Das 314. Wiener Derby: Auf der Suche nach den Schwächen der Wiener Großklubs
Bundesliga 12.August.2015 Daniel Mandl 0
In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde es immer mehr zur Seltenheit, dass ein Wiener Derby zu einem Treffen der Topklubs der heimischen Liga hochstilisiert werden konnte. Das letzte Mal, dass Rapid und die Austria – damals zusätzlich mit dem GAK – ernsthaft um die Meisterschaft ritterten, ist bereits über zehn Jahre her.
Das letzte Mal, dass die Austria und Rapid in der Endtabelle einer Bundesligasaison die ersten beiden Plätze belegten, liegt sogar schon 27 Jahre zurück. In der Spielzeit 1987/88 holte sich Rapid mit klarem Vorsprung auf den violetten Vizemeister den Titel. Nimmt man die Entwicklungen der ersten Runden als Gradmesser, so könnte sich ein solches Szenario 2015/16 wiederholen. Die Austria präsentierte sich deutlich stärker als in der Vorsaison, Rapid erwischte gar einen Traumstart. Probleme gibt’s aber weiterhin auf beiden Seiten.
Rapid leichter Favorit – aber was heißt’s?
Die Buchmacher sehen Rapid vor dem 314. Wiener Derby als leichten Favoriten. In der Favoriten-Außenseiter-Diskussion rund um Derbies freut sich jedoch nur das Phrasenschwein, weshalb wir die konkreten Probleme der beiden Mannschaften beleuchten wollen.
Detailprobleme in Grün-Weiß
Die Probleme der Hütteldorfer liegen derzeit eher im Detail. Natürlich ist die Barisic-Elf noch nicht hundertprozentig ausgereift, aber mittlerweile macht der kurzzeitige Pratergast doch einiges richtig. Schwächen finden sich noch im Umschaltspiel von Offensive auf Defensive, sowie in den Abständen der Mannschaftsteilen bei aggressivem Offensivpressing.
Auer „aktiv passiv“
Die rechte Abwehrseite ist besonders anfällig auf schnelle Konterattacken. Stephan Auer zeigt nach schwierigen ersten Schritten in Grün-Weiß eine gute Entwicklung und seine kämpferischen Vorzüge. Offensiv ist der 24-Jährige noch etwas zu nervös, dafür aber sehr präsent, was zumindest ohne Ball aufgrund der brandgefährlichen Rapid-Offensivspieler ein wichtiges, mannschaftliches Stilmittel ist. Man könnte sagen, Auer ist „aktiv passiv“. Die Bälle, die er offensiv nicht bekommt, bekommen andere, die wesentlich zielgerichteter agieren.
Schaub derzeit vor Schobesberger
Defensiv konnte der Ex-Admiraner einem aber da und dort leidtun, denn vor allem wenn Philipp Schobesberger Auers Vordermann war, sah sich dieser zumeist einer gegnerischen Überzahl gegenüber. In diesem Fall musste immer wieder einer von Rapids zentralen Mittelfeldakteuren nach außen rücken, um Auer zu unterstützen. Im Auswärtsspiel beim AFC Ajax wurde Schobesberger deshalb draußen gelassen – Louis Schaub nützte seine Chance nicht nur offensiv bravourös, sondern doppelte gemeinsam mit Auer die linke Offensivlinie der Gegner. Zum momentanen Zeitpunkt ist es somit sehr wahrscheinlich, dass Schaub und nicht Schobesberger startet. Der Oberösterreicher ist 2015/16 nach seinem Top-Frühjahr noch etwas zu sprunghaft. Auch gegen Wolfsberg folgte erst auf eine miserable erste Hälfte eine starke zweite.
Austria mit Problemen in der Innenverteidigung
Das Hauptproblem der Wiener Austria vor dem ersten Saisonduell mit Rapid ist die Innenverteidigung. Richard Windbichler ist verletzt, Lukas Rotpuller gesperrt. Die zentrale Abwehr der Veilchen wird damit von Vance Sikov und Patrizio Stronati gebildet werden. Die nötige Robustheit bringen die beiden zwar mit, aber an der Schnelligkeit und der Fähigkeit das Spiel aufzubauen könnte es hapern. Deshalb wird Rapids Solospitze Robert Beric sein Spiel wieder sehr tief anlegen, um einen der beiden Innenverteidiger aus der Kette zu locken. In Bezug auf das Sichern des Balles ist Beric wohl der beste Angreifer der Liga und könnte nach Ballbehauptungen auf tieferer Position die flinken Außenspieler einsetzen. Beric als klassischen Zielspieler zu verwenden wird auch im Derby kein probates Mittel sein – die grün-weißen „Zuarbeiter“ werden, wie schon in einigen der bisherigen Saisonspiele, eher als Vollstrecker in Erscheinung treten.
Violettes Aufbauspiel als Schlüssel?
Auch wird die Austria Probleme im Aufbauspiel haben. Holzhauser muss durch die Rumpfabwehr der Favoritner noch tiefer abkippen, um das Aufbauspiel an sich zu reißen. Das gibt Rapid grundsätzlich eine gute Gelegenheit weit nach vorne zu rücken, um ein intensives, mannschaftlich geschlossenes Angriffspressing durchzuziehen. Dass die Rapidler das aktiv gut können, bewiesen sie bereits. Der passive Part dieser Pressingvariante ist beim Tabellenführer aber noch nicht ausgereift.
Kompakterer Block vonnöten
Der Grund dafür ist, dass die Defensivspieler weiterhin zu tief stehen, wenn die Offensivspieler weit in der gegnerischen Hälfte Bälle erobern wollen. Dadurch werden die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen zu groß, um dauerhaft kompakt sein zu können. Wenn sich die Austria aus den Pressingsituationen befreien und das Spiel sauber aufbauen kann, werden sie im Mittelfeld genügend Räume vorfinden, um ihre beiden schillerndsten Figuren, Kayode und Gorgon, in Szene zu setzen. Wenn die Austria aber die erste Pressinglinie nicht oder nur unsauber überwinden kann, ist Rapid ein äußerst ungemütlicher Gegner, der diese Fehler eiskalt bestraft.
Austria mit Vorteilen bei Standards
In Bundesliga und Champions-League-Qualifikation kassierte Rapid vier seiner sechs Gegentreffer über die rechte Abwehrseite, die deshalb auch von der Austria bespielt werden wird. Kayode dürfte demnach im Spiel eine entscheidendere Rolle einnehmen als Gorgon. Ein potentielles Mittel, um das Derby zu Gunsten von Violett zu entscheiden, werden aber auch Standardsituationen sein. Rapid ist bei Standards offensiv noch zu unpräzise und hat defensiv Probleme, weil schlichtweg die Lufthoheit fehlt und auch Novotas Strafraumbeherrschung nicht immer perfekt ist. Mit physisch starken Spielern wie Sikov, Stronati oder auch Vukojevic hat die Austria bei Eckbällen einen Vorteil.
Rapid technisch deutlich weiter
Der technische Vorteil liegt hingegen klar bei Rapid. Die Automatismen der Grün-Weißen greifen, das von Franz Wohlfahrt geforderte Ballbesitzspiel ist bei Rapid in Bestbesetzung an guten Tagen nahe an der Perfektion. Hinzu kommt, dass Rapids Flügelspieler weniger den Weg zur Grundlinie suchen, sondern invers agieren, was ihnen einige Duelle mit Spielern beschert (Innenverteidiger, Sechser), die ihnen auf hohem Tempo mehr liegen werden, als die ausdauernden und bedächtiger attackierenden Außenverteidiger.
Erste große Bewährungsprobe für Violett
Einem spannenden Derby – und auch einer ersten großen Bewährungsprobe für die Austria – steht nichts im Wege. Die Veilchen gewannen bisher lediglich gegen die vom Europacup erschöpften Wolfsberger und Altacher, schütteten in Grödig vielleicht zum richtigen Zeitpunkt aus und kamen über ein 2:2 nicht hinaus. Rapid hat dank dem Ajax-Doppel bereits zwei Pflichtspiele mehr in den Beinen und gewann alle bis auf das Heimspiel gegen den niederländischen Rekordmeister.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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