Ein Jahreswechsel ist immer etwas Besonderes. Leuchtende Feuerwerke, reichlich Sekt und obligate Glückwünsche. Doch diesmal dürften die Silvesterfeierlichkeiten in Turin besonders stimmungsvoll gewesen sein.
Als Turiner Fußballanhänger musste man in jüngster Vergangenheit lernen, mit Krisen umzugehen. Die vergangenen Jahre waren hart, sehr hart. Tiefschläge waren die Regel, Erfolge die Ausnahme. Skandale, finanzielle Probleme und Ähnliches prägten den piemontesischen Profifußball. Juventus und der FC Turin, die alte Dame und der Stier, beide gingen auf Tauchstation. Die Leidensfähigkeit der Fans erreichte ihre Grenzen.
Die Bianconeri und ihr selbstgedrehter Strick
Der Mann, der der alten Dame den Garaus zu machen drohte, war deren eigener Manager, Luciano Moggi. Systematisch manipulierte er Ligaspiele von Juventus, indem er Referees und Linienrichter schmierte. Ausgehend von der Veröffentlichung abgehörter Telefonmitschnitte zog der größte Skandal in der Geschichte des italienischen Fußballs weite Kreise. Die Konsequenz: Zwangsabstieg in die Serie B und Aberkennung der beiden zuletzt gewonnen Meistertiteln. Dies geschah 2006. Seitdem konnten Buffon, Del Piero und Co. nicht an die glorreichen Erfolge vergangener Tage anknüpfen. National sowie international blieb man glanzlos. Im Vorjahr konnten die Turiner in der Europa League bei sechs Spielen keinen einzigen Sieg einfahren und mussten somit Lech Posen den Vortritt in die K.O.-Runde lassen. Dazu verpasste man mit dem siebten Tabellenplatz sogar die Qualifikation für die diesjährigen internationalen Bewerbe. Bitter für einen Rekordmeister.
Dem Stier geht die Luft aus
Zum Davonlaufen war auch die Situation beim FC Turin. Aufgrund eines exorbitanten Schuldenbergs von rund 80 Millionen Euro wurde dem Klub 2005 die Serie A-Lizenz entzogen, obwohl er eigentlich aufgestiegen wäre. Gefälschte Bilanzen und getürkte Bürgschaften zogen der Justiz und den Fans den letzten Nerv. Schließlich ging der Verein insolvent und wurde neu gegründet. Man durfte jedoch weiterhin in der Serie B antreten. Ein Jahr später wurde prompt der Aufstieg fixiert. Nach drei Jahren Erstklassigkeit folgte wieder der Gang ins Unterhaus. Seitdem musste man sich mit den ernüchternden Plätzen fünf und acht zufrieden geben. Der Stier zeigte Ermüdungserscheinungen.
Der Erfolg kehrt zurück
Doch die lange Durststrecke gehört spätestens jetzt der Vergangenheit an. Sowohl Juve als auch Toro überwintern jeweils an der Tabellenspitze. Die einen im Oberhaus, die anderen in der Serie B. Als einzige Mannschaft innerhalb der europäischen Spitzenligen stehen die Schwarz-Weißen in der laufenden Saison noch ohne Niederlage da. Statistisch gesehen, gelingt ihnen nur in 12,5 Prozent der Spiele kein Tor. Durch ihre hervorragenden Leistungen verleihen insbesondere Marchisio, Barzagli, Lichtsteiner und Pirlo der alten Dame neue Flügel. Man möchte wieder beim Konzert der Großen mitspielen, erfrischenden Fußball zeigen und – vor allem – den scudetto holen. Mit dem neuen Juventus Stadium hat man nun auch für das passende Ambiente gesorgt. Der Umzug aus dem unansehnlichen Stadio delle Alpi in Italiens erste richtige Fußballarena nach englischem und deutschem Vorbild ist Symbol für die gegenwärtige Aufbruchsstimmung.
Ein neues Stadion bekam auch der FC Turin. Seit 2006 tragen die Granatroten ihre Heimspiele im renovierten Stadio Comunale aus, welches anlässlich der Olympischen Winterspiele komplett erneuert wurde. Das Prunkstück des 28-Mann-Kaders ist zweifellos die Abwehr. Mit durchschnittlich nur 0,65 Gegentoren pro Spiel hält man den Ligabestwert. Der siebenfache italienische Meister ist guten Mutes, den Sprung zurück in die höchste Spielklasse zu schaffen.
Die Metropole am Po findet zu ihrer alten Stärke. Es fühlt sich an wie Balsam für die gebeutelte Turiner Fußballseele. Beide Traditionsklubs haben bereits den Grundstein für eine erfolgreiche Saison gelegt. Jetzt liegt es daran, die Neujahrsvorsätze konsequent einzuhalten: Die gebrachten Leistungen 2012 bestätigen und sich auf einen heißen Tanz an der Tabellenspitze einstellen. Aber Achtung: Ein Patentrezept gegen den Silvesterkater gibt es nicht!
Sebastian Köberl
Sebastian Köberl
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