Liverpools Probleme nach dem Suarez-Abgang
England 4.Dezember.2014 Rene Maric 0
Beinahe wäre der Liverpool FC Meister geworden in der vergangenen Saison. Knapp scheiterte man an Manchester City, konnte aber Rekordmeister Manchester United sowie José Mourinhos Chelsea hinter sich lassen. Brendan Rodgers wurde prompt zum neuen Top-Trainertalent auf der Insel erhoben. Viele erwarteten sich, dass er den Aufwärtstrend auch ohne Luis Suarez fortführen würde. Stattdessen leiden die Reds unter enormen Problemen, die weitestgehend auf Suarez‘ Abgang zurückzuführen sind; sogar in der Arbeit gegen den Ball. In dieser Analyse wollen wir uns den größten Problemen Liverpools widmen.
Pressingbewegungen und –intensität
Ein häufig vergessener Punkt ist die pure Aggressivität, welche Suarez als Mittelstürmer in die Mannschaft Liverpools brachte. Hierbei waren nicht nur seine überragenden athletischen Fähigkeiten wichtig – seine enorme Schnelligkeit, sein starker Antritt und seine Bulligkeit im Zweikampf selbst –, sondern auch seine Bereitschaft als erster ins Pressing zu gehen, aussichtsreiche Situationen zu antizipieren und situativ sogar in aussichtslosen Situationen auf den gegnerischen Ballführenden zu gehen. In seiner Zeit in der englischen Premier League war Suarez immer einer der Mittelstürmer mit den meisten Balleroberungen, meisten Zweikämpfen und der größten Sprintdistanz.
Teilweise wirkte es gar, als ob sich Liverpool nicht wirklich an einem gegnerischen oder einem taktischen Aspekt orientierte, um das Pressing zu starten, sondern an Suarez. Die meisten Mannschaften haben bestimmte Vorgaben: Ein ungenauer Pass, ein bestimmter Pass (beispielsweise vom Innen- auf den Außenverteidiger) oder ein technischer Fehler, etc. Liverpool schien zu warten, bis Suarez presste – was der Uruguayer sehr oft tat.
Dadurch entwickelte sich ein interessanter taktischer Effekt: Besonders in Anfangsphasen und bei Gleichstand würden Suarez und Liverpool extrem aggressiv und hoch pressen, womit sie ihre Gegner überrannen. Ohne Suarez fehlt das Vorbild vorne; aktuell ist das Pressing Liverpools kaum noch zu sehen, insbesondere die hochintensiven Anfangsphasen gibt es partout nicht mehr. Selbst wenn es probiert wird, sind die Abstände enorm und sie erobern den Ball nur selten.
Das wirkt sich nicht nur auf weniger hochqualitative Torchancen durch hohe Balleroberungen aus, sondern auch auf die eigene Defensive.
Stabilitätsprobleme am eigenen Strafraum
In der vergangenen Saison verteidigte Liverpool sehr häufig in Führung oder eben mit hohem, aggressivem Pressing bei Gleichstand oder Rückstand. Dies ist in dieser Saison nicht der Fall, wodurch die Defensive in Situationen kommt, die sich überaus negativ auf sie auswirken. Sakho, Skrtel, Touré und Lovren profitieren von hoher Kompaktheit, aggressivem Forechecking und einem tiefer agierenden Gegenspieler vor ihnen. Zwar sind sie nicht alle wirklich schnell und auch nicht perfekt für einen hoch pressenden Stil, doch Liverpool als Kollektiv hat Kompaktheits- und Verschiebeprobleme bei einer tieferen Staffelung.
Desweiteren haben die Innenverteidiger selbst Probleme dabei ihre Position konstant zu halten und insbesondere bei komplexen, schnellen Kombinationen der gegnerischen Mannschaft fehlt es ihnen häufig an der richtigen Balance und Entscheidungsfindung im Stellungsspiel. Dass zusätzlich mehr Weitschüsse und Flanken auf den sich in schlechter Form befindlichen Mignolet sowie mehr gegnerische Standards aus guten Positionen gegen die instabile Verteidigung von ruhenden Bällen zugelassen werden, ist ein weiterer negativer Folgeeffekt. Zwar mangelte es schon in der Vorsaison an der individuellen und kollektiven Qualität in der Abwehr, doch vereinzelte gute Form, die Konsequenzen einer starken Offensive und die bessere Defensivarbeit der vorderen Spieler half dabei.
Ähnlich, wie die Defensivarbeit der vorderen Spieler besser war, ist diese Saison auch die Offensivarbeit der hinteren Spieler schwächer.
Mangelnde Verbindungen in die Offensive
Manchmal spielt Liverpool mit einer Raute, manchmal im 4-3-3 und in anderen Spielen auch ein klassisches 4-2-3-1; die Probleme sind aber häufig gleich und gruppentaktischer Natur. Gerrards Probleme im Bewegungsspiel fallen nun stärker auf und seine langen Bälle ebenso wie sein häufiges Abkippen sind selten noch positive Aspekte. Es entstehen dann unverbundene 3-4-3-Staffelungen, wo die einzelnen Mannschaftsteile kaum zueinander spielen können und sich leicht isolieren lassen.
Daran sind aber nicht alleine das Abkippen oder Gerrard Schuld; in einzelnen Spielen wurde zum Beispiel auch mit einer Dreierkette im Aufbauspiel agiert, wo einer der Außenverteidiger (Glen Johnson auf rechts) sich tiefer hielt. Geholfen hatte dies nie, weil die Bewegung generell schlichtweg nicht passt. Bewegt sich ein Spieler in eine Zone oder läuft sich frei, wird dies nicht von den anderen Spielern verfolgt. Selbst wenn sich ein Spieler freilaufen kann, fehlen dem angespielten Akteur dann die folgenden Anspielstationen, weil die Staffelungen eher improvisiert als organisiert scheinen.
Raumüberbrückende Pässe aus der Abwehr ins Mittelfeld, wo dann der Ball mit einigen wenigen schnellen Pässen gesichert werden kann, ohne direkt in Druck zu geraten, gibt es kaum. Sie können dadurch nicht den Raum erobern, sondern müssen entweder zum Abschluss kommen, oder den Ball zurück- beziehungsweise zur Seite spielen. Dort werden sie aber vom Gegner isoliert und die Außenverteidiger haben kaum Anspielstationen in die Mitte oder nach vorne. Dazu kommen auch die schlechten Verbindungen im letzten Drittel selbst.
Mangelnde Verbindungen in der Offensive
Sogar wenn man es bis vor das gegnerische Tor schafft, so hat sich die Chancenqualität Liverpools in dieser Saison dort verschlechtert – ebenso wie die Anzahl der herausgespielten Chancen an sich. Dieser Aspekt ist ebenfalls auf Suarez‘ Abgang zurückzuführen; allerdings auch auf Sturridges und Coutinhos Verletzungsprobleme. Suarez war eine Ein-Mann-Überladungsmaschine. Mit seinen vielen dynamischen Sprints besetzt er zahlreiche Zonen im Wechsel, sorgte für Verbindungen und Überzahlsituationen. Coutinho diente als Verbindungsspieler im offensiven Zentrum und/oder in den beiden Halbräumen, Sturridge gab den Angriffen zusätzliche Durchschlagskraft und rückte vom Flügel ein oder wich von der Mitte auf die Seiten.
Mit Balotelli ist man statischer und auch die Flügelstürmer agieren klassischer als in der Vorsaison. Dadurch befindet man sich häufig zu weit voneinander entfernt, die Spieler können simpel isoliert werden und Angriffe können kaum zu Ende gespielt werden.
Fazit
Mehr Kompaktheit, mehr Ballorientierung und mehr Intensität im Verschieben würden Liverpool gut zu Gesicht stehen. Dennoch mangelt es ihnen vielfach an individueller Qualität und der richtigen Einbindung jener Qualität, die schon vorhanden ist. Dadurch ist Liverpool defensiv zu instabil und offensiv nicht durchschlagkräftig genug. Ob sich das verändern wird, wenn die Neueinkäufe sich akklimatisieren und die verletzten Spieler in Topform zurückkehren, steht noch in den Sternen. Die taktischen Problemen und der Suarez-Abgang wiegen schwer.
René Maric, www.abseits.at
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