Der bayrische Defensiv-Iniesta: Das ist Newcomer Gianluca Gaudino!
Deutschland 26.August.2014 Rene Maric 0
Für viele vollkommen überraschend – und den meisten noch unbekannt – stand im ersten Saisonspiel der junge Gianluca Gaudino in der Startelf des FC Bayern. Somit erhielt er den Vorzug vor dem letztjährigen Shootingstar Pierre-Emile Höjbjerg und auch vor Neuzugang Sebastian Rode, der in den letzten beiden Jahren eine Schlüsselrolle bei Eintracht Frankfurt im zentralen Mittelfeld spielte. Doch Gaudino scheint Guardiolas Musterschüler zu sein.
Guardiola lobt seine Intelligenz…
In der Pressekonferenz vor dem Spiel lobte Guardiola Gaudino überschwänglich. Besonders betonte er die Intelligenz und die Handlungsschnelligkeit seines Schützlings mit den Worten „er ist schneller in seinem Kopf als andere“. Dieser Aspekt nimmt eine wichtige Rolle in Guardiolas System und auch im Fähigkeitenprofil Gaudinos ein. Er ist körperlich nicht besonders stark, ist auf längere Strecken ebenfalls nicht der schnellste und kann sich im 1-gegen-1 aufgrund mangelnder Robustheit und Dynamik nicht konstant durchsetzen. Dennoch beherrscht Gaudino sowohl offensive als auch defensive Aufgaben auf einem für sein Alter überraschend hohem Niveau. Die Ursache ist seine Spielintelligenz und die Geschwindigkeit, in welcher er sie abruft.
Fast durchgehend bewegt sich Gaudino, immer auf der Suche nach offenen Räumen. Gegen den Ball definiert er sich über sein Stellungsspiel, bewegt sich sehr gut im Pressing und kann dadurch Pässe abfangen oder im richtigen Moment den Gegner unter Druck setzen, um entweder den Ball zu erobern oder den gegnerischen Angriff zumindest in eine für den Gegner ungünstige Richtung zu leiten. In Ballbesitz ist es ähnlich: Er positioniert sich gut, hält Abstand auf die Gegenspieler in seiner Nähe, kann sich dadurch anspielbar machen und mit seiner sauberen Technik sowie seiner guten Entscheidungsfindung die Ballzirkulation am Leben erhalten.
Allerdings wurde das bayrische Mittelfeld nach der Partie gegen Wolfsburg auch dafür kritisiert, dass es zu wenige Pässe in die Spitze gab; doch hier teilt Guardiola die Kritik an seinem Schützling nicht.
… und er lobt seine Vertikalität
Ein besonderes Lob erhielt Gaudino auch deswegen, weil er eine herausragende Balance im Passspiel besitzt. Er weiß instinktiv, ob er den Ball weiterhin horizontal zirkulieren lassen oder in die Spitze spielen soll. Desweiteren erkennt er Situationen gut, in welchen er gefahrlos nach vorne spielen und wann sein Mitspieler diese Pässe konstruktiv verarbeiten kann. Auch gegen Wolfsburg hatte er eine hervorragende Passquote und konnte trotzdem einige Male – als einer der wenigen – mit intelligenten Schnittstellenpässen aus dem ersten Drittel das Spiel zentral nach vorne tragen.
Dies ist wohl auch der Grund, wieso er so tief spielt; phasenweise agierte er gegen Wolfsburg tiefer als Alaba und somit als tiefster, am weitesten zurückgezogener aller Mittelfeldspieler. Spätestens nach der Umstellung auf eine klarere Viererkette und den wieder breiter agierenden Lahm erhielt er zahlreiche Pässe in den Sechserraum und baute von dort aus als primärer Aufbauspieler das Spiel auf. Doch dies ist auch überraschend: Diese tiefe Position entspricht eigentlich nicht den Bewegungen Gaudinos und seinen Möglichkeiten.
Der bayrische Defensiv-Iniesta?
Schon in der Vorbereitungsphase spielte Gaudino häufig hinter dem Mittelstürmer als hängende Spitze im bayrischen 3-4-2-1. Dort driftete er durch den Zwischenlinienraum, wechselte flexibel zwischen einer hohen Position und einer unterstützenden Rolle bei den defensiven Mittelfeldspielern. Besonders auffällig war aber, dass er wie Iniesta sehr gut durch enge Räume ging, häufig das Spiel intelligent mit Ball am Fuß verzögerte und nicht die durchschlagskräftigen Schnittstellenpässe spielte, sondern sich durch intelligente Kurzpasskombinationen kreativ betätigte. Alles in allem schien er eine weniger talentierte Version Iniestas zu sein; doch zurzeit wird er deutlich tiefer genutzt.
Die Ursache ist, dass er gegen den Ball eigentlich fast so stark ist wie Iniesta. Der blasse Spanier wird häufig in diesem Aspekt unterschätzt; seine Pressingbewegungen, die Nutzung seines Deckungsschattens im Anlaufen, seine Zweikampfführung, sein Stellungsspiel und seine Intelligenz im Attackieren gepaart mit dem, was er nach der Balleroberung praktiziert – also schnelle intelligente Pässe, gute Ballbehauptung, hohe Gegenpressingresistenz –, machen ihn zu einem in der Defensive enorm wertvollen Fußballer. Vermutlich möchte Guardiola eben diese Stärken Gaudinos nutzen, ihn als spielstarken Aufbauspieler gebrauchen, der sich situativ in engen Räumen durchsetzen kann, ohne ihn konstant in diese Räume zu schieben, weil er die Erfolgsstabilität eines Iniesta als Nadelspieler eben nicht auf allerhöchstem Niveau mitbringt.
In Anbetracht dessen stellt sich natürlich die Frage, was mit Gaudino passiert, wenn alle fit sind und wie er sich noch entwickeln kann.
Wie groß ist sein Potenzial? Welche Rolle könnte er diese Saison spielen?
Wie schon erklärt ist Gaudino vom Typ her ein schwächerer und weniger talentierter Iniesta; was keine Schande ist, da Iniesta einer der talentiertesten Fußballer der letzten 20 Jahre ist. Gaudino sollte sich auch nicht daran versuchen, dass er Iniestas extreme Fähigkeiten in engen Räumen und gegen mehrere Gegenspieler kopiert, sondern eher seine eigene Position und Rolle zu finden. Guardiola hat hierbei schon die Richtung vorgegeben: Als Sechser kann er – unterstützt von einem zweiten Sechser – seine technischen, taktischen und spielerischen Fähigkeiten fast ideal einbinden. Dabei hat er durch seine Fähigkeiten in engen Räumen und in der Positionsfindung auch eine sehr starke Rolle im Ballbesitzspiel, kann den Ball auch im Sechserraum unter Druck gut behaupten und ist eben gegen den Ball sehr gut. Insbesondere im Pressing ist er sehr präsent und effektiv.
Gleichzeitig ist natürlich klar, dass er seinen Startelfeinsatz nur aufgrund der vielen Verletzungen erhielt. Wären Javi Martinez, Thiago Alcantara und Bastian Schweinsteiger fit, dann wäre Gaudino relativ sicher nur auf der Bank gewesen. Wie viele Minuten er im Saisonverlauf beziehungsweise insbesondere in den entscheidenden Spielen im April und Mai erhält, steht noch in den Sternen. Allerdings könnte er im Zuge der Rotation und gegen bestimmte Gegner durchaus seine Einsätze erhalten; vielleicht sogar auf anderen Positionen.
Eine Möglichkeit wäre die Position als einrückender Flügelstürmer, wie sie Thiago einige Male in der vergangenen Saison spielte. Nominell agiert er dann als Außenspieler, schiebt aber in Ballbesitz in die Mitte und sorgt für Überzahl. Theoretisch wäre er sogar gegen extrem tiefe Gegner als falscher Außenverteidiger oder als alleiniger Sechser wie Philipp Lahm in der Vorsaison zu gebrauchen. Es dürfte aber darauf hinauslaufen, dass er zwischen Sechs, Acht und Zehn pendelt, Einsätze von der Bank oder durch die Rotation erhält. Nichtsdestotrotz wird er womöglich eine der interessantesten Personalien der Bayern in dieser Saison. Man darf gespannt sein, wohin sich der bayrische Defensiv-Iniesta entwickeln wird…
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Rene Maric, abseits.at
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