Die FIFA ist verkommen, sie ist nicht mehr zu retten. Fast alle bringen den Weltfußballverband nur mehr mit Korruption und Bereicherung in Verbindung. Zur Symbolfigur für die geldgeile Vetternwirtschaft ist der mittlerweile 81-jährige Ex-Präsident Sepp Blatter geworden. Kritische Stimmen schrieben dem Verband unter der Leitung des Schweizers mafiöse Strukturen zu: Ganz wie bei den Corleones soll man sich gegenseitig Geschäftsbereiche zugeschanzt haben ohne die Gesetze des freien Marktes zu befolgen. Am 27. Mai 2015 platzte Blatters Blase: Die Polizei verhaftete sieben FIFA-Funktionäre wegen Verdachtes der Untreue. Blatter und seine rechte Hand Platini wurden von der hauseigenen (!) Ethikkommission letztendlich für sechs Jahre gesperrt.
Nur wenige wissen, dass die undurchsichtigen Verhältnisse der FIFA keineswegs eine Schöpfung des langjährigen Präsidenten sind. Nein, Blatter war einst selbst nur ein kleines Rädchen und nicht einmal die rechte Hand, sondern nur der linke, kleine Zeh eines viel größeren Bosses. Dieser Macher installierte damals Helfer, die nach seinem plötzlichen Tod, Morgenluft witterten und jahrelang hauptsächlich in die eigene Tasche wirtschafteten. Die Geschichte der FIFA verflocht sich in den 70ern mit dem heute zweitgrößten Sportartikelhersteller der Welt, der seinen Anfang in Bayern nahm.
Der Vater erfindet den Sportschuh, der Sohn die Sportkorruption
Im malerischen Herzogenaurach sind neben 23.000 Einwohner auch die Firmensitze zweier weltweitagierender Konzerne beheimatet. Sie gedeihen wie zwei Blüten, die einst aus derselben Wurzel entsprangen: Der gelernte Bäcker Adolf „Adi“ Dassler näht kurz nach dem Ersten Weltkrieg in der Waschküche seiner Mutter ein erstes Paar Sportschuhe. Sein Vater, der Schuhmacher ist, hilft ihm seine Idee umzusetzen: Freizeitschuhe en masse – so etwas gibt es noch nicht. Zwei Jahre später übernimmt Adi Papas Betrieb und stellt seinen Prototyp nun serienmäßig her. Bruder Rudolf steigt 1924 in die Fabrik ein. Für die Dasslers beginnt ein steiler Aufstieg: Zwölf Jahre später gewinnt Jesse Owens bei den Olympischen Spielen in ihren Sprintschuhen mit Spikes viermal Gold. Doch mitten im Zweiten Weltkrieg verkrachen sich die Brüder für immer: Adi nennt seine Firma nun nach der Abkürzung seines Vor- und Nachnamens Adidas und arbeitet allein weiter. Rudolf gründet am anderen Ufer der Aurach nach demselben Prinzip Ruda, die er später Puma nennt. Klingt einfach besser. 1954 wird die Deutsche Fußballnationalmannschaft im regnerischen Bern auch dank Adis Schraubstollen Weltmeister und begründet so den Ruf des jüngeren Dasslers als Schuster der Nation. Rudolf und Puma versuchen vergeblich die Technik für sich zu reklamieren. Schließlich haben sie schon im Mai ’54 Meister Hannover 96 mit solchen Schuhen ausgestattet. Es hilft nichts. Der Ältere und seine Firma bleiben bis heute hinter dem Betrieb des Jüngeren zurück. Das ist aber hauptsächlich der nachfolgenden Generation zu verdanken: Horst Dassler ist Adis einziger Sohn und wird praktisch von Geburt an mit dessen Bestrebungen konfrontiert. Er beginnt seine Karriere im Familienbetrieb als 20-Jähriger als er während der Olympischen Spiele in Melbourne kofferweise Adidas-Schuhe an die Amateurathleten verschenkt. Einige Jahre später baut er in Strasbourg eine Dependance auf, die viel verzweigter als die Hauptniederlassung sein wird. Horst wird langsam zum Schattenmann bei Adidas.
Nach dem Tod seines Vaters forciert er seinen Plan Adidas zum Marktführer zu machen: Mit stillen Beteiligungen unterwandert er kleine und große Konkurrenten wie die französische Sportmodenfirma Le Coq Sportif. Offiziell läuft alles natürlich über Holdings in der Schweiz. Im Elsass eröffnet Horst ein Restaurant, das bald einen Michelin-Stern erhält, als Geheimtreff für wichtige Kunden. Hier werden beim Abendessen wichtige Verträge abgeschlossen. Dassler arbeitet wie ein Spionageunternehmen: Er legt riesige Datensammlungen mit Karteikarten von Sportlern, Managern, Trainern, Funktionären an, in denen alles verzeichnet wird. Diese Infos machen leicht erpressbar. Hinter vorgehaltener Hand nennt man Adidas bald Turnschuh-CIA. Mit seinem Cousin Armin, Rudolfs Sohn, ist Horst genauso verfeindet wie es einst ihre beiden Väter waren. Schnell begreift er jedoch, dass er den Vetter nicht im Duell um jeden Einzelsportler ausstechen muss. In den 70ern verlagert Horst seine Werbeversuche auf ganze Verbände: Er verstreut seine Lobbyisten, die den nationalen Verbänden um den Bart gehen. Funktionäre verdienen sich so bei Sponsorenverträgen ein kleines Zubrot und langsam aber sicher wird der Gentlemans Club FIFA von Dasslers Ergebenen infiltriert. Besonders einer hält ihm bis heute die Stange: „Er brachte mir die Feinheiten der Sportpolitik bei – eine sehr gute Lehre für mich.“, sagt Joseph Blatter. Das „one country – one vote“-Prinzip spielt Dasslers Strategie in die Karten: Eine Bananenrepublik hat genauso viel Macht wie der DFB mit seinen 6,8 Millionen Mitgliedern. Besonders die Verbände armer Länder halten oft die Hand auf.
Deckname: Möwe
1974 hilft Horst Dassler João Havelange gegen FIFA-Präsident Stanley Rous zu putschen. Havelange ist ein brasilianischer Geschäftsmann aus nebeligem Umfeld: Er ist Profiteur des illegalen Glücksspiels, Waffenzulieferer und engagiert sich despotisch in seinem heimischen Sportverband. Als FIFA-Präsident wähnt er sich an der Spitze der Macht und ist starker Partner von Horst Dassler. Gemeinsam erschaffen sie das größte Korruptionssystem der Sportgeschichte. Starke Männer jeglicher Art sind für Dassler wichtig. Er lässt sich gerne von Regierungschef hofieren und verkehrt auch an vielen dunklen Ecken der Welt: Ob im Apartheidssystem von Südafrika oder in der DDR. Staatschef Honecker unterzeichnet einen Totalvertrag mit Adidas. Ein Witz der Geschichte: Der Konzern aus dem verhassten Westen stattet nun die ostdeutsche Dopingsportschule aus. Getraut wird Dassler trotzdem nicht: Der Inoffizielle Mitarbeiter „Möwe“ wird an seine Seite geschleust und leitet Mitteilungen nach Ost-Berlin weiter.
Dasslers Leute im IOC und in der FIFA erfinden neue Wettbewerbe und schaffen neue Richtlinien um den Sport selbst zu vermarkten. Das bringt Geld, aber nicht so viel wie sich der Bayer erhofft. Sein nächster Coup ist das Geschäft mit Rechten und Lizenzen. Mit der von ihm mitgegründeten Firma SMPI verkauft er zunächst Bandenwerbung. Die WM ’78 lässt erstmals den Rubel rollen, zu dumm, dass französische Steuerfahnder etwas dagegen haben, dass Dassler und seine Compagnons ihren Gewinn über diverse Briefkastenfirmen absaugen lassen. 1968 kauft Dassler für 45 Millionen Franken die Vermarktungsrechte für die Weltmeisterschaft in Mexiko und verkauft diese an Sponsoren weiter. ISL heißt seine neue Firma mit der er ganz geheim und unter Öffentlichkeitsausschluss bei der FIFA und beim IOC die Rechte abholt.
Die Verbände ziehen in die Schweiz um, nicht nur aufgrund der Steuerprivilegien, sondern auch um weitestgehend Narrenfreiheit zu haben. In der gleichgeschalteten FIFA gibt es für Horst Dassler noch einen Klotz am Bein: Generalsekretär Helmut Käser ist gegen jeden Bestechungsversuch immun, seine Buchführung ist makellos. Als Käser eigene Pläne für die Vermarktung der FIFA entwickelt, tobt Dassler: Er und sonst niemand bestimmt über den Weltfußballverband. 1981 fädeln Havelange und Dassler Käsers Rausschmiss ein. Die FIFA ist pleite. Schuld daran ist natürlich der „korrupte“ Käser und nicht etwa Finanzchef Lacoste, der zuvor als Mitglied der argentinischen Militärjunta an Mord und Totschlag beteiligt war. Käser akzeptiert den golden handshake und gibt auf. Sein Schwiegersohn tritt sein Erbe an: Sepp Blatter hat heimlich Käsers Tochter geehelicht. Als Käser davon erfährt, weint er bitterlich. Mit Blatter hat Dassler seine Agitationspuppe installiert. Er und Havelange teilen sich den Kuchen, der Schweizer dient als glücklicher Vasall.
Ein langes Leben ist Horst Dassler jedoch nicht vergönnt. Seine eigenen Spionagetätigkeiten haben ihn über die Jahre paranoid werden lassen. Überall vermutet der fränkische Unternehmer Spitzel der Konkurrenz. Geschäfte werden nur mehr in Hotel-Badezimmern bei laufendem Wasserhahn abgeschlossen, einen Mini-Wanzendetektor à la James Bond schleppt er ständig mit sich herum. Die Adidas-Angestellten müssen die legalen und illegalen Kontrollversuche ihres Chefs ertragen. Ende der 80er-Jahre erkrankt Dassler an Krebs und lässt sich heimlich in New York behandeln. Offiziell gibt er an, an einem zwar chronischen aber harmlosen Magen-Darm-Leiden erkrankt zu sein. Da weiß Dassler schon, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat. Er stirbt mit 51 Jahren. Seine Erben und seine vier Schwestern verkaufen danach ihre Anteile an der hauseigenen Sportfirma. Die ISL ging 2001 in Konkurs und das Dassler-Havelange-Schmiergeldsystem flog auf. Insgesamt wurden 156 Millionen Franken an Bestechungsgeldern für Sportverbände aufgewendet.
Mehr als ein Fan
Sepp Blatter sieht sich als Überlebenden. Als Frühgeburt in den urigen Kanton Wallis geboren, wo die Menschen nicht nur wegen ihrem schwer verständlichen Allemanische wie aus der Zeit gefallen scheinen, musste Sepp früh lernen sich durchzusetzen. Als Jugendlicher ist er ehrgeizig, ob als Mädchen für alles in den nahegelegenen Hotels oder als Wahlkampfhelfer für seinen Bruder Peter. Im Fußball schafft er es gerade in die erste Amateurliga. Trotzdem sei er immer „mehr als nur ein Fan“ gewesen, sagt Blatter. Seine Stärken sind eindeutig die Bauernschläue und der brennende Ehrgeiz. Beharrlichkeit wird er von Dassler lernen.
Als 23-jähriger wird der Student der Volkswirtschaftslehre Sekretär des Walliser Verkehrsverbandes. Als er beim Uhrenhersteller Longines als PR-Chef arbeitet, klopft Horst Dassler an seine Türe. Dassler sieht in dem jungen Schweizer einen lernbegierigen Emporkömmling, der sich an seinen Samariter immer dankbar erinnern wird. Obwohl sie fast auf den Tag genau gleich alt sind, verbindet die beiden ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Der Deutsche nimmt Sepp unter seine Fittiche und stellt ihn seinen Strohmännern vor. Auf seine Initiative hin wird Blatter Direktor für FIFA- Entwicklungsprogramme. Da gehört es zum Ein-Mal-Eins, dass man in so einer Position sein 800 000-Franken-Jahresgehalt nicht in Zürich, sondern über eine Briefkastenadresse im Kanton Appenzell versteuert. Siebzehn Jahre lang ist Sepp Blatter FIFA-Generalsekretär bis er bei der Präsidentschaftswahl 1998 seinen Konkurrenten Lennart Johansson aussticht. Sein Förderer Dassler ist zu diesem Zeitpunkt schon elf Jahre lang tot. Die Lehrzeit in Dasslers Dschungel hat beim Schweizer jedoch Spuren hinterlassen: Bei seiner ersten Direktionssitzung untersagt er jeden privaten Handygebrauch. Telefoniert darf nur über FIFA-Leitungen, die natürlich abgehört werden können, werden. Blatter schafft sich sein eigenes Schattenkabinett: Die Führungs-Crew, kurz: F-Crew. Dieser Verband im Verband wird das Wirken der FIFA fast 18 Jahre lang bestimmen. Immer zu Blatters Besten, nicht immer zum Besten für den Fußball.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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