Wenn Jungs Blödsinn machen – wieso man Nikon El Maestro helfen sollte, anstatt ihn zu bestrafen
Gesellschaft & Ethik 25.September.2011 Daniel Mandl 1
Laut seinem mittlerweile ehemaligen Trainer Peter Stöger ist Nikon El Maestro ein ruhiger, eher introvertierter Typ. Einer, dem man nicht böse sein kann, auch weil riesiges sportliches Potential in ihm schlummert. In Wiener Neustadt wird er dieses jedoch nicht mehr zur Schau stellen dürfen: Ein Gangsta-Rap machte ihm vorläufig einen Strich durch seine Fußballerkarriere.
Das Genre des Gangsta-Rap: Zusammenfassend gesagt ist es ein wichtiger Eckpfeiler dieser Musikrichtung seine eigenen Schwächen nicht unbedingt offen zur Schau zu stellen, dafür aber Gewalt zu verherrlichen, diverse F-Wörter bis zum Überdruss zu verwenden und gegebenenfalls Mütter zu beleidigen, andere Rapper oder sonstige Prominenten oder weniger Prominenten mit dem Tod zu bedrohen. Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.
Immer mit einem Augenzwinkern
Doch auch wenn dieses Musikgenre im großen Maße von Selbstdarstellung lebt und Moral fast aus Prinzip ausgrenzt, hört man vielen Tracks der bekanntesten Vertreter der Richtung ein Augenzwinkern heraus, das von großer Intelligenz und Wortgewandtheit zeugt. Und gerade deshalb hat Gangsta-Rap viele Anhänger auf der ganzen Welt. Die Künstler sprechen das aus, was sich der Normalo nur zu denken traut und selbst wenn die Texte mal in eine rassistische, frauenfeindliche oder gewaltverherrlichende Kerbe schlagen, sind es der Wortwitz und das vorhin beschriebene Augenzwinkern, die dem Zuhörer ein Grinsen aufs Gesicht zeichnen – nicht aber der Ernst der Inhalte.
Bei Nikon: Kein Augenzwinkern
Wie in jeder Musikrichtung gibt es auch im Gangsta-Rap talentierte und weniger talentierte Künstler. Bei Nikon El Maestros übertrieben selbstbewusstem Beitrag zum Genre, hat man nicht das Gefühl, dass der junge Kicker die in seinem Track angesprochene Chelsea Handler „dissen“ möchte, sondern ihr viel mehr den Hals umdrehen würde, hätte er die Gelegenheit dazu. Im Terminus „jüdische Hure“, so eine übersetzte Textstelle aus Nikons Rap, steckt eben kein Augenzwinkern.
YouTube-Star in jungen Jahren
Okay, Nikon El Maestro hat sich im Ton vergriffen, hat allgemein gesprochen ein Hobby, dessen Produkt nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, wenn man vor hat, Profifußballer zu werden. Überhaupt in Zeiten, in denen alles von Medientraining, Außendarstellung und positivem Image spricht. Am Ende ist der in London geborene 18-Jährige aber trotzdem eine Art Bauernopfer. Nikon El Maestro, ehemals Nikon Jevtic, ist seit vielen Jahren ein YouTube-Star und schon als er zehn, elf Jahre alt war, erfreuten sich die Fans in aller Welt an den Videos, die den kleinen Nikon zeigten, wie er durch gegnerische Abwehrreihen tanzte, als wären die bis zu vier Jahre älteren Gegenspieler Hydranten. Der Erfolgsdruck für den jungen Offensivspieler wurde schon damals auf ein ungesundes Level gehoben – Nikon hört nicht nur seit seinem 10. Lebensjahr welch großartiger Fußballer ist, er steht auch seitdem in der Öffentlichkeit und wird von neugierigen Internet-Nutzern mit Argusaugen beobachtet.
Wenn Jungs Blödsinn machen
Wie ein Fußballer mit Druck umgeht, ist ein wichtiger Indikator dafür, ob er „es schafft“ oder nicht. Man hört auf nationaler und internationaler Ebene von jungen Fußballern, die mehr Gefühl im kleinen Zeh haben, als langjährige, gestandene Bundesligakicker in beiden Beinen. Und trotzdem ist Talent nicht alles – es zieht einen Fußballer nicht aus dem Dreck, wenn der autoritäre Vater noch mehr Einsatz fordert. Talent macht einen nicht glücklich, wenn man unglücklich ist. Die Ersatzbefriedigung in schweren Zeiten ist bei jungen Fußballern genau dieselbe, wie bei allen anderen jungen Menschen: Man macht Blödsinn, egal welcher Art. Man lässt sich am Wochenende volllaufen, sucht Streit in Klubs, fährt schon mal ein Auto oder Moped zu Schrott – oder lässt Dampf ab, indem man in einem Rapvideo eine ebenso unliebsame wie unnahbare Unbekannte beleidigt. Die Moral von der Geschichte: Man sollte Nikon El Maestro nicht wegen seines Gangsta-Raps verteufeln, sondern darüber nachdenken, wieso eines der vermeintlich größten Fußballtalente seiner Zeit mit 18 Jahren damit auffällt, ein aggressives Musikvideo zu veröffentlichen und nicht damit, Woche für Woche in der Kampfmannschaft eines Top-Klubs zu spielen. Die Suche nach der Ursache sollte in Nikons früher Kindheit beginnen. Die wenigsten Kleinkinder kommen auf lange Sicht mit dem Druck zurecht, dem Nikon El Maestro Zeit seiner Fußballerkarriere – die noch gar nicht richtig begonnen hat – ausgesetzt war.
Soziale Hilfe für Nikon notwendig
Mit dem Rausschmiss beim SC Wiener Neustadt wurden dem jungen Talent seine Grenzen aufgezeigt – obwohl es wichtiger gewesen wäre ihm zu helfen. Nicht unbedingt auf sportlicher Ebene oder durch möglicherweise verfrühte Einsätze, sondern auf sozialer Ebene. Der 18-Jährige sah Schulen nur selten von innen, konnte sich im Laufe seiner Jugend nie länger an soziale Gefüge gewöhnen. Und das fällt dem ruhigen Eigenbrödler jetzt auf den Kopf. Auf dem gemeinsamen Gebiet des Scouting und Relocating spricht man davon, dass es manchmal besser ist, komplizierte oder schwierige Fußballer zu verpflichten. Sie sind billiger, weil sie von vielen Klubs gemieden werden und können zu Leistungsträgern werden, wenn man es schafft, sie richtig zu behandeln. Ein klassisches Beispiel: Ilco Naumoski spielt seit über sechs Jahren durchgehend beim SV Mattersburg und ist für die Burgenländer ein wertvoller Spieler, auch wenn sein Charakter nicht selten kontrovers diskutiert wird. Klassischer Tribünentalk: „Wenn der was im Hirn hätt‘, würd‘ er ganz woanders spielen.“
Ursachen verstehen, Reaktion hinterfragen
Beim SC Wiener Neustadt ist man das Managen schwieriger Charaktere offenbar nicht gewöhnt und so wählte man den einfachen Weg: Man warf Nikon El Maestro aus der Mannschaft. Unverhältnismäßig. Auf den 18-Jährigen, den man ohnehin nur „versuchte“, um zu schauen, ob er im Gefüge einer Profimannschaft den Biss bekommt, den er für eine große Karriere benötigen würde, kann der niederösterreichische Klub leicht verzichten. Hätten Kapitän Tomas Simkovic oder Mittelfeldorganisator Mario Reiter einen derartigen Rap publiziert, hätte man es bei einer Geldstrafe für den betroffenen Spieler belassen… wenn überhaupt. Nikon El Maestro ist allerdings ein Opfer seines Rufs und seines Umfelds und somit leichter zu vernachlässigen. Es steht außer Frage, dass El Maestro einen dummen Fehler beging, aber kaum jemand versucht die Vorgeschichte zu verstehen und kaum jemand stellt die Reaktion seitens des Klubs in Frage.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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