Kommentar | Die Berufe der Mütter und ähnlich sinnvolle Schmähgesänge
Gesellschaft & Ethik 17.August.2011 Daniel Mandl 0
Jetzt hat es einem einmal gereicht. Denn seit es im Fußball nicht mehr nur ums runde Leder an sich geht, sondern um Fernseh-Deals, Millionenablösen und hoch dotierte Werbeverträge, oszilliert der Kick auf den Ball, die Zustände: Tradition und Kommerz.
Der Agent Provokateur ist ein Mitarbeiter der TSG 1899 Hoffenheim, bekanntermaßen durch über 20 Jahre Aufbauarbeit seit 1990 von einem Dorfverein in einen Ausbildungsclub in der deutschen Bundesliga gemacht. Das Geld dazu stellte und stellt Dietmar Hopp bereit, der mit seiner 1972 gegründeten Firma Systeme Anwendungen Produkte (SAP) zu einem beträchtlichen Vermögen kam. Die Software, die in Büros zur Abwicklung sämtlicher Geschäftsprozesse verwendet wird, machte SAP Europas größten Softwarehersteller und weltweit zur Nummer vier. Teil des Projektes waren und sind die Österreicher David Alaba und Ramazan Özcan, Andi Ibertsberger spielt noch dort und Michael Gregoritsch wird es bald tun, dazu kommen noch einige Nachwuchsspieler. Der Aufstieg aus der Kreisliga in die Bundesliga rief natürlich viele Neider auf den Plan. Unter Ralf Rangnick gelang zwischen 2006 und 2008 der Durchmarsch von der Regionalliga Süd (damals dritte Leistungsstufe) bis in die Bundesliga. Zwar trägt man „1899“ im Namen, 1990 dümpelte man aber noch in den Niederungen der Kreisliga herum und wird so von vielen anderen Vereinen, bei denen die 16- bis 29-jährigen Köpfe der Kurve sich trotz erst kurzem Dasein auf dieser Erde, viel auf die Tradition einbilden, beschimpft.
EINEM REICHTE ES
Am Samstag stellten Sejad Salihovic mit einem Traumtor aus einem Freistoß in der Anfangsphase und Holger Stanislawski mit einer bemerkenswerten Defensivtaktik den Zauberfußballern der Dortmunder Borussia ein Bein. Der harte Kern der BVB-Anhänger echauffierte sich über Störgeräusche in hoher Tonart, jedes Mal, wenn der Fanblock diverse Schmähgesänge gegen Hoffenheim und deren Mäzen anstimmte, vornehmlich geht es hierbei um die Vermutung, die Mutter Hopps hätte sich im horizontalen und ältesten Gewerbe der Welt verdingt. Der Verein entschuldigte sich in einem offiziellen Statement: „Der Mitarbeiter wollte nach eigener Aussage ‚ein Gegenmittel‘ gegen die aus seiner Sicht nicht mehr erträglichen Beleidigungen einsetzen“. Weiter hieß es: „Alle Verantwortlichen distanzieren sich ausdrücklich von dieser Aktion. Die Führung der TSG 1899 Hoffenheim wird dafür Sorge tragen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen wird.“ Das sich Dietmar Hopp seit Jahren der Investition in den deutschen Fußball solche Gesänge anhören muss, darauf wird nicht eingegangen. Dabei müsste es den Fans doch klar sein, dass in einem modernen Stadion mit Videoüberwachung doch leicht diese Beleidigung nachgewiesen und zur Anzeige gebracht werden könnte. Hopp reagierte in einem Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung und meinte, die Dortmunder Fans sollten das nicht so eng sehen, denn, „wenn die Fans Anzeige erstatten, dann müsste ich 200 Anzeigen wegen Beleidigung erstatten.“
MUSS DAS SEIN?
Es soll hier gar nicht alles aufgezählt werden, was in Österreich so von Fanlager zu Fanlager an Nettigkeiten ausgetauscht werden. Es würde dem Leser wohl übel ergehen, mit welcher Selbstverständlichkeit diverse Selbstinszenierer ihr eigenes Ich überhöhen und Einzelpersonen, Anhänger und Vereine akustisch und visuell in Misskredit bringen wollen. Mit Schimpftiraden ist es noch nicht getan, Rassismus, Antisemitismus und Nazisymbolik lassen die Wogen immer wieder hochgehen. Dass sich dabei gerade Ultra-Gruppierungen bei vielen Vereinen hervortun, mag doch verwundern, so steht doch laut dem Manifest der Ultras des AS Roma die Anfeuerung der eigenen Mannschaft im Vordergrund (natürlich neben zahlreichen Forderungen gegenüber Weltverband und Verhaltensregeln gegenüber dem Staat, Anm.). Der Grundgedanke des Lebensstils der Ultras ist bei aller berechtigter Kritik am calcio moderno jedoch weitgehend verloren gegangen, die Diffamierung steht oftmals im Vordergrund. Der positive Support tritt dabei allzu oft in den Hintergrund. Aber darf sich der Sport bei all seiner gesellschaftlichen Tragweite auf das Niveau derbster Beschimpfungen aus der allerletzten Schublade bedienen?
EIGENTLICH EIN HELD
Ohne auf sozio-kulturelle Aspekte einer Fankurve eingehen zu wollen, sollte verstanden werden, dass Fußball ein Breitensport ist, hunderte Kinder selbst bei den kleinsten Dorfvereinen stolz sind, ihre Farben zu tragen. Dass Verbände, allen voran der DFB unter Theo Zwanziger sich immer und überall bemühen, Diskriminierung jeglicher Art zu verhindern und Integration zu fördern. Dass Fußball ein toller Weg ist, Kulturen zusammen zu führen und Jugendlichen einen Sinn im Leben zu geben. Der namenlose Mitarbeiter der TSG 1899 aus dem kleinen Stadtteil von Sinsheim sollte ein Held sein, sein Verhalten ein Anstoß für einen Paradigmenwechsel in vielen Kurven. Denn für den, der seinen Verein über alles liebt, sollte auch dieser im Vordergrund stehen. Nicht der Gegner sollte im Mittelpunkt des Supports stehen, sondern die eigene Mannschaft. Salopp gesagt, sollten sich einige, oder besser viele, Fangruppierungen genau das hinter die Ohren schreiben.
Vielleicht könnten sich die selbstinszenierungswilligen Dauersupporter in den Stadien durch diesen skurrilen Aufreger merken, dass ein anderer Weg der Unterstützung hergehört. Denn wenn auch nur einer wirklich Mumm in den Knochen hätte, könnte er ja zu Herrn Hopp gehen, und ihm die Meinung ins Gesicht sagen. Ob diese „Helden“ aber auch mit einer Anzeige und Verurteilung leben könnten, oder nur in der Gruppe stark sind, wird sich dann weisen. Bis dato stellen sich nämlich viel zu wenige Menschen gegen sie.
Georg Sander, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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