Taktik-Vorschau zum CL-Halbfinale (2014/15) | Juventus gegen Real
Champions League 5.Mai.2015 Rene Maric 0
Juventus gegen Real steht zwar im Schatten des Duells Bayern gegen Barcelona, dennoch ist es ein absolutes Spitzenspiel. Die alte Dame hat sich bereits den Titel in der Serie A gesichert, während der amtierende CL-Sieger aus Madrid in der heimischen Liga knapp hinter dem Erzrivalen aus Barcelona auf Platz 2 steht. Für viele gelten die Spanier dennoch als Topfavorit, aber Juventus darf man nicht unterschätzen.
Massimo Allegri als große Überraschung
Als Antonio Conte im Sommer nach Streitigkeiten mit dem Vorstand abdankte, hagelte es Proteste von Seiten der Juventus-Fans. Seit 2011/12 ist er Trainer und holte in jeder Saison seither den Titel. Im ersten Jahr gelang dies sogar ohne Niederlage! Mit seinem 5-3-2/3-5-2 überzeugte er, kreierte eine enorm stabile Defensive und eine ausreichend starke Offensive. Unter Allegri, so die damalige Kritik, würde dieses Fundament zusammenbrechen. Doch Allegri konnte Juventus auf diesem Niveau halten und gleichzeitig systemisch so umstellen, dass Juventus in Europa wieder flexibler agiert.
Seit Anfang der Saison spielt Juventus in einem 4-3-1-2, also einer Mittelfeldraute mit zwei Stürmern davor. Mit diesem System agieren sie enorm kompakt in der Mitte und können ihre enorme Fülle an starken zentralen Mittelfeldspielern – darunter Andrea Pirlo, Paul Pogba, Arturo Vidal, Claudio Marchisio und Roberto Pereyra – perfekt ausspielen. Meistens spielt Vidal als Zehner, Pogba und Marchisio übernehmen die Halbpositionen und Pirlo baut von der Sechs aus das Spiel auf.
Gegen Real dürfte es aber auf Pereyra als Zehner mit Vidal auf der Pogba-Position hinauslaufen, weil Pogba verletzungsbedingt ausfällt. Dennoch sind die Chancen für Juventus keineswegs gering. Ihre enorme zentrale Kompaktheit, ihr gutes ballorientiertes Verschieben und die formative Flexibilität könnten den Königlichen Probleme bereiten.
Raute mit variablen Positionierungen
Bei einer Mittelfeldraute gelten die Flügelräume als anfällig. Durch die vielen Spieler in der Mitte öffnen sich die Seiten für die gegenüberliegende Mannschaft, welche insbesondere von den Außenverteidigern des Gegners genutzt werden können. Doch Juventus nutzt dies intelligent und kompensiert die Schwächen während des gegnerischen Angriffsverlaufs. Sie leiten das gegnerische Aufbauspiel bewusst auf die Flügel, weil dies eine strategisch weniger wertvolle Zone ist.
Dennoch können über die Flügel natürlich Räume gewonnen und als Kollektiv aufgerückt werden. Um dies zu vermeiden, formt Juventus die eigene Formation um, wenn der Gegner über den offenen Flügel aufrückt. Der gesamte Block schiebt zum Ball und stellt den ballnahen Halbraum sowie die Mitte noch stärker zu, während der Halbspieler des Mittelfelds meistens herausrückt und den Flügel abdeckt.
Dies funktioniert, weil die Halbspieler und der Zehner Juventus‘ enorm lauf- und defensivstark sind. Vidal, Marchisio und Pogba oder nun eben Pereyra stellen die Räume sehr intelligent zu, können dynamisch und weiträumig verschieben, wodurch sie die Flügel gut zustellen können, ohne Pässe in die Mitte zuzulassen. Stattdessen stellen sie 4-3-1-2, 4-3-2-1 und 4-4-1-1-Formationen her. Neben den Mittelfeldspielern sind nämlich auch die Stürmer sehr aktiv, lassen sich immer wieder zurückfallen und leiten den Gegner wieder nach hinten. Besonders Tevez ist hier sehr aktiv; generell ist der Argentinier eine Schlüsselfigur im Turiner Spiel.
Darum können die Gegner diese Flügelzonen kaum bespielen. Doch Real wäre eventuell die perfekte Mannschaft dafür.
Reals 4-4-2/4-3-3 als Mittel gegen die Raute
Bale, Cristiano Ronaldo, James Rodriguez und Isco stehen als realistische Startelfoptionen für die Flügel bereit. Im Normalfall sollte es auf zwei aus Isco, James und Bale hinauslaufen, da Real Cristiano als zweiten Mittelstürmer nutzt. Gegen den Ball agieren die Madrilenen nämlich in einem 4-4-2, in welchem normalerweise Benzema mit Cristiano Ronaldo das Sturmduo bildet. Sie stellen den gegnerischen Sechserraum zu, während die Flügelstürmer die gegnerischen Außenverteidiger am Aufrücken hindern sollen.
In eigenem Ballbesitz wiederum wird aus dem 4-4-2 ein 4-3-3. Die zwei Mittelstürmer bewegen sich sehr variabel, während einer der Flügelstürmer nach vorne schiebt und als dritter Stürmer die gegnerische Viererkette besetzt. Der zweite Flügelstürmer bewegt sich nicht vertikal nach vorne, sondern rückt horizontal in Richtung Spielfeldmitte ein. Im Normalfall übernimmt Bale die Aufgabe des vertikal vorstoßenden Flügelstürmers, Isco ist die perfekte Besetzung für die Rolle des zentrumsunterstützenden Außenspielers. James wiederum kann beide Rollen auf ähnlichem Niveau ausfüllen.
Sollte gegen Juventus Bale auflaufen, ist denkbar, dass Isco/James und Marcelo über links die offenen Räume im Verbund mit Cristiano Ronaldo attackieren. Bale würde dann für Verlagerungen auf den offenen, ballfernen Flügel freistehen. Allerdings ist es möglich, dass man mit James und Isco als Flügelpärchen aufläuft. In diesem Fall wäre das 4-4-2/4-3-3 deutlich flexibler. Man könnte ebenfalls situativ Rauten bilden, 4-2-2-2-Staffelungen herstellen und nicht nur über eine Seite einen Flügelstürmer nach vorne stoßen lassen, sondern dies über beide Seiten im Wechsel praktizieren.
Wie stabil das ganze sein wird, ist jedoch unklar. Zwei der wichtigsten Spieler für dieses System können nicht auflaufen.
Benzema und Modrics Fehlen könnte schmerzen
Sowohl Benzema als auch Modric sind für das Funktionieren dieses Systems ungemein wichtig. Beide sind extrem spielstark, intelligent, pressingresistent und balancieren die Bewegungen ihrer Mitspieler. Immer wieder füllt Benzema Löcher, die Cristiano aufreißt oder öffnet Räume für die Sprints des Portugiesen. Modric wiederum baut das Spiel aus dem Halbraum auf, sichert hinter dem vorstoßenden Flügelstürmer ab und unterstützt situativ Kroos im Mittelfeldzentrum. Beide reißen eine Lücke in das System, welche schwierig zu füllen sein wird.
Vermutlich dürfte Chicharito Benzemas Rolle übernehmen, wobei auch Jesé oder Bale als Mittelstürmer auflaufen könnten. Chicharito zeigte in den letzten Wochen starke Leistungen in dieser Rolle, Bale und Jesé sind allerdings etwas dribbelstärker und athletischer als er. Außerdem würden diese beiden erlauben, dass James und Isco die Flügel besetzen.
Modrics Fehlen zu ersetzen wird ebenfalls schwierig. Illarramendi, Khedira und Lucas Silva sind gute Fußballer, doch sie sind nicht auf dem Niveau des Kroaten und erfüllen auch nicht das Anforderungsprofil. Es ist durchaus denkbar, dass entweder Isco als zweiter Sechser aufläuft oder das System angepasst wird.
Die Rückkehr des 3-5-2/5-3-2?
Eine Umstellung könnte es nicht nur bei den Madrilenen geben. Juventus könnte in Anbetracht der starken Flügelstürmer Reals mit einer Dreierkette aufwarten, wie es bereits Valencia zu Beginn der Rückrunde enorm erfolgreich in der spanischen Liga tat. Die Turiner besitzen das nötige Spielermaterial dafür und haben mit dem extrem spielstarken Tevez sowie dem dynamischen Morata sogar das Spielermaterial in der Spitze, um Unterzahlkonter flexibel zu gestalten. Außerdem sind die Achter Vidal und Marchisio laufstark genug, um in einem solchen System die Stürmer im Konterspiel noch rechtzeitig unterstützen zu können.
René Maric, www.abseits.at
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Rene Maric
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