostefa zum Einsatz. Vor der Abwehr agierten als alleiniger Sechser Carl Medjani mit Bentaleb und Taider von Inter Mailand auf den Halbpositionen. Feghouli, sowie Mahrez auf den Flügeln und Soudani im Sturm komplettierten die erste Elf.
Belgiens Pressing greift erst nach ein paar Minuten
Zu Beginn der Partie bekamen die Belgier, die gegen den Ball in einem 4-1-4-1 mit vorgezogenen Achtern agierten, relativ wenig Zugriff auf den Spielaufbau der Algerier. Daher wirkte das Spiel in den ersten Minuten offen, mit leichten Vorteilen für die Algerier, die allerdings zu keinen Torchancen kamen.
Als dann nach ein paar Minuten Lukaku weiter nach vorne schob und die Innenverteidiger besser anlief, konnte man Algerien schon früh unter Druck setzen und deren Spiel aus der Mitte heraus lenken. Kurze Anspielstationen, etwa die beiden Achter und Sechser Carl Medjani, wurden mannorientiert zugestellt. Die Innenverteidiger ließ man mit Ball aufrücken und versuchte sie dann zu isolieren.
Belgien kontrolliert die ersten beiden Drittel
In der Folge bekam man auch insgesamt mehr Kontrolle über das Spiel und war vor allem im Spielaufbau gut strukturiert und sicher. Dabei spiele Axel Witsel den tieferen der beiden Sechser, kippte aber nicht nach hinten ab, sondern orientierte sich genauso wie Dembele in die Räume neben den beiden Stürmern der Algerier, die dadurch entstanden, dass diese im 4-4-1-1 pressten.
Dabei interpretierte die Mannschaft von Trainer Vahid Halilhodzic das 4-4-1-1 zu Beginn als tiefes Mittelfeldpressing und später dann als Abwehrpressing. Dabei gab es einen hohen Grad an direkten Zuordnungen zu den Gegenspielern, was vor allem auf den Flügeln deutlich wurde, wo die beiden Flügelspieler Feghouli und Mahrez die aufrückenden belgischen Außenverteidiger oft mannorientiert aufnahmen und so teilweise Stellungen mit sechs Mann auf einer Linie erzeugten.
Belgien kommt nicht in die Endphase der Angriffe
Fast während der kompletten Partie hatte Belgien Probleme die Angriffe ins letzte Drittel zu tragen und dann auch konsequent fertig zu spielen. Dabei agierte mit Chadli ein eher vertikaler Spielertyp auf der Zehn, wofür De Bruyne auf den rechten Flügel ging, von dort aber viel zur Mitte und in den Halbraum kam, um dort Überladungen anzustoßen. Außerdem sollte so der Flügel für nachrückende Bewegungen des offensiven Außenverteidigers Alderweireld geöffnet werden.
Die Mehrzahl der Angriffe spielten die Belgier aber über die linke Seite, auf der Hazard ebenfalls eine eingerückte Rolle einnahm und Vertonghen aber nicht ganz so hoch spielte wie Alderweireld auf der anderen Seite. Dazu schob Lukaku noch mehrmals mit zur Seite, genauso wie De Bruyne vom anderen Flügel.
Anstelle der erhofften Überladungen mit anschließenden Schnellkombinationen und folgenden Verlagerungen auf die andere Seite verdichtete man aber meistens nur selbst die Räume und kam aus dem Spiel heraus so gut wie nie in die Endphase der Angriffe, geschweige denn zu Chancen. Die vielen Mannorientierungen und klaren Zuordnungen der Algerier zeigten sich hier sehr wirkungsvoll.
Wilmots Anpassungen
Schon während der ersten Halbzeit nahm Marc Wilmots deswegen immer wieder kleinere Anpassungen vor, um das Spiel seiner Mannschaft zu verbessern. So agierten z.B. die Sechser situativ deutlich höher und fungierten so als Raumblocker für Kompany und van Buyten, die das ein oder andere Mal mit Ball am Fuß aufrücken konnten, um den Ball dann erst auf Höhe der Mittellinie oder sogar einige Meter später in der algerischen Hälfte abzuspielen.
Ab der zwanzigsten Minute staffelten sich zudem Witsel und Dembele auf der Sechs anders, indem einer der beiden jeweils hinter den ballnahen Außenverteidiger ging und der andere sich im Zentrum als Verlagerungsoption positionierte. Die Crux an der Sache war jedoch die teilweise etwas schlecht gestaffelte Absicherung bei Kontern.
Algeriens tiefer Spielaufbau und das direkte Spiel nach vorne
Wie bereits beschrieben praktizierten die Algerier im eigenen Spielaufbau ein relativ tiefes Passspiel, wobei die Innenverteidiger von den beiden Achtern und dem meist im linken Halbraum spielenden Carl Medjani unterstützt wurden.
Meistens eröffnete man das Spiel dann auch über diese Seite, was so auch beim Angriff vor dem Elfmeter zum 1:0 geschah. Algerien versuchte hier immer wieder mit langen Flachpässen aus der Innenverteidigung den dynamisch einrückenden Mahrez anzuspielen, der sich anschließend entweder aufdrehte oder den Ball auf einen der Achter tropfen lassen konnte, wie z.B. vor dem Führungstreffer. Hier ließ sich Alderweireld von Mahrez ins Zentrum ziehen, dieser ließ den Ball tropfen und auf dem geöffneten Flügel wurde Außenverteidiger Ghoulam steil geschickt.
Vermutlich wegen unter anderem dieser Szene änderte Wilmots dann auch die Staffelung am rechten Flügel und beorderte De Bruyne in eine breitere Rolle. Alderweireld kam so mehr in den Halbraum und diente hier als Durchlaufstation, konnte aber vor allem die Konter besser absichern und die starke algerische Seite leichter verteidigen.
Dazu waren die Effekte, die zuvor durch das Aufrücken von Alderweireld entstanden, sowieso relativ gering. Algerien spielte hier mannorientiert, d.h. direkte Verlagerungen waren kaum möglich, und die auf De Bruyne im Halbraum blieben über weite Strecken auch ineffektiv.
Fehlende Besetzung des Sturmzentrums
Dass die Belgier in der ersten Halbzeit nur zu zwei Weitschüssen und einem Freistoß in guter Position kamen, spricht für die gute Defensivarbeit der Algerier. Was ihren Job allerdings auch erheblich erleichterte, war, dass Belgien es nie schaffte, dem Spiel Tiefe zu geben, z.B. indem man konsequent das Sturmzentrum besetzt hätte. Auch wenn Hazard immer wieder dorthin schob und anschließend dynamisch zurückfiel, ergab sich kaum Raum zwischen den Linien, weil auch Lukaku immer wieder ins Mittelfeld kam. Diese Bewegungen konnten dann aber relativ einfach von den Innenverteidigern der Algerier verfolgt werden, weil es Belgien schlicht und einfach an Präsenz in vorderster Linie mangelte.
Mertens bringt Dynamik ins Spiel
Zur zweiten Halbzeit reagierte Wilmots dann und brachte Mertens für Chadli, der in den ersten 45 Minuten wenig bewirken konnte, für dessen Spielertypus das Spiel aber auch nicht wirklich geschaffen war. Der eingewechselte Mertens ging dann für De Bruyne auf den rechten Flügel, während dieser zur Mitte auf die Zehn rückte.
Mertens agierte auf rechts u.a. als Ballschlepper und belebte das Spiel der Belgier sichtlich, wobei seine Aktionen weniger weiträumig waren, als die von Chadli vorher. Er beteiligte sich viel an Kombinationen und schob dazu oft in die Spitze.
Mit der Einwechslung des jungen Origi für Lukaku und später dem Tausch von Fellaini für Dembele versuchte Wilmots dann schlussendlich doch mehr Präsenz im Sturmzentrum zu erzeugen und veränderte die Passstruktur ins letzte Drittel etwas. Mit Fellaini auf der Zehn und De Bruyne auf der Sechs nutze man die Breite des Platzes jetzt vor allem im mittleren und nicht mehr im letzten Drittel. Man konnte die Bälle von dort dann zur Mitte und musste nicht wie vorher eher nach außen spielen.
Schlussendlich konnten so die Probleme, die Belgien das ganze Spiel über mit sich schleppte, zwar nicht gelöst werden, aber man kam zumindest zur einen oder anderen Chance durch Halbfeldflanken oder nach Verlagerungen und Durchbrüchen zur Grundlinie.
Nach eben einer solchen Verlagerung mit anschließender Flanke fiel dann auch das 1:1 durch Fellaini 20 Minuten vor Schluss. Weil Algerien fünf Minuten später bei einem Angriff dann beide Außenverteidiger aufrücken ließ, konnte Mertens tatsächlich noch den 2:1-Siegtreffer für Belgien nach einem Konter erzielen.
Fazit
Schlussendlich siegte Belgien verdient. Man war in der Lage Algerien fast über die komplette Spielzeit zu kontrollieren, sodass diese zu wenigen Kontern kamen. Problematisch waren während des gesamten Spiels die nicht zufriedenstellenden gruppentaktischen Bewegungen, die obwohl sehr flexibel, kein probates Mittel gegen die algerische Strafraumverteidigung waren. Gerade in der Gruppenphase könnte die Mannschaft deshalb noch Probleme gegen tief stehende Gegner bekommen, wobei man spätestens wohl im Achtelfinale auf dem belgischen Spielstil besser entsprechende Mannschaften treffen wird. Den Algeriern und ihrem Trainer, die in dieser Analyse etwas kurz kommen, gebührt trotz der Niederlage ein großes Lob für eine phasenweise sehr gute Strafraumverteidigung.
Tobias Robl, abseits.at
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Tobias Robl
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