Nachdem wir im ersten Teil dieses Porträts bereits die ungewöhnliche Laufbahn und die bisherigen Erfolge des argentinischen Spitzentrainers Jorge Sampaoli betrachteten, sehen wir uns... Jorge Sampaoli: Der Mann, der Fußball atmet (Teil 2/2)

Nachdem wir im ersten Teil dieses Porträts bereits die ungewöhnliche Laufbahn und die bisherigen Erfolge des argentinischen Spitzentrainers Jorge Sampaoli betrachteten, sehen wir uns nun seine Spielauffassung und seine akribische Arbeitsweise im Detail an. Der Argentinier ist das beste Beispiel dafür, dass sich Fleiß und harte Arbeit bezahlt machen, denn nur so konnte er sich von kleinen regionalen Ligen hinaufkämpfen, um die Fußballwelt zu erobern. Außerdem werfen wir einen Blick auf jene Spieler seiner Mannschaft, die schon bald bei Spitzenvereinen in Europa kicken könnten.

Ein Schüler des großen Marcelo Bielsa

Jorge Sampaoli ist ein Schüler von Marcelo Bielsa, denn als dieser Chefcoach bei den Newell’s Old Boys war, leitete Sampaoli das Training der Nachwuchsmannschaften. Sampaoli suchte in dieser Zeit die Nähe von Bielsa, weil er wusste, dass er extrem viel von dem unorthodoxen Trainer lernen konnte. Es war ein großer Vorteil, dass sich die beiden auf Anhieb gut verstanden, was auch an einer ähnlichen Arbeitsauffassung lag. Beide Trainer lebten nicht nur vom, sondern in erster Linie für den Fußball und ordneten alles andere ihrem Beruf und ihrer Passion unter. Auch heute noch, nachdem sich ihre Wege seit vielen Jahren trennten, telefonieren die beiden regelmäßig miteinander und tauschen sich über die neuesten Entwicklungen aus. Die beiden Taktiker schätzen einander und die Gespräche finden längst auf Augenhöhe statt.

Flexibel und pragmatsich

Bielsa beeinflusste Sampaoli stark und es ist wenig verwunderlich, dass Universidad de Chile in etwa 75 Prozent aller Spiele mit einer Dreier-Abwehrkette aufläuft. Meistens lässt Sampaoli ein 3-4-3-System spielen, das je nach Gegner allerdings unterschiedlich interpretiert wird. Während im Rückspiel gegen LGU Quito im Finale der Copa Sudamericana ein klassisches 3-4-3 zum Einsatz kam, verstärkte der Trainer zuvor im Auswärtsspiel auf Kosten eines Stürmers das Mittelfeld und ließ eine 3-1-4-2-Formation spielen. In den ersten Runden der Copa Sudamericana schickt er in beiden Spielen gegen Centro Atlético Fénix und Flamengo Rio de Janeiro eine Vierer-Abwehrkette ins Rennen und ließ unterschiedliche Formationen spielen: Gegen Centro Atlético Fénix sahen die Fans zunächst ein 4-3-3, im Rückspiel dann ein flaches 4-4-2, in den beiden Spielen gegen Flamengo setzte Sampaoli auf ein 4-2-3-1. In der heimischen Meisterschaft ließ er in den 23 Runden der Clausura 16 Mal eine Dreierkette und sieben Mal einen Viererkette spielen. So wie Bielsa will Sampaoli meist einen Verteidiger mehr am Platz haben, als der Gegner Stürmer. Das bedeutet, dass er gegen zwei Stürmer meistens eine Dreier-Abwehrkette agieren lässt und gegen eine Solospitze eine Viererkette aufstellt, wobei dann die beiden Außenverteidiger sehr hoch spielen.

Der springende Punkt ist, dass Jorge Sampaoli ein Trainer ist, der seine Aufstellung und sein System extrem an den Gegner anpasst. Der Argentinier erwartet von seiner Mannschaft immer eine hohe Intensität und Einsatzfreude, die dazu führen soll den Gegner unter Druck zu setzen, um den Ball zu gewinnen und das Spiel zu kontrollieren. Um das zu erreichen geht Sampaoli jedoch äußerst pragmatisch vor und ist bereit je nach Gegner sein System umzustellen. Er ist kein Trainer der sagt, dass er nur auf seine Mannschaft schaut, weil er den anderen sein Spiel aufzwingt. Sampaoli passt sein System intelligent den Stärken und Schwächen des nächsten Kontrahenten an, was nur möglich ist, weil er sämtliche Videos des kommenden Gegners auswendig kennt – was uns zum nächsten Punkt führt.

Perfekte Vorbereitung

Sampaoli hat eine weitere Eigenschaft von Marcelo Bielsa übernommen, in der er seinen Lehrmeister heute wahrscheinlich sogar übertrifft. Bielsa wurde bekannt dafür, dass er sich zur Weltmeisterschaft 2002, als er die argentinische Nationalmannschaft trainierte, 2000 Fußballvideos zum Analysieren mitnahm. Auch Sampaoli hat mittlerweile eine riesige Sammlung und wertet akribisch alle Werte und Daten der kommenden Gegner aus. Sein Co-Trainer berichtete, dass sich Sampaoli zwischen den Trainingseinheiten in den Pausen meistens zurückzog, um sich die Videos der nächsten Gegner anzusehen. Auch nach der letzten Trainingseinheit arbeitet Sampaoli weiter – immer auf der Suche nach Perfektion.

Die wichtigsten Spieler seiner Mannschaft  

Einige der Akteure, die in erster Linie für den Lauf von Universidad de Chile verantwortlich sind, werden vermutlich schon bald den Angeboten aus Europa nicht widerstehen können und den Sprung über den großen Teich wagen. Die fantastischen Leistungen des Teams blieben spätestens seit dem Gewinn der Copa Sudamericana den europäischen Vereinen nicht länger verborgen, wobei die Performance in der nationalen Meisterschaft ebenso hoch eingestuft werden muss, da die Konstanz des Teams einzigartig ist.

Eduardo Vargas: Fangen wir mit dem Spieler an, der den Sprung über den großen Teich seit ein paar Tagen bereits hinter sich brachte. Vor genau vier Tagen kam der rechte Flügelstürmer beim SSC Neapel an, nachdem der Präsident des Vereins bereits am 23.12.2011 verkündete, dass sein Klub den chilenischen Nationalspieler verpflichtete. Vargas ist 22 Jahre alt und schoss im abgelaufenen Kalenderjahr 14 Tore in 26 Meisterschaftsspielen und elf Treffer in zwölf Copa-Sudamericana-Partien. Sein neuer Verein setzte sich gegen renommierte Mitbewerber aus dem In- und Ausland durch – unter anderem boten Inter Mailand, Chelsea FC und Manchester City mit. Vargas ist schnell und hat einen unwiderstehlichen Zug zum Tor. Der Stürmer verfügt über einen tiefen Schwerpunkt, sodass er nur schwer von den Beinen zu holen ist. Universidad de Chile wird den Flügelstürmer vermissen, darf sich aber über etwa 11 Millionen Euro freuen – kein anderer Chilene brachte mehr Geld ein. Zudem stehen einige hungrige und junge Spieler zur Verfügung, die die Lücke, die  Vargas hinterließ, schließen wollen. Christian Bravo (18) und Neuzugang Júnior Fernandes (23) haben nun die Chance ihr Können zu beweisen.

Marcelo Díaz: Universidad de Chile wird von den Fans des Vereins und den Medien des Landes oft als südamerikanischer FC Barcelona bezeichnet, was aufgrund der Spielauffassung (Kontrolle durch Ballbesitz, starkes Pressing ohne Ball) nicht ganz ungerechtfertigt ist. Wenn Universidad de Chile der FC Barcelona ist, dann ist der 25-jährige zentrale Mittelfeldspieler Marcelo Díaz das Pendant zu Xavi. Der beidbeinige, 166cm kleine Kreativgeist besticht durch eine hohe Spielintelligenz und gibt das Tempo seiner Mannschaft vor. Mal nimmt er das Tempo aus der Partie, dann macht er das Spiel von einem Augenblick auf den anderen wieder schnell. Er ist immer anspielbar, bewegt sich hervorragend ohne Ball und hat eine tolle Passquote. Der Mann ist momentan für einen relativ niedrigen Millionenbetrag zu haben, was immer noch ein absolutes Schnäppchen für europäische Spitzenvereine wäre.

Charles Aránguiz: Der erst 22-jährige Aránguiz hat sich mittlerweile ebenfalls ins Nationalteam der Chilenen gespielt und ist einer der Dauerbrenner im Verein. Er spielt fast immer über 90 Minuten durch und harmoniert ausgezeichnet mit Diaz. Wenn Díaz einen Vorstoß nach vorne macht, lässt sich Aránguiz geschickt fallen, sodass sein Mitspieler über alle Freiheiten verfügt. Aránguiz verfügt über eine Pferdelunge, ist überall am Platz zu finden und setzt den Gegner ohne Pause unter Druck. Er ist kein Zauberer, aber ein immens wichtiger Spieler, den viele Spitzenmannschaften in Europa gebrauchen könnten.

Gustavo Canales: Der 29-jährige Mittelstürmer überzeugt durch taktisch perfektes Verhalten. Um den Flügelstürmern mehr Platz zu geben, lässt er sich oft weit zurückfallen und lockt einen Innenverteidiger aus der gegnerischen Abwehrreihe hinaus. Er schoss acht Treffer in der Meisterschaft und erzielte auch bei der Copa Sudamericana einige wichtige Tore.

Francisco Castro: Aufgrund seines Alters ist der linke Flügelstürmer Francisco Castro für europäische Vereine allerdings interessanter als Canales. Castro ist 22 Jahre alt, spielte ein wenig tiefer als Vargas auf der gegenüberliegenden Seite, machte allerdings ebenfalls unwiderstehliche Sololäufe in den gegnerischen Strafraum. Wie Vargas sticht auch er im geeigneten Moment plötzlich quer von der Seitenlinie Richtung 16er hinein und ist nur schwer zu stoppen. Castro ist seit letztem Sommer in der Kampfmannschaft gesetzt und kam in der Clausura auf 14 Einsätze, in denen er acht Treffer erzielte.

Stefan Karger, abseits.at

Stefan Karger

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