Sechs Gegentore, sechs Fouls – Österreich nach dem 2:6 gegen Deutschland auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit
Nationalteam 3.September.2011 Daniel Mandl 0
Vor dem Länderspiel gegen Deutschland legte Teamchef Didi Constantini die Latte hoch – die Erwartungen wurden zumindest groß geredet. In der Veltins-Arena Auf Schalke hatte man allerdings eher den Eindruck, dass die österreichische Nationalmannschaft zum Leiberltauschen nach Gelsenkirchen reiste. Unser erster von drei Beiträgen zu einem augenöffnenden 2:6 in Deutschland.
Constantini schickte sein übliches 4-2-3-1 aufs Feld, erklärte nach dem Spiel im Interview mit Oliver Polzer, dass man das deutsche Dreieck in der Mitte unter Kontrolle bringen wollte. Keine einfache Vorgabe, zumal man es auf der Zentralachse mit Spielern von internationaler Klasse zu tun bekam. Als Resultat dessen, dass das Nationalteam diesen Spielern über 90 Minuten nachlief, kassierte die ÖFB-Elf drei Tore über links und drei Tore über rechts…
Deutschland im Spiel ohne Ball unantastbar
Das „Nachlaufen“ ist auch als Grund für die Niederlage anzusehen. Deutschland konnte sein Spiel aufziehen, kombinierte im Mittelfeld mit einfachsten Mitteln. Die Elf von Teamchef Joachim Löw versuchte keine Wunderdinge, spielte einfache Pässe – und die genügten um Österreich in allen Belangen zu beherrschen. Im Stile einer Klassemannschaft schaffte sich Deutschland immer wieder Räume durch konsequentes Spiel ohne Ball. Nicht nur der Ballführende war in Bewegung, sondern auch drei bis fünf Spieler rund um ihn, sodass immer Anspielstationen da waren. Österreich hingegen nahm an dieser Spielphilosophie nicht teil, bewegte sich kaum mit den Deutschen mit, ließ sich quasi im Stand ausspielen. Als Krönung ist dabei das sechste Tor der Deutschen durch Jungstar Mario Götze zu sehen. Der 19-Jährige erzielte sein zweites Länderspieltor nicht nur dank eines genialen Passes von Thomas Müller, sondern auch aufgrund eines genialen Laufweges, bei dem sein Gegenspieler Florian Klein nicht mitkonnte.
Drei ähnliche Gegentore in Halbzeit eins
Das erste Tor resultierte im Grunde aus einem Einwurf. Auf den Einwurf von Rechtsverteidiger Benedikt Höwedes kombinierte Deutschland auf engem Raum und brachte Schweinsteiger mit nur drei Pässen in eine gute Flankenposition. Die drei beteiligten deutschen Spieler hatten in dieser Szene drei österreichische Gegenspieler, die allesamt gut zwei Meter vom Mann weg standen. Das zweite Tor fiel über die andere Seite, aber mit ähnlichen Vorzeichen. Diesmal spielte sich Deutschland mit nur vier Pässen und zwei Spielern, die ständig in Bewegung waren, in den österreichischen Strafraum und schloss ab. Österreichs Teamkicker wurden dabei zu Hydranten degradiert. Für das dritte Tor brauchte Deutschland sechs Pässe, zeigte eindrucksvoll, wieso auch Innenverteidiger im modernen Fußball zu Spielmachern werden können. Badstuber lief vom eigenen Strafraum weg bis vierzig Meter vors österreichische Tor, ohne von einem ÖFB-Spieler attackiert zu werden. Nach seinem ersten Pass auf Kroos bekam Badstuber den Ball noch zweimal zurück, wurde beide Male nicht attackiert und lieferte schließlich den idealen Assist für Podolski. Und so stand es nach 27 Minuten und 29 Sekunden 3:0 für Deutschland, das in jedem Training mehr gefordert wird, als in diesen drei, von ihrer Entstehungsgeschichte her ähnlichen Situationen.
Team mental am Boden
Beim österreichischen Nationalteam passte an diesem Abend so gut wie gar nichts. Die Elf wurde von Teamchef Constantini falsch eingestellt (so war etwa die rechte Seite mit Klein und Dag angesagtes Harakiri), kaum einer spielte am Limit und die Spieler selbst trugen nichts dazu bei, um sich selbst aus dem Dreck zu ziehen. Die Körpersprache sprach über 90 Minuten Bände. Nach den Toren durch Arnautovic und Harnik fühlte sich niemand bemüßigt eine Geste des Aufweckens zu zeigen, seine Mitspieler wach zu rütteln. Selbst wenn man gegen diese deutsche Mannschaft das Ergebnis um ein Tor verkürzte, schien sich jeder bewusst zu sein, dass wir schon noch unsere zwei bis drei weiteren Trümmer fangen werden. Kein Aufbäumen, keine Geste der Zusammengehörigkeit, kein Ärger – und leider auch kein Spieler, der den anderen in den Arsch treten würde.
Sechs Fouls in 90 Minuten
Die markanteste Bankrotterklärung des Spiels: Österreich beging in 90 Minuten nur sechs Fouls. Immer wieder spricht man sich auf einen Unterschied von 70 Plätzen in der Weltrangliste aus (in Wahrheit sind es 65 und trotz des augenscheinlichen Klasseunterschieds eine schwache Ausrede), fährt dann aber frohen Mutes nach Deutschland und streichelt seinen Gegner. Es mag unsportlich klingen und nicht unbedingt im Sinne von Fußball und Fair-Play sein, aber wenn man auswärts gegen einen Gegner antritt, von dem im Vorfeld bekannt ist, dass er fußballerisch weit über unsere Kicker zu stellen ist, dann sollte das Team diesen Gegner über 90 Minuten beißen, kratzen und notfalls eben auch foulen. Dies wäre das einzige Mittel gewesen, um den großen Siegeswillen der Deutschen zu brechen, den Weltranglistendritten nervös zu machen. Österreich jedoch sah in Gelsenkirchen keine einzige gelbe Karte, beging im Schnitt nur alle 15 Minuten ein Foul, verlor im Mittelfeld nahezu alle Zweikämpfe – und verlor das Spiel eben nicht nur durch „Eigenfehler“, wie es Teamchef Constantini erklärte. Österreich verlor das Spiel auch, weil das Selbstvertrauen fehlt gegen den einen oder anderen Weltklassefußballer auch mal härter einzusteigen und man sich spielerisch von der DFB-Auswahl so einlullen ließ, dass man den Eindruck hatte, jeder auf dem Platz weiß, dass in der High-Tech-Arena Auf Schalke auch mit Kampf nichts zu holen sein wird. Dem Team Selbstvertrauen einzuimpfen ist Aufgabe des Teamchefs…
Auf dem Weg zum Fußballzwerg
…übrigens genauso wie die Einschätzung dessen, in welche Richtung man sich orientieren kann und will. Österreich verlor nun sieben seiner letzten acht Länderspiele, Mesut Özil freute sich nach der Partie, dass Deutschland auch gegen „so einen kleinen Gegner“ derart überlegen spielen kann. Recht hat er. Österreich verabschiedet sich in die fußballerische Bedeutungslosigkeit. In unserer direkten Umgebung der gerne zitierten FIFA-Weltrangliste befinden sich Nationen wie Panama, Libyen, Gabun, Guinea, Armenien, Malawi oder Botswana. In keinem dieser Länder bleibt der Teamchef nach sieben Niederlagen aus acht Spielen im Amt. Der starke Gegner gilt ebenfalls nicht als Ausrede, weil man ja auch schon gegen schwächere Gegner die Hilflosigkeit des österreichischen Nationalteams „bewundern“ durfte. Außerdem darf man gerne einen Blick in andere EM-Qualifikationsgruppen wagen: Die Färöer-Inseln verloren gegen Italien nur mit 0:1, Albanien verlor gegen Frankreich knapp mit 1:2, Ungarn spielt nach einem 2:1-Sieg über Schweden in den nächsten Runden um einen Platz im Playoff, selbst Malta machte Kroatien bei der 1:3-Heimniederlage zeitweise das Leben schwer. Und Liechtenstein holte auswärts in Litauen, das im FIFA-Ranking bereits zwölf Plätze vor Österreich liegt, ein 0:0. Überraschungen sind möglich, das sieht man im Weltfußball jeden Tag – aber nur mit entsprechender Fähigkeit zur Selbstreflexion. Und genau deshalb ist es nach dem Türkei-Spiel am Dienstag Zeit für einen Umbruch, damit sich die ehemals blühende Fußballnation Österreich nicht in die FIFA-Ranking-Region 90 – 120 begibt, wo wir uns von der Papierform mit Ländern wie Kuba, Niger, Färöer, Liechtenstein oder Thailand messen dürften.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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