Ghana, Nigeria, Kamerun und die Elfenbeinküste – Ich möchte über die Leistungen dieser vier afrikanischen Teams hier nicht mehr viele Worte verlieren, habe diese ohnehin eingehend analysiert. Dennoch stimmt mich das frühe Scheitern des schwarzen Kontinents traurig, da man das große Potenzial wieder einmal nicht ausschöpfen konnte. Den einzigen Lichtblick stellt die überraschend couragierte und erfolgreiche Vorstellung Algeriens dar.
Gelingt es in Zukunft wieder nicht für Ruhe im Umfeld zu sorgen und gewisse Missstände zu bereinigen, wird man sich weiter selbst im Weg stehen. Der durchschlagende Erfolg, der angepeilte Halbfinaleinzug, würde so auch 2018 nur ein kühner Traum bleiben.
Schiedsrichter
Ausgerechnet der Schweizer Schiedsrichter-Obmann, Massimo Busacca, ein früherer Weltklasse-Referee, hielt ein Plädoyer für die „unglaublichen Leistungen“ der Spielleiter bei dieser WM-Endrunde. Natürlich kommt man nicht darum hin, die immerfort steigende Geschwindigkeit des Sports in Betracht zu ziehen und den Männern in Schwarz zu Gute zu halten, dass knifflige Entscheidungen binnen Sekunden und ohne Ansicht von Wiederholungen getroffen werden müssen.
Das Turnier begann für die Referees jedoch denkbar schlecht, Nishimura brachte den Gastgeber durch ein Elfmetergeschenk gegen Kroatien auf die Siegerstraße. In der zweiten Turnierbegegnung sorgten zwei zu Unrecht aberkannte Treffer zu Ungunsten Mexikos für einige Aufregung. Im Laufe des Turniers wurde Humberto Clavijo, der bei beiden Abseitsentscheidungen völlig danebenlag, von seinen Aufgaben entbunden und durch einen Kollegen ersetzt. In dieser unerfreulichen Tonart ging es vorerst weiter, Rizzoli bewerte ein klares Van-Persie-Foul an Keeper Casillas falsch, de Vrij drückte das Leder zum vorentscheiden 3:1 über die Linie. Ich will damit keinesfalls behaupten, dass das Schiedsrichtergespann diese Begegnung entschieden hat, es hat sie meiner Einschätzung nach, allerdings mitentschieden. Der Neuseeländer O’Leary patzte ebenso entscheidend, als er der bosnischen Führung die Anerkennung verweigerte. Das skurril wirkende Foto mit Nigeria-Schlussmann Enyeama ging um die Welt und sorgte für Wirbel.
Über das gesamte Turnier betrachtet, wussten nur wenige Referees zu überzeugen. Hier sind meiner Einschätzung nach vor allem Howard Webb, Björn Kuipers und eben, ungeachtet seines oben erwähnten Patzers, Nicola Rizzoli zu nennen. Letzterem wurde sogar die Ehre zuteil das Finale zu leiten, wo er allerdings wieder eine klare Linie vermissen ließ.
Vor allem die Regelung, dass nicht die 25 nominell besten Referees nach Rio entsandt wurden, sondern jeder Kontinent eine gewisse Anzahl an Spielleitern stellte, stieß Experten wie Urs Meier sauer auf. Ich möchte nicht verneinen, dass nicht auch Afrika oder Asien hervorragende Schiedsrichter hervorbringen können. Fakt ist aber auch, dass es speziell Schiedsrichtertrios dieser beiden Kontinente an internationaler Erfahrung mangelte. Weiters wurde die längst überfällige Professionalisierung des Schiedsrichterwesens immer wieder gebetsmühlenartig gefordert, der Amateurstatus entspreche einfach nicht der sportlichen Bedeutung einer WM. Bleibt nur zu hoffen, dass die Forderungen nicht wieder, wie so oft, auf taube Ohren stoßen.
In der K.O.-Phase reduzierten sich die Fehlentscheidungen der Referees merklich, doch zu deren Ende stehen die Männer mit der Pfeife, zu ihrem eigenen Leidwesen, erneut vermehrt im Mittelpunkt. Das brutale Foul des Kolumbianers Zuñiga an Neymar beendete dessen und gewissermaßen zugleich auch Brasiliens Traum vom WM-Titel. Die Tatsache, dass eine unumstritten rotwürdige Kung-Fu-Attacke gänzlich ohne Folgen blieb, nicht einmal eine Verwarnung nach sich zog, ist schon fast als Verhöhnung zu werten.
Ganz allgemein gesehen, setzten die Referees viel zu selten klare Zeichen, aufkommende übertriebene Härte wurde so gut wie nie durch frühe gelbe Karten im Keim erstickt. Den Spielern wurde viel zu oft ein Freibrief ausgestellt, das Mittel der spielerischen Härte bis zum Äußersten auszureizen. Die Akteure nahmen dankend an, insbesondere Kreativspielern wie Neymar, Özil und Robben wurde durch die oftmals überharte Gangart das Leben merklich erschwert. Die rüdesten Attacken und wildesten Foul blieben, zur Verwunderung vieler, ohne Konsequenzen.
Die Schiedsrichterproblematik lässt sich ironischerweise just am „Duell der Enttäuschten“ – Brasilien gegen die Niederlande – gut illustrieren. Bereits in Minute zwei unterlief dem Gespann rund um Schiedsrichter Hamoudi aus Algerien der erste kapitale Fehler. Robben zündete den Turbo, enteilte Thiago Silva, dieser brachte ihn im Strafraum zu Fall. Der Griff an das Trikot erfolgte allerdings klar außerhalb des Strafraums, sodass anstelle des verhängten Strafstoßes, auf Freistoß entschieden hätte werden müssen. Der glasklare Torraub wurde auch nur mit der gelben Karte anstatt der fälligen Roten geahndet. Beim 2:0 durch Blind wurde Hamoudi von seinem Assistenten im Stich gelassen, dieser erkannte Robbens Abseitsposition nicht. Der Routinier leitete so den Treffer gekonnt ein. Der Mitte der zweiten Hälfte ins Spiel gebrachte Hernanes hätte nach rustikalem Einsteigen vorzeitig duschen gehen müssen, Oscar blieb nach einem eindeutigen Foul im Strafraum der Elfmeterpfiff verwehrt. Anstatt des Übeltäters Blind notierte sich Hamoudi Oscar – wegen einer angeblichen Schwalbe. Ein klarer Stoß an Robben blieb ebenso ungeahndet, diesem war allerdings ein vom Referee unbemerktes Handspiel des Oranje-Stars vorausgegangen, wie Vlaars auch Handspiel im Strafraum. Ein total verkorkster Tag aus Sicht des Schiedsrichtertrios, das mit Sicherheit keine Eigenwerbung betrieb.
Natürlich wäre es mehr als unfair, nur aufgrund dieser einen Partie Rückschlüsse auf die Performances aller Spielleiter zu ziehen. Sie passt allerdings perfekt ins Bild. Viel zu oft sorgten Referees für berechtigten Ärger auf zumindest einer der beiden Seiten, dazu bedurfte es zumeist nicht einmal einer Betrachtung durch die verfälschende „Nationenbrille“. Viel zu oft kam Fehlentscheidungen spielentscheidender Charakter zu – alles in allem unterliefen den Männern in Schwarz einfach krasse Fehler, die so in dieser Form, nicht zu entschuldigen sind. Das soll die wenigen wirklich hervorragenden Schiedsrichterleistungen natürlich nicht schmälern.
Seleçăo
Keine Frage, die brasilianische Nationalelf wird wieder aufstehen. Das 1:7-Debakel gegen die an diesem Abend übermächtigen Deutschen steckt ihr aber noch in den Knochen und wird wohl nicht folgenlos bleiben. Veränderungen an der Kommandobrücke scheinen unausweichlich. Da einzig und allein der WM-Titel den eigenen hohen Ansprüchen entsprochen hätte, gilt die große Mission als klar gescheitert. Das hohe Maß an Abhängigkeit von Superstar Neymar wurde im Halbfinale augenscheinlich und erwies sich als gnadenloser Bumerang. Weder Oscar, Fred, noch Hulk gelang es ansatzweise Neymar zu entlasten, der 22-Jährige meisterte die Bürde 200 Millionen Brasilianer in Ekstase versetzen zu müssen mit Bravour. Er bot ansprechende Leistungen, die gepaart mit einer starken Defensive, Brasilien bis ins Halbfinale trugen. In diesem vermisste man den kreativen Freigeist schmerzlich, die erhoffte Trotzreaktion blieb aus. Seine Verletzung lässt allerdings, so grotesk dies vor wenigen Jahren auch noch geklungen hätte, eine Debatte über fehlende Qualität in der brasilianischen Offensivabteilung zu. Präziser formuliert, über deren fehlende Führungsqualitäten. Die individuelle Klasse kann man Oscar, Hulk und Co. wohl kaum absprechen. Jedoch sah sich keiner in der Verantwortung voranzugehen, ein Zeichen zu setzen, das Spiel in die Hand zu nehmen. Die Defensive erwischte ohnehin einen rabenschwarzen, total verbrauchten Tag, der sich wohl auf ewig in die Köpfe von Luiz, Dante und Co. einbrannte. Haarsträubende Stellungsfehler, keine Möglichkeit die Zweikämpfe überhaupt anzunehmen, Abstimmungsprobleme und allgemeine Orientierungslosigkeit – Kapitän Thiago Silva fehlte an allen Ecken und Enden. Seine Kollegen taumelten plan- und fassungslos in die höchste Niederlage bei einer WM-Endrunde.
Doch auch nach seiner Rückkehr stellte sich im „Duell der Enttäuschten“ gegen die Niederlade keinerlei Besserung ein. Der Defensivverbund, einer dem man in Normalform ohne jeden Zweifel absolute Weltklasse attestieren kann, wirkte konfus und ließ klare Abstimmungsprobleme erkennen. Selbst David Luiz, für gewöhnlich ein Fels in der Brandung, wirkte, wie auch im Halbfinale, als stünde er völlig neben der Spur und bekam nie wirklich beide Füße auf den Boden. Alles in allem folgte dem Horrorauftritt gegen Deutschland eine weitere besorgniserregende Vorstellung, die das extrem hohe Risiko in Scolaris Planung offenbarte. Seine Strategie wurde als Spiel mit dem Feuer enttarnt, bei welchem er sich gehörig die Finger verbrannte. Nur auf Genieblitze Neymars zu hoffen, erwies sich ob dessen Verletzung als zu wenig, Hulk und Oscar konnten nicht auf Knopfdruck aus den Rollen des Sparringpartners in jene der Leader schlüpfen.
Brasilien – versetzt in einen Zustand der totalen Enttäuschung und Verzweiflung. Der einstige Zauber der Seleçăo ist verflogen, Einzelspieler auf Weltklasseniveau reichen für guten Fußball, fehlende Homogenität in Scolaris Kader lässt die Mission „Hexa“ aber fehlschlagen. Letztlich ein Scheitern mit Ansage.
David Kühhas, abseits.at
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David Kühhas
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